Akte X – Jenseits der Wahrheit

The X-Files: I Want to Believe

USA/Kanada 2008 · 104 min. · FSK: ab 16
Regie: Chris Carter
Drehbuch: ,
Kamera: Bill Roe
Darsteller: David Duchovny, Gillian Anderson, Amanda Peet, Billy Connolly, Alvin "Xzibit" Joiner u.a.
Im Schneegestöber zwischen
Glaube und Wissenschaft

Sieg des Glaubens

Der zweite Akte X suhlt sich zunächst in den Schat­ten­seiten des Katho­li­zismus – um dann zu konver­tieren

»Es ist Gottes Ehre, eine Sache zu verbergen; aber der Könige Ehre ist es, eine Sache zu erfor­schen.«
(Sprüche Salomo 25.2; im Film mehrfach zitiert)

Der Einstieg ist so rasant, wie drama­tisch und er ist überaus gekonnt insze­niert: Ein Suchtrupp des FBI durch­sucht in einer weiten Schnee­land­schaft eine Eisfläche. Ange­leitet wird die Gruppe durch die Kommandos eines älteren Herren mit langen, weißen Späthippie-Haaren, Stop­pel­bart und Augen, die irgendwie weiter und mehr zu sehen scheinen. Parallel dazu sehen wir eine Frau, die des Nachts mit dem Auto nach Hause kommt, auch ihr Haus steht irgendwo in der Einsam­keit und auch hier liegt Schnee. Die Hölle ist aus Eis. Neben dem Haus, in der Garage, in die der Wagen hinein­fährt, gibt es Käfige mit Hunden, die bellen. Man spürt gleich, dass dieses Bellen irgendwie unheil­schwanger ist, dazu muss man nicht wissen, dass man in einem AKTE X-Film sitzt; schon Licht­set­zung, Kame­ra­füh­rung und der Geräusch­tep­pich sugge­rieren es. Immer schneller wechselt das Leinwand-Bild zwischen diesen beiden Schau­plätzen hin und her. Der Suchtrupp hält an, der Alte ist auf die Knie gesunken und weist auf eine Stelle: »It’s here!« schreit er und man gräbt. Die Frau steigt aus ihrem Auto, und ein kurzer Schatten im Hinter­grund zeigt uns: Sie ist nicht allein. Dann sieht auch sie Atem, der in der Luft konden­siert und eine frische Spur im Schnee, und weiß es ebenfalls. Zwei Männer greifen sie an, sie verletzt einen mit einer Garten­hacke schwer am Arm, rennt weg, wird verfolgt, Horror- und Seri­en­killer-Ästhetik mischen sich. Die Frau wird von den Männern über­wunden, und der Suchtrupp findet im Eis einen einzelnen Arm. Wir Zuschauer wissen: Es ist der Männerarm, der eben mit der Hacke verwundet wurde...

Mulder und Scully und die X-Akten sind zurück. Regie führte diesmal Chris Carter, der die Serie einst kreiiert und als Regisseur, Autor und Produzent bestimmt hatte. »Akte X« ist seine persön­liche Schöpfung. Zumindest für die Fans der Mystery-Serie ist diese Rückkehr eine gute Nachricht. Ob die jüngere Gene­ra­tion, die zum Popcorn auch die Kinokarte kaufen soll, mit Scully und Mulder überhaupt noch viel anfangen kann, wird sich erst weisen. Aber auch für die Macher ist das Wieder­auf­wärmen einer Serie, die vor über sechs Jahren einge­stellt wurde – der erste Kinofilm lief bereits 1999 – keine leichte Aufgabe.

Das Schwie­rigste: Wo setzt man ein, und wie bringt man die FBI-Agenten, die im letzten Drittel der Serie bereits zunehmend von Alien-Jägern zu Terror­be­kämp­fern geworden sind über die Schwelle des »11. September«, der 2001 all jene Ängste, die Verschwö­rungs­theo­rien, die pessi­mis­ti­sche Sicht auf Mensch und Staat, mit der »Akte X« – hierin ganz ein Kind der prin­zi­piell opti­mis­tisch-heiteren 90er Jahre –, immer gern und oft ironisch spielte, noch über­troffen und wahr gemacht hatte.

Der Film spielt in der Jetztzeit, George W. Bush ist Präsident und führt die beiden Helden Mulder (David Duchovny) und Scully (Gillian Anderson) in wenigen Minuten zusammen. Der Rest des Figu­ren­ar­se­nals der Serie kommt im Film nicht vor. Mulder lebt zurück­ge­zogen in der Einöde, arbeitet als Paranoia-Nerd vor allem am Ausschneiden von Zeitungs­ar­ti­keln, hat einen Vollbart und im Zimmer das Plakat »I Want to believe« hängen, das einst in seinem Büro hing und dem Film den Titel gab.
Scully arbeitet hingegen als Ärztin in einem mit dem gesamten Arsenal des Kino­ka­tho­li­zismus – Kreuze in jeder Ecke, schwei­gende, neugierig oder boshaft guckende Nonnen, einem dämonisch ausse­henden, lautlos schlei­chenden Priester – ausge­stat­teten katho­li­schen Kran­ken­haus und hat es mit besonders schweren Fällen zu tun, unter anderem einem Jungen, der an der »Sandhoff Desease« erkrankt ist, und dem sie schließ­lich über eine Stamm­zel­len­the­rapie helfen will.

Beide werden vom FBI reak­ti­viert, weil der Alte aus der Auftakt­szene ein »Medium« ist, mit dessen Hilfe man hofft, verschwun­dene Frauen aufzu­spüren. Seine Fähig­keiten hatte der Mann bereits durch das Auffinden einzelner Körper­teile unter Beweis gestellt. Dieser Seher ist ein katho­li­scher Ex-Priester namens Father Joe, der von der Kirche wegen Pädo­philie geächtet wurde, sich darob bereits mit 26 Jahren selbst kastriert (!) hatte – »Alles, was ich je wollte, ist Gott dienen.« –, und der heute nach einer besonders inten­siven Vision Blut weint (!!).

Auch sonst widmet sich der Film im Verlauf vielen Schat­ten­seiten des Katho­li­zismus, etwa den Ster­be­hos­pizen, die von gierigen Priestern vor allem als Einnah­me­quelle gesehen werden, nach Nachschub verlangen und mit schein­hei­ligen Argu­menten mit immer neuem Menschen­ma­te­rial bestückt werden – auch Kranken, die viel­leicht zu retten sind. Wenn Scully und ihr Kontra­hent über Ster­be­hos­pize debat­tieren, ist das ein cleverer zeit­genös­si­scher Moment, der die Hospize einmal nicht als Ort »fried­li­cher« »Ster­be­be­glei­tung« gegenüber »kalt-effi­zi­enter« Ster­be­hilfe zeigt, sondern selbst als effi­zi­enz­ori­en­tiert in Verwer­tungs­zwänge einge­bunden und eine Bedrohung auch für jene, die viel­leicht mit ärzt­li­cher Hilfe noch gar nicht sterben müssten. »Wir sind hier, um die Kranken zu heilen, nicht um das Leiden der Ster­benden zu verlän­gern«, plädiert der schein­hei­lige Priester, »Let the boy go in peace«, während Scully noch weitere Therapien versuchen will.

Auf der anderen Seite besitzt das Verhältnis zwischen Mulder und Scully auch diesmal wieder seine frucht­bare Spannung aus dem Konflikt zwischen Glauben und ratio­naler Skepsis, Irra­tio­na­lismus und Wissen­schaft. Man könnte diese drama­tur­gi­sche Einrich­tung mit der System­theorie als Wech­sel­be­zie­hung zwischen System und Umwelt deuten, Scully stünde dann für das in sich rationale soziale System, Mulder für das, was man früher »Mutter Natur« genannt hat, die Außenwelt des »out there«. Die Wech­sel­be­zie­hung zwischen beiden ist der – nie abge­schlos­sene – Sinn­ge­bungs­pro­zess der Serie. Sie führt auch zu einer wech­sel­sei­tigen Gren­züber­schrei­tung. Wobei die Gleich­be­rech­ti­gung dieser Gren­züber­schrei­tung eine schein­bare bleibt – in der Konse­quenz ist eine Entmäch­ti­gung des Ratio­na­litäts­dis­kurses die Folge, geht es um eine Aufhebung des die Kultur­ge­schichte des Westens prägenden Dualismus Ratio­na­lität-Irra­tio­na­lität. Bemer­kens­wert ist natürlich, dass in AKTE X die Stimme der tradi­tio­nell symbo­lisch männlich besetzten Vernunft der Frau gehört, dass deren Entmäch­ti­gung also – unge­achtet der Feier der Serie durch manche Femi­nistin – auch eine ganz klas­si­sche Entmäch­ti­gung der Frau bedeutet. Das Verhältnis Scully-Mulder zeigt, wo und wie Glauben und Wissen zusammen arbeiten können. Das Verhältnis ist aber eben kein gleich­be­rech­tigtes, sondern eines, das das Jenseits der Vernunft privi­le­giert, und dem Film zusehends eine Schlag­seite zugunsten des Esote­ri­schen gibt. Im neuen Film stellt Scully einmal die bekannte Theodizee-Frage: Wie kann Gott soviel Böses zulassen? Worauf Mulder kontert: »Let’s just say: I want to believe«. Warum eigent­lich?

Der Irra­tio­na­lismus hat viele Gesichter. Eines der Popu­lärsten war in den 90er Jahren »The X-Files«, jene Serie, die in 202 Fern­seh­folgen und einem Kinofilm seit 1993 das Fernsehen nicht weniger als revo­lu­tio­nierte: Licht und Kamera wie in Kino­filmen, eine Handlung, die die Grenzen der 45-Minuten-Folge über­schreitet – das war Anfang der 90er noch eher unüblich. »ER« und »24«, »Alias« und »Millenium«, »LOST« und »Buffy« – sie alle haben von »Akte X« gelernt. Wie seiner­zeit die Serie von den Klas­si­kern »Outer Limits« und »Twilight Zone«.

Stilis­tisch war »Akte X« ungemein innovativ: Eine Mischung der bis dahin unver­einten Genres Horror, Science-Fiction, Detek­tiv­film, Polit­thril­lers und Kata­stro­phen­film ging es mal um weltliche Seri­en­mörder, dann um außer­ir­di­sche Mutanten, um falsche Hellseher und echte Geister. Den Hinter­grund bildete eine grund­sätz­lich dunkle Noir-Welt, düster, bedrü­ckend, unsicher. Keiner kann dem anderen trauen. Die genauen Hinter­gründe bleiben aber im Dunkeln. Visuell heißt dies: Drama­ti­sches Spiel von Licht und Schatten, das Doppel­deu­tig­keit trans­por­tiert, unrea­lis­ti­sche Licht­set­zung, Dunkel­heit dominiert immer, auch in Innen­räumen – Ausdruck für diffuse Bedrohung und die Angst vor unkon­trol­lier­baren und undurch­sich­tigen Macht­struk­turen.

Inhalt­lich war »Akte X« ganz und gar ein Produkt seiner Zeit, das sich ganz aus deren Gedan­ken­ar­senal speist, aus den Moden und Vorlieben, den Ängsten und Bedrü­ckungen, den Hoff­nungen, Geschmä­ckern und Dumm­heiten der 90er Jahre. Wer über diese etwas erfahren möchte, kann es aus »Akte X« erfahren.

Von Anfang an stand »Akte X« auch in der Kritik. Gläubige und ihre Kirchen bemän­gelten ober­fläch­li­chen Umgang mit den Sakra­menten des Glaubens, Glau­bens­skep­tiker warnten umgekehrt vor neuem Mysti­zismus. Diese Diskus­sion wird auch in der Serie selbst geführt: Viel­leicht ist das Gleich­setzen von Wissen­schaft und Ratio­na­lität mit Glauben und Esoterik das eigent­lich irra­tio­nale Element der »Akte X«. Allemal waberte hinter den zahl­rei­chen Anspie­lungen auf die Zeit­ge­schichte – Nazis, Menschen­ver­suche, Kennedy-Mord, Atombombe, etc. –, populären Mythen und »Urban Legends« – Bermuda-Dreieck, Aliens in Arizona, UFOs – auch immer die Behaup­tung, die eigent­liche Wahrheit fände sich »da draußen«. So verband die Serie solche fiktive popu­lär­kul­tu­relle Erzäh­lungen mit der Theorie der Verschwö­rung eines Geheim­bundes der Mächtigen, die seit dem Zweiten Weltkrieg mit Außer­ir­di­schen kolla­bo­rieren. »'Akte X' präsen­tiert eine Gesell­schaft, die sich über die Regierung und Verschwö­rungen, den tech­no­lo­gi­schen Übergriff auf die Seele und Körper der Städte und die unde­fi­nierten Bedro­hungen durch außer­ir­di­sche Mächte (die wiederum alle­go­risch als Angst vor dem Terro­rismus gelesen werden können!) beun­ru­higt zeigt.« schrieb der Kultur­wis­sen­schaftler Douglas Kellnrer. Zeit­ge­schicht­lich ist dieser Befund fraglos inter­es­sant, und in seiner Verbin­dung von Cyber­space-Moderne mit zeit­ge­mäßen Retro-Trends, New Age und Geist­heiler mit Mobil­te­le­fonen und ICE’s, bei einer Analyse der 90er unent­behr­lich, theo­re­tisch steht es jedoch auf der Stufe des 18. Jahr­hun­derts, etwa der schlichten »Pries­ter­be­trugs­theorie« von d’Holbach, nach der die Herr­schenden an sich offen­kun­dige Wahr­heiten nur durch Lug und Trug vertu­schen.

Eine Frage, die man beant­worten muss, ist, warum ausge­rechnet diese Serie die Gemüter vor dem 11. September 2001 so ungemein faszi­nierte, und warum das seitdem nicht mehr der Fall ist? Weil konkret eintrat, womit die Serie immer nur gespielt, aber was sie nicht wirklich geglaubt hatte? Aber »The Truth is out there« bedeutete ja schon immer: Die Wahrheit ist nicht hier. Die Serie war also von Anfang an lesbar als Plädoyer für kontem­pla­tiven Mysti­zismus, aber viel­leicht auch lebens­kluge Ironie im Sinne von Richard Rorty, die auf Wahrheit einfach verzichten und sich prag­ma­ti­scher Hand­lungs­ethik widmen kann: »Who cares? We do« sagten Mulder und Scully. Da es sich bei beiden aber um FBI-Agenten handelt, und man in den letzten Jahren gelernt hat, dass es mehr als einen Grund gibt, dem FBI nicht zu vertrauen, klingt der Spruch heute ebenso merk­würdig gealtert, wie Rortys Opti­mismus des »I am just an American«.

Da war »Akte X« immer schon eher von Rortys liberalen Ironi­ke­rinnen und De Sade lesenden Skep­ti­kern entfernt, und stand einem Jacques Derrida und dessen Dekon­struk­ti­vismus näher: Ein Zentral­ge­danke Derridas ist das Prinzip des Aufschubs. Sein Denken setzt nicht länger auf die Erfüllung eines Sinnes, sondern auf endlose Re-Lektüre und auf Mehr­deu­tig­keit. Derridas Lektü­re­ver­fahren der »différance« beruht auf der Voraus­set­zung, dass ein Zeichen nie voll­s­tändig in seiner Bedeutung aufgeht. Vielmehr ist die Welt eine des unend­li­chen Verweis­zu­sam­men­hangs von einem Zeichen zum nächsten.

Im Prinzip plädierte auch »Akte X« für derart plura­lis­ti­sche Lesarten der Wirk­lich­keit, die keinen Autor – sei es Gott, sei es das Subjekt – mehr hat, sondern nur unlösbare Rätsel. Die beiden Detektive Mulder und Scully waren zwar noch Relikte der klas­si­schen modernen Konstel­la­tion: Der Detektiv als verdeckter Ermittler, der Licht ins Dunkel der Wirk­lich­keit bringt, und einen Fall aufklärt, ein Problem löst. Die Aufklä­rungs- und fort­schritt­liche Problem­lö­sungs­an­satz wird aber in »Akte X« immer wieder ent-täuscht. »Akte X« gefiel sich vielmehr darin, seine Zuschauer im Warten zu üben und aus der Erwar­tungs­ent­täu­schung einen Genuss ziehen zu lassen.

Eine spezi­fisch post­mo­derne Konstel­la­tion, im alttes­ta­men­ta­ri­schen Glauben an die Nicht­dar­stell­bar­keit des Seins genauso fußend, wie in spezi­fisch christ­li­cher – der Idee des Kathechon, des Aufhal­ters des Endes – und explizit jüdisch-esote­ri­scher Tradition: der Idee des ewigen Exils, und dessen endlosem Ende, auf das erst dann die Ankunft des Messias, der Wahrheit folgt.

Die Voraus­set­zung für solchen unend­li­chen Aufschub des Endes ist die Vorstel­lung von einer »ursprüng­li­chen Differenz«, die Identität – »Wahrheit« – nicht zulässt, und statt­dessen eine endlose Diffe­ren­zie­rung und Unter­schei­dung der Zeichen, Begriffe, Dinge denkt – und damit zusam­men­hän­gend, die Unun­ter­scheid­bar­keit von Wahrheit und Fiktion, die faktisch deren Inein­an­der­fallen bedeutet, das oben bereits genannte eigent­lich irra­tio­nale Element der »Akte X«: Die Gleich­set­zung von Wissen­schaft und Ratio­na­lität mit Glauben und Esoterik.

Der neue AKTE X-Film entwi­ckelt derartige Gedanken jetzt weiter. Akte X – I Want To Believe lautet der Titel des zweiten Films, und das gibt die Richtung vor. Wörtlich heißt es also: »Ich möchte glauben«, nicht, wie der deutsche Verleih ängstlich ins Profane, Skep­ti­sche (und genau genommen ziemlich sinnlos) titelt: »Jenseits der Wahrheit«, was weder Mulders, noch Scullys Position beschreibt. Um neue Reli­gio­sität drehte sich hier zwar schon immer alles, das carte­sia­ni­sche »Ich denke, also bin ich«, das Aufklä­rung und West­eu­ropa begrün­dete, war in der Serie bald einem sehr mysti­schen »Ich glaube, also bin ich« gewichen, einer Ausgeburt aus New Age und grauen Vorzeiten.

In seiner Feier des Glaubens und eines »Trotzdem« bei aller Kritik an kirch­li­chen Verhal­tens­weise, in seiner Sehnsucht nach para­ra­tio­nalen Gewiss­heiten ist Akte X – I Want To Believe aber ein Produkt unserer Gegenwart, in der das Lob der Religion, die Vernei­nung des Todes Gottes und der – natürlich immer »bloßen«, »reinen« – Ratio­na­lität zur neuen Mode geworden ist – durchaus in der Tradition der »Akte X«. Glauben ist chic. Dies bildet der Film ab, aber er reflek­tiert es nicht und plädiert für nichts, und eindrucks­vol­lere Bilder hat man auch schon gesehen. Wie seine Figuren verdop­pelt er auch seine Motive, zeigt gute Ärzte und Böse, gute Kirche und böse, zeigt das was er behauptet: Das Doppel­ge­sicht der Welt. Und konver­tiert dann zu duseliger, feiger Reli­gio­sität, die im Angesicht des Doppel­ge­sichts auf Pascals Wette einschwenkt:

»Mit Vernunft können wir weder das eine noch das andere versi­chern; mit Vernunft können wir weder das eine noch das andere ausschließen. Verfallen Sie also nicht dem Irrtum, dass hierbei eine richtige Wahl getroffen werden könnte, denn Sie wissen nicht, ob Sie falsch liegen oder schlecht gewählt haben ... Die Wahrheit kann nicht durch eine Wette entschieden werden, aber es muss gewettet werden. Es gibt keine Frei­wil­lig­keit, Sie müssen sich darauf einlassen. Wenn Sie nicht wetten, dass es Gott gibt, müssen Sie wetten, dass es ihn nicht gibt. Wofür entscheiden Sie sich? Wägen wir den Verlust dafür ab, dass Sie sich dafür entschieden haben, dass es Gott gibt: Wenn Sie gewinnen, gewinnen Sie alles, wenn Sie verlieren, verlieren Sie nichts. Setzen Sie also ohne zu zögern darauf, dass es ihn gibt.« (Blaise Pascal, Pensées, No. 233)

Die Kritik, eine mögliche jeden­falls, an dieser Position hatte die TV-Serie schon vor Jahren geliefert, in der Folge »Geth­se­mane« (4/24): Sein Pentagon-Gesprächs­partner Kritschgau sagt da zu Mulder: »Die Lüge, an die sie glauben, die zu glauben man sie auf raffi­nierte Weise verführt hat, ist die, dass es intel­li­gentes Leben außer dem unseren gibt, und dass wir schon einmal Kontakt mit dieser Lebens­form hatte.« – Mulder: »Soll das heißen, dass das alles nur insze­niert wurde und ein Schwindel ist?« – »...für dessen Fort­be­stand sie benutzt wurden.«

In Filmform aber ist das alles kaum raffi­niert, sondern todernst und öde, und kommt irgendwie sehr bemüht und predigend rüber, in einem Film, der es sowieso nicht so mit der Leich­tig­keit hat. Es gibt ein paar Scherze, die Humor und Intel­li­genz der Macher belegen, und den ernsten, auch lang­at­migen Grundton des Films auflo­ckern. Etwa das Buch, das auf Scullys Nacht­tisch liegt. Scully liest »Beautiful Wasps Having Sex« eine Novelle über Hollywood. Und neben der Tür des FBIs hängen je ein Bild von Bush und von Hoover. Die Kamera bleibt auf ihnen stehen, und die Titel­musik setzt für Sekunden ein...

Im Allge­meinen ist Akte X – I Want To Believe aber in jeder Hinsicht eine Reise in die Vergan­gen­heit: Die der Zuschauer, der Figuren, unseres Bewusst­seins, aber auch der des Kinos. Nostalgie und melan­cho­li­scher Grundton erinnern an den »Film Noir«, der Rest ist eines der vielen Gesichter der Irra­tio­na­lismus. Am Ende siegt der Glaube, wenn auch nicht unbedingt der der Religion; auch wenn sich die Ursache der verschwun­denen Frauen als überaus weltliche Werkstatt eines russi­schen Fran­ken­stein entpuppt, der einer­seits einen flotten Organ­handel betreibt, ande­rer­seits aus Körper­teilen einem der früheren Opfer von Father Joe einen Frau­en­körper verschaffen will, und so im Labor einen post­mo­dernen Prome­theus kreiert.

Ange­sichts der Tatsache, dass zwei Drittel der Deutschen an einen Schutz­engel glauben, müsste Akte X – I Want To Believe allein schon aufgrund seines wabernden Mysti­zismus, seiner Mischung aus neuer Esoterik und uraltem Katho­li­zismus ein großer Publi­kums­er­folg werden.

Ansonsten bleiben nur die wirklich ewigen Fragen: Werden sich Scully und Mulder wieder näher kommen? Und werden sie Kondome dabei haben? Ist die Wahrheit nicht viel­leicht doch ganz woanders und nicht da Draußen?