Die Affäre

Partir

Frankreich 2009 · 86 min. · FSK: ab 12
Regie: Catherine Corsini
Drehbuch: ,
Kamera: Agnès Godard
Darsteller: Kristin Scott Thomas, Sergi Lopez, Yvan Attal, Bernard Blancan, Aladin Reibel u.a.
Erschöpft: Sergi Lopez und Kristin Scott Thomas

Liebe in ungleichen Verhältnissen

Es ist eine unmög­liche Liebe. Von Anfang an. Das macht der Schuss, der nachts durch die Räume einer Villa im südfran­zö­si­schem Nimes hallt, unwi­der­ruf­lich klar. Dann wird auf den Beginn dieser Amour fou zurück­ge­spult: Suzanne Vidal (Kristin Scott Thomas), verhei­ratet mit einem Arzt und Mutter zweier Teenager, will ihren Beruf als Physio­the­ra­peutin wieder ausüben. Um ihr zu helfen, ein altes Anwesen für die künftige Praxis leer­zu­räumen, reist der Gele­gen­heits­ar­beiter Ivan (Sergi Lopez) aus Spanien an. Vom ersten Moment an nimmt man eine zärtliche Kraft zwischen ihnen wahr. Müßig streift der Wind Suzannes Haar, Sommer­licht fällt auf ihre Haut. Suzanne lächelt, streicht sich die Haare aus dem Gesicht und betrachtet Ivan verstohlen von der Seite.

Regis­seurin Catherine Corsini erzählt in Partir die Geschichte einer Frau, die weggehen will. Weg von ihrem Ehemann, dem gere­gelten, bürger­li­chen Leben und der damit einher­ge­henden, alles ersti­ckenden Leere. Anfäng­lich ist Suzanne sich dessen nicht bewusst; zu erdrü­ckend umgeben sie, die Bour­geoise, Komfort und Luxus. Corsini erzählt diese zeit­genös­si­sche Madame-Bovary-Geschichte gradlinig, unauf­dring­lich; Kame­ra­frau Agnès Godard foto­gra­fiert das Geschehen in wunderbar sinn­li­chen Bildern. Wie in der Szene, wo Suzanne sich in einem Park sonnt. Unver­mit­telt kommt eine Brise auf. Eine Biene verirrt sich unter ihre Bluse. Panisch springt Suzanne auf, reißt sich die Bluse vom Körper, um die Biene zu verjagen, und muss, wie sie schließ­lich im BH dasteht, lachen. Wann hat sie sich das letzte Mal so unbe­küm­mert verhalten? Wann hat sie das Leben derart gespürt? Wenig später geht sie eine Liebes­be­zie­hung mit Ivan, dem Prolo, ein; die Amour fou nimmt ihren Lauf.

Zwar gesteht Suzanne ihrem Mann Samuel (Yvan Attal) ihre Affäre, doch sein chau­vi­nis­ti­sches Verhalten darauf ist für sie uner­träg­lich; am nächsten Tag steht sie wieder vor Ivans Tür in einem tristen Wohnblock. Als Suzanne aus der gemein­samen Villa auszieht, lässt Samuel ihre Konten sperren und setzt alle Hebel in Bewegung, damit sie keine Arbeit findet und vor ihren Kindern schlecht da steht. Stück für Stück nimmt er den Liebenden die Luft zum Atmen. »Du bist meine Frau. Ich verbiete dir zu gehen«, ist das Argument des zutiefst gekränkten Ehemanns. Als alle Möglich­keiten an Geld zu kommen gekappt scheinen, schreckt Suzanne selbst das Milieu der Klein­ga­noven nicht mehr (In seiner Kompro­miss­lo­sig­keit erinnert der Film stre­cken­weise an Das Mädchen und der Kommissar).

In diesem fran­zö­si­schen Rosen­krieg sind Urkräfte am Wirken, es wird gegen einander gekämpft und gegen beste­hende, gesell­schaft­liche Umstände ange­kämpft. Dabei verdichtet sich die Atmo­s­phäre klaus­tro­pho­bisch eng. Von einer Sekunde zur anderen blitzt Gewalt auf. Spannend ist es dem Schau­spiel zuzu­schauen, wie sich Suzanne in den Männern unter­schied­lich wider­spie­gelt. Bei Samuel ist sie zum Status­symbol degra­diert; mit Ivan hingegen entdeckt Suzanne ihre Freiheit wieder, dafür aber wird sie an den sozialen Rand gedrängt (Nach So viele Jahre liebe ich dich ist Kristin Scott Thomas erneut in einer exor­bi­tanten Frau­en­rolle zu bewundern). Suzanne will sich dem nicht fügen, begehrt gegen das Unver­meid­liche auf – mit aller Kraft. Wie aber soll sich ein Paar lieben, wenn man in unglei­chen Verhält­nissen lebt?

Catherine Corsini findet eine Lösung für diesen Konflikt. Dabei fällt ihre Madame Bovary gänzlich anders als in dem kana­di­schen Drama You aus. Hier muss die Prot­ago­nistin ernüch­tert erkennen, dass ein Mann wie der andere ist, und dass Liebe allein nicht zu einem selbst bestimmten, erfüllten Leben führt. Und anders als in dem südko­rea­ni­schen Drama Thirst überhöht Corsini diesen Gewis­sens­kon­flikt nicht zu einem Pop-Spektakel. Nein, sie schlägt vielmehr einen sehr fran­zö­si­schen Weg ein: Unge­achtet der unter­schied­li­chen sozialen Herkunft entscheidet sich Suzanne für ihre Liebe und geht unbeirrt diesen Weg – bis die Poli­zei­si­renen aufheulen.

Mit Partir verneigt sich Catherine Corsini tief vor dem fran­zö­si­schen Kino, insbe­son­dere vor den Filmen Truffauts (manche Szenen sind mit Musik seiner Kompo­nisten George Delerue und Antoine Duhamel unterlegt). An diese Tradition anzu­knüpfen, ist ihre Stärke und Schwäche zugleich. Meis­ter­haft gelingt ihr die Insze­nie­rung, nuanciert und stimmig; manchmal jedoch traut sich Partir nicht, aus dem Schatten seiner großen Vorbilder hervor­zu­treten. Denn hat sich nicht doch die gesell­schaft­liche wie recht­liche Stellung der Frau geändert? Und ist Samuel nicht doch eine arg konser­va­tive, zu provin­ziell geratene Figur? Doch trotz dieser Unzu­läng­lich­keiten schafft Corsini mit Partir Beein­dru­ckendes: ein Kino, das einfach und radikal ist.