Deutschland/Argentinien 2023 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: German Kral Drehbuch: Stephan Puchner, Fernando Castets, German Kral Kamera: Christian Cottet, Daniel Ortega Darsteller: Diego Cremonesi, Marina Bellati, Regina Lamm, Carlos Portaluppi, Manuel Vicente u.a. |
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Liebe & Tango in Zeiten der Krise | ||
(Foto: Alpenrepublik) |
In den ersten Szenen von German Krals Adiós Buenos Aires glaubt man sich noch in der absoluten Gegenwart zu befinden, denn wie hier die argentinische Wirtschaftskrise nicht einmal vor einer der nationalen Ikonen, dem Tango, halt macht, könnte wohl auch heute passieren, hat Argentinien doch gerade Mitte März bekannt gegeben, dass die jährliche Inflationsrate auf 102,5 Prozent gestiegen sei und allein im Februar die Preise um 6,6 Prozent gestiegen sind.
Doch schon bald wird deutlich, dass es die große Argentinien-Krise ist, die hier im Fokus steht, jene Krise, die von 2001- 2002 einen Zusammenbruch des argentinischen Finanzsystems zur Folge hatte, Sparer ihre Einlagen verloren, die Armutsquote auf 57 Prozent stieg und die Arbeitslosenquote bei 23 Prozent lag.
Vor diesem Hintergrund erzählt Kral seine Geschichte des alleinerziehenden und deutschstämmigen Musikers und Besitzers eines kleinen Schuhladens, Julio Färber (Diego Cremonesi), der nach Berlin auswandern will, ganz in der Tradition der drei argentinischen Musiker in Viviane Blumenscheins Mittsommernachtstango, die durch Finnland reisen, um der unter anderen von Aki Kaurismäki verbreiteten These auf den Grund zu gehen, dass der Tango nicht in Südamerika, sondern im Norden Europas entstanden sei. Doch im Zug seiner Auswanderungsvorbereitungen lernt Julio nicht nur die emanzipierte Taxifahrerin Mariela (Marina Bellati) kennen, sondern wird zunehmend widerwillig auch musikalisch mit einem Neuanfang konfrontiert und Deutschland rückt immer weiter in die Ferne.
Man spürt Kral an, dass er weiß, worüber er erzählt. Denn Kral, der Argentinien selbst vor 30 Jahren verlassen hat, um an der HFF in München zu studieren, hat sich seitdem ganz dem Tango verschrieben, von seinem dokumentarischen HFF-Abschlussfilm Buenos Aires, meine Geschichte (1998) bis zur Spurensuche mit Wim Wenders in Musica Cubana (2004) und zwei Filmen über die argentinische Tanz- und Musikszene, Der letzte Applaus (2008) und Ein letzter Tango (2015) – die Musik stets im Zentrum.
Das steht sie in Krals Spielfilmdebüt zwar auch, doch gelingt es Kral um die Schwierigkeiten, die der Tango in Argentinien auch hat, eine romantische und bisweilen schrullige Liebesgeschichte zu erzählen, die ein wenig aus der Zeit gefallen scheint, sich aber gerade durch die alten Musiker und ihre Lebenslinien wie eine Melange eines Kaurismäki-Films und Wim Wenders Buena Vista Social Club ansieht.
Doch durch die Einbeziehung der wirtschaftlichen Krise mit ihren gewalttätigen Demonstrationen und den Auswirkungen der Krise auf den Alltag und einem ungewöhnlichen, weit vom touristischen Buenos Aires-Postkarten-Image entfernten Blick entzieht sich Kral der Gefahr, hier nur einen weiteren folkloristischen Film über den Zauber der Tango-Musik vorzulegen. Und nähert sich gerade in seinen ruhigen Alltagsbetrachtungen und dem Blick auf leere und versehrte Straßen dem so anderen, völlig tangolosen argentinischen Kino einer Laura Citarella und ihres jüngsten Films Trenque Lauquen an, der Anfang Juni ebenfalls in die deutschen Kinos kommen wird.