Achterbahn

Deutschland 2008 · 93 min. · FSK: ab 12
Regie: Peter Dörfler
Drehbuch:
Kamera: Peter Dörfler
Schnitt: Vincent Pluss, Peter Dörfler
Wollte hoch hinaus: Schausteller Norbert Witte

Schwindelerregende Fallhöhe

Er wollte hoch hinaus und erlebte den rasanten Absturz. Norbert Witte, aus einer tradi­ti­ons­rei­chen Schau­stel­ler­fa­milie stammend, wollte der größte seiner Zunft werden. Er inves­tierte in den Ostber­liner Spreepark und machte aus ihm den größten Rummel­platz des neuver­ei­nigten Deutsch­lands. Wahn­wit­zige Fahr­ge­stelle, unbe­kannte Attrak­tionen, ja die »schnellste Achter­bahn der Welt« sollten Millionen von Besuchern dort hinlocken. Anfäng­lich ging alles gut, Witte inves­tierte weiter, bis dann das große Geld­ka­rus­sell zum Still­stand kam. Die Besu­cher­zahlen stagnierten, angeblich wurden Hinweis­schilder auf den Rummel abmon­tiert, immer weniger Leute kamen, und Witte ging auf Grundeis. Schulden in Millio­nen­höhe brachten ihn zum Entschluss, zusammen mit seiner Familie ein neues Leben anzu­fangen – und er ging dorthin, wo schon andere promi­nente deutsche Schulden- und Steu­er­flücht­linge vor ihm hinge­gangen waren: nach Südame­rika. Dumm nur, dass er sich ausge­rechnet das arme und korrupte Peru ausge­sucht hat.

Das weitere Leben von Witte nahm noch mehr aben­teu­er­liche Steil­kurven, jedoch mit unschönem Ausgang: Witte konnte mit seiner Schau­stel­lerei in Lima nicht Fuß fassen, wurde von den undurch­schau­baren Machen­schaften der perua­ni­schen Mafia genas­langt und schließ­lich, als er sich, wie es heißt, durch Drogen­schmuggel »sanieren« wollte, zusammen mit seinem Sohn am Flughafen fest­ge­nommen: Er war einem abge­kar­tetem Poli­zei­deal in die Falle gegangen. Seitdem sitzt er als Frei­gänger mit 7 Jahren Haft in Berlin fest, stellt sich manchmal vor, seine Zelle wäre nichts anderes als ein Karten­ver­kaufs­häu­schen für die Menschen, die zu den Karus­sellen drängen, was ihm das Leben ein wenig erträg­li­cher macht. Sein Sohn sitzt derweil 20 Jahre Haft­strafe in Lima ab, in einem der »härtesten Gefäng­nisse« der Welt. Noch ganz unten sind die Wittes eine Familie der Super­la­tive.

Filme­ma­cher Peter Dörfler hat nun aus dieser atem­be­rau­benden Lebens­ge­schichte einen Doku­men­tar­film gemacht. Er inter­viewt Norbert Witte und seine Frau, lässt sie über ihr vergan­genes, aufre­gendes Leben erzählen und wie es zum Absturz kam. Dazwi­schen sehen wir viele Aufnahmen aus dem Fami­li­en­ar­chiv, die diese goldenen Zeiten bezeugen: Der belebte Rummel vom Spreepark, volle Achter­bahnen und Karus­selle, die sich drehen. Ganz dazu im Kontrast sind die Bilder aus der heutigen Zeit. Der Spreepark ist verwaist, traurig hängen die Hälse der über­di­men­sio­nalen Plas­tik­schwäne herunter, mit denen man einst lustig durch den Park tuckern konnte. Die große Freiheit, das ist spürbar, war verbunden mit einer großen Lust am Risiko – und jetzt begleicht Witte die Rechnung.

Schade nur, dass Dörfler mit seinem Film nicht etwas wage­mu­tiger war. Brav ordnet er die Berichte und Archiv­bilder zu einer chro­no­lo­gi­schen Erzählung und lässt talking heads mit den ander­wei­tigen Aufnahmen abwech­seln. Die Bilder aus der alten Zeit schneidet er schnell, zoomt in die alten Fotos hinein und unterlegt sie mit einer mal »unter­halt­samen«, mal »schau­stel­le­risch« klin­genden, mal drama­ti­sie­renden Musik. Leider kommt dadurch kaum die Faszi­na­tion am Rummel rüber, die Witte dazu trieb, sein Leben und das seiner Familie zu verpfu­schen. Der Film bleibt atmo­s­phä­risch weit hinter der Lust am Jahr­markt­treiben zurück. Erst am Ende des Films, als Dörfler Witte in eine Achter­bahn setzt und ihn filmt, während hinter ihm die Stadt auf- und nieder­fährt, ahnt man, was für eine dichte, atmo­s­phä­ri­sche und mitreißende Film­er­zäh­lung hätte möglich sein können, hätte der Regisseur nicht nur auf das Wort seiner Prot­ago­nisten vertraut, sondern auch auf die Kraft seiner eigenen Bilder.