Abbitte

Atonement

GB/F 2007 · 123 min. · FSK: ab 12
Regie: Joe Wright
Drehbuch:
Kamera: Seamus McGarvey
Darsteller: Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai, Saoirse Ronan, Brenda Blethyn u.a.
Keira Knightly denkt an ihren Liebhaber – oder an die nächste Infusion

Was von der Klassengesellschaft übrig bleibt...

Schuld und Sühne in Pastell

England im Jahr 1935. Vom bevor­ste­henden Weltkrieg ahnt man nichts, die Klas­sen­ge­sell­schaft scheint noch halbwegs intakt, man trägt helle dünne Stoffe und ist freund­lich zum Personal. Atonement, zu deutsch wörtlich »Sühne« oder »Buße«, ist die Verfil­mung des gleich­na­migen Roman­best­seller des briti­schen Erfolgs­au­tors Ian McEwan (Der Zement­garten, Saturday), der auf deutsch Abbitte heißt, und den manche Kritiker nach seinem Erscheinen sogleich in den »Olymp der großen Liebes­ge­schichten der Literatur« stellten. Regisseur Joe Wright, der sich bereits mit der etwas arg wohligen Jane-Austen-Verfil­mung Pride & Prejudice(2005) auf die Seelen­qualen wohl­ha­bender Briten konzen­triert hat, malt den Glanz und das schon etwas brüchige schöne Leben dieser spät­bür­ger­li­chen Welt in sanften Pastell­farben. Wie ein erfri­schendes Sommer­ge­witter erschüt­tern plötzlich wilde, klas­senüber­grei­fende Leiden­schaften zwischen der Tochter des Hauses und einem Nach­bars­jungen aus beschei­de­neren Verhält­nissen das Einerlei des Alltags. Mitten drin sitzt Briony, ein junges, puber­tie­rendes, altkluges Mädchen, eine gute Beob­ach­terin, aber so nerv­tö­tend, wie voller Ressen­ti­ment gegen die Welt der Kinder, der sie nicht mehr und die Welt der Erwach­se­nenen, der sie noch nicht angehört. Erstaun­lich ist der souveräne Auftritt der 13-jährigen Saoirse Ronan in dieser anspruchs­vollen Rolle.

Jäh ist dieses »Merry Old England«-Glück, zuende, als eines Abends eine Cousine verge­wal­tigt wird. Briony hat den Täter sogar halb bewusst erkannt, doch anstatt von ihren verschwom­menen Beob­ach­tungen zu berichten, proji­ziert das Mädchen den Schock, verschämte Schwär­merei und andere für sie irri­tie­rende Beob­ach­tungen und Erleb­nisse der voran­ge­gan­genen Wochen auf den frisch­ge­ba­ckenen und unstan­des­ge­mäßen Liebhaber ihrer älteren Schwester Cecilia (hervor­ra­gend: Keira Knightley).
Überaus gelungen ist es, wie Regisseur Wright diese Entwick­lung zeigt: Doppelt, in Wieder­ho­lungen und Neuan­sätzen, zunächst scheinbar wie ein schlechter, sich ständig ins Wort fallender Erzähler, tatsäch­lich aber hin und her wechselnd zwischen der verzer­renden und drama­ti­sie­renden Sicht eines Kindes mit zuviel Phantasie, und der ernüch­terten aus der der Erwach­senen. Das entspricht dem detek­ti­vi­schen Blick auf ein Liebes­paar, der McEwans zeit­genös­si­schen Bildungs­roman prägt.

Der zweite Teil des Films, der dann fünf Jahre später mitten in der britisch-deutschen Dünkir­chen-Schlacht vom Mai 1940 spielt, ist filmisch deutlich konven­tio­neller und insgesamt aller­dings weitaus weniger gelungen. Plötzlich fällt der ständige kommen­tie­rende Einsatz von Musik unan­ge­nehm auf, und es stört eine verän­derte Erzähl­struktur, die nur noch unnötig kompli­ziert, aber nicht mehr multi­per­spek­ti­visch wirkt. Und die Schil­de­rung des Kriegs­ge­sche­hens ist in ihrer geschmäck­le­ri­schen, Bedeutung behaup­tenden Glätte – etwa die allzu hübsch aufge­reihten Leichen einer Gruppe von Schul­mäd­chen in einem Apfelhain – verfehlt den Ton. Doch weiterhin gefallen immer wieder unge­wöhn­liche Bilder und eine heraus­ra­gende Kamera. Und last not least Vanessa Redgrave, die erst im Epilog auftaucht, in dem sie die alte Briony spielt, die trauernd und nach wie vor erschüt­tert auf den schlechthin prägenden Tag ihres Lebens zurück­blickt, auf einen Sünden­fall, der nicht wieder rück­gängig zu machen ist, und bis ans Lebens­ende auf ihrem Gewissen lastet – eine einzige glanz­volle, ungemein anrüh­rende Szene, mit der Redgrave die übrigen Darsteller im Nu in den Schatten stellt. Und auch die ganze bittere Geschichte erschließt sich erst in Rück­blenden.

Atonement ist ein guter, stilis­tisch immer wieder bemer­kens­werter Film. Nur ein wenig zu glatt, zu elegisch, zu »kitschig« in seiner Haltung, zu ausge­stellt in seinen Bildern. Die Echtheit und Tiefe der Gefühle wirkt immer wieder vor allem behauptet, und mehr als einmal schmeckt alles etwas zu deutlich nach berech­neter Konser­ven­kost.