10.01.2013

»Es ist nicht schlimm, wenn ich am Rand stehe – Haupt­sache ich fall' nicht runter«

Hannah Arendt
Barbara Sukowa ist Hannah Arendt
(Foto: NFP/Filmwelt)

Margarethe von Trotta über Hannah Arendt und ihr filmisches Werk

Marga­rethe von Trotta (geb.1942 in Berlin) ist eine der politisch enga­gier­testen deutschen Filme­ma­che­rinnen. Seit 1977 – Debüt mit Das zweite Erwachen der Christa Klages – hat sie mit Filmen wie Rosa Luxemburg, Rosen­straße, histo­ri­sche Frau­en­fi­guren im Kampf gegen Wider­s­tände und für Freiheit und Selbst­be­stim­mung portrai­tiert. Am 18. Januar 2013 bekommt Trotta den Ehren­preis des Baye­ri­schen Film­preises.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.

artechock: Als junge Frau haben Sie in New York gelebt – sind Sie als junge Frau Hannah Arendt noch persön­lich begegnet, oder haben Sie sie erlebt bei öffent­li­chen Auftritten?

Marga­rethe von Trotta: Nee, das wär' schön gewesen – obwohl ich sogar die Möglich­keit gehabt hätte. Arendt ist 1975 gestorben, mein erster Aufent­halt in New York war 1971. Aber nein – sie ist mir nie begegnet. Dafür habe ich aber mit meiner Co-Autorin Pam Katz noch mehrere Personen aufge­sucht, die Arendt persön­lich kannten, und viele viele Fragen gestellt. Ihre erste große Biogra­phin Elisabeth Young-Bruehl, die noch selber Studentin bei ihr war. Die ist leider vor zwei Jahren gestorben. Und dann noch ihre letzte Freundin, die auch als Figur im Film vorkommt, Lotte Köhler – die hat uns viel erzählt, über die hab' ich auch so Gossip gehört, zum Beispiel, dass der Heinrich Brücher ein Womanizer war und kaum war Hannah Arendt mal weg, erschien Charlotte Beradt in der Wohnung, oder er ging zu ihr. All solche Sachen, die man natürlich aus Briefen oder Biogra­phien nicht so entnehmen kann, die aber für die Darstel­lung einer Person oder einer Zwei­er­be­zie­hung dann doch wichtig sind. Allmäh­lich hat sie Zutrauen zu uns gefasst. Das ist dann die Figur, die Julia Jentsch spielt.

artechock: Wann haben Sie Hannah Arendt überhaupt für sich als Thema entdeckt?

Von Trotta: Als ich die Rosen­straße vorbe­reitet habe, da habe ich die ganze jüdische Geschichte gelesen. Was mich damals inter­es­siert hat, war noch nicht mal ihre These zur Banalität des Bösen, als das, was sie über Europa geschrieben hat – wie die einzelnen Länder sich verhalten haben ihren Juden gegenüber. Bulgarien zum Beispiel und Dänemark und Belgien haben ihre Juden nicht ausge­lie­fert. Das war das erste mal, dass ich etwas von ihr gelesen hatte. Nach Rosen­straße hat mir ein Freund dann gesagt: »Es wäre schön, wenn Du einen Film über Hannah Arendt machen würdest.« Worüber ich zunächst etwas erschro­cken war, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte: Wie kann man überhaupt so eine Denkerin und Philo­so­phin... wie kann man das beschreiben? Aber wenn einem einmal so ein Gedanke ins Hirn gemeißelt wird, dann kommt man nicht so leicht davon los. Und dann bin ich so allmäh­lich... habe ich mich ihr angenähert – aber das war kein Coup de Foudre, das war 'ne langsame Annähe­rung.

artechock: Ihre Hannah Arendt und ihre Freunde sprechen einen deutsch-engli­schen Misch­masch. Mir hat das sehr gut gefallen – mussten sie das durch­kämpfen bei den Produ­zenten?

Von Trotta: Das fand ich ganz wichtig, um ihr Leben darzu­stellen – und es war ja nicht nur ihr Leben, sondern dass vieler Emigranten. Sprache erzählt viel: Die Fremdheit des Ausdrucks war ja das Leben der Emigranten. Die kamen rüber und konnten zwar Altgrie­chisch und Latein, und Arendt konnte auch gut Fran­zö­sisch – sie hatte immerhin von »33 bis ‘41 im fran­zö­si­schen Exil gelebt, aber dann das Englische... Die kamen ja wirklich an, wie die Schü­le­rein. Sie musste dann mit über 30 als Au-Pair-Mädchen Englisch lernen. Deswegen haben sie den Akzent nie wirklich verloren. Sie kennen ja sicher die Reden von Thomas Mann. Der hat ja einen Akzent- da zieht«s einem die Schuhe aus! Und Hannah Arendts Mann, wenn man den sich auf YouTube anguckt, dann hört man auch noch diesen Berliner Einschlag. Das war sehr komisch zum Teil. Die Barbara Sukowa hat das sehr gut hinbe­kommen – obwohl sie seit 20 Jahren in New York lebt und ein hervor­ra­gendes Englisch spricht. Sie musste sich das regel­recht aneignen. Und hat es abge­schwächt. Denn wenn sie so gespro­chen hätte, wie Hannah Arendt – das wäre dann eine Karikatur geworden. Sie hat sich damit geholfen, dass sie bevor es losging, mit diesem Akzent drei Monate gespro­chen hat. Ihre Familie und ihre Freunde sind regel­recht wahn­sinnig geworden.

artechock: Was Sie da erzählen über das offene Liebes­leben des Ehepaares Arendt-Blücher, das deuten Sie dezent an, auch die Liebes­af­faire zwischen Hannah Arendt und Heidegger – das wird dezent darge­stellt. Welche Bedeutung hat für sie das Private?

Von Trotta: Naja, zu Beginn sind sehr viele drauf ange­sprungen, weil sie dachten, wir machen die Liebes­ge­schichte zwischen Heidegger und ihr. Das hat uns nun gar nicht inter­es­siert! Auch weil wir dachten: Das war nicht ihre größte Liebe – das war zwar eine große Liebe oder Leiden­schaft, aber der Heinrich Blücher war ihr Mann! Das war ihre Heimat oder ihr Zuhause. Die waren 36 Jahre zusammen. Die sind zusammen aus Frank­reich geflohen. Das war 'ne ganz andere, starke Verbin­dung als diese roman­ti­sche Verbin­dung zu Heidegger. Warum ich den Heidegger begrenzt rein­ge­bracht habe, war, weil er heimliche König des Denkens war. Da sind sie alle als junge Leute hinge­strömt. Er hat ihr tatsäch­lich das Denken beigebracht. Sie sagt ja am Schluss ihres Lebens: Das Denken kann einen retten vor falschen Entschei­dungen oder auch vor den Kata­stro­phen. Dazwi­schen ist aber Heidegger, den das nicht gerettet hat. Der in die NSDAP einge­treten ist, und nie wieder aus.

artechock: Nun hat Hannah Arendt auch viele verstört. sie galt als kalt und arrogant. Was war Hannah Arendt so ein Mensch?

Von Trotta: Sie war nicht kalt. Sie hat sich da – würde man heute sagen – nicht einge­bracht. Sie hat ihren Schmerz nicht selber ausge­stellt. Das hat man nicht verstanden, dass das für sie schamlos gewesen wäre. Es hat mir auch die Lotte Köhler bestätigt: Sie war natürlich total in Verzweif­lung und Schmerz invol­viert. Aber sie fand es unwürdig, das dann so auszu­stellen. Sie ging ja auch als Repor­terin nach Jerusalem. Sie sagte immer wieder »Ich war Repor­terin, ich war Bericht­erstat­terin.« Das hat man nicht verstanden. In der Debatte hat sie sich dann gewehrt, und da war sie dann oft kalt und da konnte sie recht­ha­be­risch werden. Sie sagte: Ihr redet über ein Buch, dass nie geschrieben wurde. Sie hat dann gesagt: Das sind alles Dummköpfe und ich werde mich nicht mit Dumm­köpfen ausein­an­der­setzen.

artechock: Sie hatte auch ein zwie­späl­tiges Verhältnis zu ihrem eigenen Jüdisch-sein. Das steht aber bei Ihnen nicht im Zentrum. Was war dafür Ihre Moti­va­tion?

Von Trotta: Für mich war wichtig die Gegenü­ber­stel­lung Eichmann und sie. ... Eichmann der Gedan­ken­lose, wie sie ihn dann beschreibt, er ist nicht dumm, aber er ist gedan­kenlos, er bedient sich nicht der eigenen Gabe, denken zu können. Das gibt er einfach auf, das gibt er an eine Ideologie ab, an den Natio­nal­so­zia­lismus ab – und sie die denkt. Und dazwi­schen dann Heidegger, der auch denkt, aber sich verführen lässt. Das waren für mich die drei Figuren. Dass sie Jüdin ist, war für sie eine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit. Deswegen war sie trotzdem kritisch. Sie kommt auch aus einem intel­lek­tu­ellen Kreis, wo man sich gegen­seitig beschimpft und streitet, und trotzdem gut mitein­ander auskommt. Das war ein ganz bewegter Kreis, in dem sie sich befunden hat, die sich auch ganz schön ange­griffen haben. Polemik gehörte einfach dazu.

artechock: Was war Hannah Arendts prägnan­tester Charak­terzug?

Von Trotta: Sie muss wohl doch sehr warm­herzig gewesen sein – genau im Gegensatz zu dem, was man so sagt: Sie hat dem Jaspers sofort Care-Pakete geschickt, sie hat dem Sohn ihrer Zugehfrau die Schule finan­ziert. Sie hat sich wirklich gekümmert. Sie war – wie die Lotte Köhler mir sagte – ein Genie der Freund­schaft. Und dann dieses Bemühen zu verstehen. Ich will verstehen, sagte sie immer wieder. Das ist ja auch noch so ein Zitat, das ich liebe: »Denken ohne Geländer«.

artechock: Wenn ich mir die Frau­en­fi­guren ihrer Filme so ansehe – Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin, Hannah Arendt – Hildegard von Bingen passt da jetzt nicht so gut...

Von Trotta: Die passt schon gut, denn die hat auch...

artechock: Nein, nein, Sie wissen nicht, was ich jetzt fragen will: Dann sind das Frauen, die stark ange­feindet worden sind. Die sich recht­fer­tigen mussten, die von der Mehrheit der Gesell­schaft ausge­grenzt worden sind. Sie haben diese Figuren benutzt, um etwas über deutsche Geschichte zu erzählen. Was steckt dahinter? Aufar­bei­tung von Geschichte? Und würden Sie diese früheren Filme genauso machen?

Von Trotta: Na das hoffe ich doch, dass ich nicht stehen­ge­blieben bin, sondern dass sich was verändert hat! Der Brecht hat ja mal gesagt: »Die lobe ich mir, die ihre Meinungen ändern, um sie selbst zu bleiben.« Das finde ich auch 'ne Kraft: Zugeben zu können, dass man sich in gewissen Momenten viel­leicht geirrt hat. Ich glaube heute nicht mehr, dass die [in Stammheim] umge­bracht worden sind. Das war nicht meine eigene These, sondern die von der Schwester Chris­tiane Ensslin, mit der ich ja zusam­men­ge­ar­beitet habe – die hat das damals geglaubt. Die glaubt das heute auch nicht mehr. Da hat sich natürlich durch immer mehr Wissen..., durch Öffnung von Archiven – wissen wir eben mehr. Bei der Rosa Luxemburg – wissen wir mehr, dass ihre Utopie nicht aufge­gangen ist. Bei der Luxemburg fabd ich es immer so rührend, dass die mit so einem Welt­ver­trauen in die Zukunft geblickt hat. Die hat immer gesagt: »Die Geschichte weiß es besser, als wir«, »Die Geschichte wird uns unsere Utopie erfüllen.« Und der Bebel hat 1900 bei der Sylves­ter­feier eine Rede gehalten, in der vorkommt: »Das 19. Jahr­hun­dert war das Jahr­hun­dert der Hoffnung. Das 20. Jahr­hun­dert wird das Jahr­hun­dert der Erfüllung sein.« Das hat sie auch geglaubt. Noch zum Schluss, als sie im »Hotel Eden« ist, und die Mörder unten vor der Tür warten, fragt sie noch: »In welches Gefängnis werde ich gebracht?« Sie konnte es gar nicht voraus sehen. Dann habe ich Rosen­straße gemacht über die Frauen, die schon voll in den finsteren Zeiten leben. Und dann kommt Hannah Arendt und blickt zurück und sieht auf dieses Jahr­hun­dert gar nicht mehr mit einem utopi­schen Blick oder einem hoff­nungs­vollen..., die sieht, was in der Zwischen­zeit und mit dem Tota­li­ta­rismus und dem Natio­nal­so­zia­lismus geschehen ist. Wie er die Menschen verdorben hat. Dieser ganze Kollaps der Moral im 20. Jahr­hun­dert – das beschreibt sie ja. Das finde ich grandios an ihr, dass sie sagt: Es waren eben nicht nur die Täter, es waren auch die Opfer, die unter dieser Macht des Tota­li­ta­rismus zusam­men­ge­bro­chen sind, moralisch zusam­men­ge­bro­chen sind. Trotzdem glaubt sie ja noch ans Denken. Sie hat auch irgendwo noch eine Utopie, und das ist die, dass man durch Denken Kata­stro­phen verhin­dern kann.

artechock: Sie haben darauf verzichtet, Eichmann von einem Schau­spieler spielen zu lassen...

Von Trotta: Ich kenne die Eichmann-Doku­men­ta­tion Ein Spezia­list von Eyal Sivan. Der hat mich unendlich beein­druckt. Dadurch dass ich den Film gesehen habe, war mir klar, dass ich den nie von einem Schau­spieler spielen lassen würde. Ich habe mir sogar den Thomas Kret­sch­mann als Eichmann ange­schaut. Das hat der großartig gemacht, mit allen Zuckungen und so... Aber man sieht eben immer den Schau­spieler. Ich wollte, indem ich den Eichmann selbst zeige, dass der Zuschauer die Möglich­keit hat, durch das Zusehen zur selben Einstel­lung zu kommen, zu der Hannah Arendt kam. Und das kann man nur anhand des echten Eichmann. Beim Schau­spieler sagt man immer: Hm, großartig, das kann er gut. Aber man sieht immer den Schau­spieler. Masn sieht immer auf die Brillanz des Spie­lenden.

artechock: Haben Sie dadurch, dass sie in Paris leben, vorher in Rom, viel­leicht ähnlich wie Hannah Arendt einen anderen Blick auf Deutsch­land?

Von Trotta: Ich war ja sehr lange staa­tenlos – bis zu meiner ersten Ehe. Dieses heimat­lose Gefühl, dass man fremd ust im eigenen Land – Ich bin in Berlin geboren und habe trotzdem den Frem­den­pass gehabt – das hat mich doch sehr mir ihr verbunden. Auch dieses Gefühl, überall hingehen zu können. Sie hat ja an dem Land gehangen, an der Kultur und an der Sprache, an den Menschen natürlich nach ‘33 nicht mehr. Aber das stimmt schon, da ist irgendwo ein Wider­spruch, dass ich mich nicht zugehörig fühle und dann trotzdem das verstehen will. Ich erinnere mich noch: Als ich in Paris studiert habe, Anfang der 60er, hat man mich immer als Deutsche gesehen. Ich sagte immer: »Ich bin doch staa­tenlos«, aber das hat niemanden inter­es­siert: »Du bist Deutsche, antworte!« Aber ich konnte eigent­lich nicht antworten, weil ich nicht genug wusste. So allmäh­lich habe ich dann wissen wollen: Was ist da geschehen, und wie konnte es geschehen? All die Fragen, die sich ja unsere Gene­ra­tion gestellt und an die Eltern gerichtet hat: Wie haben die diesen Menschen auf den Leim gehen können? Das war ja der Impetus meiner Gene­ra­tion um 1968. Das hat sich jetzt ein bisschen verflüch­tigt. Aber wenn man erlebt, wie jetzt die Neonazis wieder hoch­kommen, dann sieht man: Da ist ja noch eine Saat. Das ist erschre­ckend.

artechock: Hannah Arendt war der Prototyp einer poli­ti­schen Intel­lek­tu­ellen. Was glauben Sie ist die öffent­liche und poli­ti­sche Rolle von Intel­lek­tu­ellen?

Von Trotta: Die Rolle von Intel­lek­tu­ellen ist immer besonders hinzu­schauen und auch besonders aufmerksam darüber zu befinden. Man kann natürlich nicht dauernd den Zeige­finger... und den Ober­lehrer spielen, wie der Grass das manchmal macht. Aber trotzdem: das was man wahrnimmt, muss man auch beschreiben – und auch warnen! Gut, man kann natürlich sagen: Es hat ja eh keinen Sinn, wir haben es oft genug versucht, und es hat ja eh keinen Sinn, und es ist einfach total sinnlos. Aber da redet man ja schon wieder wie der Eichmann im Prozess: Ein Einzelner kann nichts tun. Also hat man auch nichts getan.

artechock: Wie kann sich eine Filme­ma­cherin und das Kino in der heutigen Öffent­lich­keit, die von medialer Ausdif­fe­ren­zie­rung, und von der »Tyrannei der Intimität« wie Richard Sennett das nennt, von Talk Shows und sozialen Netz­werken, geprägt ist, behaupten?

Von Trotta: Ich weiß es nicht... Ich weiß ja gar nicht, ob man sich behaupten kann. Man versuchts. Ich versuch' ja auch mit meinen Themen und dem was ich beschreibe oder mache... Es ist nicht schlimm, wenn ich am Rand stehe. Haupt­sache ich fall' nicht ganz runter. Also am Rand zu stehen, macht mir nichts aus. Und Talkshows lieb ich überhaupt nicht – da gehe ich nur hin, wenn ich einen Film habe, den ich dann vertei­digen muss. Sonst gehe ich niemals in Talkshows. Ich find' auch nicht, dass man zu allem eine Meinung haben muss.