13.10.2005

»Der Humor ist das einzige, was mich bei der Stange hält.«

Wallace & Gromit auf Kaninchenjagd
Wallace & Gromit auf Kaninchenjagd

Nick Park über Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit

Knet­fi­guren-Animation ist wie Schau­spielen in extremster Zeitlupe: Jede winzige Nuance des Auftritts eines Charak­ters muss minutiös arran­giert werden, in 24 Einzel­bil­dern für jede Sekunde Film. Und doch gilt es, die großen Bögen im Bewusst­sein zu halten, die Psycho­logie und Emotion, die hinter der Bewegung steht.

Nick Park, der mit 12 Jahren anfing, Knet­männ­chen durch die Kamera zum Leben zu erwecken, und der als Film­stu­dent Jahre lang an dem ersten Wallace & Gromit Kurzfilm A Grand Day Out werkelte, der ihm Weltruhm einbringen sollte, befehligt heute für einen Film wie Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit ein kleines Heer von Mitar­bei­tern. Dennoch macht er einen ungemein netten und schüch­ternen Eindruck, verhas­pelt sich nicht selten beim Sprechen, schweift ab (was im Folgenden für bessere Lesbar­keit geglättet wurde) – und greift immer wieder zu der Gromit-Figur, die er mitge­bracht hat, wenn ihm für einen Moment die Worte zu fehlen scheinen. Dann wird sein Gesicht noch leben­diger, wird man für einige Sekunden Zeuge einer wunder­samen gegen­sei­tigen Beseelung von Animator und Figur.

Animation ist eine einsame, mühselige und sehr kontrol­lierte Arbeit. Es ist wohl die intro­ver­tier­teste Art, sich indirekt auf eine Art Bühne zu begeben: Es ist Schau­spie­lerei für Menschen, die sich mit ihrem eigenen Körper nie vor eine Kamera, ein Publikum trauen würden. Nick Park MACHT nicht Wallace & Gromit – man bekommt den Eindruck, dass er Wallace & Gromit IST.

Mit dem Regisseur sprach Thomas Willmann .

artechock: Wie würden Sie die Beziehung zwischen Wallace und Gromit beschreiben?

Nick Park: Es war oft sehr hilfreich war, sie sich als ein altes Ehepaar vorzu­stellen, die viele Jahre zusammen sind und sich gegen­seitig in- und auswendig kennen, und schon lange still anein­ander leiden – besonders Gromit, der alles von Wallace hinnimmt. Gromit verbringt seine Zeit damit, vorsichtig zu sein und sensibel, und damit, auf Wallace aufzu­passen. Aber Wallace kann sehr hart, sehr unsen­sibel sein. Er macht das nicht absicht­lich. Aber er behandelt Gromit wie einen Hund. Obwohl Gromit emotional der mensch­li­chere ist.

In diesem Film wollte ich diese Loyalität wirklich auf die Probe stellen. Sehen, wie weit wir gehen konnten mit Gromits Toleranz.

artechock: Haben Sie je daran gedacht, Gromit eine Stimme zu geben?

Nick Park: Ja, habe ich. Ich habe als Student ange­fangen, Wallace & Gromit zu machen. Und Gromit wollte ich in der Tat mit einem Mund haben; einige frühe Zeich­nungen zeigen ihn mit einem Mund. Ich bin sogar so weit gegangen, eine Stimme für ihn aufzu­nehmen. Eine knurrende, mensch­liche Stimme, ein bisschen wie Scooby-Doo. Dann ging es an die erste Aufnahme für A Grand Day Out – Wallace baute die Rakete und benutzte dabei Gromit als Bock für die Tür, die er grade durch­sägte – und ich machte Gromits aller­ersten Blick in die Kamera, seine Augen voll Verach­tung darüber, so benutzt zu werden. Und ich entdeckte, dass er keinen Mund brauchte, dass er alles mit dem Ausdruck seiner Augen, nur mit der Bewegung seiner Augen­braue sagte. In dem Moment war Gromit geboren. Denn plötzlich wurde er ein intro­ver­tierter Hund, ein intel­li­genter Hund. In dem Moment geschah alles. Und es sparte eine Menge Arbeit... (lacht)

artechock: Gibt es für Wallace ein mensch­li­ches Vorbild?

Nick Park: Er ist nicht bewusst nach jemandem gestaltet. Aber er erinnert mich manchmal sehr an meinen Vater. Mein Vater verbrachte eine Menge Zeit im Garten­häu­schen und bastelte Dinge, vor allem aus Holz – er war ein echter Heim­werker. Und manchmal, wenn ich Wallace animiert habe, sah ich plötzlich einen Gesichts­aus­druck von meinem Vater. Er hat fast eine Fami­li­en­ähn­lich­keit.
Ich glaube, das geschieht von selbst. Modell­ma­cher machen oft unbewusst Figuren, die wie sie selbst aussehen. Es ist unglaub­lich, wie sehr das wahr ist.
Ich meine, mein Dad sah nicht AUS wie Wallace: Seine Augen haben sich nicht berührt, und sein Mund war nicht so breit. (Lacht) Es ist mehr seine Einstel­lung – fröhlich und einfach; er hat Ideen und setzt sie einfach um.

artechock: Erstmals müssen Wallace und Gromit in einem richtigen sozialen Umfeld mit anderen Menschen inter­agieren. Wie sind sie all diese neuen Charak­tere ange­gangen?

Nick Park: Als Steve [Box – die Red.] und ich den Film schrieben, haben wir oft mit Ton gespielt, haben gezeichnet, haben wir oft Probe­mo­delle der Figuren model­liert. Denn das hat Einfluss auf das Schreiben der Figuren. Für viele der Charak­tere haben wir die alten Universal-Horror­filme zum Vorbild genommen. Es gibt sehr typische Charak­tere aus Horror­filmen, auf die wir anspielen – der skep­ti­sche Polizist, der verrückte Priester, der die Welt vom Bösen befreien will und alles über­na­tür­liche Wissen hat.

Wenn wir die Stimmen aufnehmen, hat das auch Einfluss auf das Figu­ren­de­sign. Wir haben einen Test mit Helena [Bonham-Carter] gemacht – weil wir zuerst die Stimme brauchen, um es lippen­syn­chron hinzu­be­kommen. Und dann versuchte der Animator, Lady Totting­tons Kopf zu animieren, mit ihrer Stimme, und als es funk­tio­nierte, bekam sie die Rolle. Wir haben auch den Mund ein bisschen angepasst, um sie wie Helena sprechen zu lassen. Das selbe mit Ralph [Fiennes], und allen anderen Charak­teren.

artechock: Wie lange dauert es, so eine Puppe zu model­lieren?

Nick Park: Die Grund­puppe könnte ich an einem Tag aus Ton machen. Aber sie haben Metall-Armaturen drinnen für die Animation. Im College verwen­dete ich innen einfach Alumi­ni­um­draht. Aber jetzt haben wir diese Metall­ge­lenke, die unter Spannung stehen, für die Anima­toren. Und Wallace hat Latex-Beine, um sich das remo­del­lieren nach jeder Bewegung zu sparen.

artechock: Was mögen Sie so an Knetmasse?

Nick Park: Sie ist perfekt für mich, weil es die Art von Humor, Geschich­ten­er­zählen und Stil rüber­bringt, die ich wollte. Plastilin ist perfekt für mensch­li­chen Ausdruck.
Ich habe mit 12 Jahren damit ange­fangen, weil es greifbar war und ein nahe­lie­gendes Material fürs Animieren. Viel­leicht stand mir deswegen nie die Technik im Wege, ich hatte nie Angst wegen irgend­wel­cher tech­ni­schen Details. Es ist einfach purer Charakter, an dem ich inter­es­siert bin. Ich mag Animation, wo ich mich ganz darauf konzen­trieren kann, den Charakter zu animieren, statt mich um Dinge zu kümmern, die nicht wichtig sind. Deswegen hat Lady Tottington steifes Haar – weil es mich nicht inter­es­siert, ob das alles fließt.

artechock: In diesem Film haben Sie aber auch Compu­ter­grafik zur Hilfe genommen.

Nick Park: Wir haben sie immer da einge­setzt, wo es unprak­ti­kabel war, Plastilin oder Ton zu nehmen. Es gibt eine Szene im Film, wo Wallace den Staub­sauger benutzt, den Bunvac 6000, und all die Kaninchen aufsaugt und sie alle in dessen Glas­behälter herum­fliegen. Und das wäre mit Ton wirklich, wirklich schwierig zu machen gewesen, weil man all die Kaninchen in der Luft hätte halten müssen und dann sowieso die Halte­rungen digital heraus­re­tu­schieren hätte müssen. Und es wäre unmöglich gewesen für den Animator, mit seiner Hand durch das Glas in den Bunvac-Behälter zu langen... Also haben wir gedacht: Warum nicht?

Aber wir wollten das Aussehen von Ton beibe­halten, also haben wir ein kleines Häschen aus Ton gemacht und ließen ihn in den Computer einscannen, mit Finger­ab­drü­cken und allem drum und dran. Und dann haben sie das Häschen vielfach geklont, und seine Farbe geändert, so dass sie viele Kaninchen hatten und sie alle animieren konnten. Und wir hatten kein Problem damit, dass es ein bisschen einen gewichts­losen, compu­ter­ar­tigen Look hatte, weil es zu dieser spezi­ellen Szene passte.
Ich muss zugeben, dass es VIELE Einstel­lungen in dem Film gibt, die irgend­einen Digi­tal­ef­fekt dabei haben wie z.B. Nebel, oder Dampf, der aus einem Kessel kommt.

artechock: Und das Fell des Werhasen?

Nick Park: Das hätten wir mit CGI machen können, weil man heut­zu­tage tolle Fell­ef­fekte machen kann. Es ist aller­dings sehr teuer. Wahr­schein­lich hätten wir das Budget dafür zusam­men­ge­kriegt. Aber um im Stil des Films zu bleiben und seinen Humor beizu­be­halten, machten wir es auf eine mehr authen­tisch altmo­di­sche Art. Wir bastelten einen großen Hasen als richtige Puppe – weil es Anspie­lungen sind auf King Kong und all die Ray Harry­hausen-Filme, und um es im selben Geist zu belassen wie Wallace & Gromit.

artechock: Waren Sie schon immer Fan der alten Mons­ter­filme?

Nick Park: In gewisser Weise. Ich bin wohl ein bisschen ein Film­ver­rückter, und Steve Box, der Co-Regisseur, auch, und wir redeten oft über die Filme, die wir lieben. Als wir die Idee für den Wallace & Gromit-Langfilm suchten, haben wir erst nur mit der Idee von Häschen gespielt; Häschen, die Gemüse stehlen, und große Gemüse... das war die Basis der Idee. Und dann kam die große Idee. Ich dachte irgendwie: Wir haben in den bishe­rigen Wallace & Gromit-Filmen film noir gemacht, wir haben Hitchcock gemacht, Brief Encounter... Wo waren wir noch nicht? Und dann kam plötzlich der Gedanke: Werwolf-Filme, und all diese Mons­ter­filme der Universal-Studios. Was wäre, wenn es ein Werka­nin­chen wäre statt eines Werwolfs? Und dann kam alles in Rollen... Das wurde unser Haupt-Refe­renz­punkt.

artechock: An diesem Film haben 250 Leute gear­beitet. Wie behält man bei einem Projekt dieser Größe eine persön­liche Vision bei?

Nick Park: Das ist schwierig. Man muss sehr wachsam sein, weil Dinge in eine gewisse Richtung driften können... Jeder besucht sehr strenge Wallace & Gromit-Modellier- und -Animier­kurse. Man muss auch gewisse Schau­spiel­kurse geben: Ein Hund folgt seiner Nase, aber Gromit folgt seinen Augen. Wenn Leute zum ersten Mal Gromit animieren, halten sie übli­cher­weise seine Nase zu hoch. [Demons­triet es] Für mich macht er das nie. Es ist immer SO [demons­triert]. Das macht ihn mensch­li­cher. Und seine Ohren federn auf eine ganz bestimmte Weise. Das sind alles wirklich obsessive Dinge. (Lacht)
Ich wollte nicht, dass es zu glatt wird. Wenn jede Menge Leute an etwas arbeiten, wollen sie alle es ganz besonders gut machen... Selbst in Chicken Run dachten wir erst: Es ist für die große Leinwand, also müssen wir die Animation glatter machen... Mit diesem Film haben wir wieder unsere Stärken erkannt, und da wir die anderen Filme schon gemacht hatten wussten wir, dass wir auf heimi­schem Boden waren. Steve und ich wollten es wirklich im Geist der anderen Filme haben: Hand­ge­macht...

Wenn Du versuchst, zu glatt damit zu sein, dann kannst Du genauso gut Computer benutzen. Und da gibt es so viele Leute, die das gut machen. Wir scheinen hier eine Nische gefunden zu haben.

Ich weiß nicht, ob es zu einem Trend wird. Es taugt uns. Für MICH ist es das perfekte Medium: Es erlaubt mir, Formen und Charak­tere zu kreieren, die ich mag. Es ist sehr direkt. Man kann all diese subtilen Nuancen erreichen mit Gromits Gesicht und mit mensch­li­chen Gesichts­aus­drü­cken. Der Animator ist in direktem Kontakt mit dem Plastilin, dem Metall­gerüst – das hat eine Direkt­heit.

artechock: Ist solche Hand­ar­beit heute teurer als Compu­ter­ani­ma­tion?

Nick Park: Es gibt diesen verbrei­teten Mythos, dass Computer irgendwie schneller und einfacher sind. Aber ich kenne eine Menge Leute, die an Shrek und so gear­beitet haben... In Wirk­lich­keit braucht es ungefähr die selbe Zeit.
Was ich an Clay­ma­tion liebe ist: Man arbeitet die ganze Zeit vor der Kamera. Der Prozess kommt einem nicht in die Quere. Es ist eine Perfor­mance – es mag Einzel­bild für Einzel­bild sein, aber es ist eine Perfor­mance. Du musst nicht ewig daran arbeiten, verschie­dene Ebenen und verschie­dene Aspekte richtig hinzu­be­kommen.

artechock: Welches war für die Anima­toren die schwie­rigste Szene?

Nick Park: Wenn eine Menge Charak­tere im Bild sind – das ist immer eine Heraus­for­de­rung. Besonders die Versamm­lung in der Kirche. Es dauerte die ganzen Dreh­ar­beiten durch, diese Szene zu drehen. [Es wurde an bis zu 30 »Sets« gleich­zeitig gedreht – die Red.] Die Conti­nuity, mit 50 Charak­teren auf dem Set... Dass der Animator sich daran erinnern kann, wer sich in welche Richtung bewegt, welcher Arm hoch ging, welcher runter... Das ist ein ziem­li­cher Albtraum.

artechock: Fast gleich­zeitig mit Curse of the Were-Rabbit kommt auch Tim Burtons neuer Anima­ti­ons­film, Corpse Bride in die Kinos. Sehen sie den als Konkur­renz?

Nick Park: Wir sind sehr verschieden. Ich habe mit Tim Burton und Helena [Bonham-Carter, die mit Burton liiert ist und ihre Stimme auch der Titel­figur von Corpse Bride leiht] vor zwei Wochen in Toronto zu Abend gegessen. Wir bewundern uns gegen­seitig. Ich habe Tim Burton-Filme immer geliebt. Aber wir sehen uns selbst als solch verschie­dene künst­le­ri­sche Persön­lich­keiten [»sensi­bi­li­ties«].
Es ist aber ein lustiger Zufall, dass diese beiden Stopframe-Anima­ti­ons­filme, in denen beiden Helena dabei ist und die beide Halloween-artige Themen haben, gleich­zeitig heraus­kommen.

artechock: Dass in dem Film »Stinking Bishop«-Käse prominent vorkommt, hat in England ein bisschen Staub aufge­wir­belt...?

Nick Park: Als Wallace in A Close Shave Wens­ly­dale-Käse erwähnt hat, hat es die Firma gerettet. Sie war kurz davor, dicht zu machen. Und es gab ihnen einen richtigen Schub. Wir scheinen diesen Ruf zu haben, Käse­her­steller zu retten. (Lacht)
Wir brauchten einfach einen stinkigen Käse, und wir riefen den Produ­zenten von »Stinking Bishop« an und baten ihn, uns jede Menge Käse zu schicken. Der riecht sehr stark... (Lacht) Aber dann hat die Presse in England davon Wind bekommen, drehte es hin, als wollten wir den Hersteller retten, und er sagte: »Nein, ich möchte nicht gerettet werden.« Dieser Typ ist sehr zufrieden damit, nur 50 Käse im Jahr zu produ­zieren. Also hoffe ich, dass wir nicht sein Leben ruiniert haben...

artechock: Sie haben insgesamt fünf Jahre an diesem Film gear­beitet. Hatten Sie da irgend­wann mal von Wallace & Gromit die Nase voll?

Nick Park: Ich dachte, das würde kommen. Aber selbst jetzt kann ich gar nicht anders als an neue Ideen denken. Jeder Film scheint der Anfang der nächsten Idee zu sein.

artechock: Können wir uns also auf einen weiteren Wallace & Gromit-Langfilm freuen?

Nick Park: Ich weiß nicht. Ich glaube, ich muss eine Pause machen. Und mich fragen: Mache ich etwas anderes? Ich möchte Wallace & Gromit nicht nur wegen kommer­zi­eller Nachfrage machen.

artechock: Und wie wäre es mal mit einem ernsten Film?

Nick Park: Man braucht bei so einem Projekt etwas, um einen bei der Stange zu halten. Und der Humor ist das einzige, was mich bei der Stange hält.