27.12.2007

»Sie verkörpert die Verwundbarkeit hinter der Macht«

Elizabeth
Elizabeth, eine Buddhistin

Regisseur Shekhar Kapur über Elizabeth I., Weiblichkeit, Europa und Asien und die Aktualität seines Historiendramas Elizabeth – Das goldene Königreich

Shekhar Kapur wurde 1945 geboren. Zwei seiner Onkel waren bekannte Schau­spieler. Doch zuerst studierte Kapur Wirt­schaft, und zog nach London, um dort im Öl-Business zu arbeiten. Die Kultur­re­volte von 1968 änderte seine Sicht auf die Dinge, und Kapur wurde zuerst mäßig erfolg­rei­cher Schau­spieler und Model; seit 1983 arbeitet er als Regisseur. Der inter­na­tio­nale Erfolg des harten Sozi­al­dramas Bandit Queen (1994) ebnete ihm den Weg nach Hollywood – und seitdem ist Kapur bis heute der einzige indische Regisseur, der dauerhaft im Westen erfolg­reich ist. Sein erster Hollywood-Film Elizabeth brachte ihm 1998 sieben Oscar-Nomi­nie­rungen und Cate Blanchett in der Haupt­rolle den inter­na­tio­nalen Durch­bruch. Sein nächster Film The Four Feathers blieb unter den Erwar­tungen, mit Elizabeth: The Golden Age erzählt er nun das zweite Kapitel der Geschichte der „jung­fräu­li­chen Königin“. Neben seiner Arbeit als Film­re­gis­seur ist Kapur erfolg­rei­cher Autor und Verleger von Comic-Büchern. Das Gespräch wurde aus Anlass der Premiere beim Film­fes­tival in Antalya, das sich „Eurasia-Film­fes­tival“ nennt, geführt. Ein Ort der schon in der Antike für die Verschmel­zung von Europa und Asien stand, überaus passend für einen Film mit einem ähnlichen Ansatz.
Mit Shekhar Kapur sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Sie leben über das Jahr wech­sel­weise in London und Bombay, drehen seit zehn Jahren mit Hollywood-Studios. Wie würden Sie Ihre Identität als Filme­ma­cher charak­te­ri­sieren?

Shekhar Kapur: Total indisch. Aber in Zeiten der neuen Medien verlieren solche klas­si­schen Iden­ti­täten sowieso an Bedeutung. Bald schon werden manche Internet-Blogs hundert Millionen Leser vereinen, und daraus wird sich ein neuer »ismus« formen, der jeden Natio­na­lismus über­strahlt.

artechock: Das Thema von Elizabeth: The Golden Age ist ganz histo­risch und ganz britisch. Gleich­zeitig gibt es natürlich eine Menge univer­sale Bezüge, Bezüge zur Gegenwart…

Kapur: Film ist univer­sell. Auch wenn Elizabeth eine englische Königin war, ist sie heute doch auch eine Ikone. Ihre Jung­fräu­lich­keit war vor allem ein poli­ti­sches und kultu­relles Statement. Sie verleug­nete ihre Weib­lich­keit, um Männer regieren zu können. Mein Film zeigt nun, wie sie sich selbst gewis­ser­maßen spiri­tua­li­siert und vergött­licht. Das berührt Dinge, die wir alle uns fragen: Wie verhalten sich unsere Ideale zu unserem sterb­li­chen Selbst? Aus meiner Sicht ist das eine sehr asia­ti­sche Inter­pre­ta­tion dieser Figur. Man könnte auch sagen: Meine Elizabeth ist eine Buddhistin. Ein Mensch, der innere Ruhe erreichen wollte, der eins werden will mit den Elementen.
Das trifft sich durchaus mit den Erkennt­nissen der Histo­riker. Im Eliza­be­tha­ni­schen Zeitalter sah man die Geschichte als Kreislauf an, der aufs Universum bezogen war. Die Eliza­bethaner sprachen auch von der Verbun­den­heit aller Dinge.

artechock: Was verkör­pert Elizabeth heute? Eine Ikone des Mutes und der Stand­haf­tig­keit?

Kapur: Sie verkör­pert die Verwund­bar­keit hinter der Macht. Sie ist insofern ein Vorbild in einer anderen Weise. Unbedingt vorbild­lich ist ihre poli­ti­sche und religiöse Toleranz. Das ist auch die poli­ti­sche Botschaft meines Films: Ihr Gegen­spieler Phillip II. von Spanien reprä­sen­tiert einen weitaus aske­ti­scheren Zugang. Die Reinheit eines Glaubens, der jede Vorstel­lung von Gott zurück­weist, die nicht der eigenen entspricht. Er ist ein Puritaner. Er war sehr selbst­ge­recht und von Zweifel unan­ge­fochten in seinem Glauben. Er leugnet jede Komple­xität. Ein funda­men­ta­lis­ti­scher Katholik.
Elizabeth dagegen hatte die Fähigkeit, Vielfalt herbei­zu­führen und zuzu­lassen – in ihrer Inter­pre­ta­tion. Ob das poli­ti­sche Taktik war, oder Glau­bens­ü­ber­zeu­gung, kann ich nicht sagen. Aber in jedem Fall ist es ein sehr femininer Ansatz.
Insofern ist der Konflikt zwischen Phillip und Elizabeth auch der Konflikt zwischen zwei Energien, zwei grund­sätz­lich unter­schied­li­chen Zugängen der Welt gegenüber – die jeder in sich trägt. Die männ­li­chen Energien drängen uns zu Härte, Konse­quenz, Reinheit, Ausschließ­lich­keit. Die weib­li­chen treiben alle Dinge nicht derart auf die Spitze. Beides hat sein Gutes, aber derzeit dominiert in der Welt die männliche Seite.

artechock: Wir leben im Zeitalter des Aufstiegs der Frauen…

Kapur: Definitiv. Wo immer man Frauen die Gele­gen­heit gibt, sich zu bilden, die Freiheit, sich zu finden, die Freiheit sich ihre Wünsche und Ambi­tionen zu erfüllen, geht es diesen Ländern politisch gut. Ich sage nicht, dass wir nur noch weibliche Führer brauchen, aber die Eman­zi­pa­tion der Frauen scheint einen guten Einfluss auf die Welt­po­litik zu haben.
Frauen bringen einen anderen Blick­winkel. Das trifft nicht auf alle Frauen zu. Manche Frauen werden sogar die männ­li­cheren Männer. Aber es geht nicht um eine Frau, sondern um Millionen Frauen – weibliche Energie verändert die Welt. In Indien haben wir Hindhus dafür sogar einen eigenen Ausdruck. Wir nennen das »Shakti« – das heißt weibliche Energie. Macht, die aus Anteil­nahme und Vers­tändnis erwächst, und aus der Zurück­wei­sung von Ignoranz.

artechock: Ihr Film hat auch offen­kun­dige poli­ti­sche Paral­le­li­täten zu unserer Zeit…

Kapur: Derzeit sind wir wieder auf dem Weg in eine Glau­bens­schlacht. Die Armada ist für mich eine Reprä­sen­ta­tion dessen, was gerade auch in der Gegenwart passiert. Manche Leute sagen: Es geht alles um Öl, um Macht – aber das stimmt nicht! Es geht auch um etwas Spiri­tu­elles. Leider! Wenn man sich die Führer der west­li­chen Welt anschaut, die immerhin demo­kra­tisch gewählt sind, und also den Willen der Menschen reprä­sen­tieren sollten, dann ist erkennbar, dass sie zu glauben beginnen, dass sie den Willen Gottes reprä­sen­tieren – und das ist gefähr­lich. Es ist in der Gegen­warts­po­litik zuviel von Gott und Religion die Rede.

artechock: Wir sprechen hier in Antalya mitein­ander, beim Eurasia-Film­fes­tival. Wie sehen Sie das Verhältnis von Europa und Asien?

Kapur: Asien wird wichtiger und wichtiger. Und das gefällt mir nicht allein, will ich Inder bin. Ich mag, dass die Welt mehr als ein Zentrum hat. Für mehr als ein halbes Jahr­hun­dert wird die Welt von einer einzigen Kultur dominiert: Der Kultur aus den USA. Darum ist die Idee »Eurasien« für mich inter­es­sant. Nicht um gegen die USA zu kämpfen. Aber um selbst­be­wusst zu sagen: Es gibt noch andere Zentren in der Welt. Um Vielfalt zu fördern, den Multi­la­te­ra­lismus. Es geht um Selbst-Bewußt­sein. Auch das Europas.

artechock: Sie kennen beide Seiten. Was können wir Europäer – jenseits der Moden – von Asien lernen? Was kann – umgekehrt – Asien von uns lernen?

Kapur: Zunächst mal haben wir ein ganz prak­ti­sches gemein­sames Interesse: Den rohen Kapi­ta­lismus einzu­dämmen. Nehmen Sie das Beispiel der so genannten »Piraterie«. Ich produ­ziere ja als Regisseur selbst »intel­lek­tu­elles Eigentum«. Aber ich denke die Anwälte und Unterm­nehmen haben nichts kapiert. Ideen sind für den Austausch gemacht. Stellen Sie sich mal vor, irgend­welche Priester würden das Copyright auf die Bibel, den Mahab­ha­ratha oder den Koran bean­spru­chen, und es schützen lassen. Unser Problem ist, dass alle Angst haben, Ideen zu teilen. Ich leugne nicht, dass Menschen für ihre Ideen belohnt werden sollten. Aber wenn alle nur noch an ihren Profit denken, schadet das allen.
Dann: Die europäi­schen, besonders die west­eu­ropäi­schen Kulturen basieren vor allem auf Orga­ni­sa­tion. Während die asia­ti­schen Kulturen auf Indi­vi­dua­lismus basieren. Das wird immer miss­ver­standen. Weil die west­li­chen Kulturen Indi­vi­dua­lismus nicht so gut verstehen, wie sie selber glauben, haben sie auf Asien herab­ge­schaut, und dort immer nur Chaos gefunden. Aber es ist nicht Chaos. Es ist extremer Indi­vi­dua­lismus. Man kann das zum Beispiel in der Musik erkennen. Sufi-Musik, oder isla­mi­sche Musik: Es sind immer Indi­vi­duen, die Musik inter­pre­tieren. Während die Musik des Westens oft Orches­ter­musik ist – es geht um Zusam­men­spiel und ist orga­ni­siert. Wir brauen beides. Kein Fort­schritt ist möglich, ohne die Orga­ni­sa­tion dieses Fort­schritts. Aber Phantasie und neues Denken brauchen Indi­vi­dua­lismus, der den Konfor­mismus durch­bricht. Das gilt nicht nur fürs Kino.

artechock: Welcher der Momente in Ihrem neuen Film ist für Sie besonders asiatisch? Gibt es welche?

Kapur: Lassen Sie uns nicht „asiatisch“ sagen, sondern „östlich“. Mein Film verwan­delt Geschichte in Mytho­logie. Zum Teil habe ich das gemacht, weil Elizabeth schon zu ihrer Zeit zum Mythos wurde. In den aller­meisten engli­schen Geschichts­büchern steht zum Beispiel, die Schlacht gegen die Armada wurde wegen Komman­deuren wie Drake gewonnen. Tatsäch­lich wurde sie gewonnen wegen eines unge­wöhn­lich großen Sturms. Eine Szene wie von Shake­speare: Etwas Mythi­sches brach in die Alltags­wirk­lich­keit ein. Dies durch­zieht unter­gründig den ganzen Film.
Ein zweites Beispiel: Die Szene, in der ein katho­li­scher Terrorist Elizabeth töten will. Sie weicht nicht aus, sie präsen­tiert sich geradezu ihrem Atten­täter. Für mich ist das ein sehr mythi­scher, asia­ti­scher Moment: »Töte mich, wenn Du es vermagst!« Mit Freund und west­li­cher Psycho­logie könnte man aber auch sagen: Ein heim­li­cher Todes­wunsch, Todes­trieb. Aber auch das Zulassen dieser beiden Seiten, dieser Janus­köp­fig­keit, die den Film durch­zieht, ist meiner Ansicht nach bereits etwas sehr Asia­ti­sches. Oder der ganze Augen­blick, wenn Maria Stuart aufs Schafott steigt: Für mich ist dies keine simple Exekution, es geht darum, dass ein Mensch seinem Gott begegnet.

artechock: Es gibt ja auch unter Histo­ri­kern sehr verschie­dene, oft kontro­verse Inter­pre­ta­tionen der Figur Elizabeth, ihrer Konfron­ta­tion mit Spanien, und des Konflikts mit Maria Stuart. Wie haben Sie recher­chiert?

Kapur: Sehr viel. Gerade wenn man etwas neu inter­pre­tieren will, muss man erst recht sicher­gehen, dass man keinen Unsinn erzählt. Aber Geschichte wird beständig neu inter­pre­tiert, Historie ist Inter­pre­ta­tion der Geschichte, die schon selbst Inter­pre­ta­tion der Geschichte ist. Und in den Geschichts­büchern steht nur die neueste Inter­pre­ta­tion. Ich habe einen sehr guten Mitar­beiter, der gelernter Histo­riker ist. Denn habe ich fort­wäh­rend alles Mögliche gefragt. Aber anders geht es nicht, man muss die Fakten checken.

artechock: Und wie werden Sie dann wieder frei von den Fakten?

Kapur: Und im Kino geht es gar nicht anders: Die Armada kreuzte sechs Monate vor England. Im Film dauert das sechs Minuten. Wer etwas ausschließt, inter­pre­tiert erst recht. Zum Beispiel: Es ist klar, dass Elizabeth vor der Schlacht gegen die Armada zu ihren Truppen gespro­chen hat. In allen Geschichts­büchern steht: Sie hielt eine feurige Rede vor ihren Truppen. Aber wie soll das gehen? Ihre Truppen umfassten über 4000 Leute. Ohne Megaphon kann man nicht zu 4000 Leuten sprechen. Maximal 100 werden einen verstehen. Was also geschah wirklich? Selbst dies ist also eine Inter­pre­ta­tion.

artechock: Elizabeth: The Golden Age war eine riesige Produk­tion. Wie behalten Sie Ihren klaren Kopf, wie sichern Sie ihre künst­le­ri­sche Freiheit?

Kapur: Man ist nie ganz frei von den Studio­leuten. Sie mischen sich immer ein. Sie kommen­tieren das Script und den Schnitt, alles. Aber einen Trick habe ich gelernt: Man muss sehr schnell drehen. Nicht zuviel Material, und sehr schnell. Man muss sicher­stellen, dass der Film in atemlosem Tempo entsteht. Dann ist er aus einem Gruß. Und jeder von Außen hat einfach Mühe, überhaupt mitzu­halten. Elizabeth: The Golden Age wurde in 70 Tagen gedreht – das ist sehr wenig.

artechock: Hatten Sie Final Cut?

Kapur: Nein. Ich wollte Final Cut. Natürlich. Aber man hat fast nie Final Cut in Hollywood. Und selbst in Spielberg hat den nur in der Theorie. Denn wenn man final cut hat, dann sagt das Studio eben: Ok, wenn Sie den Film so haben wollen, dann werden wir ihn nicht anständig verleihen.

artechock: Wann wurde es klar, dass Sie Elizabeth fort­setzen würden?

Kapur: Ich hatte das immer vor. Denn dies ist eine neue Geschichte. Glück­li­cher­weise endete der Film früh. Elizabeth: The Golden Age ist ja nun kein Sequel, sondern eine eigen­s­tän­dige Geschichte. Elizabeth handelte vom Verlust der Unschuld und von Macht. Es ging ums Überleben. Der neue Film handelt von Unsterb­lich­keit.

artechock: Gibt es eine Chance auf einen dritten Teil?

Kapur: Ich denke schon. Denn es gibt etwas Drittes zu erzählen: Wenn man göttlich ist – wie geht man dann mit Sterb­lich­keit um?