15.02.2024
74. Berlinale 2024

Mit weniger Programm und höheren Kosten die Einnahmen steigern

Berlinale Plakat 2024
Berlinale Plakat 2024
(Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin)

Sponsorenmangel und Sparzwänge: Die oft kritisierte mangelnde Programmqualität ist das geringste Problem des wichtigsten deutschen Filmfestivals. Die Krise ist fundamentaler – Berlinale-Tagebuch, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

Man hat das Gefühl, die Berlinale ist eigent­lich schon vorbei. Auch wenn es erst an diesem Donnerstag losgeht: So viele Debatten, so viele Diskus­sionen, offene Briefe und Streit mit Freunden: über die Ökonomie, über die Politik und ihre Eingriffe, über die schlimme Raum­si­tua­tion, über den schlei­chenden Bedeu­tungs­ver­lust des Festivals, über das alte zaudernde Leitungsduo und die neue Frau, die ab März den Berlinale-Thron erklimmt und aus der neuen Welt kommt und darum alles besser oder jeden­falls neu macht. Hoffent­lich nicht die alten Fehler.
Nur um die Filme ging es zu wenig.

Berlinale ist wie Weih­nachten: Ganz ganz ganz lange dauert die Erwar­tungs­freude, begleitet von Bibbern und Bangen, von Hoffen und Heiter­keit. Aber jetzt ist Besche­rung, jetzt kommen die Filme.

Wir haben natürlich schon eine ganze Menge von ihnen gesehen, aber darüber dürfen wir noch nicht schreiben, denn ein bisschen sind wir ab jetzt in der Rolle des Weih­nachts­manns, der bekannt­lich keiner ist, sondern irgend­einer aus der Familie, der den Kindern – das seid ihr, also das Publikum – eine große fiktive Märchen­welt vorspielt. Irgendwie wissen die Kinder, dass das alles nicht stimmt, aber wir alle spielen mit, weil sonst die Erwach­senen – die Berli­nale­lei­tung – traurig ist. Wir halten uns an den Embar­go­zwang. Die Sperr­frist. Einst­weilen.

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Darum müssen wir noch ein (vorläufig) letztes Mal über alles andere schreiben. Siehe oben.

Beginnen wir mit dem Geld. Denn die oft kriti­sierte mangelnde Programm­qua­lität ist das geringste Problem des wich­tigsten deutschen Film­fes­ti­vals. Die Krise ist funda­men­taler: Die Berlinale hat finan­zi­elle Probleme, und muss ihre Struktur auch deshalb grund­sätz­lich verändern.

Denn das Erbe von Dieter Kosslick, der das Festival zwischen 2002 und 2019 auf fast die doppelte Größe aufge­bläht hatte, wird spätes­tens in Zeiten von Inflation und knappen Kassen zum exis­ten­ti­ellen Problem: In den letzten Jahren sprangen mehrere wichtige Sponsoren ab. Das bedeutete laut Rech­nungen des Berliner »Tages­spiegel« Ausfälle von über einer Million Euro, die bislang nicht adäquat ersetzt werden konnten – und hier zeigt sich, wie Kunst und Ökonomie inein­an­der­greifen und einen Teufels­kreis bilden: Weil die Berlinale in den letzten 20 Jahren an künst­le­ri­schem Stel­len­wert verlor, ist sie auch für die Stars unat­trak­tiver. Weil die Stars wegbleiben, verlieren die Sponsoren das Interesse. Und fehlendes Geld reduziert wiederum den Wert des Festivals.

Die gras­sie­renden Spar­zwänge führten bereits im vergan­genen Sommer dazu, dass das Programm erheblich einge­stampft wurde. Zwei Sektionen wurden komplett gestri­chen, die Zahl der Filme um ein Drittel reduziert, und weitere Strei­chungen scheinen nur eine Frage der Zeit zu sein.

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Wie ist die Berlinale überhaupt finan­ziell aufge­stellt? Der Gesamt-Etat der Berlinale, inklusive aller Einnahmen aus Ticket­ver­käufen und durch Spon­so­ring und Merchan­di­sing kann nach Angaben der Berlinale »immer erst im Frühjahr des folgenden Kalen­der­jahrs genau beziffert werden«. Für 2024 rechnet man am Potsdamer Platz mit ca. 33 Millionen. 2023 betrug er 32,3 Millionen. Der Bund in Gestalt des Staats­mi­nis­te­riums für Kultur (BKM) und das Land Berlin über­nehmen größere Teile der Finan­zie­rung des Festivals. Da der Anteil des Bundes mit zuletzt 12,9 Millionen aber weitaus höher liegt als der Berlins, der erst kürzlich – und bisher nur mündlich zugesagt – auf 2 Millionen verviel­facht wurde, steht hier vor allem das BKM, also die jewei­ligen Kultur­staats­mi­nister in der Verant­wor­tung. Zwar fällt jetzt eine pande­mie­be­dingte einmalige zusätz­liche Sonder­för­de­rung über 2,2 Mio. Euro weg, für das laufende Jahr versprach Claudia Roth »unter Vorbehalt« der fälligen Haus­halts­kon­so­li­die­rung den Zuschuss des Bundes um 1,7 Millionen auf 12,6 Millionen Euro erhöhen. Doch diese Erhöhung reicht gerade einmal aus, um den laufenden Kosten­an­stieg auszu­glei­chen. Etwa ein Drittel des Budgets gehen allein in die Perso­nal­kosten.

Es lässt sich mit diesen Zahlen leicht errechnen, dass die Berlinale in jedem Fall weit mehr als die Hälfte ihres Budgets aus nich­töf­fent­li­chen Quellen erwirt­schaften muss. 2023 wurden laut Berlinale »ca. 330.000 Tickets verkauft.« Anhand der regulären Ticket­preise bedeutet das gut 5 Millionen Euro Einnahmen. Die rest­li­chen gut 13 Millionen müssen also ander­weitig erwirt­schaftet werden. Das sind Mieten für Messes­tände und Markt­vor­füh­rungen beim »Europäi­schen Filmmarkt«, Akkre­di­tie­rungs- und Film­an­mel­de­ge­bühren, Merchan­di­sin­g­ver­kauf, sowie Spon­so­ring und Part­ner­schaften. Detail­lierte Angaben hierzu gibt die Berlinale »grund­sätz­lich nicht nach außen, da mit den Sponsoren gegen­sei­tige Vertrau­lich­keit verein­bart wurde.« (so Berlinale-Pres­se­spre­cherin Frauke Greiner).

Ebenso hält man sich zum Anteil des Spon­so­ring bedeckt. Dieser lasse sich nicht in Geld­be­trägen darstellen, »da die Leis­tungen der Partner zum Teil monetär sind und zum Teil aus Sach­mit­teln, Beistel­lungen, Dienst­leis­tungen bestehen«.
Die zukünf­tige Chefin wird also neue Sponsoren gewinnen müssen. Sie wird das Programm abspecken müssen, um Kosten zu senken, aber so dass die Attrak­ti­vität nicht leidet. Sie wird zugleich den doppelten Spagat meistern müssen, bei weniger Filmen und höheren Kosten die Einnahmen zu steigern.

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Und alles das wird erst der Anfang sein: Denn ein weiterer »Elefant im Raum« ist die ungelöste Stand­ort­frage und die desas­tröse Raum­si­tua­tion: Der Potsdamer Platz, an den die Berlinale im Jahr 2000 aus den etablierten Stand­orten rund um den Bahnhof Zoo gezogen war, damals gezwungen vom ersten Kultur­staats­mi­nister Michael Naumann (SPD), mag vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert auf manche wie das glanz­volle Zentrum des neuen Nach-Mauerfall-Berlin gewirkt haben. Heute ist es das Symbol post­mo­derner Stadt­pla­nungs­ver­ir­rung. Die Ruine schöner Ideen und Pläne und des kultur­po­li­ti­schen Versagens der Verant­wort­li­chen aller Parteien; ein Ort, der mit seinen Baustellen, Contai­ner­sta­peln, leer­ste­henden Cafés, Restau­rants und Büros und mit einer trashigen, halb­leeren Shop­ping­mall wie der Prototyp einer urbanen Wüste erscheint. Mitten­drin der »Berlinale-Palast«, kein richtiges Kino, sondern eine Veran­stal­tungs­halle, die übers Jahr als Musi­cal­pa­last mit ange­schlos­sener Spielbank dient. Dazu gab es zwei Multi­plexe, auf die 20 Jahre lang in den zwei Berli­na­le­wo­chen des Februar die bis zu 400 Filme verteilt wurden. Einer davon, das Cinestar, hat bereits 2020 dicht gemacht und weil die Kultur­po­litik seiner­zeit versäumt hatte, sich ein Vorkaufs­recht zu sichern, stehen die acht Kinos seit Jahren leer. Angeblich soll alles in ein Parkhaus umgebaut werden. Aber wer will dort parken? Und warum sollte man?

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Denn auch das zweite Multiplex, das Cinestar, ist ein geschmack­li­cher Unort mit unge­wisser Zukunft. Das »Filmhaus«, einst mit großem Brim­bo­rium als »Kunst-Labor« und Ort der Konzen­tra­tion eröffnet, ist bereits am Ende: In den nächsten zwei Jahren werden dort nach dem Auslaufen der Miet­ver­träge sowohl das künst­le­risch anspruchs­volle Arse­nal­kino und das Film­mu­seum mit der »Deutschen Kine­ma­thek«, wie auch die tradi­ti­ons­reiche städ­ti­sche Film- und Fern­seh­aka­demie (dffb) ausziehen und über die Stadt verteilte neue (Not-)Standorte belegen – die Berliner Kultur­po­litik hat in punkto Film kapi­tu­liert.

Und auch sonst lockt die Umgebung nicht einmal während der Berlinale: Restau­rants gibt es bis auf ein Steakhaus und zwei triste Diner keine mehr, die meisten Geschäfts­flächen stehen leer. Wenn profes­sio­nelle Festi­val­gäste ein Treffen verein­baren wollen, fehlen Orte, zu denen man hingehen könnte. Kinos und Party­lo­ca­tions verteilen sich sowieso über die ganze Stadt. Für jede Festi­val­at­mo­sphäre ist diese Lage ein Todes­ur­teil.

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Wenn dann wenigs­tens das Programm besser und über­sicht­li­cher wäre. Aber die mangelnde Programm­qua­lität ist das geringste Problem der neuen Leiterin Tricia Tuttle. Tuttle wird Sponsoren gewinnen müssen, zuletzt waren lang­jäh­rige Partner abge­sprungen. Sie wird den Spagat meistern müssen, bei weniger Filmen und höheren Kosten die Einnahmen zu steigern. Das Gesamt­budget der Berlinale liegt bei 32,3 Millionen. Mehr als die Hälfte muss die Berlinale also aus nich­töf­fent­li­chen Quellen erwirt­schaften.
Das dürfte nur gelingen, wenn das Profil der Berlinale wieder schärfer und das Festival wieder attrak­tiver wird. Dafür wurden schon viele Gele­gen­heiten verschenkt. Der dafür notwen­dige bessere Ort ist im Berlin der Gegenwart kaum zu finden. So erscheint eine Rückkehr zu den Kinos rund um den Zoopalast und ein Festival, das unsichtbar in der Metropole zerstreut sein Dasein fristet, diese Zersplit­te­rung aber als Publi­kums­nähe verkauft, die wahr­schein­lichste Lösung.

Obwohl es bessere Ideen gibt. Dazu dieser Tage mehr...