25.01.2024
Wo Pommes???

Wo Pommes???

Plastic Fantastic
Plastic Fantastic – Reisen in Vergangenheit und Zukunft
(Foto: mindjazz pictures)

Dokumentarfilme im Januar Teil 2: Dinge ohne Besitzansprüche – zu Plastic Fantastic von Isa Willinger und Die Ausstattung der Welt von Susanne Weirich und Robert Bramkamp

Von Nora Moschuering

München befindet sich gerade in einer Testphase, in einem Pilot­ver­such, der seit dem 01.01.24 läuft und drei Jahre dauern wird. München kümmert sich nämlich um seinen Plas­tik­müll. Zukünftig. Momentan sammelt er sich gerade um die vollen Wert­stoff­con­tainer hier um die Ecke. Jetzt werden die Holsys­teme gelber Sack, gelbe Tonne und Wert­stoff­tonne auspro­biert, mehr Infor­ma­tionen dazu hier.
Müll ist Material. Oft war er mal ein Objekt, ein Ding. Oft war er aber auch nur dazu da, ein anderes Ding einzu­pa­cken. In jedem Fall hat er seine Schul­dig­keit getan, wenn man ihn Müll nennt, und jetzt dürfte er gepflegt verpuffen, tut er aber nicht.

Plastic Fantastic

Plastic Fantastic von Isa Willinger dreht sich um diesen eigent­lich mal gar nicht so fantas­ti­schen Müll, aber auch um all das, was wir nicht unbedingt als Müll wahr­nehmen können, wie Gummi­ab­rieb von Reifen oder Schuhen, Mikro­plastik in Klei­der­fa­sern oder dem Filter­staub von Müll­ver­bren­nungs­an­lagen, der unter Tage, ähnlich wie Atommüll, einge­la­gert werden muss, weil er mit zahl­rei­chen Schad­stoffen ange­rei­chert ist.
Der Film spannt ein globales Netz: Am Strand von Hawaii wird Plastik gesammelt und ausge­siebt, die dortige Univer­sität analy­siert ihn und beob­achtet die Plas­tik­ströme im Meer. In Hamburg steht ein Professor an der Elbe und spricht von Plastik, das wir gar nicht sehen, aber einatmen und trinken. Ein Foto­jour­na­list in Kenia foto­gra­fiert einen Affen, der in ein Stück Plastik beißt ... Das Problem herrscht überall auf der Welt, es ist omni­prä­sent und sichtbar.
Daneben kommen Vertreter/Lobby­isten der Plas­tik­her­steller zu Wort, einer in Frankfurt am Main, der andere in Washington. Beide sprechen von einer blühenden Zukunft, zu der nicht zuletzt die inno­va­tive, verant­wor­tungs­be­wusste Plas­tik­in­dus­trie, ihr Arbeit­geber, ihren Teil beitragen soll. Beide sind dabei vage Visionäre: Sie fokus­sieren sich z.B. auf chemi­sches Recycling – dessen Nutzen aber noch nicht klar ist, denn es ist extrem ener­gie­auf­wendig und die prak­ti­sche Umsetzung überhaupt fraglich – und die Selbst­ver­pflich­tungen der Industrie und sie schieben die Verant­wor­tung auch gerne ab, z.B. auf die Konsument*innen, die ja auch nicht von ihrem Einweg-Coffee-To-Go-Becher lassen könnten. Dazu der Foto­jour­na­list dann etwas später im Film: Es gibt keine Entschei­dung – außer viel­leicht tatsäch­lich allein bei den Kaffee­be­chern – überall sonst wurde die Entschei­dung schon von anderen gefällt, da müsse man nur einen x-belie­bigen Super­markt betreten: »Danach wurde ich nicht gefragt!« Natürlich ist es tricky, diese Leute zu befragen, die auf souveräne Antworten geschult sind und die die Vorwürfe kennen, aber dennoch entblößen sich ihre vagen Aussagen das ein oder andere Mal selber, aber auch die Rahmung macht ihre Absur­dität klar, also eben z.B. das Sammeln von Plas­tik­müll am Strand von Hawaii oder auch die Aussagen anderer Prot­ago­nist*innen und das Benennen von Fakten. Aber auch das Setting hilft, die Kamera, die immer ein wenig vor und nach dem Gespräch filmt, in einer Umgebung, die anders als die der anderen Prot­ago­nist*innen neutral, glatt und sauber ist und die so mit der Glätte der Antworten korre­spon­dieren.
Obwohl die Probleme so offen­sicht­lich sind, wächst die Plas­tik­in­dus­trie, bis 2050 wird ihr ein Wachstum von 3,5-4% prognos­ti­ziert und das bei einer Recy­cling­quote von nur 9%. Aber sie hat ein Image-Problem, gegen das die beiden Herren angehen. Das ist auch nicht neu, wie der Film beschreibt, war Plastik schon Mitte der 80er unbeliebt. Die Frage war damals Recycling oder Adver­ti­sing (Marketing), man entschied sich für Adver­ti­sing – war wahr­schein­lich günstiger. Es ging also schon damals nicht darum, sein Produkt besser zu machen, sondern nur es besser aussehen zu lassen: cool, hipp, stylisch, neon ... 80er halt. Heute ist das Thema u.a. Nach­hal­tig­keit/Recycling und es besteht die Gefahr, dass es von Seiten der Industrie weniger mit Inhalt gefüllt wird und zu prak­ti­schen Ände­rungen führt, sondern dass nur eine Ober­flächen­be­hand­lung statt­findet, ohne wirkliche, immer auch teure, Umset­zungen. Aber wer weiß.
Aber es gibt von einer anderen Seite Hoffnung, auch das zeigt der Film, es gibt z.B. Alter­na­tiven zu Plastik, das Hamburger Start Up »Traceless« sucht nach plas­tik­freien Bioma­te­ria­lien, der Professor aus Hamburg/Lüneburg spricht von Poly­phonen, die selbst­stabil sind, einschmelzbar und wieder­ver­wertbar oder von Material aus dem Kohlen­di­oxid der Erdat­mo­sphäre, aber wichtig ist vor allen Dingen, meint er, dass man den gesamten Prozess mitdenkt, von der Gewinnung des Materials, der Herstel­lung, dem Gebrauch, bis hin zum Recycling, der Zurück­ge­win­nung des Rohstoffs, so dass es zu einem wirk­li­chen Kreislauf kommt. Daneben werden auch Bürger­initia­tiven gezeigt, die Kampagne zum Plastik-Bann in Kenia (#banplasticKE) oder Bürger*innen in den USA die sich gegen den Chemi­ka­li­en­her­steller Formosa stellen. Und ja, warum nicht: Die Nutzung verkaufen und nicht das Produkt selber, dazu im zweiten Film mehr.
Plastic Fantastic gelingt es, dieses Thema mit verschie­denen Facetten zu beleuchten, man begibt sich dabei auf eine Reise in die Vergan­gen­heit, aber auch in die Zukunft, die trotz allem Mut macht. Und: Produzent*innen müssen Verant­wor­tung über­nehmen, das wird hier ganz klar, damit in Zukunft kein Affe mehr beherzt ins Plastik beißt, Kinder in Plas­tik­sand spielen und wir langsam in ihm ersticken, weil der Holser­vice nicht nachkommt.

Die Ausstat­tung der Welt

Apropos Kreislauf und Verkauf von Nutzen, eine andere Art der Wieder­be­le­bung erfahren die Dinge in Die Ausstat­tung der Welt von Susanne Weirich und Robert Bramkamp. Die Dinge dort leben in Film- und Theater-Requi­si­ten­la­gern und im Fundus, sie werden dort gesammelt, entstaubt, repariert, geordnet, gelagert, archi­viert und von Film- und Thea­ter­aus­statter*innen wieder­ak­ti­viert. Wegge­worfen wird hier nichts, es geht um die Möglich­keiten, die in den Dingen stecken, die in immer wieder neuen Konstel­la­tionen funk­tio­nieren können. Das Prinzip Ausleihen wird auch in Plastic Fantastic ange­spro­chen, hier aber ist es zum absoluten Prinzip geworden.
Man trifft Menschen, die sich kümmern, die ein Auge haben für das, was uns alltäg­lich umgibt, für das, was in einem Film so tut, als täte es das. Dinge, die für Menschen stehen, einen Charakter, eine Lebens­weise, einen Habitus, Dinge, die zusam­men­ge­stellt werden, die Gebilde werden, Hinter­gründe. Die Dinge werden befragt: Was ist ihre Form? Ihre Zeit? Was haben sie zu erzählen? Und nicht zuletzt: Wie ist die Filmwelt ausge­stattet? Und was erzählt das auch über unsere Welt?
Immer wieder sind kurze Ausschnitte aus Filmen zu sehen, die ruhig etwas länger hätten stehen können, auch wäre es schön, aber viel­leicht auch inkon­se­quent gewesen, mal aus dem Fundus raus und an ein Filmset zu gehen und den Prozess der Auswahl von Dingen von hier aus zu folgen. Wie ist das visuelle Konzept eines Filmes? Wie wird ein Motiv entwi­ckelt? Viel­leicht auch: Was bedeutet histo­risch korrekt sein? Was ist künst­le­ri­sche Freiheit?
Aber der Film hat sich entschieden, in diesen sehr beson­deren Räumen zu bleiben, man lernt den Arbeits­alltag dort kennen: die Ordnung der Dinge, das Ausstellen, Einpacken, Ausleihen, Abholen, Zusam­men­stellen, das Digi­ta­li­sieren, die Verschlag­wor­tung. Man begleitet und spricht mit den Mitar­bei­tenden, von denen wirklich alle eine Leiden­schaft für Dinge haben und die Worte 'Sorgfalt' und 'Kümmern' in ihren Gesten liegen – Worte, die heute die wenigsten Mensch-Ding-Bezie­hungen betreffen. Sie sind Vermittler*innen, ohne Besitz­an­sprüche. Diese Menschen haben selber Film­bilder im Kopf: »Die Dinge müssen was können«, sie kombi­nieren, schaffen Räume, in denen die Suchenden Inspi­ra­tion finden, denn »Die Leute wissen ja gar nicht, was es alles gibt«.
Begleitet wird man auch von einem kleinen, pfei­fenden Fisch, eine Art Moderator oder Führer, der einen durch die Reihen leitet. Auch andere Dinge fangen immer wieder an zu leben, es ist ein bisschen magisch an diesen Orten.
Mit dabei ist außerdem eine fiktio­nale Dokto­randin, die auf der Suche nach Gegen­s­tänden aus Afrika ist, von denen es aber wenige gibt. In ihren Fokus rückt sehr bald das Gemälde einer schwarzen Frau mit Uhr aus dem Jahr 1558, ursprüng­lich Teil eines größeren Bildes, das aber in seiner Gesamt­heit nicht mehr existiert. Das Bild wird zu einer Haupt-Prot­ago­nistin des Filmes, gemeinsam mit einer Mitar­bei­terin wird es vergrößert und findet seinen geeig­neten Rahmen.

Die Lebens­dauer von Dingen spielt in beiden Filmen auf unter­schied­liche Art eine Rolle, im ersten Fall ist sie ein Problem, im zweiten wird genau das genutzt. Wie wird die Zukunft die Ausstat­tung unserer heutigen Welt betreiben? Bällebad und pfeifende Fische forever? Aber bitte mit Folie drum rum, damit sie länger halten und länger und länger!