11.01.2024

Wieso soll der deutsche Film besser werden, weil es weniger deutsche Filme gibt?

Brandbrief
Erstaunlich unambitioniert und übertrieben bescheiden formuliert – der Brandbrief...
(Foto: A. T. Purr)

Torschlusspanik vor dem Referentenentwurf: Ein Kommentar zu den neuesten Forderungen der selbsternannten deutschen Filmbranche

Von Rüdiger Suchsland

Der Berg kreisst – und seit Claudia Roth Kultur­staats­mi­nis­terin ist, gebiert er noch nicht mal eine Maus. Die Film­po­litik der amtie­renden Kultur­staats­mi­nis­terin muss man sich eher als Prokras­ti­nieren vorstellen, als Aufschie­be­ritis. Obwohl Film­po­litik der Kern­be­reich ihres Amtes ist – denn die Hoheit für Kultur liegt ansonsten bei den Bundes­län­dern –, kommt die Minis­terin mit der Reform der Film­för­de­rung einfach nicht voran.

Das Film­för­der­ge­setz (FFG) muss juris­tisch vorge­schrieben regel­mäßig erneuert, also novel­liert werden. Eigent­lich hätte das schon 2021 geschehen müssen, aber da war Corona, darum verschob man um ein Jahr.
2022 hat es Roth auch nicht geschafft, da war immer noch ein bisschen Pandemie und außerdem wollte sich da die Minis­terin vor allem um die Ukraine kümmern.
Aber 2023 gab es keine Ausreden mehr – trotzdem wurde die Novel­lie­rung immer weiter nach hinten verschoben, bis auch dieses Jahr vorbei war.

Jetzt nun, am 15. Januar, soll ein erster »Refe­ren­ten­ent­wurf« für das neue FFG vom Kultur­mi­nis­te­rium veröf­fent­licht werden – mal sehen, ob das dann auch wirklich passiert.
Und was dann drinsteht: Den Eindruck einer gewissen Bera­tungs­re­sis­tenz der Minis­terin gibt es schon seit langem in der Branche.

Schon im Vorfeld haben sich auch darum Anfang Januar gleich acht Film­ver­bände zusam­men­getan und fordern in einem soge­nannten »Brand­brief« zu Jahres­be­ginn von Claudia Roth, dass die Kultur­staats­mi­nis­terin endlich handeln möge.

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Ganz so brennend scheint es mit dem Brand­brief aller­dings dann doch nicht zu sein. Sowieso wollen die Verbände das Schreiben so gar nicht bezeichnet wissen, das sei nur die FAZ gewesen, die alles als erste veröf­fent­licht hatte.

Und diese Veröf­fent­li­chung war auch mehr ein Anstubser für die Minis­terin im Winter­schlaf. Schnell kam nämlich heraus, dass das Schreiben bereits einen Monat lang beim BKM im Post­ein­gang lag, bevor es aus den Verbänden an die Presse gespielt wurde.

Auch inhalt­lich ist das Schreiben erstaun­lich unam­bi­tio­niert und über­trieben bescheiden formu­liert. Und formal also im Hinblick auf den Sprach­stil, einzelne Formu­lie­rungen und auf den Gebrauch der deutschen Sprache als ganzer ist das Schreiben geradezu amateur­haft gehalten.

Der Autor und die übrige Redaktion von Artechock stellen den Verfas­sern für die Zukunft sehr gern ihre Expertise im Verfassen gut geschrie­bener Texte zur Verfügung. Oder wenigs­tens unsere Fähigkeit, schlecht geschrie­bene Texte zu redi­gieren.

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Aber beginnen wir einmal mit den Verfas­sern: Acht Verbände, mächtige Vertreter der Branche, aber keines­wegs ein Quer­schnitt der Branche, hat sich da zusam­men­getan. Es ist eher so ein halber Quer­schnitt, die acht Unter­zeichner sind vor allem reprä­sen­tativ für das Geld und für die Verwer­tungs­kette. Sie stehen für die Großen. Man merkt, dass umgekehrt die Film­künstler überhaupt nicht dabei sind: Es fehlen die Regis­seure, die Kame­ra­leute, die Schau­spieler und andere. Die Film­schaf­fenden. Dafür die Verwerter: Wir haben ein, zwei Kino­be­trei­ber­ver­bände, es gibt aber noch andere, die gar nicht gefragt wurden.
Und was die deutsche Film­aka­demie da genau macht, ist sowieso niemandem recht klar – die Film­aka­demie ist ja gar kein Verband und sollte politisch auch nicht so einseitig wie hier ihre Stimme erheben, und dabei den größten Teil ihrer Mitglieder ausblenden. Die Film­aka­demie ist einfach immer gern dabei, und war auch in der Auswahl­kom­mis­sion der Berlinale dabei.

Vor allem aber hat man den Eindruck, dass die Film­aka­demie sich hier instru­men­ta­li­sieren lässt. Nur durch ihre Unter­schrift können die Unter­zeichner kontra­fak­tisch den Eindruck erwecken, hier spräche »die ganze Branche«.

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Sie möge doch bitte endlich handeln, lautet das Fazit des Briefs. Warum denn die Novel­lie­rung dieses FFG so lange dauert, ist sehr schwer zu sagen. Man kann natürlich nicht in den Kopf von Claudia Roth hinein­schauen, möchte man viel­leicht auch gar nicht – aber was offen­sicht­lich ist, und worüber schon jeder Bran­chen­teil geklagt hat, ist, dass Claudia Roth nicht kommu­ni­ziert, dass sie sich fast schon ein bisschen in ihrem Büro einschließt, und dass sie einfach mit niemandem spricht, auch nicht mit den großen Verbänden, von den kleinen wollen wir mal gar nicht reden – aber genau das muss natürlich eine Minis­terin machen: Meinungen einholen, Stimmen und Stim­mungs­bilder einholen. Claudia Roth ist ganz wenig präsent im deutschen Film. Bei der Berlinale sieht man sie, aber ansonsten sieht man sie nicht – ganz offen­sicht­lich sieht Claudia Roth selber gar nicht die Dring­lich­keit, aktiver zu werden. Aber nötig wäre genau das schon: Wir haben Riesen­pro­bleme in der Film­land­schaft: Zuschau­er­schwund, Coro­na­folgen, jetzt auch noch Inflation und die Folgen der Kriege.
Vieles im Schreiben ist keines­wegs neu, das meiste ist aus anderen Stel­lung­nahmen abgepaust: Produk­tion, Verleih und Kino zusam­men­zu­denken sind olle Kamellen. Und auch die Forderung nach auto­ma­ti­sierter Förderung, weniger Gremien gibt es schon lange.

In einem haben die acht Unter­zeichner recht: Der deutsche Film braucht zunächst einmal vor allem mehr Geld. Inter­na­tional haben Groß­bri­tan­nien und Frank­reich viel, viel mehr. Darum sind auch die Filme besser. Geld schießt Tore.

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Es ist ehrli­cher­weise auch gar nicht so klar, was sich denn verändern muss im deutschen Film. Ein Patent­re­zept hat niemand, und oft diver­gieren die Inter­essen der einzelnen Gruppen und Verbände. Was alle gemeinsam haben, worin sich alle einig sind: Dass sie nicht zufrieden sind.

Das Haupt­pro­blem vieler Bereiche ist, dass die deutsche Film­för­de­rung ein Zwitter ist zwischen Wirt­schafts­för­de­rung – die Leute sollen ja auch Geld verdienen, das ist klar – und Kunst­för­de­rung. Film ist auch Kunst und Kulturgut und da kann man nicht immer nur auf das Verdienen und den Umsatz schauen.
Die Wirt­schafts­för­de­rung muss im Prinzip zurück­ge­zahlt werden, die Kultur­för­de­rung eigent­lich nicht. Deswegen gibt es auch jetzt schon zwei Förder­töpfe: die Kultur­för­de­rung und die Wirt­schafts­för­de­rung. Aber beide vermi­schen sich bisher in der Praxis und laufen durch­ein­ander – man merkt es auch, wenn man dieses Papier durch­liest: Es wird wahn­sinnig viel mitein­ander vermischt, es ist voll­kommen unklar und chaotisch.
Viele Verbände, aller­dings eher die kleineren, die nicht in diesem Brief auftreten, fordern, dass diese beiden Felder ganz klar und eindeutig unter­scheidbar getrennt werden. Dass man also zwei Säulen der Förderung hat, eine Wirt­schafts­för­de­rung und eine Kultur­för­de­rung – denn bei der Wirt­schafts­för­de­rung geht es ja auch darum, dass sie eigent­lich so funk­tio­nieren müsste, wie ein Kredit bei der Bank. Im Augen­blick ist das nicht so: die aller­meiste Wirt­schafts­för­de­rung ist zwar in der Praxis tatsäch­lich vor allem Subven­tion und wird nicht zurück­ge­zahlt; sie ist also wie eine Kultur­för­de­rung, funk­tio­niert aber nach Kriterien der Wirt­schafts­för­de­rung. Das ist ein großes Problem.

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Eine Kern­for­de­rung des Papiers ist auch ein alter Hut der entspre­chenden Kreise. Sie lautet: »Es sollten weniger Filme in Deutsch­land gemacht werden.« Diese Forderung gibt es seit Jahren von manchen – nicht von allen.
Dies hat aber noch nie wirklich einge­leuchtet. Denn wieso soll der deutsche Film besser werden, weil es weniger deutsche Filme gibt? Da muss ja jeder Schuss erst recht sitzen. Wir fahren in allen möglichen Bereichen – und ich glaube sehr zu Recht – Diver­sität. Warum wollen wir auf einmal keine Diver­sität bei den Filmen?

Es hat wahr­schein­lich niemand etwas dagegen, dass es ein paar weniger schlechte deutsche Filme gibt. Vielmehr geht es darum: Wer entscheidet denn darüber, was ein guter und was ein schlechter Film ist? Und darüber, welche Filme es in Zukunft nicht mehr geben darf?
Wenn es nur um die Frage geht, womit Kino­be­treiber Geld verdienen können, dann handelt es sich ganz bestimmt nicht um Filme, die bei einem Festival wie Cannes oder Venedig irgend­welche Preise gewinnen. Also: man muss diffe­ren­zieren, man muss ausein­an­der­halten. Man kann nichts erreichen, wenn man an jeden Film die gleichen Kriterien anlegt.

Grünes Produ­zieren und gerechte Bezahlung sind beides Super­ziele – es ist aber nicht so, dass das die Filme besser macht. Es macht erst einmal die Filme teurer. Also brauchen dann die Leute noch mehr Geld.
Eine andere Forderung ist Nach­wuchs­för­de­rung, auch das ist wichtig. Gleich­zeitig geht es dem Nachwuchs noch relativ gut. Das Problem ist, wenn man mit Film­schaf­fenden redet, dass sie NACH dem ersten Film oder dem zweiten kein Land mehr sehen. Und viele, viele Leute, die auch an Film­hoch­schulen teuer ausge­bildet wurden, werden dann Taxi­fahrer oder haben irgend­einen anderen ehrbaren Beruf, aber sie sind keine Filme­ma­cher – weil sie einfach schon jetzt keine Arbeit mehr bekommen; weil zu wenig Geld da ist. Und jetzt fordern die großen Verbände noch weniger Filme, also noch weniger Arbeit für die entspre­chenden Nach­wuchs­fil­me­ma­cher.
Es ist also ganz klar, dass vor allem ein wirt­schaft­li­ches Eigen­in­ter­esse hinter dieser Redu­zie­rungs­for­de­rung steckt.

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Der Deutsch­land­funk berichtet auf Fazit übrigens gleich in mehrerer Hinsicht falsche Fakten: Nicht 2022, sondern ein Jahr später, 2023 hatte Claudia Roth eine Reform des Film­för­der­ge­setzes angekün­digt.
Auch stimmt es nicht, dass sich mit dem Brand­brief »erstmals« Verleiher, Produ­zenten und Film­theater zu einem gemein­samen Vorschlag zusam­men­getan hätten – dies geschieht ganz im Rahmen der »Initia­tive Zukunft Kino+Film« bereits seit vier Jahren regel­mäßig in verschie­denen Vorschlägen. Aller­dings sind es da nicht die großen kommer­zi­ellen Player, sondern die kleinen unab­hän­gigen Verbände, die dort verbunden sind. Zu groß offenbar für den großen Deutsch­land­funk.