12.10.2023
Cinema Moralia – Folge 306

Kulturelle Kanonenbootpolitik

Panzerkreuzer Potemkin
Zerstörte Kulturgüter, erschossene Frauen und Kinder im 1925 erschienen Film von Sergei Michailowitsch Eisenstein, seinem Kanonenboot, dem Panzerkreuzer Potemkin...
(Foto: Wikicommons)

Erste Nachrichten aus der neuen Steinzeit: Kürzungen, Werteverachtung, der Wind – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 306. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Trotzdem halte ich das deutsche Zögern in dieser Situation für falsch und gefähr­lich...« Dies und so vieles mehr schrieb Christoph Hoch­häusler nach Beginn des Ukraine-Kriegs, 24. April 2022 auf Facebook. Der Filme­ma­cher als Mili­tär­ex­perte, Poli­trat­geber, Moralist und Theo­re­tiker des Tyran­nen­mords.

Um so auffäl­liger das Schweigen zu Israel. Wo sind jetzt die Ukraine-Versteher von 2022, wo die Empörung über das geno­zi­dale Verhalten der Araber und Moslems gegenüber Juden? Wo ist der Unter­schied zwischen Butscha und Kfar Asa?

Ich möchte Stimmen aus der deutschen Filmszene zu Israel hören, keine wohlfeile Empörung, aber erkenn­bare, glaub­hafte Erschüt­te­rung und unzwei­deu­tige Soli­da­rität.

Bestimmt habe ich etwas übersehen.

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Hoch­häusler sorgt sich auch zwei Tage nach den Hamas-Attacken öffent­lich bislang nur um den Aufstieg der extremen Rechten in Deutsch­land.
Der ist schlimm. Aber was in Israel geschieht, ist schlimmer.

Hoch­häusler hat ganz recht, wenn er schreibt: »Welchen Weg man auch immer einschlägt: ich glaube, wir sind gefordert, uns einzu­mi­schen. Mit allem, was wir haben. Ich weiß nicht, ob es mir gegeben ist, einen Film zu machen, der politisch wirksam wird, aber – ich will es versuchen. Wer ist dabei?«

Wir müssen viel­leicht aber, bevor irgend­einer einen guten Film »für die Demo­kratie« und »gegen die neuen Nazis« macht, gegen den schwin­denden finan­zi­ellen und gesell­schaft­li­chen Spielraum für die Kultur kämpfen und agitieren – wie ich das hier oft versuche.

Noch wichtiger aber ist die deutliche Soli­da­rität mit Israel und ein Ende aller BDS-Flirts, wie sie in und um Berlin so beliebt sind.

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Letzte Woche schrieben wir hier über die nun bekannt­ge­wor­denen beschä­menden Kürzungs­pläne beim Goethe-Institut und im Kultur­etat des Auswär­tigen Amts. Heute (SZ 11.10.2023) legt nun die Süddeut­sche nach, und schreibt offen über »Baerbocks Verach­tung«: Die geplante Schließung von Goethe-Insti­tuten zeuge »von kata­stro­phaler Ignoranz«.

Das Goethe-Institut wirbt mit seiner Aufgabe der »Vers­tän­di­gung zwischen Deutsch­land, Europa und der Welt« und gehört »ganz sicher ... zu den besten poli­ti­schen Ideen, die die Bundes­re­pu­blik in ihrer gesamten Geschichte hatte.«

»Kräme­risch-klein­geistig« sei, so die SZ, der von Annalena Baerbock verant­wor­tete Beschluss, und nennt ihn »in einer Zeit, da in Europa und in der Welt aggres­sive, popu­lis­ti­sche Natio­na­lismen und Dikta­turen die frei­heit­li­chen Gesell­schaften im Kern bedrohen« einen »Wahnsinn«. »Denn was Außen­mi­nis­terin Annalena Baerbock mit Füßen tritt, ist nichts weniger als das europäi­sche Erbe und insbe­son­dere die deutsche-fran­zö­si­sche Freund­schaft, auf die sich nicht nur ihr auswär­tiges Haus, sondern unser demo­kra­ti­sches Deutsch­land gründet. Ein immenser Schaden der Kategorie 'histo­risch'. Der bedau­er­li­cher­weise ins große Bild passt: Die gegen­wär­tige Regie im Auswär­tigen Amt – wie überhaupt beinahe die gesamte deutsche Regierung – hat die deutsch-fran­zö­si­schen Bezie­hungen in so vielem so heftig demoliert wie noch keine zuvor.«

»Noch immer fehlt die konzep­tio­nelle Antwort der deutschen Politik auf Macrons große Sorbonne-Rede von 2017, in der der Präsident Frank­reichs eine weitere, diffe­ren­zierte Vertie­fung der Europäi­schen Union fordert – Frank­reich wartet seitdem. In genau dieser Perspek­tive sieht unser Nachbar nun die Entschei­dung der Schließungen – und ist entsetzt, verstört, enttäuscht. Diplo­ma­tisch ein Mega-Debakel, 'une décision prise de manière unila­térale' heißt es auf Seiten Frank­reichs in rituell höflicher fran­zö­si­scher Manier, sprich: eine brutal einsei­tige Entschei­dung. Deutsche Kano­nen­boot­po­litik 2023 auf höchster diplo­ma­ti­scher Ebene.«

Denn unsere Situation ist ernst, der Univer­sa­lismus der Moderne in Gefahr: »alles kann auch ganz schnell wieder kippen, auch in west­eu­ropäi­schen Ländern geschieht es längst.«

»Was daraus spricht, ist die Verach­tung für den Wert von Kultur – im weitesten Sinne wohl­ge­merkt ... es ist die Verach­tung für das, was ein ameri­ka­ni­scher Vertei­di­gungs­mi­nister einst als 'Altes Europa' bezeich­nete, ein musealer, über­kom­mener Kontinent, der keine Zukunft habe. Anschei­nend – und es ist unfass­lich, das sagen zu müssen – mitt­ler­weile auch in den Augen der deutschen Außen­mi­nis­terin und Bundes­re­gie­rung.
Das Europa, dem sie auf diese Weise kalt den Rücken zuwenden, ist das Europa, das unsere Freiheit vertei­digt wie für unseren Wohlstand sorgt. Deutsch­land sollte nicht an dem europäi­schen Haus zündeln, sondern es gemeinsam mit unseren Nachbarn weiter ausbauen, vor allem mit unseren fran­zö­si­schen Freunden.«

Und das im Zeichen einer angeblich werte­ge­lei­teten Außen­po­litik. Welche Werte denn? Meine nicht.

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Ebenfalls heute ergänzen die »Inter­na­tio­nale Kurz­film­tage Ober­hausen« die traurige Goethe-Nachricht und richten den Fokus auf die bisher von mir und allen anderen über­se­hene »Einstel­lung der Film­fes­ti­val­för­de­rung durch das Goethe-Institut«.
Es geht hierbei um Finanz­hilfen für Künstler aus »devi­sen­schwa­chen«, also armen Ländern, die zu Film­fes­ti­vals und Ähnlichem einge­laden werden.

Die als »Zukunfts­kon­zept«, »umfas­sende Trans­for­ma­tion« und »Fokus­sie­rung« verkaufte Kultur-Abwick­lung Baerbocks sieht die Been­di­gung der Film­fes­ti­val­för­de­rung vor. Sie war aus dem Verwal­tungs­be­reich des Auswär­tigen Amts an das Goethe-Institut über­tragen worden. Weitere Büro­kra­ti­sie­rung statt über­fäl­liger Etat­er­höhung war die Folge gewesen.
Nun wird die gesamte Film­fes­ti­val­för­de­rung ersatzlos gestri­chen.

Dies trifft nur das Kino, dessen spezielle Verach­tung durch grüne Kultur­po­litik hier ein weiteres Mal unter Beweis gestellt wird: »Inter­na­tio­nale Kultur­pro­gramme« für andere Kunst-Sparten, die weiterhin im Auswär­tigen Amt verblieben sind, sind davon nicht betroffen.

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Lars Henrik Gass, Leiter der Inter­na­tio­nalen Kurz­film­tage Ober­hausen, kommen­tiert diese fatale Entschei­dung: »Die Kurz­film­tage können folglich weitaus weniger Gästen aus 'devi­sen­schwa­chen' Ländern den Besuch in Deutsch­land ermög­li­chen.
Die inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals in Deutsch­land leisten einen wichtigen Beitrag zur Vers­tän­di­gung zwischen den Kulturen. Auswär­tiges Amt und Goethe-Institut opfern diesen inter­na­tio­nalen Kultur­aus­tausch geopo­li­ti­schen Inter­essen und der Finan­zie­rung von Mili­tär­hilfen. Mit dem Übergang der Film­fes­ti­val­för­de­rung an das Goethe-Institut war das Verspre­chen einer fachliche Stärkung und Weiter­ent­wick­lung verbunden, nicht die Aussicht auf eine Abwick­lung. Wir fordern daher die Wieder­ein­glie­de­rung der Film­fes­ti­val­för­de­rung in das Auswär­tige Amt unter den bislang bekannten Bedin­gungen.«

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Wo bleibt hier eigent­lich die Stimme der noch recht neuen »AG Film­fes­tival« [https://ag-film­fes­tival.de/]? Wäre eine klare, zeitnahe, soli­da­ri­sche Stel­lung­nahme der vereinten deutschen Festivals in dieser Frage nicht ihre Kern­auf­gabe?

Oder lähmt hier die falsche Sympathie für die Grünen die kultur­po­li­ti­sche Arbeit?

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Es gehört zu den Legenden der gegen­wär­tigen Medi­en­welt, dass sich kaum noch jemand für Kultur inter­es­siere, dass die Feuil­le­tons nicht gelesen würden, angeblich, weil sie als »elitär« wahr­ge­nommen werden, und so weiter...

Schon die schlichte Alltags­er­fah­rung widerlegt eine solche Auffas­sung. Als Bahn-Viel­fahrer habe ich Zutritt zur Bahn-Comfort-Lounge und dort zu den auslie­genden Zeitungen. In 50 Prozent der Fälle fehlt bei der auslie­genden Zeitung ein Teil. Der Wirt­schafts­teil ist immer da, die Politik auch; was fehlt, sind Sport und Kultur.

Die Behaup­tung von der Kultur­feind­lich­keit der Menschen ist eigent­lich nur eine Funk­ti­onärs-Auffas­sung kultur­feind­li­cher Entscheider.
Denn Kultur stört. Kultur ist zwar ein Stand­ort­faktor, wenn man am Abend mit der Ehefrau in die Oper gehen kann. Wenn man diese aber tagsüber mit der Prak­ti­kantin betrügt, dann möchte man ja als flotter Schnell-Entscheider dastehen, abgeklärt wirken und keine Stör­fak­toren zur Kenntnis nehmen müssen.

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Zu hören sind vom soge­nannten Kultur­staats­mi­nis­te­rium nur Nach­richten, die mit Kultur nichts zu tun haben: »einheit­li­cher CO2-Bilan­zie­rungs­stan­dard für Kultur­ein­rich­tungen samt zugehö­rigem CO2-Rechner«.

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Von Claudia Roth wird bleiben... der Wind, der durch ihre Ohren hindurch­weht. Und der Kultur­pass. Auf den ist sie schon jetzt sooo stolz, dass ihr selbst dann nichts anderes einfällt, als tausend tote Israelis zu beklagen sind.

(to be continued)