07.09.2023

Playa con cine

Las Chicas están bien
Zarte Dekonstruktion eines Sommermärchens: Itsaso Aranas Las Chicas están bien
(Foto: Bendita Films)

Auf Workation in Valencia: Die Filmoteca d’estiu fährt mit einem »Piazza Grande«-Programm auf, im Cines Babel dann eine Entdeckung – Europa Cinemas, Teil 2

Von Dunja Bialas

Valencia: das ist eine von jenen aufstre­benden Hipster-Städten in Südeuropa. Angeblich hat die Metropole mit knapp 800.000 Einwoh­nern (Tendenz: steigend) in der Beliebt­heit bereits das doppelt so große Barcelona (1,6 Mio. Einwohner, Tendenz: stagnie­rend) abgelöst. Mitten im ange­sagten Viertel Ruzafa (»muli­ti­kul­tu­rell, eklek­tisch, quirlig«) in einer kleinen Bar beim Vermouth sitzend (der in Valencia lokal herge­stellt wird) kann man Gesprächen zwischen Deutschen und Ameri­ka­nern zuhören. Die so gehen: »Also, wenn du dir überlegst, in Valencia zu kaufen, dann ist jetzt gerade noch die richtige Zeit!« Der eine, der Deutsche, hat es schon geschafft. Wie ein Einhei­mi­scher fühlt er sich, herzt die Frau mit ihrem Rollator, die vor dem Haus auf Beob­ach­tungs­posten sitzt und den Barbe­trei­bern ein Zeichen gibt, wenn neue Gäste kommen. Berlin, Prenz­lauer Berg, irgendwie. Nur medi­ter­raner, und auch (noch) einhei­mi­scher.

Playa con cine, Strand mit Kino, ist das Motto der Workation, zu der ich mich in die aufstre­bende Stadt zurück­ge­zogen habe. Ich bin auch nur so eine digitale Nomadin, merke ich. Bin dann doch nur wie der mir unan­ge­nehme Deutsche. Aber ist das nicht immer so, dass man nur dann etwas erkennt, wenn man es irgendwie auch kennt? Aber, Beru­hi­gung: Ich kaufe nichts. Außer Gazpacho.

Arbeiten geht heut­zu­tage wirklich von überall aus, auch wenn der Zeiger in meiner Work-Life-Balance jetzt zuge­ge­be­ner­maßen eher beun­ru­hi­gend in Richtung »Life« ausschlägt. Vormit­tags E-Mails checken, beant­worten und neue schreiben, dann an den Strand, solange die Sonne noch UV-50-tole­rierbar ist. Am Nach­mittag Siesta und Arbeits­strecke. Dann Aperitif mit obiger oder vergleich­barer Szene. Dann cena, also was essen. Das geht ja meistens erst ab zehn Uhr abends, die Spanier leben immer noch nachts. Zwar soll die Siesta in Spanien eigent­lich wegen der sich erge­benden über­langen Arbeits­tage abge­schafft werden, dieses Jahr aber hat sogar Karl Lauter­bach laut darüber nach­ge­dacht, ange­sichts des Klima­wan­dels auch in Deutsch­land eine »Hitzesiesta« einzu­führen.
Keine schlechte Idee. Sogar wenn es kalt ist.

Hitzesiesta, oder lieber: Hitzekino

Man kann bei Hitze (und Kälte) natürlich auch wunderbar ins Kino gehen. Die Filmoteca d’estiu der Cine­ma­thek von Valencia hat in den Gärten des Palau de la Música eine riesige Leinwand aufgebaut – für gigan­ti­sche Open-Air-Vorstel­lungen in den heißen Sommernächten. Beginn ist um 22:30, der Eintritt kostet 3,50 Euro. Gezeigt werden Hits und Klassiker, zum Beispiel Fernando León de Aranoas El buen patrón, der letztes Jahr drei Goyas bekam, oder Chema García Ibarras Crowd­p­leaser-Ufologen-Komödie Espíritu Sagrado. Es läuft auch Ruben Östlunds ätzende Welt-der-Reichen-Satire Triangle of Sadness und Wim Wenders Buena Vista Social Club, als Vorbe­rei­tung auf die Retro­spek­tive, die Mitte September in den Kinoräumen der Filmoteca beginnt.

La Filmoteca d’Estiu de Valencia
(Foto: La Filmoteca d’Estiu de Valencia)

Klar ist: Die Filmoteca d’estiu ähnelt mit dem Film­an­gebot mehr der Piazza Grande von Locarno als dem Sommer­kino im Film­mu­seum München, das mit einem Programm aus restau­rierten Stumm­film­ko­pien mit Live-Musik­be­glei­tung und frühen Tonfilmen Holly­woods für Hoch­kultur sorgte. Aber gehen die Valen­zianer, gehen die Spanier eigent­lich überhaupt noch ins Kino?

Gehen die Spanier noch ins Kino?

Die Frage kann viel­leicht A. beant­worten. A., ein Deutscher, der nach Valencia kam, lebt seit dreißig Jahren in der Stadt. Er mag es nicht, dass die Stadt jetzt von den Deutschen oder überhaupt von Touristen entdeckt wird. Früher war hier nichts los, sagt er, als wir zusammen durch die Gassen seines Barrio del Carmen, dem heute »bekann­testen aller Stadt­viertel Valencias«, gehen. Wir selbst sind ihm womöglich auch ein wenig suspekt, denn in Beglei­tung Deutscher ist er plötzlich auch ein Deutscher und fühlt sich womöglich entspre­chend zum Touristen degra­diert. Früher hat er das Film­fes­tival »Cine Jove« in Valencia mitor­ga­ni­siert, heute gehe er kaum noch ins Kino. Die Luft sei irgendwie raus, beim Kino.

In der Buch­hand­lung »Paris-Valencia« entdecke ich »El último sueño«, »Der letzte Traum«, von Pedro Almódovar. Erschienen im April dieses Jahres ist die »auto­bio­grafía frag­men­tada, incom­pleta y un poco críptica« (»frag­men­ta­ri­sche, unvoll­s­tän­dige und ein wenig kryp­ti­sche Auto­bio­grafie«) des spani­schen Star-Regis­seurs wieder einmal der Beweis dafür, dass das Kino in Spanien immer noch auf den einen Namen hinaus­läuft.

Das Kino von Babel

Es gibt aber auch Neuig­keiten. Weil die Stürme kommen und der Regen einsetzt – an die Sommer­fil­mo­thek ist nicht mehr zu denken, auch nicht an den Strand – können jetzt die ange­stammten Kinos in Valencia besucht werden. Eines davon ist »Cines Babel«, ein Kino der Europa Cinemas, das alle Filme im Original mit Unter­ti­teln zeigt. Der »Cine Club Babel« initiiert »charlas«, Gespräche mit Film­kri­ti­kern und -histo­ri­kern, jeden Abend gibt es außerdem eine Spät­vor­stel­lung für nur vier Euro Eintritt. Natürlich ist aber auch hier Barbie und Oppen­heimer zu sehen.

Cines Babel
(Foto: privat)

Uns geht’s gut mit: Arana, Trueba, Hong

Eine Entde­ckung mache ich dann in einem der fünf Säle des prosa­ischen Sieb­zi­ger­jah­re­kinos. Las chicas están bien, deutsch etwa: »Den Mädels geht es gut«, ist das Regie­debüt der Schau­spie­lerin Itsaso Arana, die einer Gruppe neuer spani­scher Film­schaf­fender angehört. Zuletzt sah man sie in Jonás Truebas You Have to Come and See It, was sich als Filmtitel natürlich hervor­ra­gend eignet. Tenéis que venir a verla ist Thir­ty­so­me­thing-Coming-of-Age, zwei befreun­dete Paare verorten sich neu. Die einen ziehen aufs Land und bekommen ein Kind, die anderen lesen und disku­tieren lieber Peter Sloter­dijks Essay »Du musst dein Leben ändern«. Praxis oder Theorie, wem geben wir den Vorzug? Die Dialoge erinnern an Hong Sang-soo, mit vergif­teten Kompli­menten und ausge­teilten Spitzen.

Itsaso Arana, die bei Jonás Trueba mitge­spielt hat, hat sich von seiner Idee, wie heute im Film erzählt werden könnte, anstecken lassen. Auch sie liebt das Vorläu­fige und Unfertige der Gedanken und Projekte, Perfek­tion inter­es­siert sie nicht, weder für ihre Figuren noch für ihren Film. Die »chicas« sind eine Gruppe junger Mädchen, die im Sommer für eine Woche ein Landhaus in Beschlag nehmen, um dort ein Thea­ter­s­tück einzu­stu­dieren. Von den Proben sieht man nur Fragmente, es ist ein Märchen, mit Prin­zes­sinnen und Tüll­klei­dern, ein ironisch verstan­dener Mädchen­traum, die zarte Dekon­struk­tion eines Sommer­mär­chens. Arana zeigt das Beisam­men­sein der Mädchen, ihre Entspannt­heit, ihre Tagträu­merei, bis sich ein Prinz zu ihnen gesellt. Am Ende wird nichts passiert sein, der Film gehorcht keiner Drama­turgie und sucht auch nicht nach einer Auflösung. Er ist ein Film ohne Ende, ohne Anfang, eine Moment­auf­nahme von einem möglichen Leben in der Liebe.

Dass die Valen­zianer solche offen gespon­nenen, zwischen­mensch­li­chen Erzäh­lungen mögen, sieht man auch daran, dass sich Hong Sang-soos Walk Up als »multi­verso coreano« (Sergi Sánchez in »Foto­gramas«) seit zwei Wochen (mit drei Vorstel­lungen täglich) im Kino hält, und überhaupt im regulären Programm zu sehen ist. Auf jeden Fall wirkt die narrative Noncha­lance von Hong, Trueba und Arana anste­ckend. Die Figuren fügen sich lose zusammen, ohne Notwen­dig­keit, ohne Ziel­stre­big­keit, ohne Plan.

Genau wie sich »playa con cine« dann einfach nur ergeben hat.