27.07.2023
Cinema Moralia – Puppen, Roboter, Filmkritiker

»Barbie« oder wie wir lernen sollen, den Kapitalismus zu lieben

Barbie
Es kann nur besser werden – wirklich?
(Foto: Warner Bros.)

Puppen, Roboter, Filmkritiker, und andere nette Menschen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 301. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die Seele aller Wesen ist ihr Duft.«
– aus: »Das Parfum«, 2006

»Die Ordnung der Dinge zerfällt, ohne die nettesten Menschen der Welt.«
– Dirk von Lowtzow, im Titelsong zu »Die nettesten Menschen der Welt«

»Zur Führungs­frage: Ich führe gern. Aber eben auf Augenhöhe.«
– Kay, kapi­ta­lis­ti­scher Roboter der Gene­ra­tion Z

»Es kann nur besser werden«, schrieb mir eine Leserin, Regis­seurin, auf meinen Text letzte Woche und bedankt sich dafür, dass wenigs­tens auf artechock keine Lobes­hymne zu Barbie erschien, sondern eine Gegen­stimme zu »den hunderten Stimmen, die diesen Film verherr­li­chen«.

Es kann nur besser werden – wirklich? Ich bin mir da leider nicht so sicher. Denn Barbie beweist vor allem, wohin eine Kombi­na­tion aus Marke­ting­druck und falscher Gnade, falschem Wohl­wollen führt.

+ + +

Schauen wir uns die Film­kri­tiken in Deutsch­land und der Welt einmal an. In Deutsch­land ist zwar bei manchen Autoren und Auto­rinnen ein gewisses Unbehagen spürbar.

Im Spiegel sieht »Barbie­land ... großartig aus, und Ryan Gosling ist als Ken ein herr­li­cher Sixpack-Dämlack«. Das reicht nicht, das wird schon deutlich gesagt.
Aber die Onliner wollten vermut­lich etwas Gutge­launtes. Also lese ich dort »aufwen­dige Tanz- und Gesangs­ein­lagen, grandiose Kulissen und tolle Kostüme, gelungene visuelle Gags und lustige Dialoge, einen blendend aufge­legten Ryan Gosling und eine wie immer rasend komische Kate McKinnon. Hinzu kommen feine Stiche­leien gegen den Karrie­re­fe­mi­nismus, der Frauen ins ewige Hams­terrad von Ambition und Aner­ken­nung schickt, und gut gesetzte Hiebe gegen die Incel-Kultur , die Männern die Erlaubnis zum Herum­op­fern und Frau­en­her­ab­setzen erteilt.«

Ist das denn wirklich so?

Die Kriti­kerin will dem Film auch nichts »an Reiz nehmen«, deshalb wird manches nicht verraten. Wohin hat sich Film­kritik eigent­lich entwi­ckelt? Kann man sich vorstellen, ein Wolfram Schütte, oder eine Pauline Kael hätten so argu­men­tiert?

+ + +

Die Berliner Zeitung ist hinge­rissen: »Was entsteht, ist eine überaus kurz­wei­lige, herrlich alberne Gesell­schafts­kritik – die auch vor dem Medium Film und dem sexis­ti­schen Geschäft Holly­woods nicht haltmacht.« In der FAZ Dietmar Dath kaum weniger: »In einer Wüste, in der bestimmte Nähr­stoffe anders nicht zu finden sind (solche über die Beschaf­fen­heit weib­li­cher Kinder­träume etwa), trinkt man auch mal frag­wür­diges Pfüt­zen­wasser in Pink.
... in den besten Momenten ist Margot Robbie schlauer als alle Absichten, die sie und Gerwig je in Worten formu­lieren könnten, und überlässt sich einer über die Idee ›Mario­nette‹ weit hinaus­wei­senden, weder robo­ti­schen noch virtu­ellen Leib­lich­keit, um mit winzigen mimischen Ereig­nissen jeder kommer­zi­ellen wie ästhe­ti­schen Berech­nung zu entschlüpfen. Da wird sie zur Unfass­barbie.«

Die TAZ ist unent­schieden, meint aber auf der Ziel­ge­raden, man könne argu­men­tieren, ein Sommer­block­buster »mit einer solchen Strahl­kraft«, sei »besser als gar kein Femi­nismus«; in der SZ findet eine Aurelie von Blaze­kovic folgenden Ausweg aus dem eigenen Unbehagen: »Und doch steht man immer wieder wie im Spiel­zeug­ge­schäft vor diesem Film. Es gibt so viel zu sehen, besonders für Nost­al­giker ... Greta Gerwig erzählt ihre Barbie und den Kampf um ihre Bedeutung am Ende aber auch als Geschichte von Müttern und Töchtern. Ein beson­deres Gespür für diese Bezie­hungen bewies sie schon in Lady Bird, auch in Little Women. Nur wird das mit den Müttern und Töchtern, wenn es eigent­lich um eine Puppe geht, auch mal etwas kitschig. Doch wollte man der Barbie in diesen Zeiten ernsthaft Kitsch vorwerfen?«

+ + +

In jeder zweiten Film­kritik liest man dann doch das Gewäsch vom »femi­nis­ti­schen Film«, von der »femi­nis­ti­schen Regis­seurin«, die Greta Gerwig angeblich ist, und wenn man das als Mann schreibt, setzt man sich natürlich sofort dem Verdacht aus, man hätte irgendwas gegen Femi­nismus. Also muss ich hier eine Kron­zeugin benennen, die nicht nur eine Frau ist, sondern auch noch über alle Zweifel erhaben, nämlich Johanna Adorjan, die hat in der Süddeut­schen einen ziemlich schönen, klugen, und lustigen Essay geschrieben hat: »Der Block­buster Barbie ist ein femi­nis­ti­scher Film? Das ist zum Totlachen. Zum Sieg des Kapi­ta­lismus über die gerechte Sache«.

Dies ist der einzige Text, der klarmacht: Lasst den ganzen Unsinn. Es geht nur um das Marketing von Mattel.

»Was ist noch mal Femi­nismus? ... Ist es Femi­nismus, für einen 'Barbie'-Spielfilm eine Regis­seurin zu enga­gieren, die als Letztes eine gigan­tisch unfe­mi­nis­ti­sche Histo­ri­en­schmon­zette über einen Haufen Schwes­tern gedreht hat, die sich dauernd weinend in die Arme fallen und über Männer reden (Little Women)? Immerhin, eine Frau.«

»Spoiler, stand aber eh schon überall: Der Film Barbie endet damit, dass Barbie in die Welt der echten Menschen zieht und, das ist der Schlussgag, einen Termin bei ihrem Frau­en­arzt (oder ihrer Frau­enärztin) hat. Bedeutet: Sie hat nun ein Geschlechts­organ, eine (bitte ameri­ka­nisch auszu­spre­chen) Vagina.«

»Fertig. Eine zuvor sexlose Puppe ist zur fleisch­li­chen Frau geworden. Das bedeutet: Sie kann Geschlechts­ver­kehr haben, was wiederum die Möglich­keit zur Fort­pflan­zung aufschim­mern lässt. ... Was wiederum bedeutet: Mattel sollte sich eigent­lich, wenn es die Moral seines eigenen Spiel­films ernst nehmen würde, vom Plas­tik­pup­pen­markt zurück­ziehen. ...«

»Greta Gerwig erzählt von Barbie als Geschichte einer Indi­vi­dua­tion und biegt die Haupt­figur über deren handelsüb­li­chen Spagat hinaus zu einer Figur, die Tragweite sugge­riert. Sinn ergibt das alles hinten und vorne nicht. Doch erwach­sene Menschen, ausge­hun­gert nach Kino­filmen ohne Super­helden, wenigs­tens das, strömen ins Kino, und bescheren dem ohnehin hoch­ge­stimmten Spät­ka­pi­ta­lismus einen weiteren Riesen­la­cher. Was hatte man uns traurigen Konsu­menten noch mal verspro­chen, Barbie sei ein sati­ri­scher Blick auf Konsum­ver­halten, Femi­nismus und toxische Masku­li­nität?
Herz­li­chen Glück­wunsch an die Marke­ting­ab­tei­lung von Mattel, besser hätte das alles wirklich nicht laufen können.«

+ + +

Warum schreiben eigent­lich Film­kri­ti­ke­rinnen keine solchen Texte?

+ + +

Halt! In Deutsch­land. In den USA gibt es da noch Stephanie Zacharek, die sowieso oft die letzte Rettung in der Wüste der Film­kritik reprä­sen­tiert.

Während die Amis insgesamt etwas mehr der eigenen Lange­weile einge­stehen, sie müssen schließ­lich nicht gegen den Vorwurf deutscher Humor­lo­sig­keit ankämpfen, schreibt sie im Time-Magazine: »Barbie Is Very Pretty But Not Very Deep«.

Dort heißt es dann unter anderem: »Barbie never lets us forget how clever it’s being, every exhaus­ting minute. ... The question we're supposed to ask, as our jaws hang open, is 'How did the Mattel pooh-bahs let these jokes through?' But those real-life execs, counting their doubloons in advance, know that showing what good sports they are will help rather than hinder them. They're on team Barbie, after all! And they already have a long list of toy-and-movie tie-ins on the drawing board.
Meanwhile, we›re left with Barbie the movie, a mosaic of many shiny bits of clever­ness with not that much to say. In the pre-release inter­views they've given, Gerwig and Robbie have insisted their movie is smart about Barbie and what she means to women, even as Mattel execu­tives have said they don‹t see the film as being parti­cu­larly feminist. And all parties have insisted that Barbie is for everyone.«

+ + +

Kurzer Hinweis auf Alexander Adolphs hier beim Filmfest bespro­chenen Film »Die nettesten Menschen der Welt«. Alle sechs Folgen stehen nun in der ARD-Mediathek.

In den aller­besten Momenten der Serie kann man sogar an David Lynch und dessen Mutter aller modernen Serien »Twin Peaks« denken.

Meine Lieb­lings­folge ist die zweite: »Junior«. Ich kenne keinen zweiten Film aus Deutsch­land, weder im Kino noch in anderen Medien, in dem ich bisher ähnlich genau die Rheto­riken der verschie­denen Gene­ra­tionen darge­stellt und mitein­ander konfron­tiert gefunden habe.

Das neueste Buzzword, das allmäh­lich durch seinen Gebrauch zum persön­li­chen Hasswort wird: Augenhöhe. Alle wollen Augenhöhe, alle wollen »beachtet«, »gehört«, »gesehen«, wahr­schein­lich auch gerochen werden, aber ja achtsam, wert­schät­zend, immer im vollen Dauer­aus­tausch und auf Augenhöhe.

Gerade im deutschen Film kann man das auf allen Ebenen beob­achten. Und die Arbeit tun die anderen.

+ + +

Das ist aber jetzt sehr allgemein, nicht wahr? Leider keine Zeit zum wert­schät­zenden Diffe­ren­zieren. Aber hier noch ein kurzes Feedback: »Sie müssen nicht immer alles tun, was man ihnen sagt. Nur das Richtige. Das Richtige ist aber nicht immer das, was Kreti und Pleti dafür halten. Verstehen Sie?«
(aus: Die nettesten...)

»Die nettesten Menschen der Welt«. Alle sechs Folgen in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli ab 0.05 Uhr. Danach in der ARD-Mediathek.