07.07.2016

»Ich wusste, was ich damals getan habe.«

Michael Cimino Heaven's Gate
Jeff Bridges, Isabelle Huppert und Kris Kristofferson in Heaven’s Gate

Er war sowohl Erneuerer als auch Totengräber des New Hollywood und schuf zwei Meisterwerke, die bis heute kontrovers diskutiert werden - The Deer Hunter und Heaven’s Gate. Jetzt ist Michael Cimino im Alter von 77 Jahren gestorben.

Von Axel Timo Purr

»I think Heaven’s Gate was used by powers to be, to stop a way of filmma­king where the author was the director and was in control of the money.«
–Kris Kristof­ferson, in Final Cut: The Making and Unmaking of Heaven’s Gate

»I love the movie, I really love the movie. I can watch that movie and I can’t really see any fault in this movie.«
–Vilmos Zsigmond, in Final Cut: The Making and Unmaking of Heaven’s Gate

Kris­tall­klar sehe ich noch heute, wie mein Freund Christoph und ich an einem Spät­som­mer­abend des Jahres 1981 die Hoch­haus­licht­spiele in Hannover verlassen haben und nichts mehr so war, wie wir es bis dahin gekannt hatten. Das Kino New Holly­woods hatte uns immer wieder erschüt­tert und begeis­tert, es war die fast ideale Ergänzung zum stillen, aber auf andere Art und Weise ebenso inten­siven Neuen Deutschen Film. Doch was Michael Cimino mit Heaven’s Gate schuf, war jenseits von allem, was wir bis dahin gesehen hatten; es vereinte alles, was wir kannten (und liebten) und viel, von dem wir nur gehört hatten und auch etwas, was noch kommen sollte. Denn Heaven’s Gate mit seinem fast tota­litären Anspruch auf Authen­ti­zität und einer epischen Erzähl­weise, die noch Visconti in den Schatten stellte und einer gesell­schafts­po­li­ti­schen Kritik, die die eigene Heimat an ihren Wurzeln packte und hinter­fragte, sieht sich heute – auch thema­tisch – wie ein Vorläufer der großen ameri­ka­ni­schen Serien unserer Gegenwart, eine Art Breaking Bad im Urzustand.

War Heaven’s Gate für uns ein Neuanfang – nicht nur filmisch, denn wir verliebten uns immerhin auch in Isabelle Huppert und Chris­to­pher Walken – wurde er für Michael Cimino zu einem persön­li­chen »Watergate« und für das kreative, dem Regisseur bis dahin immer mehr Macht zuge­ste­hende Kino des New Hollywood der symbo­li­sche Grabstein und glei­cher­maßen die Geburts­stunde des studio­ge­lenkten Block­buster-Kinos Holly­woods.

Dabei fing alles viel­ver­spre­chend an. Cimino erar­bei­tete sich in den 1960ern einen exzel­lenten Ruf als Regisseur von unkon­ven­tio­nellen Werbe­filmen, ließ diesen Lebens­ab­schnitt jedoch 1971 hinter sich und erar­bei­tete sich in Los Angeles eine neue Basis als Dreh­buch­autor, mit einer ersten Erwähnung für Silent Running (1972). Über ein Drehbuch für die »Dirty Harry«-Fort­set­zung Magnum Force (1973) lernte er Clint Eastwood kennen, der Cimino in dessen Debütfilm  Thun­der­bolt and Lightfoot (1974) unter­s­tützte. Der Erfolg des extra­va­ganten Buddy- und Road­mo­vies mit Clint Eastwood und Jeff Bridges in den Haupt­rollen öffnete Cimino die Türen der Produ­zenten. Nach etlichen Absagen für Projekte, die ihm nicht am Herz lagen, entschied sich Cimino schließ­lich für die Reali­sie­rung eines Projektes, das den Vietnam-Krieg an der Heimat­front thema­ti­sieren sollte und in dem sich erstmals Ciminos markante filmische Vision etablieren sollte.

Denn der wie ein Tripty­chon angelegte The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) mit seinen exzel­lenten Haupt­dar­stel­lern – Robert De Niro, Chris­to­pher Walken, John Savage, John Cazale, Meryl Streep und George Dzundza – brach gleich mit mehreren Konven­tionen. Ein Kriegs­film, der nur zu einem Bruchteil im Krieg spielt und mit einer Wut im Bauch, die nicht einmal vor der eigenen Heimat Halt macht und in eine Schluss­se­quenz mündete, die das damalige Team der Produ­zenten verzwei­feln ließ, aber bei den ersten Test­scree­nings das Publikum über­ra­schend begeis­terte – und erschüt­terte. Doch Ciminos radikaler Mix aus Poesie und Gewalt, der nicht davor halt machte, die Geschichte des Viet­nam­kriegs für seine Zwecke umzu­schreiben, stieß auch auf heftige Kritik. Eine Kritik, die die Berlinale 1979 fast zum Abbruch brachte, weil der Chef der sowje­ti­schen Dele­ga­tion alle Filme zurückzog, um gegen eine der Kern­szenen des Deer Hunter zu protes­tieren, die eine Folter­me­thode des Vietcong in einer atem­be­rau­benden, vertrackt symbo­li­schen Szene zeigte, die es histo­risch so nie gab: das erzwun­gene Russisch-Roulette von gefan­genen Ameri­ka­nern. Aber The Deer Hunter riskierte noch mehr und war damit glei­cher­maßen Blaupause für Heaven’s Gate – denn auch hier über­schritt Cimino bereits Grenzen, die das Budget fast sprengten, in Heaven’s Gate dann aber für einen Skandal sorgten: Im Drehbuch mit 21 Minuten vermerkt, erweitert Cimino die legendäre Hoch­zeits­szene im Deer Hunter während des Drehs scheinbar spontan auf 51 Minuten, schafft aller­dings erst damit auch die erzäh­le­ri­sche Grundlage, die den Verlust der Heimat und des ameri­ka­ni­schen Traums tatsäch­lich und unvor­stellbar nach­haltig fühlbar macht.

Die Oscars für den Deer Hunter schienen Cimino Recht zu geben und standen Pate für sein nächstes Projekt, das Amerika im Herz angreifen sollte, am unum­s­töß­li­chen Frei­heits­pa­ra­digma der eigenen Geschichte nagen sollte und heute aktueller denn je ist. Cimino erzählt – auch hier histo­risch »frei« agierend – gleich mehrere Geschichten des Schei­terns: vor der Kulisse des histo­ri­schen 1890 verbürgten »Johnson County Wars«, in dem ameri­ka­ni­sche Groß­farmer osteu­ropäi­sche Einwan­derer mit Gewalt daran hindern wollten, sesshaft zu werden, konzen­triert sich Cimino nicht nur auf die Lüge des »Ameri­ka­ni­schen Traums«, sondern auch auf den Verlust der eigenen Ideale und die Korrum­pier­bar­keit fast jedes Menschen. Und auf eine Liebes­ge­schichte mit Krist Kristof­ferson, Chris­to­pher Walken und der jungen Isabelle Huppert, die genauso verdampft wie die Ideale der Prot­ago­nisten. Aber was im Deer Hunter noch vergleichs­weise im Rahmen blieb, wird in Heaven’s Gate fulminant gesprengt: seine Liebe für opulente Tanz­szenen wie die des Harvard-Abschluss­balls oder Ellas Walzer, die Akribie fürs Detail, Ciminos perfek­tio­nis­ti­sches Ringen um »seine« histo­ri­sche Wirk­lich­keit – sei es das Licht oder die histo­ri­schen Kulissen an Origi­nal­schau­plätzen – verdop­pelten nicht nur die Kosten von den verein­barten 20 auf 40 Millionen Dollar, sondern blähten auch die nach acht Monaten Schnitt an United Artist über­ge­bene Ur-Fassung auf fünf Stunden und fünf­und­zwanzig Minuten auf. Die Produ­zenten waren fassungslos. Als die erzwun­gene »Kurz«-fassung von drei Stunden und vierzig Minuten ausnahmslos vernich­tende Kritiken erhielt – nur die europäi­sche Kritik sah den Film anders – wurde abermals gekürzt und schließ­lich Szenen, die die eigent­liche Stärke des Films ausmachen, geopfert, darunter der unver­gleich­lich­liche Tanz auf Roll­schuhen, der nicht nur an die Hochzeit im Deer Hunter erinnert, sondern auch in Heaven’s Gate die Kraft und die Schönheit einer poeti­schen Schlüs­sel­szene besitzt. Michael Eppstein hat 2004 in Final Cut: The Making and Unmaking of »Heaven’s Gate« die wahn­wit­zige und faszi­nie­rende Entste­hungs­ge­schichte und das Ringen um Heaven’s Gate und die außer­or­dent­li­chen Auswir­kungen auf die damalige Film­in­dus­trie trans­pa­rent gemacht; in Ciminos Augen bis heute ein Rennen gegen Wind­mühlen, das sein Schaffen nach­haltig beein­flusste.

Erst 1985 erhält Cimino erstmals wieder die Chance einen neuen Film zu machen, aber weder Year of the Dragon (1985) mit Mickey Rourke noch The Sicilian (1987) mit Chris­to­pher Lambert über­zeugten Kritiker und Produ­zenten. Und auch Desperate Hours (1990) und Ciminos letzter Spielfilm The Sunchaser (1996) verschwinden schnell in der Versen­kung, beinhalten nur noch in Ansätzen etwas von dem radikalen Atem, den der Deer Hunter und Heaven’s Gate verströmten. Aber auch in diesen letzten Produk­tionen scheint zumindest eins Bestand zu haben, ähneln sich die Beob­ach­tungen von Produ­zenten und Kollegen über die beiden Extreme von Ciminos Persön­lich­keit am Set – das des genialen Künstlers und das des infan­tilen Egomanen.

Seitdem wurde es still um Cimino. Er veröf­fent­lichte einen Roman; aller­dings auf Fran­zö­sisch, um damit der von ihm verhassten ameri­ka­ni­schen Kriti­ker­schaft aus dem Weg zu gehen. Und er unterzog sich zahl­rei­chen Schön­heits­ope­ra­tionen, so das die jüngsten Aufnahmen, die es von ihm gibt, eher an Michael Jackson erinnern als an den kleinen, linki­schen, etwas pumme­ligen Cimino, der 1979 die Oscars für die beste Regie und den besten Film entge­gen­nahm.

Erst sehr spät hat Cimino Genug­tuung bezüglich seines wahr­schein­lich größten Traumas erhalten, als Heaven’s Gate in der 1980er-Fassung (216 Minuten) über dreißig Jahre später, 2012, in der »Halle Tony Garnier« in Lyon wieder­auf­ge­führt wurde. Und Cimino hat es, wie er in einem Interview mit dem »Hollywood Reporter« 2015 gestand, genießen können: »Ich bin völlig hin und weg. Ich habe Heaven’s Gate mit Freude gerade mehrmals wieder­ge­sehen. Und es gab jedes Mal ein über­wäl­ti­gendes Feedback. In Venedig bei den Film­fest­spielen eine halbe Stunde lang stehende Ovationen, beim New Yorker Filmfest das gleiche. Beim Lumiere Festival in Frank­reich im meines Wissen größten Kino der Welt kamen 6.000 Leute zusammen, um den Film zu sehen und ihn danach mit stehenden Ovationen zu feiern. Nein, ich muss mich wirklich für nichts recht­fer­tigen. Ich wusste, was ich damals getan habe.«