06.08.2015

Bon baisers à bientôt

Scopitone
Don’t miss it: Die 3. Late Night Film Lecture der Filmkunstwochen widmet sich den Vorläufern der Musikvideos

Die 63. Filmkunstwochen verabschieden sich mit einer vierten kraftvollen Woche ins nächste Jahr

Von Dunja Bialas

Die 63. Film­kunst­wo­chen verab­schieden sich mit einer vierten kraft­vollen Woche ins nächste Jahr

Kino­be­treiber fürchten nichts so sehr wie einen schlechten Film­jahr­gang und einen schönen Sommer. Dann bricht das ohnehin unkal­ku­lier­bare Geschäft ein. Vor etlichen Jahren war es noch so, dass man als Kino­be­treiber in den Sommer­mo­naten am liebsten gleich ganz zugemacht hätte: Laue Luft traf auf maue Filme. Eine denkbar schlechte Kombi­na­tion.

Filmkunst tut not

In den goldenen Kino­jahren der 50er, als die wenigsten Privat­haus­halte über Fernseher verfügten und die Kinos wahre Paläste mit 700 Sitz­plätzen und mehr waren – war dies auch schon so. Fritz Falter, der in München sein »Studio für Filmkunst« betrieb und der im Meilen­stein-Buch über die jüngere Münchner Kino­ge­schichte »Neue Paradiese für Kinosüch­tige« »der eigent­liche Pionier der anspruchs­vollen Filmkunst in München« genannt wird, hatte deshalb die Idee, im Sommer einfach noch mal zu zeigen, was an schönen Filmen übers Jahr über die Leinwand gelaufen war. Er erfand 1953 die Film­kunst­wo­chen München, in denen sich Kino­be­treiber der Stadt zusam­men­taten und ein Programm aus Reper­toire­filmen und bis dato unge­se­henen Werken zeigten.

Bis vor wenigen Jahren orga­ni­sierten dieses in Deutsch­land einzig­ar­tige und für das Selbst­be­wusst­sein der Münchner Kinoszene so viel­sa­gende Sommer­fes­tival die Kino­be­treiber in eigener Regie. Louis Anschütz, der das Studio Isabella 1980 als eines der Filmkunst-Studios von Fritz Falter über­nommen hatte, war selbst einmal der Orga­ni­sator der Film­kunst­wo­chen und zeigte bei ihnen zur Sommer­zeit 400 verschie­denen Filme. Ein Wahnsinn.

Die schon 63. Film­kunst­wo­chen

Der bis heute anhält. In seinem 63. Jahr zeigen die Film­kunst­wo­chen jeden Abend einen anderen spani­schen Film im Original, selbst­ver­s­tänd­lich im Studio Isabella und ausge­wählt von Louis Anschütz. Andere Programme sind ähnlich über­bor­dend-kennt­nis­reich. Denn auch wenn die Film­kunst­wo­chen mitt­ler­weile von Nicht-Kino­be­trei­bern orga­ni­siert werden (bis vor zwei Jahren machten dies Michi Linninger und Roxana Panetta, seit letztem Jahr wurde mir die leitende Orga­ni­sa­tion über­tragen), das Prinzip wurde beibe­halten: Die Kino­be­treiber sorgen selbst für ihr viel­fäl­tiges und ausge­fal­lenes Sommer­pro­gramm, das bei so manch einem durchaus auch als Visi­ten­karte gelten darf.

Vom tradi­tio­nellen Reper­toire-Programm, das einfach die besten oder liebsten Filme des vergan­genen Jahres zeigte, ist man in den letzten beiden Jahren etwas abgerückt. Im Zeitalter von DVD, Video on Demand und anderen Quellen, über die man Filme sehen kann, hat sich diese Art von Bereit­hal­tung aktueller, jedoch bereits abge­spielter Filme erübrigt. Die Kino­aus­wer­tung von Filmen ist heute nur noch ein kurzer Wimpern­schlag. Das Programm der 63. Film­kunst­wo­chen geht die verän­derten Verhält­nisse aufrecht an und hat sich in diesem Jahr mehr denn je zu einem regel­rechten Festi­val­pro­gramm aufge­schwungen: Louis Anschütz zeigt in seinem Studio Isabella den Länder­schwer­punkt (Spanien), Thomas Kuchen­reu­ther hält im ABC Kino die Retro­spek­tive bereit (Joel & Ethan Coen), Gästen begegnet man im Rio Film­pa­last bei Elisabeth Kuonen-Reich, Christian Pfeil und Markus Eisele sorgen für Film­klas­siker im Arena-Kino, Marlies Kirchner zeigt Matineen im Theatiner, das Rottmann einen Themen­schwer­punkt (Kunst) und das City/Atelier an der »Feier­ba­nane« Sonnen­straße macht Events und Specials. Und das Filmeck Gräfel­fing, das mit Werner Scholz auch schon seit Urzeiten bei den Film­kunst­wo­chen mitspielt, zeigt vor den Toren der Stadt Filmkunst.

Im Westen was Neues

Auch wenn der »Speck­gürtel«, wie die Umgebung von München so gerne genannt wird, aus der inner­s­täd­ti­schen Perspek­tive gerne mal aus dem Blickfeld gerät, sei gesagt: da braut sich was zusammen. Am 23. Juli erreichte uns die Pres­se­mit­tei­lung mit dem Betreff: »Germering im Kino­fieber – das Cineplex Kino in Germering startet am 23.7. seinen Probe­be­trieb.« Einen Katzen­sprung von Gräfel­fing entfernt werden bald 800 Sitz­plätze vor sieben Lein­wänden für Popcorn-Kino sorgen. Wenn man bedenkt, dass auch in Pasing ein Cineplex mit über 1800 Sitz­plätzen und zwölf Sälen geplant ist, dann wird von allen zuerst das Filmeck Gräfel­fing und das Rex-Kino in Laim von der neuen Multiplex-Welle unter­spült werden. Mit tsuna­miähn­li­chen Auswir­kungen bis in die Münchner Innen­stadt hinein; es ist zu erwarten, dass die Welle der Vorstadt das Mathäser am ärgsten treffen wird.

Filmtipps für den Endspurt

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Leicht beschürzt mit einem Lied auf den Lippen: typisch Scopi­tones

Noch ist es aber nicht soweit. Auch wenn das Filmeck Gräfel­fing in der letzten Woche nicht mehr dabei ist, haben doch in den vergan­genen Wochen die Film­kunst­wo­chen auch vor den Toren der Stadt noch das Bewusst­sein für hand­ge­machte Programme und ausge­wählte Filme geschärft. In der Stadt gehen die Film­kunst­wo­chen indes in die letzte Runde. Abschließend seien noch ein paar Filmtipps für den Endspurt vorge­stellt.

Late Night Film Lecture: Scopi­tones

Gleich heute gibt es einen Höhepunkt der Film­kunst­wo­chen zu erleben: die 3. Late Night Film Lecture mit der Präsen­ta­tion von Scopi­tones. Bernd Brehmer, einer der Mitbe­treiber des Werk­statt­kinos, ist auch Film­sammler und hat in den letzten Jahren eine ansehn­liche Sammlung aus 60er-Jahre-Streifen zusam­men­ge­tragen, die als Vorläufer der Musik­vi­deos gelten dürfen. »Scopi­tones«, wie sie heißen, wurden von Jukebox-ähnlichen Appa­ra­turen gespielt, die auf öffent­li­chen Plätzen zu finden waren. Off the record waren sie bislang nur als Einstieg in eine lange Nacht im Werk­statt­kino zu sehen, heute zeigt Bernd Brehmer sie zum ersten Mal öffent­lich in München (Do. 06.08., 22:30 Uhr, Atelier1). Das Motto: leicht beschürzt singt es sich befreiter oder: »Bon baiser à bientôt«, wie eines der entzü­ckendsten Lieder heißt.

Matinee: TANGER

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Paul Bowles im Grand­hotel Absturz: Tanger (Foto: Peter Goedel)

Die Film­kunst­wo­chen als einstige Bastion des Reper­toires zeigt heute zunehmend ausge­fal­lene Filme und Programme. Dazu gehört auch Tanger – Die Legende einer Stadt von Peter Goedel, den er 1998 reali­sierte. In ihm wendet er sich der mythi­schen Stadt von Paul Bowles, Tennessee Williams, Allen Ginsberg und William S. Borroughs zu, dem »Grand­hotel Abstieg«. Der Film enthält eines der letzten Inter­views mit Paul Bowles, Armin Müller-Stahl spielt einen erra­ti­schen Geheim­agenten (So. 09.08., 11:00 Uhr, Theatiner, OmU, 35mm!).

Previews: Filmkunst von morgen

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Werner Herzog in der Wüste: Queen of the Desert

Previews haben dieses Jahr einen großen Programm­punkt einge­nommen. Jetzt, noch vor dem Urlaub und bevor die stressige Herbst­zeit mit Schul­be­ginn und Arbeits­koller beginnt, können bei den Film­kunst­wo­chen noch ein paar Filme der nächsten Saison zwischen Isarbad und Bier­garten genossen werden. In der letzen Woche sind das 45 Years mit Charlotte Rampling (Do. 06.08., 21:15 Uhr, City/Atelier, OmU), Das Märchen der Märchen von Matteo Garrone, Eröff­nungs­film von Cannes (Sa. 08.08., 19:30 Uhr, ABC, DF), Train­w­reck – The Dating Queen mit Sitcom-Star Amy Schumer. »Train­w­reck« kann man übrigens ungefähr para­phra­sieren als »total fucking desaster« (Di. 11.08., 21:45 Uhr, ABC, DF). Queen of Desert, das umstrit­tene Nicole-Kidman-Wüsten­pro­jekt von Werner Herzog, ist am Mi. 12.08. um 19:30 und 22:15 Uhr im ABC sehen. Mit dem chile­ni­schen El Club von NO!-Regissuer Pablo Larraín (Di. 11.08., 21:15 Uhr, Atelier/City, OmU, No! läuft am Fr. 07.08. um 18:00 Uhr im Studio Isabella, OmU) und dem costa-rica­ni­schen Por las plumas, einer Komödie mit einem Kampfhahn, der zum Schoßhünd­chen mutiert (Mi. 12.08., 18:30 und 22:30 Uhr, Studio Isabella, OmU). So kann man »Los Filmkunst Wochos« dann stil­ge­recht ausklingen lassen.

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63. Film­kunst­wo­chen München, gefördert durch das Kultur­re­ferat der Landes­haupt­stadt München. Noch bis 12. August 2015 in den Kinos ABC, Arena, Atelier / City, Neues Rottmann, Rio Film­pa­last, Studio Isabella, Theatiner.
Das ganze Programm: www.film­kunst­wo­chen-muenchen.de
Literatur: »Neue Paradiese für Kinosüch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro