19.12.2013

Im Treibhaus Bonn

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Christian Droemer als
SPD-Abgeordneter Felix Keetenheuve

Vor sechzig Jahren erschien »Das Treibhaus« von Wolfgang Koeppen, den viele als Schlüsselroman für die Bonner Republik lasen. Das Filmmuseum München erinnert mit Filmen und Diskussion an den Roman eines großen Schriftstellers

Von Dunja Bialas

Politik liegt in der Luft: Willy Brandt hat soeben seinen 100. Geburtstag gefeiert, die Große Koalition wurde besiegelt. Fragen kommen auf: Wieso freut sich Sigmar Gabriel so? Warum lächelt Merkel? Was macht die Oppo­si­tion? Ist Politik wieder aufregend?

Vor sechzig Jahren war alles noch anders. Da fragte man nicht nach solchen Dingen, Politik war eine schlichte Notwen­dig­keit. Unter Adenauer wurde die soge­nannte »West­in­te­gra­tion« beschlossen, die wirt­schaft­liche, poli­ti­sche und militä­ri­sche Einglie­de­rung Deutsch­lands in die west­eu­ropäi­schen Staaten und die USA. Eine wegwei­sende Weichen­stel­lung, die uns alle maßgeb­lich geprägt hat. Doch, es muss eine aufre­gende Zeit gewesen sein damals, als noch alles offen war.

Deshalb auch hat der Schrift­steller Wolfgang Koeppen in seiner »Trilogie des Schei­terns« die Adenauer-Jahre der Nach­kriegs-Ära begleitet und ein poli­ti­sches Sitten­bild der damaligen Bonner Republik gezeichnet. In dem zweiten Roman der Trilogie, »Das Treibhaus« von 1953, geht es um den fiktiven SPD-Abge­ord­neten Felix Keeten­heuve, der in Bonn genau diesen entschei­dungs­träch­tigen Moment in Form einer Rede mitge­stalten soll. Am Ende des Tages wird er gegen seine pazi­fis­ti­schen Über­zeu­gungen gespro­chen, beinahe eine 16-Jährige geliebt haben und seinem Leben, als er dessen Frat­zen­haf­tig­keit erkennt, ein Ende setzen.

Viel wurde disku­tiert, inwiefern »Das Treibhaus« histo­ri­schen Tatsachen entspricht und als Schlüs­sel­roman gelesen werden kann, wogegen sich Koeppen zwar vehement, aber erfolglos verwehrt hat, zu erkennbar konnten einzelne Roman­fi­guren auf Personen des poli­ti­schen Lebens bezogen werden. Peter Goedel, Regisseur von oftmals fiktiv durch­setzten Doku­men­tar­filmen, hat genau dieses Flirten mit den Tatsachen stark gemacht, und 1987 den Roman unter demselben Titel, Das Treibhaus, verfilmt. In die Spiel­film­hand­lung lässt er immer wieder histo­ri­sches Material einfließen, was die Handlung auf eine Weise mit der Adenauer-Zeit verschränkt, wie es nur ein Film leisten kann. Das ist künst­le­ri­sche Freiheit, die aus dem Rückblick ein großer Glücks­fall ist.

Aber: Hat der Schrift­steller den Film gesehen? Wie findet er die Durch­set­zung der Fiktion mit Fakten? In seiner Doku­men­ta­tion Gespanntes Verhältnis, Literatur und Politik im Treibhaus Bonn zwei Jahre nach der Verfil­mung von »Das Treibhaus« hat Goedel dies Koeppen zwar nicht gefragt, geht aber im Gespräch mit Zeit­zeugen und dem Schrift­steller der Über­le­gung nach, inwiefern der Roman die poli­ti­sche Realität von damals abbildet bzw. nach­zeichnet. Goedel stellt sich also der Legi­ti­mität seines Vorgehens. Im Zeitalter von »histo­ri­schen« Spiel­filmen, die es mit Fakten­treue nicht sonder­lich ernst nehmen, ein wunder­bares Zeugnis aus einer Zeit, als Filme noch politisch waren und sich selbst sehr ernst nahmen.

Film – Diskus­sion – Doku­men­ta­tion: DAS TREIBHAUS von Peter Goedel. Anschließend an die Vorfüh­rung von Das Treibhaus findet eine Podi­ums­dis­kus­sion mit Peter Goedel (Regisseur), Franziska Augstein (Jour­na­listin) und Hans-Ulrich Treichel (Koeppen-Experte und Heraus­geber der neuen Werk­aus­gabe) statt, die dem Geist und dem Wirken des Romans nachgeht. Die Doku­men­ta­tion Gespanntes Verhältnis, Literatur und Politik im Treibhaus Bonn wird abschließend gezeigt.

Do., 19.12.13, 19.00 Uhr in der »Open Scene«, Film­mu­seum München, St.-Jakobs-Platz 1.