24.03.2011

Biutiful in einer besseren Welt

Biutiful
Soziale Diskrepanz: Der große Sprung über den Mittelklasse-Wagen in Biutiful

Von Michael Haberlander

Keine Elend­spor­no­gra­phie, und doch: Unter­schwellig wird bei Biutiful und In einer besseren Welt ganz dick Moral aufge­tragen – um sich dann doch bloß in den Dienst des Effekts zu stellen

»Und die Moral von der Geschicht…« hieß es früher einmal, wenn es darum ging, die enthal­tene Lehre aus einer Erzählung klar und deutlich zusam­men­zu­fassen (bei »South Park« übernahm in den frühen Folgen das legendäre »Ich habe heute etwas gelernt« dieselbe Aufgabe).

In der heutigen Medi­en­welt macht man das genau so wenig, wie man das Ende eines Films oder eines Buchs mit dem Wort »Ende« kenn­zeichnet (wenn so was heute vorkommt, dann nur mit ironi­schem Unterton). Jemandem offen und eindeutig zu erklären, was die mora­li­sche Erkenntnis aus der vorher­ge­henden Geschichte ist, ist ein Anachro­nismus, den der auf- bzw. abge­klärte Medi­en­kon­su­ment als unan­ge­nehme Bevor­mun­dung und Belehrung ablehnt. Verschwunden ist die Moral in den Geschichten, die etwa das Kino erzählt, deshalb noch lange nicht, nur die Form, wie sie vermit­telt wird, ist heute eine etwas andere.

Geändert hat sich dabei wohl­ge­merkt nur die Form, jedoch nicht die verschie­denen Inten­sitäten, mit der die Moral vorge­tragen wird. Damals wie heute gab es etwa Geschichten, die sehr zurück­hal­tend mit ihrer mora­li­schen Aussage umgingen, die es voll­kommen dem Konsu­menten über­ließen, eine Lehre darin zu finden bzw. eine daraus zu ziehen. Auf der anderen Seite gab und gibt es aber auch die Geschichten, die ihre Moral offensiv vor sich her tragen, die einem ganz klar sagen, welche Erkenntnis man daraus zu ziehen hat. Früher hieß es in solchen Fällen dann eben »Und die Moral von der Geschicht…«, heute wird einem (nur scheinbar diskreter) am Ende eines Films sein mora­li­scher Inhalt noch einmal mit voller Wucht entgegen geschleu­dert. Da landet der Bösewicht im Gefängnis oder wird gleich erschossen, der Redliche wird belohnt und lebt fortan im Glück, das helden­hafte Enga­ge­ment führt zu einer besseren Gesell­schaft, etc. pp.

Unver­än­dert komplex ist die Wirkung einer mora­li­schen Aussage in einem Kunstwerk. Weit­ge­hend unab­hängig davon, was der Künstler dies­be­züg­lich inten­diert, nimmt jeder Konsument für sich indi­vi­duell wahr, ob hier eine Moral versteckt ist, wenn ja, wie er diese mora­li­sche Aussage bewertet und ob sie dem Kunstwerk dient oder schadet. Entspre­chend undurch­sichtig und unein­heit­lich sind dann auch meine Erfah­rungen mit der Moral im Kino. Mal kann ich gut ohne jede Moral leben nach dem Motto »l’art pour l’art«, mal erkenne ich die enthal­tene Moral, ohne dass sie mich weiter berührt, mal ist die Moral ein wichtiger Aspekt des Films und erweitert das Kunstwerk um eine philo­so­phi­sche Ebene, mal nervt mich die Moral derart, dass ein an sich guter Film dadurch ruiniert wird. Unzählige weitere Zustände kennt die Konstel­la­tion das Kino, die Moral und ich.

Eine erstaun­liche Koin­zi­denz ergab sich dies­be­züg­lich in den letzten Tagen beim Betrachten der Filme Biutiful von Alejandro González Iñárritu und In einer besseren Welt von Susanne Bier. Beide Regis­seure schätze ich wegen ihren ergrei­fenden, manchmal schmerz­haften, offenen, (auch moralisch) viel­schich­tigen Filmen, die mit großem tech­ni­schem Können insze­niert werden. Die beiden aktuell vorlie­genden Filme folgen diesen Tradi­tionen, erzählen (trotz voll­kommen unter­schied­li­chen Hand­lungen und Situa­tionen) in ähnlicher Weise von persön­li­chen und globalen Kata­stro­phen und Problemen und stellen sich glei­cher­maßen die Frage, wie man sich dabei moralisch verhalten kann bzw. soll.

Beide Filme sind erneut hervor­ra­gend insze­niert, getragen von guten Schau­spie­lern und auch visuell sehr anspre­chend, also kein grau in grauer Problem­film­rea­lismus. Wo so viel Über­ein­stim­mung herrscht, verwun­dert es schon fast nicht, dass ich beide Filme letzten Endes enttäu­schend fand, weil ich sie für moralisch unbe­frie­di­gend halte. Erklären lässt sich dieser negative Eindruck nur schwer, was an der bereits erwähnten Komple­xität der betei­ligten Faktoren liegt.

Natürlich erwarte ich weder von diesen noch von anderen Filmen, dass sie alle mora­li­schen Fragen, die sie (absicht­lich oder nicht) stellen, am Ende (für mich) befrie­di­gend beant­worten. Das ist schlicht unmöglich. Oft genug ist es sogar sehr anregend, wenn der Film eine klare mora­li­sche Antwort verwei­gert und nur die entspre­chenden Fragen stellt, so dass man als Zuschauer zum Nach­denken angeregt wird. Der gleiche Effekt kann sich ergeben, wenn ein Film mehr als eine mora­li­sche Position präsen­tiert.

Bei Biutiful und In einer besseren Welt, die sich ja explizit in das Lager der moralisch rele­vanten Filme begeben (und eben keine reine Unter­hal­tung sind) funk­tio­niert das für mich alles nicht. Viele, viel­leicht zu viele Fragen und Probleme werden hier aufge­worfen, woraus der Film auch ein erheb­li­ches Maß an Spannung zieht. Wie werden all diese Probleme gelöst, wie wird sich das „falsche“ bzw. „richtige“ Handeln der Prot­ago­nisten auswirken, wie wird man ihr Scheitern bzw. ihren Erfolg moralisch bewerten? Spannende Fragen, die mir hier zu schwach bzw. gar nicht beant­wortet werden. Störend ist auch, dass beide Filme sehr versöhn­lich enden, was nicht grund­sätz­lich ein Problem wäre (nicht jedes Drama muss am Ende todtraurig sein), was jedoch im Kontrast zu den vorher aufge­türmten Problem­bergen unrea­lis­tisch, wenn nicht gar verlogen wirkt.

Teil dieser Schwäche ist es, dass gewisse Hand­lungs­stränge im Nichts verlaufen. Es ist, als ob die Regis­seure zum Ende hin fest­ge­stellt hätten, dass sie die ganzen (zum Teil verknüpften) Problem­stel­lungen, die sie anfangs aufgehäuft haben, nicht sinnvoll (weil zu zeit­auf­wendig oder zu komplex) werden auflösen können, weshalb sie sich für die Ausfor­mu­lie­rung eines zentralen Konflikts entschieden und alle anderen Aspekte kommen­tarlos verschwinden lassen.

So ein Verhalten erinnert mich dann aber schmerz­lich an die unschöne Praktik mancher Medien, die über Miss­stände und Elend irgendwo auf der Welt immer nur so lange und so weit berichten, wie dadurch Aufmerk­sam­keit, Betrof­fen­heit und Entrüs­tung (die das Lebens­eli­xier der Medien sind) erzeugt wird, die sich von diesem Thema aber schnell wieder abwenden, wenn es um die lang­wie­rige, komplexe und wenig schil­lernde (und deshalb nicht publi­kums­wirk­same) Aufgabe geht, echte Ursachen zu erkennen und Problem­lö­sungen zu bieten.

Ich möchte Alejandro González Iñárritu und Susanne Bier nicht unter­stellen, dass sie skru­pel­lose Elend­spor­no­gra­phen sind. Vielmehr glaube ich, dass es beide zu gut gemeint haben, dass sie in bester Absicht noch ein Problem und noch einen Missstand und noch eine Kata­strophe drauf­ge­packt haben, um noch kriti­scher, noch drama­ti­scher, noch glaub­hafter zu sein. Doch die Formel »Viel hilft viel« ist leider auch in moralisch-cine­as­ti­scher Hinsicht ein fatales Miss­ver­s­tändnis.

Der Text erschien zuerst auf Michael Haber­lan­ders eigenem Blog trau­rig­schö­ne­welt – das Leben ist komplex.