02.09.2010

Hinter­wäldler Horror, Torture Porn!

THE PACK
Eröffnungsfilm: The Pack

Filmtipps für das Fantasy Filmfest 2010
(in München und Stuttgart noch bis 08.09, in Nürnberg bis 09.09.)

Von Thomas Willmann

Gallants (Da lui toi) R: Derek Kwok, mit Siu-Lung Leung, Koon Tai Chan, Teddy Robin, Turbo Law u.a., Hongkong 2010, 98 Min.

Es hat ungefähr 30 Sekunden gedauert, bis ich mich in Gallants verliebt hatte. Ein Vorspann in klas­si­scher Martial-Arts Film-Manier, dann ein Duell zweier Kinder, die sich zu Kung-Fu-Super­helden träumen, filmisch stilecht, aber im Papp­kar­ton­kostüm. Das wirkte alles schon, als hätte jemand entdeckt, dass Spike Jonze ein verschol­lener Shaw Brother ist. Nun gibt’s im Kino aber viele Lieben auf den ersten Blick, die dann mehr und mehr Schön­heits­fle­cken erkennen lassen, die irgend­wann zu eitrigen Ekzemen werden, und die vor allem offen­baren, dass sie das Herz nicht am rechten Fleck tragen. Die wahre Spannung bei Gallants war für mich dann also das »Hoffent­lich verdirbt er’s jetzt nicht!«. Er hat’s nicht verdorben. Es ist eine wunder­schöne Hommage an die Veteranen der »60er, ‘70er Jahre, die nun als 60-, 70-Jährige in einem heutigen Alltags­kaff in Hongkong hocken und aus ihrem ehema­ligen Dojo eine Teestube gemacht haben, weil der Meister seit Jahren im Koma liegt. Aber früher oder später heißt«s dann eben doch wieder: »Everybody was Kung Fu Fighting!« Und alle werden wieder zu Helden, nur halt in Schlabber-Jogging­hosen und mit Herren­hand­täsch­chen. Und bekommen ihre Freeze-Frame-Groß­auf­nahme mit Schrift­zei­chen­ein­blen­dung à la »Siu-Lung Leung as Tiger«. Inklusive »Frozen Chicken as Pickled Duck«. Und grad wenn man so richtig glücklich ist, weil alles so heiter und albern ist, zieht Gallants noch eine wunder­bare Note der Wehmut aus dem Ärmel. Und man ist noch ein Stück glück­li­cher. Und freut sich auf das zweite Date mit diesem Film.

The Last Exorcism R: Daniel Stamm, mit Patrick Fabian, Ashley Bell, Louis Herthum, Iris Bahr, Caleb Jones u.a., USA 2010, 82 Min.

Es gibt im Engli­schen die schöne Scherz-Rede­wen­dung: »Snatching defeat from the jaws of victory« – also dem Sieg in letzter Minute noch eine Nieder­lage entreißen. The Last Exorcism ist die perfekte Illus­tra­tion: Ca. 83 Minuten lang ist der Film wirklich clever. Er bemüht sich sehr, seine Tarnung als angeb­li­cher Doku­men­tar­film einger­maßen plausibel durch­zu­ziehen (freilich: echte Doku-Kame­ramänner sind nicht gar so drauf bedacht, dauernd drauf aufmerksam zu machen, dass sie eine Hand­ka­mera haben). Und vor allem hält er die zentrale Frage offen, ob da nun über­na­tür­liche Mächte im Spiel sind oder nur Trick­serei und die psychi­schen Knackse einer recht kaputten Familie. Da ist er nebenbei auch noch ein Film über das Erstarken der evan­ge­li­kalen Fundis in den wirt­schaft­lich den Bach runter­ge­henden USA. Und dann hat er eigent­lich schon sein perfektes Ende. Und müsste nur aufhören, oder höchstens noch einen kleinen, subtilen Haken obendrauf schlagen. Tja, und dann kommen die letzten 3 Minuten. Wo mögli­cher­weise Eli Roth drauf bestanden hat, dass mit der Subti­lität und Intel­li­genz nun aber bitte Schluss sein muss, damit man noch merkt, dass er den Film produ­ziert hat. Und da ist der Film wie ein 1000-Meter-Läufer auf der Ziel­ge­raden ist und nur noch 100 Meter geradeaus laufen müsste, um sich definitiv zumindest eine respek­table Plazie­rung, wenn nicht gar eine Medaille zu sichern. Und der dann beschließt, dass ihm das zu einfach wäre. Und sich überlegt, was er denn jetzt noch tun könnte. Und er kommt auf die tolle Idee: »Ich könnte mir doch die Knie­scheibe ampu­tieren, das wäre doch eine klasse Sache!« Und macht’s...

The Pack (La meute) R: Franck Richard, mit Emilie Dequenne, Yolande Moreau, Eric Godon, Philippe Nahon, Benjamin Biolay u.a., F / B 2010, 81 Min.

Puber­tie­rende Franzosen auf der lustigen Versatz­stück­party: »Ey, haben wir auch alles in den Film gepackt, ey?« »Lass schau'n. Texas Chainsaw Massacre, Hinter­wäldler Horror, Torture Porn?« »Check!« »Bisserl Bad Taste, böse Biker, Film­zi­tate selbst auf dem Flipper im Hinter­grund?« »Check!« »Philippe Nahon?« »Check!« »Wie, wir haben Philippe Nahon? Was macht der bei uns?« »Gute Frage. Nicht viel. Aber, ey, Du hast doch noch das T-Shirt mit dem voll geilen Spruch! Das zieh'n wir ihm an, dann passt das schon!« »Okay. Weiter: Quasi-Vampire, Jason-Overalls, Descent-Maul­wurf­monster, Night of the Living Dead?« »Check! Check! Check!« »Sozi­al­kritik am schweren Schicksal der ausge­beu­teten Mienen­ar­beiter?« »Oh, Moment. Da muss ich mal gucken...« »Ey, jetzt sag nicht, wir haben die Sozi­al­kritik am schweren Schicksal der ausge­beu­teten Mienen­ar­beiter vergessen! Ey Mann!« »Nee, halt, keine Sorge! Check!« »Boah, das ist ja echt grade nochmal gut gegangen!«

Two Eyes Staring (Zwart Water) R: Elbert van Stiren, mit Barry Atsma, Hadewych Minis, Isabelle Stokkel, Charlotte Arnoldy u.a., NL 2010, 111 Min.

Wir wissen’s spätes­tens seit Freud: »Das Unheim­liche« heißt nicht umsonst so, es hat etwas mit dem Heim zu tun. Und es ist kein Zufall, dass der Grusel so gern in Spuk­häu­sern wohnt. Two Eyes Staring ist auch einer dieser Filme, wo die (vermeint­lich?) besessene Behausung vor allem wider­spie­gelt, was im Unter­be­wussten ihrer Bewohner an Unbe­wäl­tigtem lauert. Also eine Fami­li­en­ge­schichte, über Eltern und Kinder, Schwes­tern und Schuld. Wo der Umzug ins Haus der verstor­benen Groß­mutter wieder aufbre­chen lässt, was die Mutter lang verdrängt hat. Das ist Anfang sehr atmo­s­phä­risch gemacht, und hat gerade in der Darstel­lung der Beziehung des Eltern­paars eine fürs Genre eher unübliche Ernst­haf­tig­keit und Glaub­wür­dig­keit. Irgend­wann über­stra­pa­ziert der Film aller­dings etwas seinen bedeu­tungs­schweren Rhythmus. Hat aber dafür einen ausnahms­weise mal wirklich klugen Dreh im Ärmel. Mit dem er die berühmte Beob­ach­tung (von wem war die nochmal?) aushebelt, dass alle Geis­ter­ge­schichten im Grunde ja tröstlich seien, weil sie wenigs­tens ein Weiter­leben der Seele nach dem Tod verspre­chen.