06.12.2007

Zum Abschluss des Münchner Festivals der Filmhochschulen

NOW EVERYBODY SEEMS TO BE HAPPY
Now Everybody Seems To Be Happy

Alltagsvollzug

Von Axel Timo Purr

Nicht anders als beim Wein haben auch die Abschluss­jahr­gänge an den inter­na­tio­nalen Film­hoch­schulen ihre beson­deren Noten, ist es immer wieder absehbar, ob gesell­schafl­ti­ches- und wirt­schaft­li­ches Schön­wet­ter­klima geherrscht hat oder erodie­rende Werte­sys­teme zu psycho­genen Film­land­schaften trans­for­miert worden sind.

Das Besondere am gegen­wär­tigen Jahrgang, dessen Auslese auf dem eben zu Ende gegan­genen Festival der Film­hoch­schulen in München präsen­tiert wurde, ist ein faszi­nie­render, aber auch ernüch­ternder Hang zum ausdrück­lich nicht Beson­deren, zum ungewollt Unspek­ta­kulären, zum Alltags­vollzug.

Besonders deutlich läßt sich diese Tendenz am Preis­träger zum besten Film des dies­jäh­rigen Festivals ablesen, dem argen­ti­ni­schen Now Everybody Seems To Be Happy, einer zwan­zig­mi­nü­tigen Variation über das Loli­ta­thema. Der 43-jährige Roberto, Professor von Beruf, brennt mit der 14-jährigen Carmen durch. Auf dem uner­klärten Weg ins Nirgendwo des von Rinder­herden und wort­kargen Menschen bevöl­kerten argen­ti­ni­schen wilden Westens erdrückt allein schon die schiere Alltäg­lich­keit des stun­den­langen Umher­fah­rens die Perspek­tive dieser Beziehung. Weder findet das Paar ein gemein­sames Thema zum Reden, noch funk­tio­niert das Binde­mittel Sex. Nicht einmal die Musik aus dem Radio kittet die Anta­go­nismen; Lolita ist zu jung, um die Musik des Profes­sors auch nur zu kennen geschweige denn sie zu genießen. Genervt verbietet sie ihm schließ­lich den Sound­track seines Lebens. So ist es alles andere als über­ra­schend, dass ihre erste Nacht auf der Flucht auch ihre letzte ist. Die Festnahme Robertos am nächsten Morgen durch die Polizei kommt einer Erlösung gleich, zum ersten und einzigen Mal lächelt Roberto.

Auch die übrigen Preis­träger erzählen von einem Alltag, der gefangen nimmt: der beste Doku­men­tar­film Scarlet Sunrise bewegt sich in gran­diosen Bildern nahezu sprachlos durch die kleine Siedlung Barents­burg, nördlich des russi­schen Polar­kreises und beob­achtet Menschen, die nur durch die Präsenz der Kamera zu einem manchmal selbst­iro­ni­schen Kommentar fähig scheinen, so wie der einzige Arzt der Insel: »Ich weiß nicht, ob ich gut bin, aber da ich hier der Einzige bin, spielt das keine Rolle.« Ähnlich einsam zieht der Prot­ago­nist des israe­li­schen Beitrags und Gewinners des Spezi­al­preises der Jury seine Runden zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Sowohl seine Frau als auch seine beiden erwach­senen Kinder sind von der Banalität ihres Alltags derartig durch­drungen, dass sie die Trauer um den Tod des Hundes, der 14 Jahre Teil des Fami­li­en­le­bens war, schlichtweg verwei­gern. Das auch in Kriegs­zeiten alltäg­liche Lange­weile möglich ist und dazu noch tödliche Folgen haben kann, zeigt viel­leicht ein wenig zu plakativ der zum besten deutschen Beitrag gekürte Milan. Aber immerhin gelingt es Milan trotz des offen­sicht­li­chen Konstrukts der in den Balkan­krieg einge­bet­teten Erzählung zu berühren.

Das dies den anderen Filmen nur ganz selten gelingt, liegt in der Natur der Sache, ist das ja gerade das Wesen des Alltags, das unmerk­liche, fast zarte Abhan­den­kommen aller Gefühle und die Akzeptanz der Gefan­gen­schaft, die immerhin eines bietet – Sicher­heit. Den Ausbruch aus dieser bieder­mei­er­schen Behag­lich­keit gab es dieses Mal nicht zu konsta­tieren, aber umso gespannter darf deshalb auf den nächsten Jahrgang gewartet werden.