Futur Drei

Deutschland 2020 · 92 min. · FSK: ab 16
Regie: Faraz Shariat
Drehbuch: ,
Kamera: Simon Vu
Darsteller: Benjamin Radjaipour, Eidin Seyed Jalali, Banafshe Hourmazdi, Katarina Gaub, Hadi Khanjanpour u.a.
Ein durch und durch transkultureller Film
(Foto: Salzgeber)

Diese wunderbare Selbstverständlichkeit!

Faraz Shariats Futur Drei ist eine Wundertüte, fantastisch gespielt, voller Leben und dabei zutiefst empathisch für die Ängste und Sorgen seiner Figuren

Futur Drei, entstanden außerhalb des deutschen Film­för­der­sys­tems, ist eine kleine große Perle, ein Unikum im deutschen Kino: nie wurde so selbst­ver­ständ­lich und selbst­be­wusst von migran­ti­schen Lebens­rea­li­täten und vor allem auch von queeren Lebens­ent­würfen erzählt. Kein grau in graues Betrof­fen­heits­kino über migran­ti­sche Schick­sale, keine Culture-Clash-Komödie, die auf der Suche nach inter­kul­tu­rellen Kalauern mit Stereo­typen nur so jongliert. Und endlich auch mal kein heim­li­ches schwules Erwachen inklusive Problem­film­duktus, sondern gelebte (sexuelle) Identität.

Futur Drei ist kine­ma­to­gra­fi­sche Frisch­zel­lenkur at it’s best: gemacht von einem jungen Team – Regisseur Faraz Shariat ist Jahrgang 1994 –, das Themen wie den Koope­ra­ti­ons­ge­danken, Inter­sek­tio­na­lität und Macht­struk­turen auch hinter der Kamera im Produk­ti­ons­pro­zess reflek­tiert, das mit großer Sensi­bi­lität in das Sujet eintaucht und dafür eine eigene filmische Sprache gefunden hat. Der Film bringt Sozi­al­rea­lismus mit filmi­scher Entrü­ckung zusammen, semido­ku­men­ta­ri­sche Nüch­tern­heit mit knalliger Musik­vi­deoäs­thetik und surreal-traum­haften Einschüben.

Der blond gefärbte Träumer, dem wir durch den Film folgen, heißt Parvis (Benjamin Radjai­pour). Er ist die filmische Verlän­ge­rung von Shariat, der in seinem Regie­debüt viele eigene Erfah­rungen verar­beitet. Wie sein Alter Ego ist der Regisseur als Sohn irani­scher Eltern in zweiter Genera­tion in Deutsch­land aufge­wachsen und landete wegen Laden­dieb­stahls für 120 Sozi­al­stunden als Farsi-Über­setzer in einem Flücht­lings­heim. Die Film­eltern von Parvis werden überdies von den Eltern des Regis­seurs gespielt und auch die zwischen­mon­tierten alten VHS-Aufnahmen stammen aus dem Fundus von Shariats Vater.

Genau mit einer solchen Aufnahme beginnt der Film: Da sehen wir Kinder-Shariat in einem Sailor Moon-Kostüm tanzen, bevor wenige Sekunden später Parvis zu düsteren Tech­no­beats zappelt. Wie cool dieser Mann tanzt! Und wie wunderbar sich bereits in diesen ersten Minuten Realität und Film berühren. Es passt zu diesem durch und durch trans­kul­tu­rellen Film, dass er selbst das Ergebnis einer trans­me­dialen Über­set­zung ist.

Die Geschichte, die Futur Drei erzählt, handelt von Identität, Heimat, Liebe und Freund­schaft. Mill­en­nial Parvis, der im großen Haus der mitt­ler­weile gut betuchten Einwan­de­rer­el­tern im nieder­säch­si­schen Kaff Hildes­heim aufwächst, trifft im Flücht­lings­heim auf das iranische Geschwis­ter­paar Banafshe (Banafshe Hourmazdi) und Amon (Eidin Jalali). Nach ersten Start­schwie­rig­keiten zwischen Amon und Parvis freunden die drei sich an. Sie ziehen um die Häuser, gehen an den See und treffen sich auf einer Kostüm­party, auf der Sailor Moon-Parvis samt blonder Perücke kurz mal brechend über dem Blumen­kübel hängt. An diesem Abend geht die sich andeu­te­tende Liebes­ge­schichte zwischen Amin und Parvis mit einem Kuss über der Badewanne in eine neue Phase. Ebenso das Bewusst­sein darüber, dass nicht alle drei die gleichen Chancen in der Bundes­re­pu­blik haben.

In vibrie­renden Bildern fängt die Kamera von Simon Vu das Treiben ein. Sie ist immer wieder auch eigene Erzählin­stanz, wenn sie sich von den Figuren löst, um Bilder für die Gefühle zu finden. Meist jedoch bleibt der neugie­rige, offene Blick nahe bei Menschen und nimmt uns mit: hinein in die alte Schule, in der die Geflüch­teten unter­ge­bracht sind, in die Clubs oder in die mit Schall­plat­ten­re­galen gesäumte Wohnung, in der Parvis ein Grindr-Date trifft. Auch hier ist Futur Drei ein Novum im deutschen Kino, denn selten wird Sex zwischen Männern so selbst­ver­ständ­lich, dabei aber niemals voyeu­ris­tisch gezeigt.

Futur Drei ist eine Wunder­tüte, fantas­tisch gespielt, voller Leben und dabei zutiefst empa­thisch für die Ängste und Sorgen seiner Figuren. Wie fühlt es sich an, dazwi­schen­zu­stehen? Zwischen einem alten Zuhause, aus dem man fliehen musste, und einem neuen, in dem man nicht will­kommen ist? Zwischen tradi­tio­nellen und (nicht immer) liberalen Systemen? All das klingt an, etwa in Gesprächen mit Parviz' Mutter, die auch 30 Jahre nach der Flucht während der isla­mi­schen Revo­lu­tion noch im Internet nach Wohnungen in Teheran schaut. Was heißt es, anzu­kommen?

Anstatt all das auf Klischees herun­ter­zu­bre­chen, nutzen Shariat und sein Team die Macht der Bilder und die von orien­ta­li­schen Klängen über Techno, Pop bis hin zu Schlager reichende Musik für eine trans­kul­tu­relle, filmische Über­höhung. »Uns gehört die Welt!« rufen die Drei und man möchte einfach wie ein Wackel­da­ckel losnicken.