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"Ich bin eine Art Triebtäter! "
Ein sehr offenes Gespräch mit Michael Kötz über das Überleben im Dschungel von 700 Festivals, das deutsche Kino und die Zukunft des Films

  06.11.2002
 
 
     

Am Donnerstag, 7.11. wird zum 51. Mal das "Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg" eröffnet. Unter den über 50 Filmen im neuntägigen Programm (bis zum 16.11.) findet sich in diesem Jahr ein Polen-Schwerpunkt und eine nahezu komplette Werkschau des chinesischen Regisseurs Zhang Yimou (u.a. ROTES KORNFELD). Seit 1992 leitet der promovierte Filmwissenschaftler Michael Kötz das Festival. Unter seiner Ägide wurde es verjüngt, die Zuschauerzahlen vervierfacht, und die "Mannheim Meetings" für Produzenten eingeführt, um das Festival zum internationalen Branchentreff auszubauen.
Von Rüdiger Suchsland

 
     
 
 
 
 

artechock: Nach dem großen Jubiläum im Vorjahr wird 2002 wieder ein 'normales' Festival. Allgemein hat die Feierstimmung ja ein bisschen nachgelassen. Was ist dieses Jahr das Neue in Mannheim-Heidelberg?

Kötz: Ich will mal so sagen: Unsere Stärke besteht darin Newcomer-Filme zu zeigen, und keine Kompromisse zu machen. Darin sind wie einzigartig. Mir fällt kein weiteres Festival ein, dass dies so konsequent betreibt, nicht einmal weltweit. Sundance hat es versucht.
Wir zeigen nur Newcomer-Filme und vertrauen darauf, dass die Qualität der Filme, die wir da entdecken auch schon die ganze Qualität des Festivals ausmachen. Das ist genaugenommen sehr riskant:

Also ein Festival für Entdeckungen...

Ja! Ein Festival für junge Regisseure, die kaum jemand kennt. Wir haben damit keinen einzigen großen Namen als Magnet. Weder für die Branche, noch fürs Publikum. Alles hängt von der Qualität ab. Wir müssen uns nach oben vergleichen, nicht nach unten. Also: Die Besucher dürfen nicht sagen: Für Mannheim-Heidelberg ganz nett, sondern sie müssen sagen: Das ist so hochkarätig, dass man sich in Berlin und Cannes auch freuen würde, wenn man diese Filme hätte. Das müssen wir bringen!

Ist Mannheim-Heidelberg also das europäische Sundance?

Ganz genau. Ich weiß nur nicht, ob ich Sundance so weit loben würde... [Lacht] Mal ehrlich! Ich weiß, es klingt ja arrogant. Aber außer Sundance fällt mir tatsächlich kein weiteres ein. Natürlich sagen sie alle, sie seien ein "Independent"-Showcase. Sogar das Filmfest Hamburg. Natürlich zeigen sie alle irgendwelche Newcomer, das ist auch klar. Aber niemals ausschließlich und in dem sie sich wirklich darauf verlassen, dass das, was sie da ausgebuddelt haben, trägt; das es wirklich so gut ist, dass das Festival davon lebt und dass jeder der da ist sagt: Es hat sich gelohnt, dahin zu fahren. Das Risiko geht keiner sonst ein. Ich kenne keinen. Manche können es sich auch nicht leisten, die würde man sofort rausschmeißen. Thessaloniki oder San Sebastian oder Rotterdam müssen eine andere Aufgabe erfüllen, dass sind die einzigen internationalen Festivals ihrer Länder.
In dem Punkt hat es einen Vorteil, dass es in Deutschland so viele Festivals gibt. Wir können uns diese Spezialisierung leisten. Oberhausen zeigt nur Kurzfilme, Leipzig nur Dokumentationen - und es funktioniert.
Die Abgrenzung zu den vielen anderes Festivals ist nicht nur der Verzicht auf große Namen, sondern auch, dass es sich um echte Premieren handelt. Das ist kein Snobismus...

Was heißt "echt"?

Am besten Weltpremieren, möglichst internationale, in jedem Fall europäische Premieren. Das heißt, es geht um Filme, die nicht schon woanders zu sehen waren. Wir haben eine Ausschlußliste, die auch schon international bekannt ist: Wir zeigen die Filme im Wettbewerb von Mannheim-Heidelberg, möglichst auch in der Reihe "international discoveries" nur, wenn sie auf keiner Sektion der großen Festivals liefen. Wir spielen die Filme auch nicht, wenn sie auf einem deutschen Festival liefen.
Leider ist die FIAP ein Schnarchverein, der sich weigert, endlich Ordnung in das Festivalchaos zu bringen, darum machen wir das halt selber. Das hat vor allem den Sinn, das es sich wirklich in jedem Fall für die Profis - Einkäufer für Film und TV-Anstalten, Verleiher, Journalisten - lohnt, hierher zu fahren. Es gibt 600-700 Festivals und davon mindestens 80 relevante - das ist Irrsinn! Kein Mensch kommt, wenn es auch nur den Anschein besitzt, es sei unnötig, dahin zu fahren. Es fährt schon keiner mehr 10 Tage nach Cannes. Ich weiß auch, dass die nicht 10 Tage nach Mannheim-Heidelberg fahren. Deswegen gehört es zu unserem Service jeden Film zu jeder Zeit sehen zu können, möglichst im Kino, aber notfalls auf VHS-Kassetten an besonderen Sichtplätzen. Hauptsache, sie kommen überhaupt. Immerhin haben wir Fachbesucher aus 30, 40 Ländern, und steigern das jedes Jahr. Aber das hat auch den Hintergrund: Wenn die nicht kommen, dann bekommen wir umgekehrt die guten Filme nicht mehr.
Das ist also der Grund. Das hat nichts mit Snobismus zu tun oder dem falschen Ehrgeiz, ein kleines Cannes in Baden-Württemberg veranstalten zu wollen. Sondern es ist eine Conditio sine qua non für dieses Festival. Weil heute - so bedauerlich das ist - niemand mehr Filme nur um der Kunst allein macht. Sondern es hängt eine Kette von Geschäften daran. Die Medienindustrie ist die neue Schwerindustrie, deswegen kriegt man Premieren nur, wenn Folgegeschäfte im Hintergrund laufen. Wenn davon nicht einiges läuft, spricht sich das herum und das war's. Dann kann man hier in zwei Jahren dichtmachen.
Ich habe zu Beginn meiner Laufbahn mal eine berühmte Branchenfrau aus New York gefragt, was sie von Mannheim hält, und sie hat geantwortet: "The industry is not there." Damit war für sie klar: Das bringt's nicht. Und für mich: Die muss kommen. Das mussten wir ändern.
So: Das ist der eine Grund.
Fürs Publikum wäre das egal. Dem Publikum ist es absolut egal, ob der Film in Cannes war oder Venedig, weil sie da nämlich nicht gewesen sind.
Für die Zuschauer meine ich mit "echten Premieren" etwas anderes: Dass diese Film eine Authentizität haben, dass sie einem nicht so vorkommen, als hätte man alles schon 100 Mal gesehen. Sondern sie sollen Einzelstücke sein, man soll das Gefühl haben, ein Autor... - wir reden von Autorenfilm, es ist mir egal, ob dieser Begriff veraltet ist, völlig zu Unrecht. Der Begriff müsste eigentlich ganz modern sein, und jedes Jahr noch moderner werden. Es ist ein völliger Unsinn, dass der in die Defensive geraten ist. Das verdanken wir diesen Yuppie-80er und 90er-Jahren. Weil manche Leute damals glaubten: Damit kann man keine Kohle machen.
Und schon haben sich alle angepasst, leider auch eine Menge sogenannter Intellektueller, die es überhaupt nicht nötig gehabt hätten.
Also mit anderen Worten: Ich liebe den Autorenfilm. Aber nicht, weil ich ein alter 68er-Mohikaner bin, der nichts mit Geld zu tun haben will. Ich habe gar nichts gegen Umsätze. Aber ich habe was gegen Umsätze durch dummes Zeug. Und ich habe was dagegen, dass Menschen für dumm verkauft werden - ich bin immer noch ein politischer Mensch. Autorenfilm hat zudem eine Riesenspanne von fast-nur-kommerziell bis Fast-versteht-uns-keiner-mehr.
Ich möchte, dass das Publikum nicht abgespeist wird mit Filmen, mit denen einer nur Geld machen will, also stattdessen auch Würstchen produzieren könnte. Ich mag aber auch keine schlechten Würstchen.

Wie haben sich die Zuschauerzahlen in Mannheim-Heidelberg entwickelt?

Wir haben vor 10 Jahren bei ungefähr 10. bis 12.000 angefangen, und sind jetzt bei 60.000 Eintritten. Also drei bis viermal soviel. Am Anfang waren die Kinos abends nur selten voll, jetzt immer. Am Anfang war sogar das Stadthaus in Mannheim schlecht besucht. Aber was sollen Zahlen?

Sie sagen etwas aus. Immerhin hat Mannheim-Heidelberg mehr Zuschauer als etwa Hamburg, obwohl dort die Stadt größer ist, und das Publikum - denkt man - sich eher für ein Filmfestival begeistern müsste. Das ist erstaunlich...

Die machen da was falsch - das ist meine Antwort. Wobei ich gar nicht gegen Hamburg stänkern will...

Stänker ruhig gegen Hamburg...

Nein. Lass uns doch mal unspezifisch sagen, generell zu Festivals: Ich habe viel gelernt in meinem Job. Ich war ja davor Journalist, Filmkritiker. Und habe natürlich anfangs gedacht: klar weiß ich, was ein guter Film ist. Und das kann man ja auch privat wissen und man kann es auch in der Zeitung verbrezeln, nur ein gutes Programm kann man so nicht machen. Da muss Mitstreiter suchen, die mit aussuchen, entscheiden, und einen notfalls auch mal überstimmen. Denn man hat zum Beispiel persönliche Aversionen gegen dies und jenes. Soll man deshalb dem Publikum vorenthalten?
Was ich vor allen Dingen begriffen habe: Man muss das lieben, was man macht. Sonst kann man das alles vergessen. Ich bin sozusagen eine Art Triebtäter. Wenn das fehlt, setzt man keine Kräfte frei. Und es gibt offensichtlich viele Kollegen, die lieben das nicht wirklich, was sie machen. Die lieben eher ihr Gehalt dabei, oder das sie einmal im Jahr groß rauskommen und auf der Bühne stehen - was ich auch nicht schlecht finde. Ich mag das sogar ganz gerne. Aber das ist nicht der Grund. Ich nehme das mit, aber es reicht nicht aus als Motivation. Und nur, wenn man das mag, was man da tut, wird ein Filmfestival auch gut, das ist leider so. Sonst fängt man an zu kalkulieren und zu berechnen, und die Zuschauer merken das. Ein Festival braucht das Vertrauen der Zuschauer.
Jetzt machen wir immer Umfragen, und stellen fest: mindestens ein Drittel der Zuschauer kommt blanko. Die kommen einfach. Weil sie uns vertrauen. Das ist genial. Und deswegen sind die Kinos voll.
Das zweite: Es gibt ja in Deutschland 40, 50 Festivals. Da sind Leute dabei, die fast ehrenamtlich, mit sehr wenig Geld ein wunderbares Programm machen. Natürlich haben die nicht wie wir lauter Premieren, das schaffen die gar nicht, aber sie machen eine tolle Arbeit - und wären für manches grössere Festival die bessere Besetzung. Weil sie nämlich auch lieben, was sie tun. Aber sie haben einen schweren Stand: Sie machen Programmkino in konzentrierter Form und werden von den Sales-Agents und Verleihern abkassiert - und aus deren Sicht auch mit Recht und Notwendigkeit. Während manche größeren wie Hamburg oder München eigentlich wenig Originelles machen, aber dauernd in der Presse vorkommen. Ich meine nicht, dass das nicht nette Menschen sind und dass sie sich nicht auch Mühe geben. Aber sie nutzen die Stärke, die sie hätten, gar nicht aus. Sie wagen nichts, sondern machen so eine bequeme Tour. Man kann es auch polemisch sagen: Sie geben jede Menge Steuergelder aus, um heimliche Verleihsubvention zu betreiben, bezahlen mit Steuergeldern die Hotelsuite und den Hairdresser, damit irgendwas im "Stern" drinsteht, dass der Star xy auf diesem Filmfest war, weil er das Filmfest so toll fand. In Wirklichkeit war das der PR-Start und der Verleiher hat das Filmfest benutzt, um sich diese Kosten schon mal zu sparen. Ich weiß nicht, warum das sein muss...

In DM gerechnet hat das Filmfest München einen offiziellen Etat von knapp 6 Millionen...

Ich möchte wissen, wie die das ausgeben! Das ist mir ein Rätsel. Ich habe 1,2 Millionen EURO für zwei Tage mehr, und bei nur einem deutschen Film, also lauter hohen Reisekosten. Alle Regisseure kommen und wohnen natürlich auch im Hotel. Wenn ich das Dreifache hätte, da könnte man sich schöne Sachen einfallen lassen... Unser Konkurrent, das Festival in Locarno, das immer ein Festival für Newcomer war, es jetzt aber nicht mehr ist, hat sechs Millionen Euro zur Verfügung und leistet auch nicht mehr. Wir drehen jeden Euro sieben Mal um, bevor wir ihn ausgeben. Das Festival müsste, um jetzt mal eine realistische Zahl zu sagen, einen Etat von 3,5 Millionen Euro haben, dann könnte man auch ein paar Leute an stellen und nicht immer nur auf Zeitvertragsbasis mitarbeiten lassen.

Aber was schon umgekehrt auch eine Frage ist: Hat man es nicht in einer Stadt wie Mannheim leichter, so ein unabhängiges Festival aufzuziehen, wie in München oder Hamburg?

Da hast Du recht! Die haben es bestimmt schwerer. Meine Vorgänger und ich haben hier einen ungeheuren Spielraum: Die Städte Mannheim und Heidelberg geben das Geld aus reinem Idealismus. Das Land Baden-Württemberg auch, obwohl die natürlich - was ja auch ok ist - ein bisschen Regionalpolitik betreiben - wenn auch nicht so krass wie NRW. Es ist nahezu Idealismus. Denn das Festival hat in den Städten keine Branchenlobby zu bedienen. Die machen das aus Überzeugung, eine wichtige kulturelle Sache zu subventionieren. Man hat andererseits dauernd das Problem, dass man die Städte auch überzeugen muss, dass sie bei knappen Kassen immer noch idealistisch bleiben. Das fällt denen gelegentlich schwer - was wiederum verständlich ist. Das ist aber dann auch der Job.
Auf der anderen Seite: In München, Hamburg, Berlin, Köln hat man vor Ort eine Lobby. Das Geld ist einfacher zu beschaffen. Andererseits gibt es dann auch die ganze Wucht der Trägheiten und Dummheiten, die in der Branche so vorhanden sind.
Alexander Kluge hat mal gesagt: Er hat nichts gegen Kaufleute, aber er hat etwas gegen dumme Kaufleute. Das ist auch mein Problem; in jedem Bereich, aber besonders bei Filmkaufleuten. Denn die bilden sich auch noch ein, dass sie wissen, was die Menschen wollen. Und sie wissen's selten. Die denken immer, dass alle so denken wie sie und im Grunde einen genauso schlechten Geschmack haben. Wie soll denn einer Kunstfilme verleihen und im Kino zeigen, der nie freiwillig selber einen anschauen würde.? Das wird aber nie ausgesprochen. Und das gibt's nur im Filmbereich! Man stelle sich mal einen Opernhaus-Intendanten vor, der keine komplexen Opern mag. Das gibt's nicht. Aber im Kinobereich gibt's jede Menge Leute, die überhaupt nicht wissen, was sie mit, sagen wir, Godard anfangen sollen. Die wissen vielleicht auch gar nicht, wer das ist. Natürlich zeigen die den nicht! Es sei denn, irgendein Verleiher mit viel Werbeaufwand sagt denen: Das bringt zwei Millionen Zuschauer. Dann machen sie's vielleicht. Aber sie gehen selber nicht rein, um zu gucken, was sie da zeigen. Besser nicht. Weil sie's nicht verstehen würden. Und das erklärt eigentlich sehr viel. Aber es sagt kaum jemand in dieser Branche ...

Manche Kritiker vielleicht...

Ja, Kritiker, die aber in der Branche nicht ernst genommen werden. Was dieser Filmbranche fehlt, was aber in anderen Branchen völlig selbstverständlich ist, ist, dass Leute mit einem gewissen Geist und Sachkenntnis und auch Branchenwissen mal ein paar Wahrheiten sagen. Die schonen sich alle, weil sie sich sagen: wenn ich jetzt sowas sage, dann werden die nie meine Filme spielen. Diese Dummheit zeigt sich auch beim Thema Filmförderung: Da wird es dann ernst, denn das sind wirklich Steuergelder. Aber das wäre ein anderes Thema.

Da können wir aber gleich anschließen. Denn manche Leute im Land sind ja der Ansicht, dass das Festival Mannheim-Heidelberg etwas gegen deutsche Filme hat. Lange Zeit gab es gar keinen Film. In diesem Jahr immerhin einen. Aber bei rund 50 Filmen ist der deutsche Film nicht gerade überrepräsentiert...

Die Frage ist schnell beantwortet: Mannheim-Heidelberg hat nichts gegen deutsche Filme, aber die deutschen Filmproduzenten haben etwas gegen Mannheim-Heidelberg. Jedenfalls in der Mehrheit. Offensichtlich.
Dafür gibt es einen historischen Grund: In den 80ern, als alle anfingen - Stichwort Yuppie-Zeitalter - endlich mit diesen "Problemfilmen" aufhören zu wollen, weil man damit nicht genug Umsatz macht, als der Rausch der großen Umsatzzahlen anfing, der ja gerade triumphal baden geht, da hat meine Vorgängerin starr nichts mit Geld zu tun haben wollen. Damit war sie zwar tapfer, es war aber trotzdem falsch. Man muss natürlich erst recht etwas mit Geld zu tun haben wollen, wo es um intelligente Kino geht. Mannheim war nicht der Ort für die Beziehungsfilmchen und ähnliches jener Zeit. Und Mannheim ist auch nicht, wie etwa Hof dafür bekannt, dass man dort irgendwelchen netten Nächte verbringen kann - was ja auch noch eine Rolle spielt. Und dann liegt es auch nicht, wie Locarno an einem netten See mit Palmen, sondern ist auch eine Industriestadt. Das zusammen war alles relativ tödlich für das genießende Yuppie-Zeitalter. Das war der historische Grund.
Hinzukommt: In der Branche ist Michael Kötz nicht dafür bekannt, dass er jetzt freiwillig besonders gern über ein Filmfestival ein Motto schreiben würde "Das Schönste am Film sind die Frauen" - wie das 'mal in München hieß. Weil ich mir dabei so blöd vorkäme... Und das zusammen war einfach schlecht.
Aber jetzt kommen bessere Zeiten: Wir bekamen einen Anruf von einem jungen Regisseur aus den neuen Bundesländern, der fand: Mannheim ist doch ein renommiertes Festival, die nehmen die Sache ernst, da will ich meinen Film hinbringen.
Der kam von sich aus: Ein sehr begabter Regisseur, der bisher Theater gemacht hat. Der Film ist nicht perfekt, aber ein hohes Talent. Und damit haben wir plötzlich bei uns im Land einen Effekt, an den wir international völlig gewöhnt sind.
Denn um es klar zu sagen: Wenn wir einen Film wollen, den Hamburg auch will, dann hat Hamburg ganz schlechte Karten. Es ist international völlig umgekehrt: Ein absurdes Verhältnis zwischen der Wahrnehmung Mannheim-Heidelbergs im Ausland und aus der Perspektive München-Hamburg. Schon ab der Schweiz sind wir sehr anerkannt. Es ist absurd, aber ich kann es auch nicht ändern. Obwohl es einen schon wurmt. Wir fühlen uns eindeutig ungerecht behandelt.

Gibt es keine Pläne, das zu ändern?

Es gab einen wunderbaren Plan. Vor zwei Jahren meldeten sich die deutschen Arthouse-Verleiher, um eine Art deutsche Arthouse-Messe zu veranstalten. Die hatten die Schnauze voll, dass ihnen die Großen immer die Schau stehlen. Und fanden Mannheim-Heidelberg wäre doch ein toller Ort dafür. Womit sie völlig recht hatten. Wir haben uns auch sofort ins Zeug gelegt. Ja und dann kam ein Kinobesitzer - mir ist wirklich grade der Name entfallen, sonst würde ich ihn auch nennen-, der hat dann ein Interview herumgereicht, wo ich darüber geklagt hatte, dass die Programmkinobetreiber keine richtige Programmhoheit mehr haben, nicht mehr zeigen können, was sie zeigen wollen. Das hat er als Beleg dafür genommen, dass ich gegen die Programmkinoleute sei. Der doppelte intellektuelle Rittberger bei beschränktem IQ.
Aber der hat die so lange belabert, bis er sich durchgesetzt hatte. Sonst hätten wir diesen Schauplatz für die deutsche Verleihszene intelligenterer Filme gemacht.

Ich kenne ja auch gute deutsche Filme, die noch nirgendwo gelaufen sind. Mannheim wäre doch der beste Ort, ein Gegenbild zu setzen: Es gibt auch anderes deutsche Kino. Hof kann das nicht leisten, München ist zu branchenhörig, zu fixiert auf die finanzierenden TV-Sender.

Natürlich gibt es gute deutsche Filme. Aber die nehmen sich dann auch oft das Forum der Berlinale und Holighaus' neue Reihe in Berlin oder Saarbrücken. Da gibt es Konkurrenz, da kommen wir immer zu spät. Aber strategisch versuchen wir dieses Vorurteil gegen Mannheim-Heidelberg innerhalb der Branche sozusagen von hinten aufzurollen. Es gibt nämlich andererseits, trotz aller Vorurteile kaum einen deutschen Filmproduzenten, der nicht schon von den "Mannheim Meetings" gehört hätte mit ihren wunderbaren Geschäftsmöglichkeiten, und der dann nicht angefangen hätte, sich zu sagen: Hof ist vielleicht netter, aber Mannheim ist effektiver ...

Das letzte Jahr war ja sehr erfolgreich: Insgesamt fünf Filme, also knapp 20 Prozent der Wettbewerbs-Filme haben einen deutschen Verleih bekommen, dazu kommen internationale Verkäufe. ELLING hatte großen Erfolg, KIRA wurde nicht nur zum besten Film des Jahres von der FIPRESCI (der internationalen Filmkritikervereinigung) ernannt, der Film hat auch einen Verleih bekommen. Ist das typisch, oder gibt es hier auch steigende Tendenzen?

Das ist schon seit ein paar Jahren so. Und dass nicht mehr Filme ins Kino kommen, liegt leider daran, dass nicht mehr gewagt wird von Verleiherseite her. Es liegt leider auch am Publikum. Das ist ein Kapitel, das wäre mehrere Promotionsarbeiten wert: Warum wir so viele Zuschauer haben, die in solche Filme gehen, und warum sie das den Rest des Jahres über das nicht tun. Jedenfalls faktisch nicht. Aber vielleicht würden sie es, wenn man sich andere Dinge einfallen ließe.

Gibt es in Mannheim eigentlich Programmkinos?

Ja, das "Atlantis" und das "Odeon" in denen wir auch spielen. Aber das sind ganz typische Programmkinos der Gegenwart, die werden immer kommerzieller. Das ist ganz merkwürdig. Irgendwas läuft da schief.

Kinobetreiber beklagen rückläufige Zuschauerzahlen. Die Ufa-Kette, immerhin die drittgrösste Kinokette Deutschlands, meldet Insolvenz an. Steckt das Kino in der Krise, wollen die Menschen keine Filme mehr sehen?

Dem Kino geht es ganz gut in Deutschland. Es gibt genügend Zuschauer, aber eine schleichende Krise ist dennoch feststellbar. Ich will jetzt aber nicht über den Mainstream reden, Ufa-Kinos zeigen ja Mainstream, und der läuft schon ganz gut, hat auch eigene Marketing-Strategien, mit denen man auf Probleme effektiv reagieren kann. Mir geht es um den Kunstfilm, den sogenannten Arthaus-Filmbereich, um die Autorenfilme. Hier ist, jedenfalls in Deutschland, viel falsch gemacht worden.
Die Zuschauer haben das Vertrauen in Arthaus-Filme verloren, in die Kinos, die Programmkinos zum Beispiel. Wenn die Programmkinos nicht mitspielen, können die Verleiher auch die schönsten Filme nicht unterbringen. Es gibt viele, die sagen, es liege an den Zuschauern, die keine komplizierten Filme mehr sehen wollten. Allerdings haben wir ja beim Festival immer die Kinos voll, wie Sie wissen, obwohl unsere Filme durchaus auch kompliziert sein können. Aber es sind immer Filme von Autoren mit einer persönlichen Handschrift - es sind eben genau die Filme, von denen es heißt, sie laufen im Kino nicht richtig. Das ist doch ein Widerspruch. Die Standardantwort auf diesen Widerspruch lautet: Das ist der Eventcharakter des Festivals, da läuft das, im Alltag nicht. Ich will jetzt nicht schwören, dass diese Antwort falsch ist, aber vielleicht könnte man mal Überlegen, welche Gründe es noch geben könnte.

Und welche kämen in Frage?

Zunächst der angesprochene Vertrauensschwund. Die Programmkinos haben aufgehört, konsequent interessante und gute Filme zu zeigen. Sie haben sie durchmischt mit halb guten Filmen, von denen man sich aber kommerziell mehr versprochen hat, so dass heute der Zuschauer nicht mehr damit rechnen kann, dass ihm wirklich Filme geboten werden, die es sich lohnt anzuschauen. Auf unserem Festival glauben es die Zuschauer aber, und wenn man das aufs Kino überträgt, müsste man versuchen zu erreichen, dass der Zuschauer das dort wieder glauben kann.

Welche Rolle spielt dabei die Konkurrenz des Fernsehens? Der Regisseur und Produzent Nico Hofmann meint, die deutschen TV-Filme seien geradewegs Weltklasse. Nur was fürs Kino produziert werde, sei nicht mehr so berauschend. Ist das ein stärkeres Problem geworden?

Fernsehen und Kino laufen parallel zueinander. Es gibt schon auf der Herstellungsebene enge Zusammenhänge, es entstehen keine Arthouse-Filme ohne Fernsehgeld, und alle laufen irgendwann auch im Fernsehen. Das ist die gängige Verwertungsschiene. Auf der Rezeptionsebene aber, also was den Zuschauer betrifft, laufen sie völlig unabhängig. Man kann einen Film im Fernsehen zeigen und danach ins Kino bringen, das haben schon viele Verleiher festgestellt, es ist erstaunlich. Nico Hofmann hat Recht, unsere Fernsehproduktionen - jedenfalls die von ARD und ZDF - sind großartig. Sie haben nach wie vor hohes Niveau. Wir haben das beste Fernsehen der Welt, das muss man klar und deutlich sagen - wegen ARD und ZDF, nicht so sehr wegen der Privaten, da haben wir ein durchschnittliches. Aber es ist eben was anderes als das Kino, und das meine ich mit verlorenem Vertrauen. Der Zuschauer hat ein gewisses Vertrauen in die Reihe "Tatort". Er weiß, da kommt etwas, das immer ein gewisses Niveau hat. Man hat ein Vertrauen hergestellt zu dieser Art von Fernsehen, und das Kino hat dieses Vertrauen verloren.

Wie wäre das Vertrauen zurückzugewinnen, mit welchen Filmen?

Ich glaube, entgegen dem Trend, entgegen dem, was als Trend behauptet wird, im Gegenteil dazu also, glaube ich, dass man Vertrauen gewinnt, indem man den Zuschauer ernst nimmt und von ihm annimmt, dass er hochkarätige Sachen sehen will, auch komplizierte Sachen, auch Sachen wo er schluchzend nach Hause geht, die nicht einfach nur lustig sind und die nicht nach 08/15-Muster gestrickt sind.
Man muss das vom Zuschauer annehmen, und das traut sich keiner mehr. Filme müssen sinnlich-klug sein, sonst sind sie nicht interessant. Sie müssen eine hohe Sinnlichkeit haben, und sie können dabei intelligent sein, mit Tiefe. Wir stellen beim Festival durch unsere rigorose Auswahl sicher, dass solche Filme laufen.

So ginge das Festival mit gutem Beispiel voran...

Absolut richtig, wir schaffen etwas, das doch auch in größerem Masstab zu schaffen sein müsste. Und zwar für das Publikum als auch für die Filmwirtschaft... Denn auch die Filmwirtschaft ist darauf angewiesen, dass diese Qualitätsfilme funktionieren. Es gibt sehr viele, die davon leben, dass sie hergestellt und verliehen und vertrieben werden, und die warten natürlich auch nur darauf, dass das Kino endlich wieder frei wird für diese besseren Filme. Es gibt keine Programmkinos mehr im Grunde genommen, das ist Mainstream auf einer etwas intellektuelleren Ebene, aber es ist kein Programmkino mehr. Dabei war die Idee ja gerade gewesen, vertrauensbildende Maßnahmen durch Programm zu erzielen, also durch gedankliche, programmatische Arbeit der Kinoleute, nicht einfach durch Abspielen aktueller Hits. Und nun kommt das Zweite, was man machen muss in diesem Reich des intelligenten Kinos. Man muss aufhören, auf Eventkultur, Hypes und Marketingtricks und sonstige Vermarktungslügen zu setzen.
Die Leute haben es satt, da bin ich ganz sicher. Das gehört auch zum Vertrauen, sicher zu sein, dass man hier nicht betrogen wird und mit irgendwelchen falschen Argumenten ins Kino gelockt wird.

Ihr schafft es bei Euerm Festival, dass fast alle Regisseure kommen. Bei 34 Newcomern plus Kurzfilmern kommen rund 40 Regisseure. Kommen die wegen des Marktes, oder weil es auch ein Publikumsfestival ist?

Die Regisseure kommen, weil sie dabei sein wollen, wenn ihr Film uraufgeführt wird. Für jeden Künstler ist es mehr wert, 400 begeisterte Leute im Kino zu haben, als 400.000, die es im Fernsehen einschalten. Das eine ist das Konkrete, das andere ist abstrakt. Man bekommt einen Bogen mit den Einschaltquoten - so what? Dann rufst Du Deine Freunde an, ob die's auch gerne gesehen haben, wenn nicht, war's ein Flop.
Die Regisseure lieben Mannheim-Heidelberg. Manchmal sind sie sogar richtig verknallt. Wir haben kaum einen gehabt, der davon enttäuscht war. Und diese Mund-zu-Mund-Propaganda ist unser größtes Kapital. Die merken, wie wir das machen, dass der Direktor keine Vorzimmerdame hat, dass hier notfalls jeder selbst Hand anlegt.
Sie fühlen sich hier wie auf einer Party, bei der sie im Mittelpunkt stehen, weil sie gerade Geburtstag haben...

In diesem Jahr gibt es erstmals einen "Distribution Market". Was hat es denn mit diesem neuen Markt auf sich?

Wir machen die "Mannheim Meetings" für Produzenten schon ein paar Jahre. Es ist so, dass ein Produzent, der noch einen Koproduzenten sucht, weil er sein Projekt noch nicht voll finanziert hat, hier fündig werden kann. Natürlich schaffen die das im Prinzip auch ohne die "Mannheim Meetings". Der Punkt ist nur, dass wir es ihnen sehr einfach machen. Sie müssen nur noch ankreuzen, wen sie treffen wollen. Wir veranstalten rund 400 one-to-one-meetings a 30 Minuten. Dann sind sie zwei, drei Tage hier, und treffen 35, 40 Leute. Sie wissen ganz schnell, ob das was wird. Man muss ja Vertrauen haben, sich kennenlernen, sonst nutzt der beste Vertrag nichts. So etwas ähnliches gibt es zwar auch in Rotterdam, aber der entscheidende Unterschied ist, dass wir auch den Kleinen eine Chance geben, nicht so von großen Namen beeindruckt sind.
Letztes Jahr habe ich mir überlegt, das Modell auf den Bereich Verleih und Verkauf zu übertragen. Weil natürlich jeder Sales-Agent eine Kundendatei hat, aber nicht immer ist die wirklich gut, beziehungsweise auf dem neuesten Stand. Weil der Agent natürlich nicht immer wirklich weiß, ob es in Bulgarien nicht vielleicht auch schon einen neuen Arthouse-Verleih gibt. Wir kriegen das aber raus. Wir können die anschreiben, und Interessen vorsondieren. Und dann bieten wir an: Wir organisieren für Euch ein Gespräch. Ihr könnt auch Filme angucken. Wir machen es den Leuten also einfacher, wir ersparen Weltreisen und Recherchen, wir geben zusätzliche Anregungen.
Wie wir das bei Produzenten machen, machen wir es jetzt auch für Filmrechtehändler, Einkäufer und Verleiher. Sogar das ZDF hat sich schon angemeldet. Obwohl man bei denen denkt: Die können doch warten, bis sie alle vorbeikommen. Aber da ist einer neugierig und sagt sich: Die kommen vielleicht doch nicht alle vorbei. Und da hat er auch recht.
Das ist alles! Es ist eigentlich ein ganz simples Modell.
Aber dieser "Distribution Market" ist weltweit etwas Neues. Das hat noch gar keiner gemacht. Und dafür habe ich dann auch gleich EU-Fördergeld in Brüssel bekommen. Ohne das geht es nicht, einen Teil müssen wir aber aus unserem allgemeinen Etat bezahlen.

Unter was läuft diese Förderung?

Das MEDIA II - Programm, Promotion-Distribution. Die fördern uns mit fast 120.000 EURO.

Das ist ja wie eine Messe. Ist es so, dass die Teilnehmer dann auch Euch Geld bezahlen, zumindest im Fall eines erfolgreichen Vertrages, oder ist das eine naive Vorstellung?

Wenn es richtig gut läuft, fange ich damit an. Aber das ist nicht so einfach, denn die kleineren Verleiher sind nicht gerade sehr finanzstark. Bei den "Mannheim Meetings" haben wir am Anfang die Flüge bezahlt, die Hotelzimmer - jetzt tun wir das nicht mehr. Beim "Distribution Market" werden sie jetzt alle eingeladen. Immer am Anfang. Das muss sich rumsprechen, wenn es sich nicht rumspricht, funktioniert es nicht. Und die ersten, die gleich kommen, ohne das es das schon mal gab, sind einfach auch die Mutigsten. Die werden belohnt für den Mut. Das muss einfach ins Rollen kommen. Und fürs MEDIA-Programm der EU machen wir perfekt das, was das MEDIA-Programm machen will. Deswegen bekommen wir Geld. Denn der "Distribution Market" ist europäisch, während die "Mannheim Meetings" weltweit sind, wenn auch naturgemäß viele Europäer kommen. Dieses MEDIA-Programm ist übrigens ein sehr intelligenter Verein, richtig abgefuchst. Die prüfen sehr sorgfältig. Jeder der glaubt, dass er die mit irgendwelchen Bluffs reinkommen kann, hat sich tief geschnitten. Die wissen mindestens das, was der Antragsteller weiß, meistens mehr. Und sie arbeiten richtig, halten sich nicht lange mit irgendwelchen Repräsentationssachen auf. Wenn man da hinkommt und einen Kaffee will, dann muss man sich den unten am Automaten holen, da kommt keine Sekretärin und serviert ihn im Vorzimmer. Es sieht nach wirklicher Arbeit aus.

Wo soll es in einigen Jahren mit diesen Einrichtungen hingehen?

Ich glaube dass der "Distribution Market" eine echte Bedarfslücke füllt. Ob das auch alle merken, weiß ich nicht. Es ist ein Experiment. Wir haben schon positives Feedback bekommen. Wenn wir Glück haben, spricht es sich schnell herum, dass es sich lohnt, dahin zu gehen. Aber leider ist die Branche sehr kurzlebig. Und ein Sales-Agent, der umsonst hier war, der kommt erst mal drei Jahre nicht. Jetzt in der Vorbereitung habe ich auch begriffen, warum das bisher kein anderer gemacht hat. Weil es gefährlich ist.

Kommen wir mal zum diesjährigen Programm. Man hört, Dein Lieblingsfilm sei dieser japanische Selbstmörder-Film GROWING, GLOWING?

[Lacht] Nein, kein Lieblingsfilm. Das ist ein schauriges Teil. Aber es ist einfach ein intelligenter Film. Was ich ihm vorwerfe, ist, dass er am Schluß noch mal diesen Selbstmord zeigt. Aber es ist gar kein Film über Internet-arrangierten Massenselbstmord, sondern über die seltsame pubertäre Lebensmüdigkeit. Das Werther-Syndrom. Aber gleichzeitig ein Film über japanische Kultur. Also so weit ich es verstehe. Aber ich ahne es. Ich habe neulich Japaner gefragt, warum die Filme, die wir sehen, immer so bizarr sind, wenn es um Erotik geht. Die Antwort war, dass Sex und Liebe nichts miteinander zu tun haben in Japan. Man kann sich dann auch nicht schämen, Das ist die Abwesenheit des christlichen Denkens und seines enormen Einflusses. Das kann man in diesem Film wahrnehmen. Deswegen hat er philosophische Bedeutung. Zugleich hat er psychologische Bedeutung in der Schilderung dieses Zustandes, und er hat eine hohe Erlebnisqualität. Ein interessanter Trip in eine andere Kultur. Bei uns würde so etwas vielleicht auf den Index kommen, aber es würde gar keiner schreiben, das würde an der Selbstzensur scheitern.

Und er stammt von einem ganz jungen Regisseur...

Ja, der ist knalljung und wahrscheinlich voll betroffen. Aber statt sich umzubringen, hat er doch einen Film gemacht.

Welche anderen Filme sind wichtig? Ihr setzt auch politische Schwerpunkte...

Ja, das "Cinema Attac" ist ein Spiel mit dem Publikum. Der Name ist ein Witz, aber wie immer auch toternst. Globalisierung im Kino kennen wir alle. Was der Autorenfilm mal war, brauchen wir wieder: Ästhetisch unverschämte Filme, interessante Grenzfilme. Auch international findet man das aber kaum. Darum greifen wir in die Kiste der älteren Filme, um zu erinnern, was es mal gab, dass es diese Attac-Qualität mal gab.

Es gibt einen Polen-Schwerpunkt...

Ja, der ist toll. Polnisches Kino war ja schon früher sehr gut. Dann kam ein Bruch, und jetzt knüpfen junge Regisseure an diese Tradition von Wajda, Zanussi, Holland an. Aber es ist ein frisches Kino, dass etwas eigenes hat, neu ist und trotzdem an die alten Filme erinnert.

Spürt man Zeitgeist in den Filmen ?

Zeitgeist finde ich eine wichtige Kategorie. Ich glaube, dass es ihn gibt, und dass man ihn an Filmen ablesen kann. Mehrere Filme haben etwas mit Selbstmord zu tun. Politik spielt auch eine Rolle, als Gegenstand und als Schauplatz. Ansonsten haben wir ein unglaubliches Spektrum: Spanien, Brasilien, Finnland, Griechenland... Aber Lieblingsfilme möchte ich nicht verraten

Warum gibt es keinen Dokumentarfilmpreis mehr? Damit hat Mannheim schließlich einmal angefangen... Ist das die endgültige Versenkung der Tradition?

Ja, das ist schon tragisch. Aber wir können ja nicht als Newcomer-Festival so lange warten, bis der letzte begriffen hat, dass es klassische Dokumentarfilme heute nicht mehr gibt. Durch die neuen Techniken kann ich den Bundeskanzler sagen lassen, was er nie gesagt hat - und keiner merkt es. Wir brauchen einen neuen Begriff von Authentizität und von Realität. Viele unserer Filme spielen damit, dass es ein Dokumentarfilm sein könnte. In einem Film, L'ENFANT D'AMOUR sagt ein Kind einmal: "Mutter, wunder' Dich nicht, aber das Kamerateam ist gerade da." Das ist ein interessanter, erfrischender Umgang mit dem Problem.
Es wird oft mit Dokumentation und Essay und Fiktion gespielt, etwa in dem Stadtfilm TOKIO NOISE. Oder SEVEN DAYS IN TEHERAN: Ein Spielfilm, der so tut, als würde er dokumentarisch ein Filmteam begleiten, dass im Iran eine Reportage dreht. Alles echt, nichts gebaut, trotzdem ist es fiktiv.

Also immer wieder die Imitation von Authentizität, künstliche Authentizität?

Ja. Ein wichtiges Thema, das durch die neuen Techniken kommt, und durch die Präsenz von Medien. Wir greifen das auf, zeigen Filme, die spannend sind, und schaffen das klassische Genre des Dokumentarfilms ab, bevor es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Jeder unserer Filme ist ein Dokumentarfilm. Und "Dokument" ist eine Funktion.

Dann gibt es die erste richtige Werkschau von Zhang Yimou...

Bei uns hat die Hommage die Funktion, den jungen Regisseuren einen Meister gegenüberzustellen. Es geht natürlich auch um die intensive Wirkung, die es hat, die Filme eines Autors zusammen zu sehen - eine Aufgabe, die eigentlich die kommunalen Kinos erledigen müssten. Das tun sie aber nicht.

Mannheim ist ein wichtiges Festival in Deutschland, aber gewiß das Wichtigste in Baden-Württemberg. Jetzt gibt es in Ludwigsburg fast zeitgleich plötzlich auch ein Festival...

Professionell gesehen bedeutet es gar nichts. Nur regionalpolitisch ist das vielleicht ein Problem. Denn manche Regionalpolitiker halten etwas offenbar automatisch für bedeutend, wenn es näher an Stuttgart liegt. Weil sie die internationale Perspektive gar nicht draufhaben.
Aber ich verstehe nicht, warum die etwas machen, was keiner braucht. Trotz 200.000 Mark Preisgeld hat den Preis immer ein Film bekommen, der schon auf 17 Festivals lief. Das ist nur peinlich. Die Branche ist nicht so blöd. Und ich fürchte, man hat Christel Drawer nur mit ins Boot genommen, damit jemand schuld ist, wenn es nicht hinhaut.

Welche Bedeutung kommt eigentlich bei alldem der Filmförderung zu, die ja die bisherigen Kulturstaatsminister alle reformieren wollten?

Natürlich eine entscheidende. Ich halte sie für falsch, auch wenn sie noch so üblich geworden ist - diese furchtbare Vermischung von Kommerz und künstlerischer Qualität im Filmbereich. So als wären das dicke Freunde. Wir hätten gar keine Kunst im Bereich der Musik oder Literatur, wenn es nicht schon seit ewigen Zeiten einen unauflöslichen Gegensatz gegeben hätte zwischen Ökonomie und Qualitätsanspruch der Kunst. Ich kann die Kunst nicht danach beurteilen, wie viel Leute sie anschauen oder konsumieren wollen. Das ist Unsinn. Warum sollte nicht ein Land nur Qualität fördern und aufhören, die Halbqualität und die kunstgewerblichen Filme auch noch zu fördern?

Wobei man trotzdem noch sagen kann, dass der Film sowohl Kunst als auch Unterhaltungsmedium ist...

Kunst muss sowieso unterhalten. Basta. Wenn man dem künstlerisch anspruchsvollen Film sagt, er soll aber auch unterhaltend sein, dann fängt das Unglück an. Sagen wir ihm einfach, er soll gut sein. Holen Sie sich Fachleute, die sagen können, wann ein Film gut sein wird. Und dann wird das unterhaltsam sein. Es muss Schluss sein mit dieser Vermischung. Die hat uns ins Elend geritten in Deutschland, und es endete mit diesen ganzen Börsengängen. Als dann der Blödsinn zusammenbrach, habe ich gedacht: Jetzt werden sie es begreifen. Nichts tun sie bislang.

Welche Anforderungen sollte man denn an einen guten Film stellen dürfen?

Ich bin ja nicht Teil einer Lobby, ich denke einfach über die Sache nach auf der Basis unserer Erfahrungen mit dem Festival. Aber ich frage mich: Warum gibt es nicht eine Art Label für den guten Film? Und ein Gremium, das Qualitätsfilme von Schrott unterscheidet? Wenn das geschähe, könnte man dem Film einfach nur Punkte geben, einen Stern, zwei Sterne, drei Sterne. Wer drei Sterne hat, der kriegt die höchste Förderungssumme, wer zwei hat, die halbe, wer einen Stern hat nur noch ein bisschen was, und wer gar keinen hat, kriegt kein Geld, weder für die Produktion, noch für den Verleih, noch wenn er den Film im Kino zeigt. Ist doch simpel, oder? Wir brauchen ein Erkennungszeichen, das wäre auch für den Zuschauer gut.

Es gibt ja beispielsweise die evangelische Filmbewertung, die Prädikate vergibt, was wäre dazu der wesentliche Unterschied?

Das wären keine ideellen Prädikate, wie die der Kirchen. Es geht bei dieser Label- oder Markenidee darum, fürs kaufmännische Umgehen mit Film ein handfestes Zeichen zu schaffen. Das sind sozusagen Wertgutscheine für den Handel. Ich weiß, wenn ich diesen Film produziere und ich bekomme dafür diese drei Sterne, dann werde ich 100 Prozent der möglichen Förderung kriegen, um ihn zu verleihen, und ich werde, wenn ich Kino mache und diesen Film zeige, 100 Prozent der möglichen Förderung kriegen. Und wenn ich nur einen Stern habe, werde ich eben nur dreißig Prozent kriegen, wenn ich gar keinen habe, nichts. Das weiß ich vorher. In ein solches am besten bei der Filmförderung selbst installiertes Gremium müssen allerdings keine Lobby-Experten sitzen, die Interessen vertreten, keine Lobbyisten, sondern solche, die ins Kino verliebt sind, wirkliche Experten, die unbedingt auch große Erfahrungen haben müssen mit solchen Beurteilungen.

Man müsste sich ja erst mal drauf verständigen können, dass dem Film und der Filmförderung eben eine besondere Bedeutung zuzumessen ist, eine gesellschaftlich funktionale. Wie würdest Du diesen Zusammenhang oder diese Funktion des Films definieren?

In Deutschland wird immer noch mindestens 300 Mal so viel Steuergeld aus gegeben für Theater und Oper wie für Film. Alle Filmförderungen zusammengenommen sind ein 300-stel dessen, diese Relation ist komplett absurd. Film kann Kunst sein, das Zelluloid hat die selben Potenziale wie die Bühne oder ein Orchestergraben, mindestens dieselben. Wenn ich das begreife, kann ich nicht sagen: Ich schließe das vom Auftrag eines Staates, sich um die Kunst zu kümmern und sie zu pflegen und zu schützen, aus. Also braucht man Förderung und hat sie legitimiert. Nur muss diese Förderung aufhören, halbseidene Sachen, im Grunde kommerzielle Sachen zu fördern. Noch ein paar Zusatzkopien bezahlt für den SCHUH DES MANITU mit Steuergeldern - da wird einem doch schlecht. Konsalik bekam ja auch keine Steuergelder für einen neuen Roman...

Bislang ist es ja leider so, dass man auf Festivals Filme mit viel Interesse sieht, die aber viel zu selten einen Verleih finden. Wie sieht die Erfolgsbilanz des Festivals Mannheim-Heidelberg aus?

Wir haben jedes Jahr immerhin drei, vier Filme, die ins Kino kommen. Das kommen sie manchmal mit bescheidenem Erfolg und manchmal mit größerem Erfolg, aber dass er bescheiden ist, heißt nicht, dass der Film nicht sehr gut war. Der Verleiher hat einfach nicht mehr wirtschaftliches Potenzial. Und einen Film mit drei Kopien zu starten ist angesichts der drei- oder fünfhundert Kopien eines mittleren Mainstream-Films sehr bescheiden, oft wirkungslos. Da braucht man eben Hilfe...

Sind mit dem Selbstverständnis, dem Konzept, mit dem Mannheim in der Vergangenheit erfolgreich war, auch die Weichen für künftigen Erfolg gestellt?

Unsere Konzentration auf Newcomer, die noch auf keinem großen Festival liefen, auch nicht in Cannes oder einem Nebenprogramm der Berlinale, funktioniert. Wir haben jedes Jahr mehr gute Filme zur Verfügung, als wir zeigen können. Wir haben nicht den leisesten Anflug einer Krise.

Wäre es nicht trotzdem denkbar, als Aushängeschild einen hoch dotierten Hauptpreis zu etablieren? In Mannheim-Heidelberg wurde ja stattdessen erst einmal das Preisgeld eingespart...

Wir haben nicht einen Film weniger angeboten bekommen, weil die Preise nicht mehr dotiert sind. Es hat auch nie in den letzten fünf Jahren einer gefragt, ob die Preise dotiert sind und wieviel man gewinnen kann. Das interessiert die Filmemacher nicht. Man geht auf ein Festival, wenn es eine große und hohe Reputation hat, weil das förderlich ist, um ins Fernsehen zu kommen, Einkäufer oder Verleiher auf sich aufmerksam zu machen oder Geld für den nächsten Film zu bekommen.
Dennoch: Für das, was wir machen, was wir dem Land geben, was wir auch der Bundesregierung geben, ist unser Etat sehr niedrig, ist das alles sehr wenig Geld - auch wenn wir in den letzten zehn Jahren den Etat verdreifacht haben. Dafür machen wir nun mal auch sehr viel. Und wir sind eben das einzige internationale Kulturereignis der Region. Ich sage nicht, das Mannheimer Nationaltheater sei unbedeutend. Es interessiert aber in Frankreich niemanden, uns dagegen findet man auch in Brasilien interessant. Wenn Sie nach Rio fliegen und jemanden vom Fernsehen treffen, dann kennt der von Mannheim wirklich nur unser Filmfestival.

   
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