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Der Baske Alex de la Iglesia wurde 1965 in Bilbao geboren,
und arbeitete zunächst als Comiczeichner. 1992 debütierte er mit
dem Film ACCION MUTANTE, einer schrägen Geschichte um eine Gruppe
verkrüppelter Terroristen. Dieser Science-Fiction-Splatter erlangte
in Spanien Kultstatus. De la Iglesias zweiter Film EL DIA DE LA
BESTIA erzählte 1995 die Geschichte eines Priesters, der zum
Verbrecher wird. (Das Interview führte Rüdiger Suchsland. Es
entstand bereits während des Filmfests München, also während der
Fußball WM, bei der Spanien gerade eine Woche zuvor mit dem
baskischen Nationaltrainer Xavier Clemente unglücklich
ausgeschieden war, daher die Eingangsfrage.)
Artechock: Interessieren Sie sich für Fußball?
Alex de la Iglesia: Nein, ich interessiere mich absolut nicht
für Fußball, allerdings stamme ich aus Bilbao, und dort ist Fußball
sehr wichtig. Ich habe einmal dort ein Spiel im Stadion gesehen:
Athletic gegen Real Madrid, also das Baskenland gegen den
Zentralismus, und Bilbao hat dieses Spiel gewonnen. Als ich aus dem
Stadion rauskam –ich hatte ein Fähnchen von Athletic Bilbao dabei-,
haben Anhänger von Madrid -Real hat ja sehr radikale Fans, die
faschistischen Ultras-, die haben mit allem möglichen auf mich
geworfen, und mich aus lauter Wut mit einer aufgeschlagenen
Whiskey-Flasche so verletzt, daß die Wunde mit 12 Stichen genäht
werden mußte. Darum erinnere ich mich mein Leben lang an dieses
Spiel, aber zugleich geht mir seitdem Fußball endgültig am Arsch
vorbei.
Was sind die Essenz von ihrem neuen Film PERDITA
DURANGO? Vieles wird angeschnitten, und kommt in dem Film vor,
aber worum geht es hauptsächlich?
Vom wilden Leben... natürlich ist es in
erster Linie eine Literaturverfilmung. Die Themen des Buches,
denen ich eine besondere Bedeutung geben wollte, war zum einen die
leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen den beiden
Hauptfiguren, und dann das Thema der Religion und vor allem der
Abarten von Religion. Ein Thema, das so nicht im Buch vorkam,
aber mir besonders wichtig war, ist der Gedanke des Opfers, den die
Hauptfigur Romeo formuliert: "Wir müssen Opfer bringen, um selbst
zu leben". Das heißt: Das Leben ist ein Opfer. Alle Religion
dreht sich um menschliche Opfer. Gott ist keiner, der passiv bleibt
und zuschaut was die Menschen so treiben, wie es uns der
Katholizismus weismachen will, sondern Gott ist ein Böser, er ist
gierig, hat Hunger, darum müssen wir ihn immer wieder füttern, um
selbst zu überleben. Diese Idee, die mich sehr fasziniert,
stammt aus der aztekischen Kultur: Um die Götter gnädig zu stimmen,
müssen wir ihnen ständig Opfer bringen, auch Menschenopfer.
Deshalb glaubt auch Romeo, daß die Kreuzigung Christi nicht so
war, wie die offizielle Version der Christen später behauptet hat,
nämlich als ganz passives Leiden, als sanfter Übergang zu Gott,
sondern daß es ein echtes Menschenopfer war, ganz im Sinne der
Azteken. Das wird ja auch in der einen Szene gezeigt, wo Romeo
diese Idee dem jungen weißen Amerikaner Duane erklärt. Aber man
sollte das andererseits auch alles wieder nicht zu ernst
nehmen.
Eine direkte Frage dazu: Vielleicht täusche ich
mich, weil ich nicht so katholisch bin, und es nicht so genau weiß.
In dieser Szene bekommt Christus am Kreuz erst die Dornenkrone
aufgesetzt. In der Bibel geschieht das viel früher. Welchen Grund
hat diese Darstellung?
[Lacht] Diese Freiheit nehme ich mir.
Weil ich diese Szene wollte, die Gewalt, in der Christus die
Dornenkrone aufgesetzt wird, das ist sehr gewaltsam. Und diese
Version erscheint mir persönlich auch viel wahrscheinlicher.
Es ging ja darum, Christus öffentlich, für alle sichtbar
Schmerzen zu bereiten. Aber es gibt viele Lügen über
ihn. Christus war kein Passiver, nicht dieser Müsli-Typ,
zu dem er bei uns immer gemacht wird. Er war aktiv, und mußte
auch aktiv gebrochen werden, Gewalt gegen Gewalt. Der ist in
den Tempel gegangen, und hat dort auf den Putz gehauen. Der war
nicht glücklich, daß sie in da ans Kreuz geschlagen
haben. Darum ist meine Version die wahrscheinlichere, die
bessere. Denn das Leben ist eine Tragödie, mit echten Schmerzen.
Romeo ist eine Person, die ganz starken Bezug zu diesen Dingen
hat. Wenn er brutal ist, und Menschen tötet, dann tut er
das nicht aus Lust daran, sondern weil er fest davon überzeugt
ist, daß er das tun muß; er tut es, weil er sich
dazu verpflichtet fühlt. Weil es einen Sinn macht für
ihn. Romeo ist auch kein gebrochener Typ. Er macht zwar Dinge,
die von unserem Standpunkt aus gesehen moralisch verwerflich
sind, aber er ist immerhin authentisch. Er tut das, weil er wirklich
dahinter steht, er ist nicht zynisch, und er raubt Banken aus,
weil er Spaß daran hat. Er lacht dabei. Er ist in Frieden
mit sich selbst. Und darum verliebt sich auch Perdita in ihn,
weil sie das erkennt. Weil sie sein hundertprozentiges Ich-Sein,
sein Unverfälschtsein schätzt. Romeo lebt ja auch nicht
in moralischen Zwiespältigkeiten, er hat überhaupt
keine Zweifel. Er scheitert erst, als er jemanden findet, der
stärker ist, als er.
Ist diese Art von Authentizität
denn ein Wert-an-sich. Besser ein authentischer Bankräuber
als ein unauthentischer Filmemacher?
Das
wollte ich zeigen, daß es die beiden Versionen gibt, wie
man das Leben angehen kann. Man kann sich schützen und sagen:
Ich lasse nichts an mich ran, ich vermeide ständig die Probleme
und verdränge. Romeo macht das andere, und das Ende
ist dann eben auch ein tragisches. Romeo ist sich darüber
aber auch von Anfang an im Klaren. Es gibt natürlich auch
Zwischenwege. Aber für filmische Zwecke ist es besser, das
idealtypisch zuzuspitzen. Am Anfang des Films fühlt
sich Romeo wie der Held "Silver Surfer", den er bewundert. Er
glaubt, er sei unverletzlich. Zudem er auch Amulette trägt,
an die er glaubt. Es gibt ja in meinem Film auch dieses Voodoo-Element.
Götter und Magie sind im Leben der Akteure präsent.
In dem Moment, wo Romeo dann diese Amulette verliert, verliert
er auch den Glauben an seine eigene Unverletzlichkeit. Es ist
ein bißchen wie Samson, der seine Kraft verliert, als er
geschoren wird.
Mich interessiert, wie Ihre persönliche
Haltung zur Religion ist. Sind Sie ein religiöser Mensch
? Glauben Sie an Gott?
Ja, ich habe
einen starken Bezug zur Religion. Daß ich gläubig
bin, wage ich nicht zu sagen, aber ich wünschte, ich wäre
es. Mir gefällt sehr die Idee eines Gottes, aber eines
Gottes, der sich nicht unseren Vorstellungen beugt. Die mit Leiden
zu tun hat: Wie Galactus, der Planetenfresser. Gott existiert,
aber er ist nicht gut.
Es ist also richtig, zu
sagen, daß die Figuren Ihres Films mythische Archetypen
sind. Sie beschreiben keine realen Figuren, sondern einen Götterkampf.
Ja, die Realität langweilt mich.
Aber die Figuren sind nicht absolut platt. Sie reflektieren lebendige
Positionen. Sie sind übertrieben, überzogen und grotesk,
wie Comicfiguren, aber gleichzeitig haben sie auch genug Schattierungen,
mit denen man sich als Zuschauer auch identifizieren kann. Sie
haben genug Menschliches an sich.
Mir ging es
auch so, daß es im Grunde beides zugleich gibt, daß
die Figuren schon stärker –und das bestätigt auch unser
Gespräch- symbolische Archetypen sind; aber auf der anderen
Seite sind die Charaktere sehr realitätshaltig. Ähnlich
wie bei Lynch oder Tarantino –man kann noch andere nennen- wird
sehr präzis -in diesem jungen Pärchen, das von Perdita
und Romeo als Geisel genommen wird- der normale amerikanische
White-Trash dargestellt und verkörpert. Und auch der Polizist
zeigt Züge, die für mich viel mit der Realität
von heute zu tun haben. Es gibt also nicht nur dieses Mystische.
Ja ganz genau, ganz klar, allein schon
aus Gründen des Kontrasts und der Filmbalance: Erst wenn
man diese starke Realebene hat, gewinnen mythische Figuren an
Profil. Es ist auch ein Streit zwischen alten und neuen Werten:
In der Szene in der das Duell zwischen Romeo und seinem Cousin
stattfindet, ist Romeo derjenige, der die Tradition aufrechterhält
(wie sich viele, die heute progressiv sind, sich auch auf einige
alte Werte beziehen). Das repräsentiert unsere soziale Realität.
Das finale Duell ist episch, ganz grundsätzlich, wie
man das zum Beispiel auch aus Mafiafilmen kennt. Und um das
am Ende nicht zu schwer werden zu lassen, gibt es die Paralellmontagen
mit den beiden Polizisten. Wobei ich das natürlich nicht
erfunden habe, daß Sachen, die sehr schwer zu werden drohen,
durch humoristische Einlagen abgefedert werden. Das gibt es in
vielen Filmen. Alles ist sehr romantisch, sehr emotional, wie
ein alter Western. Eben wie Robert Aldrichs VERA CRUZ.
Ihr
Film ist auch eine sehr gute Analyse der Vereinigten Staaten,
aber eine sehr aggressive, sehr harte, wenn man so will antiamerikanische.
Ja, ja, ich bin so antiamerikanisch,
wie es klarer nicht möglich wäre. Ich habe zwei Jahre
in Mexiko verbracht, bevor ich den Film gedreht habe, und dort
auch Recherchen gemacht. Ich habe vor dem Film zwei Jahre in
Mexiko verbracht, bevor ich den Film gemacht habe, und dort auch
Recherchen gemacht. Meine Ansichten über Film und auch das
Leben im Allgemeinen haben sich durch diese Mexiko-Erfahrung
sehr verändert. Ich war in Tijuana und Nogales. Die ganze
Gegend dort ist eine Zeitbombe, die irgendwann explodieren wird.
Das was ich dort erlebt habe, reicht für viel mehr, als
nur einen Film aus. Ich habe mir die ganzen Dinge, die in dem
Film vorkommen, die Darstellung des sozialen Lebens, Kleidung,
Redeweisen und Verhalten nicht ausgedacht. Viele Kostüme,
zum Beispiel die Stiefel mit den Schlangenköpfen, die im
Film vorkommen, habe ich in Geschäften an der Grenze gekauft.
Wobei das Schlangenleder ja auch eine Anspielung
auf "Wild at Heart" ist, und damit auf Marlon Brando Vorbild
mit dem "Snake Skin Jacket"
Ich habe
die ganze Zeit während der Vorbereitungen überlegt:
Was kann ich tun, damit meine Kleidung ganz anders ist, als "Wild
at Heart".
Ist jemand wie Lynch für Sie ein
Vorbild? Oder interessiert Sie das nicht.
Nun,
ich denke, wenn man jemand ganz besonders mag, versucht man um
so mehr sich davon abzusetzen. Weil man ihn nicht imitieren will.
Was mehr für Lynch gilt, als für Tarantino. Ich
fühle mich Lynch mehr verbunden. Selbst die Filme von Lynch,
die ich überhaupt nicht mag, habe ich 7 mal gesehen. Scorsese
ist für mich ebenfalls sehr wichtig. Das ist ein Avantgardist,
seine Filme sind ätzend radikal, und tarnen sich nur als
kommerzieller Hollywood-Mainstream. Das ist viel besser, als
die platte, witzlose Provokation, die man oft bei sogenannten
Independent-Filmern erlebt. Humor ist mir sehr wichtig. Es muß
in Filmen einfach gute Witze geben. Ein Film, der für
mich ebenfalls eine große Referenz war, ist BRING MIR DEN
KOPF VON ALFREDO GARCIA von Sam Peckinpah, in dem ich cinematographisch
einen viel stärkeren Bezug zu den Bösen habe, als zu
den Guten. Weil die Bösen einfach interessanter sind. Und
liebevoller gezeichnet. Auch in VERA CRUZ, den ich in PERDITA
DURANGO zitiere, ist es ja so, daß man sich mehr für
Burt Lancaster interessiert, der Outcast ist, als für Gary
Cooper. Denn die Bösen sind im Film mit sich mehr im
Reinen, als die Guten. Das haben meine Sachen gemeinsam mit Peckinpah.
Wobei
dann doch die Guten interessanter sind. Denn eigentlich sind
doch diejenigen viel interessanter, die mit sich nicht im Reinen
sind. Aber mir scheint, daß auch Ihre Bösen nicht
wirklich mit sich im Reinen sind, sie sind authentisch, aber
sie haben innere Konflikte.
Romeo ist
einer, der zufrieden ist mit sich, heiter. Er tut das, was für
ihn moralisch richtig ist. Die Guten machen das, was man
ihnen sagt. Ich will diese Sichtweise brechen, die die Guten
mit ihrer tollen katholischen verranzten verschleimten Moral
von den vermeintlich Bösen haben. Sie sagen immer: Die Bösen
sind dazu gezwungen Böses zu tun, in Wirklichkeit haben
auch die ein schlechtes Gewissen. Aber so einfach ist es nicht,
so ist es nicht. Einer, der etwas Böses tut, ist jemand,
der seine eigene Moral hat. Das ist eine fremde Vernunft, eine
Vernunft des Hasses. Hitler hat auch nicht gedacht: Eigentlich
bin ich Böse und habe ein schlechtes Gewissen. Das Entscheidende
an den Guten ist, daß sie ohne selber nachzudenken, das
akzeptieren, was ihnen vorgeschrieben wird.
Das
ist sehr katholisch, diese –aristotelische- Idee daß niemand
absichtlich, wissentlich etwas Böses tut. Aber es ist auch
nur die eine Seite des Katholizismus.
Ich
spreche jetzt natürlich von Stereotypen: Der Katholizismus
glaubt, daß jemand, der das göttliche Gesetz von Gut
und Böse bricht, es immer bricht, weil er schwach ist oder
weil er in Versuchung geführt wurde, aber niemals weil er
schlicht und einfach eine andere Entscheidung getroffen hat,
und zu einem anderen Schluß kommt.
Ihnen
geht es um den freien Menschen?
Ja,
natürlich. Ich will, daß jederman in jedem Moment
frei entscheidet, und von selber weiß, was er tun muß.
Daß er sich nicht abhängig macht. Sich nicht einfach
anpaßt, sondern frei und unangepaßt ist.
Persönliche
Gewaltausübung ist immer unangepaßt. Macht Gewalt
frei? Ähnlich wie Sex? Perdita sagt einmal: "Ficken und
Töten sind die beiden größten Passionen im Leben."
Sind das Mittel der Befreiung?
Jedenfalls
macht das Gegenteil nicht frei. Wenn man Sex und Gewalt unterdrückt,
ist man unfrei. Ich teile zwar überhaupt nicht die Lebenseinstellung
meiner Hauptfiguren. Ich bin selbst eher ein Feigling. Und ich
weiß genau, wie sie es auch wissen, daß dieser Lebensstil,
diese Radikalität, alle Launen und Leidenschaften und Lüste
direkt auszuleben, automatisch und notwendigerweise zu einem
fürchterlichen Ende führt. Aber auch wenn sie wissen,
daß sie dafür bald fürchterlich bestraft werden,
sagen diese Menschen: es ist besser. Es ist besser, anders zu
leben. Die andere Seite, daß ist wie Ray Liotta in Scorseses
"Godfellas", der sagt: Ich hatte alles Geld der Welt, und alle
Frauen, und jetzt gebe ich alles aus, um ein kleines bürgerliches
Leben zu haben. Oder auch in "Casino", wo Robert de Niro dasselbe
tut. Das ist eine ziemlich bourgoise Moral in der Tradition der
Selbstbeherrschung. Wobei ich denke, daß Scorsese mit dieser
Haltung nicht rundum sympathisiert.
Sie sind
Baske. Machen Sie baskische Filme, oder spanische. Oder sind
diese Kategorien sinnlos?
Nun, mein
Film ist schon ein spanischer. Die Schauspieler, die Finanzierung
kommen aus Spanien. Speziell baskisch ist da gar nichts dran.
Aber ich kann mit diesen Unterscheidungen wenig anfangen. Ich
bin kein Nationalist. Politisch kommt es auch auf andere Dinge
an, als darauf, den Gegensatz zwischen der Zentralregierung und
der Region zu schüren. Das verbirgt andere Konflikte, die
wichtiger sind, etwa soziale Gegensätze, und die Frage,
wie frei eine Gesellschaft ist. Mein Film gehört aber
sicher in bestimmte Traditionen. Außer den schon genannten
würde ich da vor allem den phantastischen Film aus den zwanziger
und dreißiger Jahren nennen: Murnau, Fritz Lang. Und auch
jemand wie Billy Wilder ist wichtig für mich. Aber wahrscheinlich
gehöre ich am ehesten in die Tradition des schlechten spanischen
Films.
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