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23.06.2004
 
 
     

Die beste Fleischwurst
Fünf Deutsche Filmpreise gehen an GEGEN DIE WAND, doch die Zukunft des Preises ist unsicherer denn je

 
 
Preisträger: Mario Adorf, Sibel Kekilli, Birol Ünel
 
 
 
 
 

Einmal erhoben sich alle: Mario Adorf wurde da für sein Lebenswerk geehrt, und hinter ihm flimmerten ein paar Erinnerungsbilder an seine große Karriere: NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM von Siodmak, dann die Zeit in Italien, als ihm Opas Kino schon keine guten Aufträge mehr geben wollte, dann die Rückkehr in den 70ern in Schlöndorffs BLECHTROMMEL und bei Fassbinder, späte Auftritte bei Dietl. Da war er, jener Moment echten Glamours und echter Tradition, nach dem sich alle so sehen, nicht etwas schief Angeschminktes, wie man es bei solchen Anlässen schon so oft erlebt hat. Die Erinnerung an Adorfs Karriere maß den ganzen Weg des deutschen Nachkriegskinos noch einmal ab, ein Weg, der auch der des Deutschen Filmpreis' ist, der am Wochenende zum letzten Mal in alter Form vergeben wurde. Ohne Not wird er von der Kulturstaatsministerin Christina Weiss und ihren Souffleuren um den Produzenten Bernd Eichinger jetzt geopfert. In Zukunft soll er durch die gerade erst gegründete Filmakademie vergeben werden, eine sympathische Institution, doch ohne rechte Aufgabe, und nach allem, was man hört, vorläufig arg Eichinger-hörig. Das kann dem Preis und dem deutschen Film nur schaden.

Der Deutsche Filmpreis, man darf das nicht vergessen, ist ein Kulturpreis, der mit Abstand höchstdotierte (über 3 Millionen Euro) und traditionsreichste der Republik. Er ist gedacht als Subvention für Kultur, ausdrücklich der Kunst, dem "künstlerischen Rang" eines Films und nichts anderem gewidmet. Damit dürfte es, allen Beteuerungen zum Trotz, nun vorbei sein. Denn die Verpflichtung auf Kultur kann man einer anonymen Abstimmung im Gegensatz zu einer Jury gar nicht abverlangen.

Der diesjährige Sieger weist schon auf diese Zukunft: GEGEN DIE WAND von Fatih Akin ist mit fünf "Lolas" der große Gewinner. Wieder einmal hat sich die Jury damit für den kleinsten gemeinsamen Nenner entschieden, für das Kino des "ein bisschen". Denn GEGEN DIE WAND, das ist ein bisschen Mainstream und ein bisschen Kunst, ein bisschen Mut und ein bisschen Anpassung. Damit konnte sich die Jury einmal mehr erfolgreich darum drücken, eine wirkliche Entscheidung zu treffen.

Die Entscheidung, der man auswich, war die zwischen Kommerz und Kunst, zwischen DAS WUNDER VON BERN und WOLFSBURG, zwischen Sönke Wortmann und Christian Petzold. Hübsch saßen sie da am Freitag auf dem roten Sofa im Tempodrom, jeder in einer Ecke und Fatih Akin passenderweise genau zwischen ihnen. Klar, es wird nun wieder heißen, man soll sich doch freuen, mitfeiern mit Akins sympathischem Film, Spaßverderber sind weniger beliebt denn je.

Manch einer aus der Jury dürfte sich damit trösten, dass zum Abschied wenigstens kleine Zeichen für sperrige Filmkunst gesetzt wurden: Silbernes Filmband für KROKO, und ein Preis für DIE KINDER SIND TOT. Aber im Prinzip hat die Jury am Freitag wie in den letzten Jahren bei der Preisgebung auf ganzer Linie versagt. War bei den Nominierungen noch ein breites Spektrum verschiedenster Stile vertreten, siegte - wie in den letzten Jahren immer - halbstarkes Mittelmaß. Mit ihren Entscheidungen gute, aber nicht überragende, publikumswirksame, doch nie wenigstens einmal sperrige Filme wie NIRGENDWO IN AFRIKA, GOOD BYE LENIN! und GEGEN DIE WAND mit Preisen zu überschütten, und stattdessen anspruchsvolles, aber nicht mehrheitsfähiges Kino wie DER FELSEN, WOLFSBURG, BUNGALOW, DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER, MILCHWALD oder HIERANKL vollkommen oder weitgehend zu ignorieren, hat die Jury dem Argument Vorschub geleistet, das solche Entscheidungen auch bei einer Abstimmung unter 450 Akademiemitgliedern herausgekommen wären. Wer so argumentiert, vergisst allerdings, dass die Jury bereits in den vergangenen Jahren vom Ministerium in Richtung Akademie umbesetzt wurde. Vier der 12 Jury-Mitglieder sind Akademiemitglieder, die unabhängigen Vertreter von Filmwissenschaft und Filmkritik wurden systematisch reduziert. Und das bisher breite Nominierungsspektrum dürfte bei den zukünftigen Akademieentscheidungen nun auch fehlen. Alles, was man an der Jury mit viel Recht kritisieren konnte, kommt jetzt potenziert von der Akademie.

Bei alldem kann man zumindest einmal die Verantwortung persönlich festmachen: Christina Weiss fährt die deutsche Kinokunst willentlich gegen die Wand. Schon das von ihr verantwortete neue Filmförderungsgesetz macht es Filmen mit wenig Publikum noch schwerer, als bisher - auch wenn die womöglich viel billiger produziert werden und pro Euro Kosten mehr Zuschauer bekommen, als DAS WUNDER VON BERN.
Weil Weiss ihr Amt nicht als Hüterin der Kultur, sondern als Dienerin der (Film-)Wirtschaft versteht, ohne die - so denkt man heute bei der SPD - angeblich keine Kunst zu haben ist, wird nun auch der Filmpreis verspielt - indem sie ihn ohne Not der Akademie überlässt, mit dem auch durch Unkenntnis nicht entschuldbaren Argument "die Branche" wolle es - obwohl die erklärten Gegner des Vorhabens immer noch mehr - wenn auch nicht mächtiger -, sind, als die Mitglieder der Akademie.

Schließlich wird ja auch die Auszeichnung für die beste Fleischwurst von der Metzgerinnung vergeben. Andererseits, könnte man erwidern, entscheiden die Bauern ja auch nicht selber über ihre Subventionen. Zudem repräsentieren die derzeit 450 Akademiemitglieder bei weitem nicht alle, die in Deutschland Filme machen. Und nicht jeder, der Mitglied der Akademie ist, wünscht den beschriebenen Umgang mit dem Filmpreis. Etwa Regisseur Hans Christian Schmid ist zwar Gründungsmitglied der Filmakademie. Trotzdem unterschrieb er, wie viele andere, einen offenen Protestbrief gegen dem Umgang mit dem Filmpreis und dessen "Privatisierung". Diesem Schreiben haben sich inzwischen mehr Filmschaffende angeschlossen, als Mitglieder der Akademie sind.

Die Argumente gegen die Übertragung des Filmpreis' auf die Akademie sind alle genannt und dutzendfach wiederholt worden: Kunst ist nichts, über das sich plebiszitär entscheiden lässt, lautet das zentrale. Und "die Branche", das ist nur der neueste Mythos des an Mythen nicht armen deutschen Films. Wenn von "der Branche" die Rede ist, sieht man schon glänzende Augen, spürt die Träume von Glamour, Rotem Teppich, klingelnden Kassen, Little Hollywood an Spree und Isar. Film braucht Industrie, fürwahr.

Aber Film ist nicht nur Branche, es ist auch Kunst. Und was offenbar die wenigsten nur verstehen, obwohl es in Cannes, Los Angeles und sogar während der Berlinale in Berlin mit Händen zu greifen ist: Will man Industrie haben, braucht man dazu die Kunst. So wie es keine Fabrikansiedlungen gibt, ohne ein Opernhaus vor Ort. Für den Rang des deutschen Kinos sind Senta Berger, Günter Rohrbach und Bernd Eichinger weniger wichtig, als Christian Petzold, Hans Weingartner, Fatih Akin und Angela Schanelec, mit deren Festivalerfolgen sich die Ministerin zwar brüstet, die aber Protestbriefe gegen ihre Politik unterzeichnen.

Hinzu kommen Stilfragen: Die Ministerin, die in Filmfragen auf einem Roß reitet, das so hoch ist, wie sie selbst sachlich unbeleckt, war sich selbst zu fein, um auch nur den Eingang der Protestbriefe zu bestätigen. Von einer Antwort ganz zu schweigen. Der gereizte Ton, in dem manche derzeit reden, sobald der Name der Ministerin fällt, hat auch darin seinen Grund - Achtung und Respekt vor Künstlern und ihren Werken scheinen keine Rolle zu spielen.

Im Prinzip ist jedem klar, dass daher auch der diesjährige Hauptpreis nicht der Kunst des Filmemachers Fatih Akin gilt, sondern - Der Teufel scheißt ja auch auf den größten Haufen - allein den Erfolg belohnt. GOOD BYE LENIN machte Kasse, GEGEN DIE WAND gewann die Berlinale. So bekam Akin seine "Lola" wie ein Fussballer nach dem WM-Titel auch noch das Bundesverdienstkreuz. Kann es darum gehen? Ist das und nur das wirklich der Sinn staatlicher Kulturpreise? Aber vielleicht tun sich ja im nächsten Jahr alle Skeptiker zusammen und gründen einen Gegenpreis. Gegen das Mittelmass; kompromisslos für die Kunst.

Rüdiger Suchsland

 

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