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Einmal erhoben sich alle: Mario Adorf wurde da für sein
Lebenswerk geehrt, und hinter ihm flimmerten ein paar Erinnerungsbilder
an seine große Karriere: NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM
von Siodmak, dann die Zeit in Italien, als ihm Opas Kino schon
keine guten Aufträge mehr geben wollte, dann die Rückkehr
in den 70ern in Schlöndorffs BLECHTROMMEL und bei Fassbinder,
späte Auftritte bei Dietl. Da war er, jener Moment echten
Glamours und echter Tradition, nach dem sich alle so sehen,
nicht etwas schief Angeschminktes, wie man es bei solchen
Anlässen schon so oft erlebt hat. Die Erinnerung an Adorfs
Karriere maß den ganzen Weg des deutschen Nachkriegskinos
noch einmal ab, ein Weg, der auch der des Deutschen Filmpreis'
ist, der am Wochenende zum letzten Mal in alter Form vergeben
wurde. Ohne Not wird er von der Kulturstaatsministerin Christina
Weiss und ihren Souffleuren um den Produzenten Bernd Eichinger
jetzt geopfert. In Zukunft soll er durch die gerade erst gegründete
Filmakademie vergeben werden, eine sympathische Institution,
doch ohne rechte Aufgabe, und nach allem, was man hört,
vorläufig arg Eichinger-hörig. Das kann dem Preis
und dem deutschen Film nur schaden.
Der Deutsche Filmpreis, man darf das nicht vergessen, ist
ein Kulturpreis, der mit Abstand höchstdotierte (über
3 Millionen Euro) und traditionsreichste der Republik. Er
ist gedacht als Subvention für Kultur, ausdrücklich
der Kunst, dem "künstlerischen Rang" eines
Films und nichts anderem gewidmet. Damit dürfte es, allen
Beteuerungen zum Trotz, nun vorbei sein. Denn die Verpflichtung
auf Kultur kann man einer anonymen Abstimmung im Gegensatz
zu einer Jury gar nicht abverlangen.
Der diesjährige Sieger weist schon auf diese Zukunft:
GEGEN DIE WAND von Fatih Akin ist mit fünf "Lolas"
der große Gewinner. Wieder einmal hat sich die Jury
damit für den kleinsten gemeinsamen Nenner entschieden,
für das Kino des "ein bisschen". Denn GEGEN
DIE WAND, das ist ein bisschen Mainstream und ein bisschen
Kunst, ein bisschen Mut und ein bisschen Anpassung. Damit
konnte sich die Jury einmal mehr erfolgreich darum drücken,
eine wirkliche Entscheidung zu treffen.
Die Entscheidung, der man auswich, war die zwischen Kommerz
und Kunst, zwischen DAS WUNDER VON BERN und WOLFSBURG, zwischen
Sönke Wortmann und Christian Petzold. Hübsch saßen
sie da am Freitag auf dem roten Sofa im Tempodrom, jeder in
einer Ecke und Fatih Akin passenderweise genau zwischen ihnen.
Klar, es wird nun wieder heißen, man soll sich doch
freuen, mitfeiern mit Akins sympathischem Film, Spaßverderber
sind weniger beliebt denn je.
Manch einer aus der Jury dürfte sich damit trösten,
dass zum Abschied wenigstens kleine Zeichen für sperrige
Filmkunst gesetzt wurden: Silbernes Filmband für KROKO,
und ein Preis für DIE KINDER SIND TOT. Aber im Prinzip
hat die Jury am Freitag wie in den letzten Jahren bei der
Preisgebung auf ganzer Linie versagt. War bei den Nominierungen
noch ein breites Spektrum verschiedenster Stile vertreten,
siegte - wie in den letzten Jahren immer - halbstarkes Mittelmaß.
Mit ihren Entscheidungen gute, aber nicht überragende,
publikumswirksame, doch nie wenigstens einmal sperrige Filme
wie NIRGENDWO IN AFRIKA, GOOD BYE LENIN! und GEGEN DIE WAND
mit Preisen zu überschütten, und stattdessen anspruchsvolles,
aber nicht mehrheitsfähiges Kino wie DER FELSEN, WOLFSBURG,
BUNGALOW, DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER, MILCHWALD oder HIERANKL
vollkommen oder weitgehend zu ignorieren, hat die Jury dem
Argument Vorschub geleistet, das solche Entscheidungen auch
bei einer Abstimmung unter 450 Akademiemitgliedern herausgekommen
wären. Wer so argumentiert, vergisst allerdings, dass
die Jury bereits in den vergangenen Jahren vom Ministerium
in Richtung Akademie umbesetzt wurde. Vier der 12 Jury-Mitglieder
sind Akademiemitglieder, die unabhängigen Vertreter von
Filmwissenschaft und Filmkritik wurden systematisch reduziert.
Und das bisher breite Nominierungsspektrum dürfte bei
den zukünftigen Akademieentscheidungen nun auch fehlen.
Alles, was man an der Jury mit viel Recht kritisieren konnte,
kommt jetzt potenziert von der Akademie.
Bei alldem kann man zumindest einmal die Verantwortung persönlich
festmachen: Christina Weiss fährt die deutsche Kinokunst
willentlich gegen die Wand. Schon das von ihr verantwortete
neue Filmförderungsgesetz macht es Filmen mit wenig Publikum
noch schwerer, als bisher - auch wenn die womöglich viel
billiger produziert werden und pro Euro Kosten mehr Zuschauer
bekommen, als DAS WUNDER VON BERN.
Weil Weiss ihr Amt nicht als Hüterin der Kultur, sondern
als Dienerin der (Film-)Wirtschaft versteht, ohne die - so
denkt man heute bei der SPD - angeblich keine Kunst zu haben
ist, wird nun auch der Filmpreis verspielt - indem sie ihn
ohne Not der Akademie überlässt, mit dem auch durch
Unkenntnis nicht entschuldbaren Argument "die Branche"
wolle es - obwohl die erklärten Gegner des Vorhabens
immer noch mehr - wenn auch nicht mächtiger -, sind,
als die Mitglieder der Akademie.
Schließlich wird ja auch die Auszeichnung für
die beste Fleischwurst von der Metzgerinnung vergeben. Andererseits,
könnte man erwidern, entscheiden die Bauern ja auch nicht
selber über ihre Subventionen. Zudem repräsentieren
die derzeit 450 Akademiemitglieder bei weitem nicht alle,
die in Deutschland Filme machen. Und nicht jeder, der Mitglied
der Akademie ist, wünscht den beschriebenen Umgang mit
dem Filmpreis. Etwa Regisseur Hans Christian Schmid ist zwar
Gründungsmitglied der Filmakademie. Trotzdem unterschrieb
er, wie viele andere, einen offenen Protestbrief gegen dem
Umgang mit dem Filmpreis und dessen "Privatisierung".
Diesem Schreiben haben sich inzwischen mehr Filmschaffende
angeschlossen, als Mitglieder der Akademie sind.
Die Argumente gegen die Übertragung des Filmpreis' auf
die Akademie sind alle genannt und dutzendfach wiederholt
worden: Kunst ist nichts, über das sich plebiszitär
entscheiden lässt, lautet das zentrale. Und "die
Branche", das ist nur der neueste Mythos des an Mythen
nicht armen deutschen Films. Wenn von "der Branche"
die Rede ist, sieht man schon glänzende Augen, spürt
die Träume von Glamour, Rotem Teppich, klingelnden Kassen,
Little Hollywood an Spree und Isar. Film braucht Industrie,
fürwahr.
Aber Film ist nicht nur Branche, es ist auch Kunst. Und was
offenbar die wenigsten nur verstehen, obwohl es in Cannes,
Los Angeles und sogar während der Berlinale in Berlin
mit Händen zu greifen ist: Will man Industrie haben,
braucht man dazu die Kunst. So wie es keine Fabrikansiedlungen
gibt, ohne ein Opernhaus vor Ort. Für den Rang des deutschen
Kinos sind Senta Berger, Günter Rohrbach und Bernd Eichinger
weniger wichtig, als Christian Petzold, Hans Weingartner,
Fatih Akin und Angela Schanelec, mit deren Festivalerfolgen
sich die Ministerin zwar brüstet, die aber Protestbriefe
gegen ihre Politik unterzeichnen.
Hinzu kommen Stilfragen: Die Ministerin, die in Filmfragen
auf einem Roß reitet, das so hoch ist, wie sie selbst
sachlich unbeleckt, war sich selbst zu fein, um auch nur den
Eingang der Protestbriefe zu bestätigen. Von einer Antwort
ganz zu schweigen. Der gereizte Ton, in dem manche derzeit
reden, sobald der Name der Ministerin fällt, hat auch
darin seinen Grund - Achtung und Respekt vor Künstlern
und ihren Werken scheinen keine Rolle zu spielen.
Im Prinzip ist jedem klar, dass daher auch der diesjährige
Hauptpreis nicht der Kunst des Filmemachers Fatih Akin gilt,
sondern - Der Teufel scheißt ja auch auf den größten
Haufen - allein den Erfolg belohnt. GOOD BYE LENIN machte
Kasse, GEGEN DIE WAND gewann die Berlinale. So bekam Akin
seine "Lola" wie ein Fussballer nach dem WM-Titel
auch noch das Bundesverdienstkreuz. Kann es darum gehen? Ist
das und nur das wirklich der Sinn staatlicher Kulturpreise?
Aber vielleicht tun sich ja im nächsten Jahr alle Skeptiker
zusammen und gründen einen Gegenpreis. Gegen das Mittelmass;
kompromisslos für die Kunst.
Rüdiger Suchsland
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