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Es hatte einen Hauch Symbolhaftigkeit, dass der zentrale
Treffpunkt der Viennale 2003 im Dachgeschoß einer ehemaligen
Sternwarte untergebracht war. Denn nach Stars hätte man
auf dem Wiener Filmfest recht lange Ausschau halten müssen
- es ist einfach nicht diese Art von Festival. Aber wenn wir
schon beim Symbolhaften sind: Von der Dachterasse der Urania
aus hatte man auch einen wunderbaren Blick auf das Prater-Riesenrad.
Und: Quasi auf Augenhöhe mit Orson Welles - das passte
auch zur Viennale.
Die Viennale ist ein waschechtes Publikumsfestival (was heißt:
keine Preise, kein Medien-Massenbetrieb, kaum Markt- und Branchengedöns),
und zwar ein Publikumsfestival für Cineasten, und zwar
- das ist das Verblüffende - ein sehr erfolgreiches Publikumsfestival
für Cineasten. Wien hat, neben seinen vielen anderen
bekannten Vorzügen, offenbar auch im Kinobereich noch
eine Kultur, auf die unsereins in Deutschland nur noch neidisch
sein kann und wie man sie vergleichbar vielleicht sonst höchstens
noch in Frankreich findet.
Das geht schon mit den Kinos selbst los - auch wenn da anscheinend
in Wien schon längst nicht mehr alles selbstverständlich
zu sein scheint und man während der Viennale en passant
mitbekommen konnte, dass wohl auch hier, gerade angesichts
der derzeitigen österreichischen "Regierung"
(die sich umbildet wie andere Leute ihre Unterhemden wechseln),
einiges an Kämpfen gefochten werden musste und muss,
um den jetzigen Standard zu erreichen, ihn zu halten, möglicherweise
auszubauen. Die Multiplexe scheinen für die Wiener Kinoszene
weit weniger dominierend als die hiesigen für unsere,
und Wien ist nicht nur in der glücklichen Lage, etliche
Programm- und Filmkunstkinos sein eigen zu nennen, sondern
kann auch noch genießen, dass die meisten davon sich
einen ganz eigenen, gewachsenen Charakter bewahren konnten.
Die Viennale selbst fand in vier dieser Kinos statt; parallell
dazu noch im schicken "Black Box"-Saal des österreichischen
Filmmuseums (da stand wohl München kinoarchitektonisch
Pate...) eine fabelhafte Reihe mit Filmen der legendären
japanischen "Art Theatre Guild"-Independent-Produktion.
Und schon da fängt man sich freilich an, viel wohler
zu fühlen als auf der Berlinale oder dem Münchner
Filmfest, wo man nur noch von einer austauschbaren Multiplex-Schachtel
in die nächste gereicht wird. Am ehesten konnte das nüchterne
Gefühl von Filmschauen als genormter Verrichtung noch
im Urania-Kino aufkommen, das in seiner jetzigen Form auch
erst unlängst eröffnet wurde - entsprechend neu
aber immerhin auch die Projektionstechnik, und groß
der Vorzug, in der ersten Reihe zur unbegrenzten Beinfreiheit
auch noch den optimalen Abstand zur Leinwand zu haben. Wieviel
Einfluss der Kinoraum selbst auf das Filmerlebnis haben kann,
war hier in der Mitternachts-Reihe unmittelbar zu erfahren
- deren Programm war nämlich ganz unserem geliebten Münchner
Werkstattkino gewidmet und von demselbigen kuratiert. Und
es war schon manchmal ein seltsames Gefühl, die schmutzigen
Streifen, die man aus dem dunklen, heimelig muffigen Kellerloch
kannte, plötzlich in diesem sauberen, schnieken Saal
zu sehen.
Wahrscheinlich hätten sich diese Filme im Stadtkino schneller
zu Hause gefühlt - und das nicht nur, weil es auch im
wahrsten Wortsinn ein "Untergrundkino" ist, eine
gute Etage tief unter dem Trottoir. Auch, weil es, obschon
deutlich größer als das Werkstattkino, mit seinen
dunkelgrauen Farben und den gut eingesessenen Kinositzmöbeln
eine ähnlich düster-verführerische Filmgrotten-Atmosphäre
hat. Das höchst charmante Metro-Kino hingegen war der
perfekte Ort für die "Kinematographie elementar"-Reihe
mit Funden aus den frühesten Film-Jahren oder Erich von
Strohheims prima perverse Stummfilm-Variante der "Lustigen
Witwe" - ein ehemaliges kleines Theater, mit Holztäfelung,
Logen, Stuck an den Decken und einem Proszeniumsbogen-Leinwandversteck
hinter zwei tief gestaffelten roten Vorhängen.
Für alle Filme, die von Intimität weniger profitierten,
war hingegen das Gartenbau-Kino die erste Adresse: Sowas gibt's
leider auf der Welt nur noch ganz selten - ein 736-Platz-Kino
mit einer Leinwand, auf deren mächtige 110-Quadratmeter-Proportionen
manch Cinemaxx neidisch sein kann, in bestens erhaltener historischer
Bausubstanz und Kinoarchitektur (1960 erbaut und von damaligen
Designvorstellungen durchtränkt, mit einer unregelmäßigen,
teils geschichteten Wand- und Deckentäfelung aus groß
genoppten, in diversen braun-, grün-, orange-Tönen
gehaltenen Rechtecken), und das alles offenbar auch außerhalb
der Viennale mit cineastischem Programm bestückt.
Wir wollen jetzt hier in keine fruchtlose Henne-und-Ei-Diskussion
einsteigen, aber soviel ist klar: Auch wenn manches Angebot
die Nachfrage überhaupt erst schafft, trägt sich
eine solche Kinoszene (die in Wien wie gesagt noch einige
andere, nicht an der Viennale beteiligte Programmkinos aufzuweisen
hat) nicht, ohne dass ein entsprechend geneigtes Publikum
von vornherein da wäre. Und auch da erlebt der deutsche
Verhältnisse gewohnte Cineast auf der Viennale so seine
Wunder: Es ging schon damit los, dass der Vorverkauf so gut
lief, dass noch vor Beginn die Entscheidung fiel, einen zusätzlichen
Festivaltag dranzuhängen mit Wiederholungen der begehrtesten
Filme. Und allein der Blick auf's Programm dieses Zusatztages
ließ stutzen - denn da fanden sich keineswegs die naheliegenden
Kandidaten (sprich: Filme, die eh jeder schon kennt, die eine
Woche später großen Kinostart haben, oder die mit
berühmten Namen aufwarten können), sondern Sachen
wie eine dreistündige, videoprojezierte Doku, LOS ANGELES
PLAYS ITSELF.
In der Tat bescherte das Festival selbst dann in Sachen Publikumszuspruch
manch angenehme Überraschung: Da konnte man am hellichten
Werktag-Nachmittag in eine Emile de Antonio-Doku aus den '60ern
gehen und das Kino ausverkauft vorfinden; da waren Mitternachts
bei Werkstattkino-Kost wie LET ME DIE A WOMAN richtig Leute
da (und zwar viel mehr, als im originalen Werkstattkino sich
eingefunden hätten). Und egal zu welcher Zeit und in
welchen Filmen: Da tummelten sich nicht überwiegend die
andernorts typischen Cineasten-Gestalten, die der CINEMANIA-Doku
entsprungen scheinen, die Film-Nerds und die Kein-Leben-außerhalb-des-Kinos-Haber;
genausowenig die Festival-Adabeis, die nur da sind, weil man
gesehen werden will, die Branchen-Schnösel und Luft-Wangenküsschen-Fraktion;
und auch nicht die beflissenen Studienräte, die betroffen
den Kopf schütteln wollen bei Flüchtlingselend-Filmen
aus Armutsländern, oder das verirrte Samstagabend-Publikum,
das den Filmtitel in der Zeitung gelesen hat und keine Ahnung,
dass es ein usbekischer Experimentalfilm mit dänischen
Untertiteln erwartet.
Nein, es waren zum größten Teil ganz normale, erstaunlich
junge Menschen, die da die Säle füllten und fast
immer einen verblüffend offenen und sachverständigen
Eindruck hinterließen. Cineast scheint also in Wien
kein gesonderter Beruf, keine gesonderte Berufung zu sein,
sondern akzeptierte Nebentätigkeit für ganz gewöhnliche
Menschen. Genau das ist es aber, was einem in anderen Städten,
Ländern so oft fehlt, wenn einem das Kino eine der wichtigsten
Sachen im Leben, aber eben nicht das einzige ist: Dieses Gefühl,
dass Filme abseits des aktuellen Mainstreams noch ein Leben
in unserer geistigen Welt haben, welches sich nicht auf den
engen, geschlossenen Zirkel der üblichen cineastischen
Verdächtigen beschränkt. Dass ihre Bilder und Ideen
noch etwas anstoßen, was nicht sofort zurückprallt,
wenn die Leinwandkante erreicht ist - dass sie irgendwo jenseits
der Kinosäle und anderer Filme nachwirken.
Freilich, das Gras scheint immer grüner in Nachbars
Garten, und als bloßer Wien-Besucher läßt
sich leichter darüber hinwegsehen, dass auch während
der Viennale Podiumsdiskussionen und ähnliches zum Zustand
der österreichischen Filmlandschaft geboten waren, in
denen es keineswegs darum ging, sich gegenseitig zufrieden
zu bestätigen, wie schön doch alles sei. (Un)dank
allgemeiner Wirtschaftsflaute und einer konservativen Regierung
haben die Mainstream-Abtrünnigen unter den Filmschaffenden
offenbar momentan auch in Austria kein leichtes Leben.
Aber unsereiner, der aus hiesigen Landen längst Schlimmeres
gewohnt ist, guckt da halt gern ein bisserl weg und lenkt
den Blick lieber auf die vielen anderen schönen Veranstaltungen,
die der Viennale ihren angenehm, zugleich offenen und familiären
Rahmen geben. Sei's, dass ein paar der angereisten Filmemacher
sich des Nächtens im Festivalzentrum als DJs betätigen
durften und ihre Liebelingsplatten auflegten; sei's ein Jazzkonzert
mit Musik von Krzysztof Komeda; sei's ein unvergleichlicher
literarischer Abend aus Anlass einer gezeigten Bukowski-Dokumentation,
dessen Titel unbedingt wörtlich zitiert gehört:
"Hermes Phettberg liest - schlecht - Charles Bukowski".
(Natürlich war's in Wirklichkeit dann grandios, auch
wenn Phettberg immer wieder drauf hinwies, dass er keine Ahnung
von Bukowski habe, überhaupt nicht vorlesen könne,
und dauernd Bemerkungen einstreute wie: "Des is a Veranstaltung
im Rahmen der Legastenikerforschung.")
Als einer der letzten wichtigen Termine im Festival-Jahr und
als Publikumsveranstaltung, die sich mit ihrem Programm nicht
zwanghaft absetzten muss von den anderen Filmfestspielen,
kann die Viennale eine schöne Kino-Spätlese bieten,
in der der eifrige Cine-Tourist vieles entdecken wird, was
ihm schon andernorts einmal dargeboten wurde. Da kann man
dann viel Versäumtes nachholen oder seine Favoriten noch
einmal genießen (Sabus KOFUKO NO KANE - THE BLESSING
BELL beispielsweise, den ich schon auf der Berlinale hinreißend
fand; oder 36TH CHAMBER OF THE SHAOLIN, vereinsamtes Überbleibsel
der Shaw Bros.-Reihe aus Berlin, der auf der Leinwand des
Gartenbaukinos umso grandioser wirkte).
Die Viennale schafft es irgendwie, ihr Augenmerk deutlich
auf eine Art von Filmen zu lenken, die man gern "engagiert",
"unabhängig" oder "politisch" nennt
- und trotzdem nie den Eindruck zu erwecken, es ginge hier
um Betroffenheits- und Bildungsbürgerkino, um Leinwand-Streichelzoos
für unterdrückte Minderheiten oder dergleichen.
Vielleicht liegt's daran, dass man nie das Gefühl hat,
ein Film sei rein aus Prinzip ins Programm gehievt worden.
Man meint, eine Liebe in der Auswahl zu spüren, als Ausgangspunkt
eine persönliche Begeisterung für die Filme, sowie
ein Bewusstsein dafür, dass ein Beitrag erstmal als Kino
und dann vielleicht noch als Statement zu funktionieren hat.
Und auch was die unverzichtbaren "großen"
Filme, das Starkinos mit baldigem, weithin werbeunterstütztem
Kinostart betrifft, beweist die Viennale Geschmack: Die Coen-Brüder
und Lars von Trier sind ja nun wirklich Namen, die jedem Festival
zur Zier gereichen - damit holt man sich nicht den Hauch des
Hautgouts von kommerziellem Zugeständnis ins Programm.
Ein ebenso geglückter Griff war der Eröffnungsfilm,
LOST IN TRANSLATION, mit dem Sofia Coppola (eine der wenigen
persönlich anwesenden Berühmtheiten) beweist, dass
zum einen THE VIRGIN SUICIDES kein einmaliger Glückstreffer
war und sie zum anderen auch nicht auf eine starke Romanvorlage
angewiesen ist. Ein wunderschöner Film über das
Fremdsein in der Welt, mit Bill Murray als amerikanischem
Filmstar, der in Japan einen Whiskey-Werbespot dreht und Scarlett
Johansson als ebenfalls in Tokyo gestrandete Ehefrau eines
jungen Photographen, von dem sie merkt, dass sie eigentlich
gar nichts verbindet: Strangers in the japanese night, exchanging
glances. Murray mit noch mehr amüsierter Resignation
in Gesicht und Haltung, als man von ihm eh schon gewohnt ist,
die kurze Zufalls-Freundschaft mit Johansson zum Glück
nie mehr als die Zweckgemeinschaft zweier, die verstanden
haben, wie fremd sie sich fühlen, in diesem seltsamen
Japan, in dieser seltsamen Welt, in ihrem eigenen Leben. Aber
statt Winterreise - fremd sind sie eingezogen, fremd ziehn'
sie wieder aus - über allem eine gelöste Heiterkeit,
weil die beiden so auch eine lächelnde Distanz zu allem
haben, was die anderen ernst, normal und wichtig finden, sie
im Fremden auch das Absurde sehen können. Nur hin und
wieder schimmern im Augenwinkel ganz leicht die Tränen
der Sehnsucht nach einem Dazugehörigkeitsgefühl.
Sofia Coppolas zweite Regiearbeit war nicht das einzig Beglückende
an namhaftem US-Kino mit Billy Murrays Beteiligung, was die
Viennale zu bieten hatte. Jim Jarmuschs COFFEE & CIGARETTES
kannte man ja zum Teil schon lange - er versammelt die diversen
Kurzfilme, die Jarmusch unter diesem Titel über die Jahre
gedreht hat, in denen die Konstanten stets ein Tisch mit Schachbrettmuster,
die im Titel genannten Genussmittel und die Anwesenheit von
zwei oder mehr Kult-(Schauspieler)-Figuren sowie deren bevorzugt
um Nichts kreisende Dialoge sind. Für die Kompilation
hat er aber ein paar neue Episoden hinzugefügt, die teilweise
diese Grundkonstanten noch etwas freier variieren (es gibt
nicht mal immer Kaffee und Zigaretten...), und die - besonders
geschickt in dem Kapitel mit RZA und GZA vom Wu-Tang Clan
und eben Bill Murray - die Elemente aus den alten Filmchen
aufgreifen und neu durchmischen. Fürchtet man also anfangs
noch, diese absurden Schnurren, deren Reiz ja oft genug ihre
improvisierte Nichtigkeit war, könnten keine anderthalb
Stunden am Stück tragen, wird diese Spielfilmlängen-Version
doch noch eine erstaunlich runde Sache, bekommen die späteren
Episoden auch mehr Struktur und Tiefe (besonders schön
ein Treffen zwischen Alfred Molina und Steve Coogan, in dem
hinter höflicher Fassade ein herrlich fieser Kampf um
Schauspieler-Eitelkeiten entbrennt), und am Schluss sitzen
die arg alt gewordenen New Yorker Underground-Stars Bill Rice
und Taylor Mead da, und plötzlich ist ganz viel Traurigkeit
und Vergänglichkeit im Raum, und auf dem Soundtrack schwebt
Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" herein,
was ja fast schon wieder zu LOST IN TRANSLATION passen würde.
Überhaupt war diese Viennale davon geprägt, dass
die unterschiedlichsten Filme plötzlich seltsame Paarbildungen
eingingen, oder sich ganze große Zirkel auftaten, in
denen sich diverseste Streifen untereinander zu beleuchten,
auszutauschen, zu kommentieren begannen.
Frederick Wisemans Doku DOMESTIC VIOLENCE 2 beispielsweise
wurde da zum Parallelltext zu INTOLERABLE CRUELTY: Wo die
Gebrüder Coen hinreißend die screwball-komödiantische
Demontage des juristischen Jargons betreiben, mit dem das
Gesetz eine Sprache zur Regelung des intimen Zusammenlebens
zweier Menschen zu bieten versucht, zeigt der nüchterne,
bewusst zermürbend ausführliche und repetetive Gerichtssaal-Blick
von Wiseman die gleiche latente Absurdität ganz ähnlicher
juristischer Vorgänge in einem beklemmend kafkaesken
Licht. Fall um Fall, in unterschiedlichen Stadien der Prozesskette,
ist die Kamera Zeuge, wie Vorkommnisse von Gewalt in Zweierbeziehungen
vom juristischen Apparat im schnellstmöglichen Takt be-
und abgearbeitet werden: Eine nicht enden wollende Litanei
der immergleichen Formeln und Vorgänge, fast mechanisch,
die da versuchen, persönliche Tragödien und Missverständnisse,
herzzerreißende Dramen, absurde Komödien der Dummheit
und der Herzensverirrung, irgendwie mess- und beurteilbar
zu machen. Weil die Kamera die Gerichtssäle (vom "Video-Court",
bei denen der Richter die Beschuldigten nur im Dutzendpack
und auf dem Monitor vorgeführt bekommt, bis zu den Orten
der Hauptverhandlungen wirken sie alle wie Amtsstuben, nicht
wie die mythischen Orte der Gerechtigkeitsfindung aus Kino-Gerichtsdramen)
nie verlässt, hat man auch als Zuschauer nicht mehr Zugang
zur Wahrheit als die Richter selbst, muss auch mit dem frustrierenden
Erlebnis fertig werden, dass man nie sicher wissen kann, wer
von den Prozessbeteiligten lügt, und man immer nur kurze
Blicke in private Höllen tun kann, aus denen sich offenbar
die wenigsten aus eigener Kraft befreien wollen und können,
weil das Alleinsein noch gruseliger scheint, als Gewalt angetan
zu bekommen.
Sich nicht befreien können aus etwas, das eigentlich
Glück, Freude versprechen sollte und doch nur Leid bringt:
Das war auch das Thema von OWNING MAHOWNY, der zugleich eine
Trias von Glückspieler-Filmen eröffnete. Philip
Seymour Hoffman als Dan Mahowny sagt am Ende von Richard Kwietniowskis
Film, das Glücksspiel sei für ihn das Aufregendste,
Intensivste gewesen, was er erleben konnte - 100 von 100 möglichen
auf einer Skala, auf der alles andere in seinem Leben allerhöchstens
eine 20 erreichen könne. Aber so wie Hoffman ihn darstellt
- ein Mann, der kaum je aufblickt, der dauernd seine Schuhspitzen
zu betrachten scheint, ganz in seinem Kopf lebt - sieht dieser
Bankangestellte, der sich durch Betrug die Millionensummen
zum Verspielen besorgt, beim Spielen nicht einen Moment lang
glücklich aus. Er ist getrieben, er kann nicht aufhören,
er gewinnt nur - wie jemand im Film mal über ihn sagt
-, damit er Geld zum Verlieren hat. Nichts interessiert ihn
- nicht seine Freundin, nicht der Luxus, mit dem das Casino
den geschätzten Gast gern verwöhnen würde.
Und wahrscheinlich wüßte er wirklich nicht, was
mit dem ganzen Geld anfangen, falls er es einmal partout nicht
schaffen würde, alles zu verspielen. Paradoxerweise muss
er zugleich zugeben "I was lucky": Dass die immer
dreisteren Betrügereien an seiner Bank so ewig lang nicht
auffallen, scheint an ein Wunder zu grenzen. Aber der Film
läßt auch durchblicken, wie sehr sowohl die Bank
als auch das Casino Geschäfte sind, die auf nicht weniger
trügerischen Spieler-Hoffnungen ruhen als Mahownys Leidenschaft.
Wenn großer Gewinn winkt, dann sehen auch deren Manager
nur noch das, was sie sehen wollen.
Wahrscheinlich hat Dan Mahowny auch nur seinen Job verfehlt
- er wäre eigentlich ein idealer Kandidat für jene
Aufgabe, die Bernie Lootz (William Macy) in Wayne Kramers
THE COOLER verrichtet: Im Auftrag des Casinos das an ihm förmlich
klebende Pech an jene Tische tragen, wo gerade jemand eine
Gewinnsträhne hat. Der zerknautscht einherschlurfende
Macy ist freilich eine Idealbesetzung für diese Rolle;
Alec Baldwin hingegen ist ungewohnt überzeugend als Casino-Chef
der alten Schule, dem das ganze neue Las Vegas ein einziges
Greuel ist (ein Hauch von Scorseses CASINO weht durcht den
Film). Wie kaum anders zu erwarten, hat Bernie dann das Pech,
plötzlich Glück zu haben, was ihm allerhand Probleme
bringt. Ein ungeheur sympathischer Film, süß, aber
überhaupt nicht süßlich, und mit dem Mut,
sowohl wenn's weh tut nicht zu verharmlosen als auch den körperlichen
Teil von Bernies unerwarteter Liebe zur schönen Natalie
(wirklich zum Verlieben: Maria Bello) nicht hinter Weichzeichner
und Schwarzblende zu verstecken.
Viel weniger knisterte es zwischen dem jungen Warren Beatty
- asl einem weiteren Verlierer im Glück - und der erste
Alterserscheinungen zeigenden Elizabeth Taylor in George Stevens
THE ONLY GAME IN TOWN. Ein seltsamer, aber nicht uninteressanter,
sehr theaterhafter Film, großteils in einem Appartment
spielend, wo draußen vor dem Fenster ein erkennbares
Modell die Nähe von Las Vegas vorgaukeln soll (gedreht
wurde, weil die Taylor ihren Richard Burton nicht allein lassen
wollte, in Paris). Beattys Joe Grady muss deswegen immer wieder
so lange spielen, bis er alles zwischendurch Gewonnene verloren
hat, weil er sonst irgendwann tatsächlich die Freiheit
hätte, von der er immer redet und auf die er vorgeblich
hinspart - und er merklich keine Ahnung hat, was er mit dieser
Freiheit eigentlich anfangen würde. Solange er immer
wieder auf Null kommt, ist es nicht seine Schuld, dass er
als drittklassiger Barpianist in Vegas festhängt und
nichts aus seinem Leben macht. Solange er aber den Traum beschwört,
bald doch genug Geld zu haben, um abhauen zu können,
muss er keine Verantwortung eingehen in seiner Beziehung zu
Fran (Liz Taylor). Warren Beatty ist nun aber mal gerade in
dieser frühen Phase einfach nicht der Star, dem man das
am Schluss des Films stehende, wacklige Bekenntnis zur Ehe
abkauft: Was ein Schritt in die Reife sein soll, wirkt als
Feigheit des Films vor der eigentlichen Unverbesserlichkeit
seiner Figuren und der sinsitren Dynamik der "screen
personalities" von Beatty und Taylor - die schon latenten
Verzweiflung einer Diva, die zumindest ahnt, dass sie nicht
mehr so jung und schön ist wie einst, und dass Hollywood
ihr das nicht verzeihen wird, und die grausam uninteressierte
Art, mit der der strahlende, reservierte, berechnende Dandy
sie ver- und vorführt.
Thomas Willmann
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