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24.10.2002
 
 
        Fifty Fifty

45. Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm

Zu den Filmen:
- HIRTENREISE INS DRITTE JAHRTAUSEND
- VATERLAND
- NEUN GUTE ZÄHNE (NINE GOOD TEETH)
- DIM SUM (A LITTLE BIT OF HEART)
- STURM IM WASSERGLAS (REMUE-MENAGE)
- FIFTY FIFTY (ZDF: Das Kleine Fernsehspiel)

 
       
 
 
 
 

Hirtenreise ins dritte Jahrtausend
Erich Langjahr, Schweiz 2002

"Jetzt komm ich wieder in den Hirtentrott", sagt Thomas Landis, Schäfer aus Passion. Nach ein paar Wochen mit Frau und Kindern ist er nun mehrere Monate unterwegs. Es ist Winter und seine Schafe sehen aus wie schmuddelige Flokatis. Schnee verkrustet den dichten Pelz und baumelt in großen Klumpen um die mümmelnden Mäuler. Drei Hunde und zwei Esel leisten Landis Gesellschaft und natürlich die Schafe. Wanderhirten gibt es nicht mehr viele in der Schweiz, und so besucht ihn ab und zu eine wissbegierige Schulklasse oder auch eine Radioreporterin, die ihn als lebendes Relikt einer verschwindenden Epoche interviewt. "Wird ihnen denn nie langweilig?", fragt die Frau. Die Frage löst bei Thomas pures Unverständnis aus. In der Natur gibt's schließlich immer was zu entdecken.

Mit Hirtenreise ins dritte Jahrtausend legt der Schweizer Dokumentarfilmer Erich Langjahr nach Sennenballade (1996) und Bauernkrieg (1998) den letzten Teil seiner Trilogie über den Bauernstand vor. Während Sennenballade dem bäuerlichen Alltag nachspürt und Bauernkrieg die Technisierung der Agrarwirtschaft beschreibt, zeigt Hirtenreise einen der ältesten Berufe der Menschheit als Kontrapunkt zur modernen Welt. Langjahr selbst wäre gerne Bauer geworden. Bis ihm klar wurde, dass zu diesem Beruf das Töten gehört. So ist er also Filmemacher geworden und nähert sich dem Objekt seiner Leidenschaft mit der Kamera. Ohne die gemeinschaftsstiftende Liebe zum Ursprünglichen hätte er seinen weltabgeschiedenen Protagonisten wohl auch nicht so nah auf die Pelle rücken können.

Diese tiefe Verbundenheit wird in den langen, ruhigen Einstellungen spürbar. Kontemplative Bilder von Tieren in der alpinen Landschaft und Menschen, die ganz urwüchsige Arbeiten verrichten. Trotz der stillen Bilder ist Hirtenreise sicher kein romantischer Film. Der Hirtenjob ist Knochenarbeit. Während der Sommermonate melken Landis und seine Frau täglich mehrere Stunden die Ziegen, "bis die Finger schmerzen und voller Blasen sind". Auf seinen winterlichen Wanderungen muss er stundenlang in bitterer Kälte ausharren, bis die Schafe unter der Schneedecke genug zu fressen gefunden haben. Landis Ausrüstung ist auf das Nötigste reduziert. Statt eines modernen Hightechzelts genügt ihm eine schwere Plane zum Schutz vor der Witterung, statt auf einem Propangaskocher, köchelt er sein Süppchen in einem rußgeschwärzten Topf über offenem Feuer. Landis größter Traum ist es, mit seiner Familie nach Chile auszuwandern und dort das einfache Leben zu führen, das hierzulande immer mehr verschwindet. "Ich bin nicht sicher, ob ich dazu noch den Mut habe oder die Kraft", sagt er.

Sein jüngerer Kollege Michel Cadenazzi hat sich etwas luxuriöser eingerichtet. Per Hubschrauber hat man ihm einen Wohnwagen auf die Sommeralm geschafft. "Hier bin ich mein eigener Boss" erklärt Cadenazzi seine Bereitschaft, monatelang in selbstgewählter Abgeschiedenheit zu hausen.

Neben der Nähe zur Natur ist es vor allem das Gefühl von Freiheit, das diese Menschen dazu bewegt, allerlei Entbehrungen auf sich zu nehmen. Weder Landis noch Cadenazzi stammen aus Bauernfamilien. Sie haben sich bewusst für einen Beruf entschieden, der sie an die Grenzen der Belastbarkeit führt. Doch wer die Erfahrung gemacht hat, dass er zum Leben nicht viel mehr braucht, als Schlafsack und wasserfeste Plane, bei dem haben die Alltagssorgen neurotischer Stadtbewohner keine Chance.


Vaterland
Thomas Heise, Deutschland 2002

Irgendwo in der sachsenanhaltischen Provinz: Die kleine Ortschaft liegt im Windschatten einer verlassenen Armeebasis. Seit die Russen abgezogen sind, ist die Zeit stehen geblieben. Die Wiedervereinigung ist hier nie angekommen. Man raucht F6, trinkt Clubcola und Wodka. "Lieber zehn Russen als einen Wessi", sagt Otti, dessen Kneipe gesellschaftlicher Umschlagplatz des Dorfes ist. Der Lebensradius der Dorfbewohner beträgt nur ein paar Kilometer. "Ich fahr höchstens mal zum Fröscheteich," sagt Moni, eine Hausfrau mit raspelkurzen Haaren und Nasenpiercing.

In einem Ort wie diesem wird selbst die Einweihung des Gemeindehauses zum Event. Dass die Russen weg sind, bedauert man, damals war wenigstens noch etwas los im Dorf. Moni fand vor allem die Offiziersfrauen cool. "Die haben gesoffen wie die Kerle". Heute bleiben zur Unterhaltung nur der Schnaps und das Trompetenduo Rita und Klaus. Hingebungsvoll spielen sie "Heitschibumbeitschi". Klaus trägt ein Nicolauskostüm, Rita gibt mit güldener Lockenperücke ein überaltertes Christkind. Ansonsten schlägt man sich so durch, und wartet auf eine ungewisse Zukunft. "Ich muss noch zwei Jahre irgendwie aushalten", sagt Volker, ein alleinerziehender Vater, dessen Frau schon das Weite gesucht hat. Sobald sein Jüngster aus der Schule ist, will er auch raus aus dem Dorf, ins Leben zurück. Moni flüchtet sich derweil in trotzige Akzeptanz. "Ich bin froh, dass ich hier bin", sagt sie, "glücklich brauch' ich nicht sein."

Eine endlose Kamerafahrt über die Betonmauern eines Hangars zeigt abblätternde Farbe in wechselnden Graunuancen. An einem Ort, der so wenig Zukunftsperspektiven bietet, wird die Zeit transparent für die Vergangenheit. Und so wird der Film zur archäologischen Spurensuche. Da sind Briefe von Heises Vater Wolf, aus einer Zeit, als die Armeebasis als Arbeitslager fungierte. Da sind die Kriegsgeschichten der Dorfbewohner. Erinnerungen an die Russen.

Für Heise ist dies bereits der dritte Anlauf für einen Film, den er bereits zu DEFA-Zeiten drehen wollte. Sein hartnäckiges Festhalten an dem Projekt wurde belohnt: Vaterland erhielt die silberne Taube des Leipziger Filmfests.

Vier Wochen lang haben Heise und sein Team sich bei Dorfbewohnern einquartiert. Einen Dorfgasthof gibt es nicht. Doch so richtig warm scheint die Mannschaft mit den Gastgebern nicht geworden zu sein. Der alte Otti ließ sich nur ungern filmen. "Das sind ganz neue Kameraprobleme, die sind nicht technischer Art, sondern moralischer", sagt Kameramann Peter Badel. Wer das Objektiv auf Menschen hält, wandelt auf einem schmalen Grat zwischen größtmöglicher Nähe und Respekt vor der Intimsphäre. Der Balanceakt gelingt Heise nicht immer, das macht die Entscheidung der Jury, die ihm in Leipzig die Silberne Taube verlieh, problematisch. Erbarmungslos rückt die Kamera die Jogginghose ins Bild, schweift über das grausliche Interieur. Und so fühlt sich der Zuschauer von Zeit zu Zeit wie in einem Kuriositätenkabinett. Um dem zu entgehen, gibt es nur einen sicheren Weg. "Man muss die Menschen gern haben", sagt Gerd Kroske, ein alter Kollege aus DEFA-Tagen, "das ist das ganze Geheimnis".


Neun gute Zähne (Nine Good Teeth)
Alex Halpern, USA 2002

"Steckt mich einfach in eine Kiste und lasst mich von diesen kleinen Viechern auffressen", sagt die Nana. Sie ist uralt und was sie zu Beerendigung tragen will, weiß sie schon lange: einen grünen Seidenfummel mit vielen Schleifen und Spitzen. Ob sie denn an den Himmel glaubt und die Hölle, will Filmemacher Alex Halpern, Nanas Enkel, wissen. "Hältst Du mich für einen Trottel?", fragt die gute Katholikin indigniert: "Wir sterben und wir werden zu Staub - das ist alles."

1899 wurde sie als Tochter einer Einwandererfamilie in Brooklyn geboren. Bei ihrer ersten Reise in die sizilianische Heimat prophezeite ihr eine Zigeunerin, sie werde mit 96 Jahren sterben. "Wenn Du noch den Film über mich machen willst, musst Du Dich beeilen", hat Nana gesagt, als es soweit war. Und so nahm der Filmemacher das lang geplante Projekt in Angriff...

Halpern filmt und filmt: Nana, wie sie ihre vielen Geburtstagskerzen auspustet. Nana beim Reinigen ihres Gebisses. Nana beim Wühlen in der Schublade mit Erinnerungsstücken und Photos: Tausende von Bildern hat sie gehortet, Momentaufnahmen eines langen Lebens. Sie selbst als Kleinkind, später, geschmückt wie eine Braut im Kommunionskleidchen und als spitzbübische junge Frau. Später, in den 30er Jahren, beginnen die Familienerinnerungen zu laufen. Nanas Mann war ein unermüdlicher Hobbyfilmer - ein seltener Glücksfall für diesen Film. So kann man sie als lebenslustige junge Frau erleben, schaut ihren Kindern beim Aufwachsen zu.

Zu jedem Bild, zu jeder Filmrolle gibt es eine Geschichte. Und wenn der geliebte Enkel ihr richtig auf die Pelle rückt, packt die resolute Dame auch aus. Sie berichtet wie das damals war mit ihrer Mutter und Jack Keruac, der dann auf offener Straße erschossen wurde. Wie sie selbst von ihrem Mann betrogen wurde, und ihre Nebenbuhlerin zur Rede stellte. Und wie sie ihrerseits fast ihren Mann mit einem Verehrer betrog, dem sie 30 Jahre später noch einmal begegnete. Liebe und Verrat, Mord und Tod, keine Facette menschlichen Schicksals hat diese grandiose alte Dame verpasst. Und so verdichtet sich das Porträt einer Frau, deren Courage, Weisheit und Lebensfreude noch heute so präsent sind wie vor hundert Jahren.

Als der Film fertiggestellt ist, ist Nana 103 Jahre alt. "Außen bin ich alt aber innerlich fühle ich mich noch blutjung", sagt sie vergnügt. Selbst gegen die Prophezeiungskraft einer Zigeunerin scheint diese quicklebendige Greisin immun.


Dim Sum (A Little Bit of Heart)
Jane Wong, Großbritannien 2002

"Wenn Du einen Affen heiratest, musst Du mit ihm in die Berge", lautet ein chinesisches Sprichwort. Und so sitzen drei Exilchinesinnen in einem kleinen Laden in Liverpool und machen Dim Sum, köstlich gefüllte Teigtaschen. Während der Arbeit plaudern sie freimütig über den Sinn des Lebens, kleine und große Sorgen und das Leben in einem fremden Land. Dim Sum heißt frei übersetzt soviel wie "Ein kleines Stück vom Herzen", und genau das geben die drei Frauen großzügig preis.

Wah So, die älteste, spricht kaum ein Wort Englisch. "Ich fühle mich wie ein Invalide", sagt sie, "taub, stumm und blind". Taub, weil sie nichts versteht, stumm, weil sie mit den Menschen nicht reden kann und blind, weil sie nirgendwo hingehen kann. Linda, die jüngste des resoluten Trios, hat die Nase voll von der Sprachlosigkeit und besucht eifrig einen Englischkurs. Dennoch bleibt die Kommunikation im Alltag hürdenreich, denn mit der Aussprache hapert es. So wird der Erwerb eines Gummibaums zu einer komischen Herausforderung. "Ich glaube, der Verkäuferin haben wir gerade den letzten Nerv geraubt", grinst Linda nach erfolgreich abgeschlossener Transaktion.

Jane Wong hat den Laden ihrer Mutter Marietta ins Zentrum ihres Films gerückt. Ein Chinaimbiss als Mikrokosmos des Emigrantenlebens.
Mrs. Wong ist eine bemerkenswerte Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Im Gespräch zwischen Mutter und Tochter zeigt sich, wie weit sich die Werte innerhalb einer Generation von Ost nach West verlagert haben. Während Jane nach künstlerischer Selbstverwirklichung strebt, setzt Marietta auf Ehe, Familie und Pflichterfüllung. In China sieht man die Welt pragmatisch. "Für die Menschen aus dem Westen ist Sex das Wichtigste, für die Chinesen das Essen", erklärt Marietta Wong, belustigt. In Südchina fragt man zur Begrüßung statt "Wie geht's?" - "Hast du schon gegessen?". Mit vollem Bauch ist jede Katastrophe nur noch halb so schlimm.

Trotz kleiner und großer Tragödien wird viel gelacht in diesem hinreißend erfrischenden Film. Das Geheimnis der drei Damen scheint zwar simpel, ist aber schwer zu leben: Statt auf das große Glück zu warten, genügt ihnen ein Moment Zufriedenheit. Und die stellt sie sich schon ein, wenn man gemütlich in Mariettas Hinterzimmer zusammenhockt, schwatzt und einen Berg Dim Sum vorbereitet.


Sturm im Wasserglas (Remue-Ménage)
Fernand Melger, Schweiz 2002

"Kannst du dir das vorstellen: Papa im Bikini?" fragt der Kleine seinen Bruder. Und dann kichern die beiden Jungen um die Wette.

Pascal und Carole führen eine liebevolle Ehe, haben vier Kinder und leben in einem kleinen Dorf in der französischen Schweiz. Pascal arbeitet als Autoschlosser. Bei der Geburt seiner Tochter ist er dabei: Alles ganz normal. Bis auf eine Kleinigkeit: Pascal trägt gern Frauenkleider. Und so stöckelt er manchmal im Minirock durch den Ort, die langen Nägel rot lackiert. Die Kinder finden es eher cool, dass der Papa schrille Klamotten trägt und trotzdem so starke Muckies hat. Seine Frau hat die Vorliebe ihres Mannes akzeptiert, berät ihn kichernd bei der Kleiderauswahl. Nur manchmal verzweifelt sie an den Reaktionen der Nachbarn. Daran, dass einige nicht kommen, wenn sie sie zu einer Party einladen. Im Ort gibt es so manchen, der ein Problem mit der Familie hat. Allen voran die Mutter von Pascal, die sich um das Wohlergehen der Enkelkinder sorgt. Kurzerhand hat sie die Familie ihres Sohnes angezeigt. Und so haben Pascal und Carole nun eine Untersuchung am Hals, ob denn der "unnatürliche" Lebenswandel des Paares den Kindern schadet.

"Ich habe mich sofort in die beiden verliebt", erzählt Fernand Melgar. Ein Jahr lang, von der Geburt ihrer Tochter bis zu deren erstem Geburtstag, begleitet der Regisseur die Familie durch den Alltag. Nach und nach kippt die Perspektive: Erstaunlich ist nicht mehr Pascal, der mit seinen rotlackierten Fingern Automotoren wuchtet, sondern seine Umwelt, die daran Anstoß nimmt.

Gemeinsam mit seiner Frau kämpft er um das Recht, sein eigenes Leben zu führen, wirbt um Verständnis oder wenigstens um Respekt. Und so zieht zur Weihnachtszeit neben Santa Claus auch eine Weihnachtsfrau durch die Straßen des Städtchens. Statt des Bartes trägt die Weihnachtsfrau knallroten Lippenstift. Die Kinder haben ihren Spaß an den Geschenken, bis ein Ordnungshüter dem Treiben ein Ende macht. Anweisung von Oben.

Ein anderes Mal tritt das Paar in einer französischen Talkshow auf. Pascal in einem eleganten Kleid, erzählt freimütig von der Normalität ihrer Beziehung. Als die Sendung ausgestrahlt wird, läuft in der Dorfkneipe der Fernseher. Pascal hält eine kleine Ansprache, sucht anschließend das Gespräch mit den Gästen.

In solchen Sequenzen zeigt sich das eigentlich Außergewöhnliche dieser Geschichte: die unerschütterliche Freundlichkeit dieses Mannes, seine Toleranz und seine Kraft. Was Pascal wiederfahren ist, wäre genug, um an den Menschen zu verzweifeln. Seine Mutter, die ihn einst ins Heim abschob und ihm nun die Fähigkeit abspricht, seinen Kindern ein guter Vater zu sein. Die erste Ehe mit einer Frau, die mit seinem eigenen Vater ein Kind gezeugt hat. Die Ablehnung seiner Mitbürger. Mit Pascal lernen wir einen außergewöhnlichen Menschen kennen, eine starke Seele. Es ist, als hätte er sich einfach noch einmal ganz neu erfunden, um die Vergangenheit abzuschütteln. Gerüstet mit Lippenstift und Wimperntusche gelingt es ihm, trotz der tiefen Verletzungen nicht bitter zu werden. Und er gibt nicht auf.


Fitfty Fifty
Neelesha Barthel, Deutschland 2002

"Seit ein paar Jahren ist Kinderkriegen wieder irgendwie cool", sagt Celine. Und so hat sie sich mit ihrem Freund Dirk Hals über Kopf ins größte Abenteuer des Lebens gestürzt. Fifty Fifty hieß damals der Deal, Babysitting durch zwei. Jetzt ist der kleine Jannik da, die Liebe der Eltern zuende und das mit dem Fifty-Fifty haut so richtig nicht hin. Auch bei ihrer besten Freundin Naty ist mit Exfreund Rafi in ständige Scharmützel um Söhnchen Noah verstrickt. Unter der Oberfläche jedes Gespräches köcheln noch Eifersucht und alte Verletzungen, die das Tauziehen um jedes Stück Freiheit zusätzlich verkomplizieren. "Die Kommunikation klappt nicht, weil wir uns beide als Opfer sehen", beschreibt Dirk die vertrackte Konstellation.

Neelesha Barthel ist mit ihrem ersten Film eine hinreißende Dokukomödie gelungen. Sie begleitet ihre temperamentvollen Freundinnen durchs alltägliche Chaos zwischen Windelnwechseln, Job und Nightlife, das die beiden jungen Mütter mit Humor und Selbstironie entschärfen. Wenn Rafi mal wieder zu spät zur Kindsübergabe aufkreuzt oder seinen vegetarisch ernährten Sohn mit Hackfleisch füttert. Wenn eine Wespe im Nuckelfläschchen schwimmt, oder der Apfelsaft nicht mehr ganz koscher ist. "Mensch Celine, du solltest Aufkleber an die Flaschen machen, wo drauf steht Seit einer Woche schlecht oder so", stöhnt Naty in komischer Verzweiflung und programmiert der Freundin die Nummer vom Giftnotruf ins Telefon.

Jenseits allen Gelächters und der erfrischenden Unbekümmertheit deckt Barthel behutsam auch ernste Töne auf. "Manchmal bin ich total unglücklich, weil ich meinem Sohn nicht die Stabilität geben kann, die ich ihm geben möchte", bekennt Naty an einer Stelle. In solchen Momenten schlägt sie sich die Nacht um die Ohren, um vor ihren Selbstzweifeln zu fliehen. Doch wer ein Kleinkind allein groß zieht, dem bleibt zur Nabelschau nicht viel Zeit.

"Schimpf Du mit ihm, ich kann grad nicht mehr", stöhnt Naty, als Noah lässig seinen Teller auf den Boden schubst. Celine schimpft ein bisschen, der Ordnung halber. Und dann lachen sich die beiden schlapp. Solange man noch über sich selbst lachen kann, ist das größte Chaos halb so wild.

Nani Fux

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