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19.09.2002
 
 
        Road to Perdition

Katharsis, Läuterung, Anpassung
Wie in aktuellen Filmen aus bösen Buben gute Menschen werden

 
 
ROAD TO PERDITION von Sam Mendes
   
 
 
 
 

ROAD TO PERDITION, MONSTER'S BALL, ABOUT A BOY; drei Filme, die momentan in unseren Kinos zu sehen sind, die von der Kritik gelobt werden, die sich durch ein intelligentes Drehbuch, perfekte technische Umsetzung und herausragende Schauspieler auszeichnen, die durchaus auch "schwierige" Themen behandeln, die Dramatik, Spannung und Humor vereinen und deren Handlungen scheinbar nicht weiter auseinander liegen könnten.
Bei genauer Betrachtung ähneln sich diese Filme aber sehr stark in der Darstellung eines Mannes, der durch seine unglückliche Jugend zum mehr oder minder schlechten Menschen verkam und der nun durch seinen Sohn (bzw. Quasi-Sohn) und die Liebe zu einer Frau, das erdrückende Verhältnis zu seinem Vater (bzw. Quasi-Vater) überwindet und zu einem besseren Menschen gemacht wird.
Aus ganz unterschiedlichen Gründen ist für mich jede dieser Läuterungen ein ärgerlichen Schwachpunkt, in diesen ansonsten überaus gelungenen Filmen.

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Ein Junge steht am Meer, blickt auf das endlose Wasser hinaus und kommentiert aus dem Off, dass er oft gefragt würde, ob Michael Sullivan ein böser Mensch gewesen sei.
So beginnt ROAD TO PERDITION und bereits die Art, wie diese Szene, in der ein Sohn über seinen Vater spricht, ins Bild gesetzt wird, läßt erahnen, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt. Der folgende Film gibt dann auch die eindeutige Antwort, so dass der Junge am Schluß die eingangs gestellte Frage gar nicht mehr ausdrücklich verneinen muss.

Dabei ist dieser Michael Sullivan (Tom Hanks) zu Beginn wirklich eine düstere Gestalt, ein eiskalter Auftragskiller, der kaum Emotionen zeigt und der seinem Ziehvater, dem Gangsterchef John Rooney (Paul Newman), der sich in den harten Zeiten der wirtschaftlichen Depression des Waisenkindes Sullivan annahm, treu und dankbar ergeben ist. Als Sullivans Sohn seinen Vater bei der Ausführung eines weiteren Auftrages beobachtet und dabei entdeckt wird, stößt er damit eine tödliche Kettenreaktion an. Die gewohnt paranoiden Gangsterkollegen versuchen Sullivan und seine Familie auszulöschen, was aber nur zur Hälfte gelingt, worauf sich Vater und Sohn auf einen Reise zwischen Flucht und Rachefeldzug machen.

Je länger diese Fahrt aber dauert, um so mehr beginnt sich Sullivan zu verändern und um so mehr leidet die Glaubwürdigkeit der Figur. Aus dem kalten Mörder ohne Gewissen wird urplötzlich ein sympathischer Robin Hood, aus dem Rache- wird ein Schutzengel, aus dem distanzierten Familienoberhaupt ein verständnisvoller Vater.
Und eigentlich war Sullivan schon vorher ein "guter" Mörder, der nur andere Verbrecher, die es zudem verdient hatten, umbrachte. Einer der nur widerwillig und aus Verpflichtung gegenüber seinem väterlichen Boss tötete und der jetzt sofort die Waffe ablegen würde, wenn er sich nicht gegen die wirklich Bösen (z.B. Jude Law als überzogene Killer-Karikatur) wehren und seine vollkommen legitime Rache nehmen müsste. In dieser Moral steckt nun aber ein solches Maß an Verlogenheit, dass es Tom Hanks immer weniger gelingt, seine Figur glaubhaft und schlüssig zu gestalten.

Doch nicht genug damit. Als Rooney im Streit erklärt, dass keiner von ihnen in den Himmel kommen werden, stimmt Sullivan zwar zu, beharrt aber darauf, dass für seinen Sohn noch eine Chance bestehe. Spätestens hier verläßt der Filme die Road to Perdition, um auf die Road to Redemption abzubiegen und als Sullivan eine letzte Sünde auf sich nimmt, um das Seelenheil seines Sohnes zu retten, erlöst er schlußendlich auch sich selbst. Das schrammt alles so stark am pseudoreligiösen Kitsch vorbei, dass es leider das ansonsten beeindruckende Gesamtbild des Films nachhaltig trübt.
Wie man solche Gangstergeschichten ehrlicher (d.h. hoffnungs- und auswegloser) erzählt, kann man bei entsprechenden Filmen aus Asien lernen, weshalb hier etwa ein direkter Vergleich zum thematisch nicht unähnlichen BEYOND HYPOTHERMIA lohnt.

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In der allgemeinen Berichterstattung entstand oft der Eindruck, dass sich Marc Forsters MONSTER'S BALL mit dem in einigen Teilen der amerikanischen Gesellschaft immer noch vorhandenen allgemeinen Rassismus beschäftigt. Vordergründig mag das stimmen, doch das eigentliche Thema des Films ist der sture Hass, der eine Familie seit Generationen vergiftet und der sich nicht nur gegen Afroamerikaner, sondern gegen alle Randgruppen richtet und in einem verächtlichen Frauenbild gipfelt.

Hank Grotowski (Billy Bob Thornton) ist Gefängniswärter, wie sein Vater (beeindruckend niederträchtig gespielt von Peter Boyle), ist Rassist, wie sein Vater, behandelt Frauen wie Objekte, wie sein Vater. Hanks Versuch, seinem Sohn ebenfalls diese "Familientradition" zu vermitteln, scheitert. Der Sohn will weder Gefängniswärter im Todestrakt, noch Rassist sein. Als einzige Fluchtmöglichkeit und als letzte Rache am prügelnden Vater, begeht er deshalb vor Hanks Augen Selbstmord. Hanks bisheriges Leben gerät damit aus den Fugen. Er kündigt seinen Job, kauft sich eine Tankstelle und als er unter dramatischen Umständen Letitia Musgrove (Halle Berry), die gerade ihren Mann auf dem elektrischen Stuhl und ihren einzigen Sohn bei einem Autounfall verloren hat, kennen und lieben lernt, beginnt eine radikale Änderung seines Lebens, die in ihrer versöhnlichen Botschaft durchaus positiv sein mag, die dem realistischen Anspruch des Films aber einen Bärendienst leistet.

Denn die Wandlung des rassistischen, hasserfüllten Todestraktwärters, hin zum paradeliberalen, liebevollen Tankstellenbesitzer, vollzieht sich mit einer solchen Leichtigkeit und so konfliktarm, dass dagegen die Wandlung des Saulus zum Paulus wie ein billiger Zaubertrick wirkt. Um diesen extremen Gesinnungswandel irgendwie zu erklären, liefert uns der Regisseur viele (zu viele) kathartische Ereignisse. Hanks Sohn begeht Selbstmord, er verliebt sich als Rassist in eine schwarze Frau, die zudem, wie er, ihren Sohn verloren hat und deren Mann er selber zum elektrischen Stuhl geführt hat. Ein einziges dieser dramatischen Erlebnisse hätte wohl auch gereicht, um Hank einen Anstoß zu geben, sein Leben zu ändern.

Niemand will bestreiten, dass Menschen ihre verbohrten Ansichten ändern können, doch durch die Gründlichkeit, mit der sich Hank von sehr böse zu sehr gut wandelt, bekommt der Film etwas Märchenhaftes, das zu diesem tragischen Thema einfach nicht passt. Einer der Hauptgründe, warum MONSTER'S BALL trotzdem noch funktioniert, ist die einmal mehr großartige Schauspielkunst des Billy Bob Thornton, der in die Darstellung des anfänglichen Rassisten etwas Widerwilliges, stur Angelerntes legt und somit die Deutung offen läßt, dass Hanks Hass nie seiner tiefsten Überzeugung entsprach und seine Wandlung in einen besseren Menschen eigentlich die Befreiung seines wahren Charakters ist.

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Im Vergleich zum Killer Sullivan und dem Rassisten Grotowski ist der von Hugh Grant gespielte Will in ABOUT A BOY ein kleiner Fisch unter den Bad Guys.
Seine größten Verfehlungen bestehen in einem grenzenlosen Egoismus, leidenschaftlichem Müßiggang und einer zynischen Misanthropie, die besonders Kinder trifft und attraktive Frauen ausdrücklich ausnimmt.
Bei seinem Versuch, alleinerziehende Mütter kennenzulernen (da sie ihm als perfekt für ein kurzes, leidenschaftliches Abenteuer erscheinen), kommt er wie die Jungfrau bzw. hier wohl eher wie der Junggeselle zum Kind. Das Kind heißt Marcus, ist ein 12jähriger Außenseiter, dessen offensichtlichsten Eigenschaften häßliche Kleider, eine verhängnisvollen Leidenschaft zum Singen, eine gewisse Altklugheit und eine enormen Hartnäckigkeit sind.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine zaghafte Freundschaft, die ihnen hilft, ihre Krisen zu überwinden, was für Marcus heißt, mit seiner depressiven Mutter klarzukommen und langsam erwachsen zu werden und was für Will bedeutet, seine Einsiedelei und Oberflächlichkeit abzulegen, echte Liebe und Freundschaft zu empfinden, den Schatten seines gescheiterten Vaters, der in Form eines allgegenwärtigen Weihnachtsliedes über ihm liegt, abzuschütteln und seinem Zynismus abzuschwören; kurz: seinen früheren Charakter über Bord zu werfen, um ein besserer, netter Mensch zu werden.

Es ist irgendwie sonderbar, dass etwa der Menschenfresser Hannibal Lecter schon zwei Filme unverändert überleben durfte, um demnächst zum dritten Mal Unheil zu verbreiten, während es offensichtlich untragbar ist, einen Zyniker oder Misanthropen ohne Läuterung und der Aussicht auf Besserung aus einem Film zu entlassen (u.a. in AS GOOD AS IT GETS oder WONDER BOYS). Deshalb muss nun auch Hugh Grant demonstrativ seine frisch gewonnene und sehr unterhaltsame Boshaftigkeit im Laufe des Films wieder aufgeben, um sich zu guter Letzt in eine heitere Patchworkfamilie einzufügen.

Ärgerlich daran ist nicht nur die im gleichen Maß abnehmende Witzigkeit des Films, sondern auch die dahinter steckende, reaktionäre Botschaft, die die Realität bewußt verschönt.
Denn Will ist eigentlich ein typischer Vertreter dessen, was einerseits die britische Regierung unter dem Label Cool Britannia zum Ideal erklärt hat und was andererseits die Medien als Inbegriff eines zeitgemäßen Menschen feiert. Er ist fortschrittlich, smart, wohlhabend, selbständig, attraktiv und bei der Pflege seines Äußeren ebenso gewissenhaft, wie beim Kauf der richtigen Markenprodukte und Medienerzeugnisse. Das dieses Ideal zwangsläufig auch Nebenwirkungen wie Egoismus, Oberflächlichkeit, zynische Gleichgültigkeit oder Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen mit sich bringen kann, sieht man dagegen nicht gerne, weshalb Will hier diese Eigenschaften stellvertretend ausgetrieben werden.
Für sarkastische Dandys und Müßiggänger, wie sie Oscar Wilde (dessen Bücher und Filmadaptionen - wie aktuell ERNST SEIN IST ALLES - sich großer Beliebtheit erfreuen) einmal beschrieben hat, ist im heutigen England offensichtlich kein Platz mehr.

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Als passendes Gegengift zu all diesen geläuterten Bösewichten sei deshalb noch einmal auf WAHNSINNIG VERLIEBT von Laetitia Colombani hingewiesen. Hier ist es eine Frau (Audrey Tautou), die genau den umgekehrten Weg bestreitet und sich vom netten Mädchen zur besessenen Erotomanin entwickelt und sich davon auch bis zum bitteren Ende nicht mehr abbringen läßt.
"Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin", sagt man in solchen Fällen. Der von Tautou gespielten Angelique ist zumindest der Kinohimmel sicher.

Michael Haberlander

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