03.12.2020
ABSTAND/ZOOM

C_CREDITS (Dezember 2020)

Youtube Bond Credits
Bekannt für seine Vorspänne: James Bond
(Foto: Screenshot Axel Timo Purr)

In 26 Schritten durch das filmische Alphabet. Eine völlig subjektive monatliche Serie über Begriffe und ihre Anwendung auf aktuelle Filme.

Von Nora Moschuering

Es gibt Sätze, die Menschen fallen­lassen, so ganz nebenbei, die sie selber viel­leicht gleich wieder vergessen, die aber im Gegenüber sitzen­bleiben, und ab da zitiert man sie: wie mein Bruder einmal sagte. Mein Bruder war der Erste, den ich kennen­lernte, der konse­quent beim Abspann sitzen­blieb. In meiner Fantasie tut er das noch immer, obwohl ich schon lange nicht mehr mit ihm im Kino war: Er sitzt. Das Licht wird heller. Alle um ihn herum schieben sich über ihn drüber und an ihm vorbei. Er sitzt. Der letzte Ton verklingt. Das Licht wird heller, dann steht er auf. Damals bin ich neben ihm sitzen­ge­blieben, weil ich finde, dass er sehr bewusst mit Medien umgeht. Ich war trotzdem unge­duldig und beob­ach­tete ihn. Er guckte mich an und dann, Zitat: »Der Abspann gibt Zeit, den Film noch mal zu reflek­tieren. Außerdem muss man nicht so schnell schon darüber sprechen und eine Meinung haben!« Das leuchtete mit damals total ein und das leuchtet mir heute total ein. Wir verließen den Saal an der bereits vor der Kinotür wartenden Schlange vorbei. Wir hätten spoilern können, kannten das Wort aber noch nicht. Das war das erste Mal, dass ich mir bewusst den Abspann, die CREDITS, angesehen habe.

CREDITS, das ist die Würdigung, die im Abspann, als Closing Credits, aber auch schon im Vorspann, als Opening Credits, gezeigt wird. Das Wort Abspann stammt wohl vom Pferde abspannen. Damit ist es erledigt, fertig und Feier­abend. Die Würdigung dagegen ist etwas ganz anderes, dabei werden die MacherInnen gewürdigt. Meist stehen da zwar Namen, die einem in den seltensten Fällen etwas sagen, aber nichts­des­to­trotz würdigt man so die Arbeit dieser Unbe­kannten. Das Was-sie-gemacht-haben bekommt man glück­li­cher­weise als Zusatz­in­for­ma­tion. In den CREDITS wird auch das Teamwork honoriert. Ein Gemälde kann eine Person signieren, aber an einem Film sind viele beteiligt. CREDITS sind sowohl Aner­ken­nung, Dank­sa­gung, aber auch der Applaus-Moment. Der Moment, an dem das Team auf die Bühne kommt und sich verbeugt. Daneben ist es aber auch ganz profan eine Art Zeugnis oder Bezahlung. Wer da wie aufge­führt wird, wird in Verträgen fest­ge­schrieben oder wurde durch Gewerk­schaften ausge­han­delt, z.B. hat sich die Gewerk­schaft der Dreh­buch­au­torInnen (Writers Guild of America) dafür einge­setzt, dass Dreh­buch­au­torInnen genannt werden müssen. Außerdem entstanden über die Jahre Konven­tionen. In seiner Anfangs­zeit waren bei weitem nicht so viele Menschen an einer Produk­tion beteiligt wie heute und daneben war es einfach auch noch nicht üblich, bestimmte Posi­tionen im Abspann zu benennen. In den frühen Filmen spannte sich der Film außerdem in den Rahmen des Titels und des THE END. Das ist in seiner fest­ste­henden Abso­lut­heit bis heute beru­hi­gend.

Die Opening Credits laufen heute oft schon über oder in der laufenden Handlung, manchmal erzählt eine Titel­se­quenz eine fast schon eigen­s­tän­dige Geschichte, getrennt von der filmi­schen Handlung. Manchmal ist die Geschichte darin der Geschichte im Film vorge­la­gert oder beschreibt die Umstände, in denen diese statt­findet.
Aber selbst die reine Schrift kann im Film statt­finden, die »Opening Title Sequence« von Panic Room (2002) ist da fast eine Art Klassiker, hier ist der Text in die Filmwelt einge­woben. David Fincher hat übrigens schon bei Se7en (1995) einen Vorspann gemacht, dessen Eindeu­tig­keit einem erst nach dem Film klar wird.
In Drive beginnt der Film mit wenigen Infos: der Produk­tion und dem Regisseur. Dann treibt einen die Musik durch die ersten 10 Minuten des Films, die im Auszählen eines Football-Spieles enden, erst dann laufen die rest­li­chen Opening Credits. Die gesamte Sequenz des Fahrers, der einen Job erledigt, könnte in einem anderen Film der Höhepunkt sein, hier ist es das Intro.
James Bond ist bekannt für seine Vorspänne und die Titel­mu­siken. Deren Ankün­di­gung der erste Clou vor dem Filmstart ist und an deren Entwick­lung man gut über Frauen und Objek­ti­fi­zie­rung disku­tieren kann. (Bei YouTube kann man sich die ALL James Bond Credit Openings ansehen). Die CREDITS sind ohnehin praktisch, um z.B. schnell ablesen zu können, welche Rolle Frauen und Männer in bestimmten Depart­ments spielen.

Auch Closing Credits können auf oder im Bild beginnen, bevor sie dann meist in einen Roll­ab­spann übergehen. Es gibt mitt­ler­weile sehr, sehr lange Abspänne wie die der Herr der Ringe-Trilogie (über 18 Minuten zumindest auf der DVD). Oft läuft dabei gute Musik, zu der man sehr gut den Saal sauber­ma­chen kann. Zu der Zeit, in der ich in Kinos gear­beitet habe, waren das immer die schönsten und dyna­mischsten Aufräum­mi­nuten. Oft stand ich schon früh am Eingang und hörte die Musik bestimmter Filme. Beispiels­weise habe ich immer versucht, pünktlich in den Abspann von den Watchmen (2009) zu kommen und Leonard Cohens »First We Take Manhattan« zu hören.

Bei Pixar-Filmen warten Menschen oft darauf, ob noch ein Gag kommt. Eigent­lich lohnt der sich nie, aber immerhin kann man dann andere darauf hinweisen, dass sie etwas verpasst haben. Man gehört dann zu der Gruppe, die den Film wirklich gesehen hat. Manchmal wird auch eine verges­sene Geschichte in 30 Sekunden fertig erzählt. Oder es gibt einen Zeit­sprung. Outtakes und Making-Off Szenen oder Zusatz-Szenen. Als wäre da etwas aus dem ordent­li­chen Konstrukt des Filmes heraus­ge­ploppt.

Im Fernsehen läuft der Abspann schneller ab oder wird sogar verklei­nert und läuft parallel zu einem neuen großen Bild schnell weiter und bei Netflix werden sie bei Serien auto­ma­tisch über­sprungen, um im Flow zu bleiben, viel­leicht weil sie ein bisschen wie episches Theater sind und uns die Künst­lich­keit bewusst­ma­chen. Denn CREDITS zerstören die Illusion. Im Film wird der Schau­spieler zu seiner Rolle, im Abspann werden sie wieder getrennt. Man könnte aber auch sagen, dass dabei nicht etwas zerstört wird, sondern dass man was vereint: Die Filme­ma­chenden und ihre Figuren. Das einzige Mal, dass das überhaupt im Film passiert, sonst verschwinden die Machenden ja hinter ihren eigenen Bildern und die Schau­spie­lerInnen hinter ihren Figuren. In den CREDITS reflek­tiert der Film über seine eigene Entste­hung, seine Produk­tion, sein »Film-Sein«.