21 films
Die SuperMegaÜber-Liste |
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Eine der Überraschungen: Under the Skin von Jonathan Glazer | ||
(Foto: Senator) |
»Borges ... zitiert 'eine gewisse chinesische Enzyklopädie', in der es heißt, daß 'die Tiere sich wie folgt gruppieren: a Tiere, die dem Kaiser gehören, b einbalsamierte Tiere, c gezähmte, d Milchschweine, e Sirenen, f Fabeltiere, g herrenlose Hunde, h in diese Gruppierung gehörige, i die sich wie Tolle gebärden, k die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l und so weiter, m die den Wasserkrug zerbrochen haben, n die von weitem wie Fliegen aussehen.'«
Michel Foucault »Die Ordnung der Dinge«»Absolutisirung – Universalisirung – Classification des individuellen Moments, der individuellen Situation etc. ist das eigentliche Wesen des Romantisirens.«
Novalis
Ein Rahmen ist ein Rahmen, hat eine Teilnehmerin geschrieben zur Begründung, warum sie nicht mehr als 21 Filme nennt. Das stimmt natürlich. Trotzdem fühle ich mich nicht schlimm, weil ich mit Zusatznennungen den Rahmen gesprengt habe wie viele andere. Auch wie wir mit dem Rahmen umgehen, wo wir ihn überschreiten und wie, das verrät vor allem etwas über uns.
Auch interessant: Die Ordnungsprinzipien der jeweiligen Teilnehmer. Manche ordnen alphabetisch, andere nach Jahreszahlen. Wieder andere nach persönlicher Priorität. Alles legitim. Genauso wie die schöne Idee, die Filme nach ihrem Charakter und ihrem persönlichen Impact zu gliedern. Gerade dies nimmt die Idee des »Lieblingsfilms«, der Subjektivität ganz ernst.
Etwas dogmatischer ist der Eindruck dort, wo zum Beispiel nur deutsche Filme genannt werden, oder nur Filme von Frauen. Ob das Kino aufhört? Das wurde ich gefragt. Vielleicht ab 2014? Es gibt Teilnehmer, deren Lieblingsfilme fast ausschließlich aus der ersten Hälfte des Jahrzehnts stammen.
Darf man eigene Filme nennen, oder nicht? Für Produzenten ist es offenbar leichter.
Es wird vielen so gegangen sein, wie mir: Manche Teilnehmer haben mich mit ihren Listen extrem
überrascht, weil sie unvorhersehbar waren, und manchmal so gar nichts mit den Filmen zu tun zu haben scheinen, die sie selber machen.
Am interessantesten war aber das, über das ich hier nicht schreiben darf: Wie die einzelnen kommunizieren. Ob sie eine Liste abgeben oder erst die fünfte dann gelten darf. Ob die Liste nach einer Stunde kommt oder zwei Wochen nach versprochenem Termin. Ob sie wieder zurückgenommen wird, oder nicht. Kommentiert oder nicht. Und wenn ja, wie.
Das
alles verrät auch etwas darüber, wie die Betreffenden Filme machen. Es zeigt, wie vielfältig das deutsche Kino ist. Und wie toll in seiner Vielfalt. »Toll«, das heißt im Duden: Großartig, ausgelassen, wild. Aber auch tolldreist. Und verrückt.
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Listen zu schreiben ist eine romantische Tätigkeit. Listen selbst sind romantisch. Romantik und Pragmatismus, Romantik und kühle Betrachtung sind keineswegs Gegensätze, sondern bedingen einander. Es geht eben darum: Das eine nicht dem anderen zu opfern.
Die Listen der Anderen zu führen und zusammenzufassen, auszumendeln und nachzuprüfen ist nun wiederum vor allem überflüssig und nerdy. Es ist eben so: Am Ende kommen die Nerds und das Nerdige in uns. Und die Nerds sind keine Romantiker. Sie aber beherrschen die Welt durch ihren Ordnungssinn, ihre Vernunft. Hier nun endlich, verzögert durch Berlinale und Corona, aber genau richtig vielleicht für die nun kommenden Wochen der Einkehr, des Rückzugs, der erzwungenen Nachhaltigkeit, die manche, allzuviele für meinen Geschmack nun feiern als willkommenes und unbezahltes Sabbatical vom modernen Leben, einen willkommenen Zwang.
So haben nun alle, die es sowieso wissen wollten, jene, die es nie zu fragen wagten, und jene, die schon eigene Überlegungen in sozialen Netzwerken anstellten, Gelegenheit, sich in die Listen zu vertiefen, oder nachzurechnen, oder eigene aufzustellen. Diese heutige SuperMegaÜberListe ist teilweise todlangweilig, teilweise spannend, teilweise überraschend – was insgesamt kaum überrascht.
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Hier also einige Zahlen: Insgesamt wurden 76 Menschen um eine 21films-Liste ihrer Lieblingsfilme gebeten, tatsächlich ganz exakt 38 Frauen und 38 Männer, dies eher zufällig, aber es hat natürlich gut gepasst. 16 haben sich entweder nicht gemeldet oder mit mehr oder weniger guten Gründen abgesagt. Unter den Absagen waren aber 10 Frauen und nur 6 Männer, daher im Gesamtbild das leichte Übergewicht von Letzteren: Von 61 Teilnehmer sind 33 Männer, 28 Frauen. Die meisten Absagen kamen aus dem Ausland, da ist wohl dieser Listenwahn zu deutsch.
Sie leben vor allem in Berlin: (30) und München (16), das liegt wohl auch an dem, der fragt. Die meisten sind Regisseure (27), Produzenten (9) und Kritiker (7). Nur eine (reine) Autorin und ein Verleiher muss mir im Nachhinein zu denken geben.
Sie haben insgesamt 602 Titel aus den Jahren 2010-2019 genannt (Fehlmeldungen wurden, falls Rücksprache nicht möglich war, stillschweigend gelöscht). 213 Titel wurden mehrfach genannt, 389 nur je einmal. Gerade dies spricht schon mal für eine große Vielfalt der Antworten.
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Wenig aussagekräftig ist eine Differenzierung dieser Filme nach Erscheinungsjahren und nach Produktionsländern. Im Großen, Ganzen wird jedes Jahr 120 bis knapp 140 Mal genannt. Das Jahr 2015 scheint mit nur 99 Nennungen besonders schwach gewesen zu sein, 2018 mit 150 besonders stark – aber vielleicht hatte man das nur noch am besten in Erinnerung. Bei den Produktionsländern liegen kaum überraschend die USA klar vorn, vor Deutschland und Frankreich.
Interessanter ist die Liste der Filme und der Regisseure.
Ich hätte nicht erwartet, dass Toni Erdmann ganz vorne liegt, und die starken Resultate für Alfonso Cuaróns Roma und Melancholia von Lars von Trier und Under the Skin von Jonathan Glazer haben mich auch überrascht. Dass Nader und Simin – Eine Trennung von Asghar Farhadi und Boyhood von Richard Linklater weit vorn liegen würden, war für mich eher erwartbar. Aber dann wieder einige »schwierige«, kontroverse Filme: Drive, Burning , Spring Breakers, Western, The Tree of Life. Schöne Überraschungen!
Giorgos Lanthimos und ein bisschen auch Scorsese hat in der Listen-Wahrnehmung geschadet, dass sie so viele gute Filme gemacht haben: Die Stimmen verteilen sich gerade bei Lanthimos, und auch bei Ruben Östlund, Celine Sciamma, Lynne Ramsay, Andrea Arnold, Lee Chang-dong, Jia Zhang-ke, Christopher Nolan, auf etwas geringerem Niveau Jean-Luc Godard und Paul Thomas Anderson.
Das zeigt dann die Liste der meistgenannten Regisseure, wo all diese Boden gutmachen konnten.
Besonders überrascht und erstaunt hat mich, dass Xavier Dolan nicht mehr Stimmen bekommen hat. Auch nicht von einigen, die ich als Dolan-Fans zu kennen glaubte. Dolan, in dem man doch, auf den ersten Blick, einen der maßgeblichen Filmemacher der Dekade sehen würde. Das gleiche gilt für Mia Hansen Love und für Olivier Assayas, der immerhin 5 Filme gemacht hat, aber mit keinem mehr als drei Mal genannt wurde – sie allen erscheinen aus meiner Sicht unter Wert. Aber vielleicht ging es bei Hansen Love und Assayas (die kurioserweise auch noch im Leben ein Paar waren) vielen wie mir selbst. Ich dachte: Die muss ich nicht nennen; die werden eh genug genannt; andere Filme brauchen mehr Aufmerksamkeit.
Gewissermaßen unter die Räder der Vergessenheit gekommen ist Gianfranco Rosi mit Fuocoammare, dem Berlinale-Sieger, auch Cristi Puiu und Laszlo Nemes wurden einfach zu wenig genannt. Andere, wie Bruno Dumont, David Fincher und Kathryn Bigelow scheinen in den Augen vieler ihre beste Zeit hinter sich zu haben.
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Man kann auch anders draufschauen. Es gibt ein paar richtige Kuratorenfilme: »*š« von Johann Lurf wird zum Beispiel dreimal genannt und dreimal von Kuratoren.
Glücklich wie Lazzaro von Alicia Rohrwacher bekommt zehn Nennungen, aber allein 4 von Kuratoren und 2 von Produzentinnen.
Tatsächlich gibt es auch »Produzentinnenfilme«. Nader und Simin – Eine Trennung von Asghar Farhadi verdankt von seinen 12 Nennungen allein 4 Produzentinnen.
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Am spannendsten ist die Aufschlüsselung nach Geschlecht der Abstimmenden. Bemerkenswerterweise vollkommen ausgeglichen ist der Sieger mit 11-11. Auch Melancholia (8 Männer, 7 Frauen), Burning (7-5), La vie d’Adèle (Blau ist eine warme Farbe) (5-4), Boyhood (7-5), American Honey (4-5), Shoplifters (4-4), Frances Ha (3-3) Border (4-3) sind gewissermaßen »geschlechtsneutrale« Filme. Auch ausgewogen finden die Werke von Christopher Nolan (7-5), Kenneth Lonergan (4-5, darunter 3 Produzentinnen), und Olivier Assayas (5-3) Zustimmung.
Ganz anders bei anderen Filmen: Für Nader und Simin – Eine Trennung stimmen nur 3 Männer, aber 9 Frauen. Spring Breakers von Harmony Korine (8-3) ist gewissermaßen das Pendant zu Porträt einer
jungen Frau in Flammen von Céline Sciamma (2-8).
Weitere klare Frauenfavoriten sind Moonlight von Berry Jenkins (0-5), die Regisseure Giorgos Lanthimos(0-5, bzw. 1-4) und Jacques Audiard (1-6 bzw. 0-2) und Alejandro G Inarritu (3-9), die Filme Marriage Story von Noah Baumbach
(0-4) und Ava von Léa Mysius (1-4).
Die sogenannten »Kunstfilme« oder auch »Festivalfilme« und ihre Regisseure erhalten sehr eindeutig mehr Stimmen von Männern: Achitapong Weerasethakul wird mit Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives sechs Mal genannt, ausschließlich von Männern, und für Cemetery of Splendour drei weitere Male, wieder nur Männer.
Holy Motors von Leos Carax neun, davon 8 von Männern. Bei Once Upon a Time in Anatolia von Nuri Bilge Ceylan steht es 7-2. Auch Andrey Zvyagintsev und Paul Thomas Anderson, in meinen Augen (aber das ist eine subjektive Kategorie) eindeutig harte, »old school«-autoritäre Männer,
Set-Diktatoren, die sich als gottähnliche Seher aufspielen, bekommen viel mehr Stimmen von Männern.
Thomas Heises Heimat ist ein Raum aus Zeit bekommt 5 Stimmen, nur Männer. Paolo Sorrentino fünf Stimmen, nur Männer. Aber auch L’inconnu du lac von Alain Guiraudie (7-1)
Als Männerregisseure erscheinen auch Hou Hsiao-Hsien, David Robert Mitchell, Jean-Luc Godard, Denis Villeneuve, Bela Tarr, Luca Guadagnino, Ruben Östlund, Joshua Oppenheimer, Paul Schrader, aber auch Alicia Rohrwacher, Ruth Beckermann, Kelly Reichardt und Claire Denis.