02.04.2015
Cinema Moralia – Folge 106

Tote haben keine Natio­na­lität

Die Flucht
Die Flucht: Suchsland sieht fern und sollte lieber Reißaus nehmen
(Foto: ARD)

Schönwetterdemokratie, alte Ressentiments – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 106. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Des is das Wich­tigste, verstehst: Das nicht ich der Depp bin, sondern die anderen.« – »Des wird schwer sein.«
Monaco Franze von Helmut Dietl

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»Das Spektakel kann man nur mit spek­ta­kulären Mitteln kriti­sieren.« Dieser Satz des fran­zö­si­schen Situa­tio­nisten Guy Debord ist in den verschie­densten Momenten ein ganz prak­ti­ka­bler Leitfaden, ob es nun darum geht, die mediale Behand­lung des Flug­zeug­un­glücks vergan­gene Woche zu verstehen, oder die sich hoch­schau­kelnde Krise an der Berliner Film­schule DFFB, oder das, was man sieht, wenn man Fernsehen guckt.

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An diesem Mittwoch gab es auf der ARD Bemer­kens­wertes. Ob diese Aussage auch für Nackt unter Wölfen gilt, das Remake von Frank Beyers großer Verfil­mung von 1963, das kann ich noch nicht sagen – ich werde den Film erst morgen ansehen. Es gilt aber zumindest für deren Program­mie­rung: Denn alles läuft auf einen Ufa-Fiction-Themen­abend hinaus, den ich dem tapferen Produ­zenten Nico Hofmann jeden­falls gönne, programm­po­li­tisch aber zwei­scheidig finde: Erst der Film, dann eine Doku, die gewis­ser­maßen die Fakten nach­lie­fert, grundiert, verbrei­tert. Und dann die Wieder­ho­lung von Die Flucht mit Maria Furt­wängler-Burda als ostpreußi­scher Gräfin, die sich und Hab und Guts­be­sitz vor den bösen Russen rettet. Zumindest diese letzte Entschei­dung finde ich eine reine Obszö­nität: Kann man im deutschen Fernsehen nur noch ein KZ-Lager zeigen, wenn man quasi zum Ausgleich auch noch das zeigt, was man heute »deutsche Opfer« nennt (als ob Juden, Schwule und »Poli­ti­sche« in Buchen­wald keine Deutschen gewesen wären, und als ob es darauf überhaupt ankommen würde, ob das Deutsche sind, oder nicht.) Müssen jüdische Tote ein paar Arier an die Seite gestellt bekommen?

Die Program­mie­rung von Die Flucht unmit­telbar nach Nackt unter Wölfen ist nichts anderes, als eine Rela­ti­vie­rung der einma­ligen deutschen Verbre­chen durch die ARD-Programm­a­cher. Ob bewusst oder instinktiv, tut nichts zur Sache. Instinktiv wäre noch schlimmer.

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Was hätte man statt­dessen zeigen können? Die US-Serie »Holocaust, und wenn man die nicht mehr zeigen darf, dann ›Aus einem deutschen Leben mit Götz George als Rudolf Höß oder Schind­lers Liste oder wie wär’s mit einer Shoah-Nacht?‹«

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Bemer­kens­wert ist hier nebenbei aber auch die Fest­stel­lung, dass es im deutschen Fernsehen sehr viele Themen­abende gibt wie diesen (ganz zu Recht!), und sogar Themen­tage, nur nicht mehr bei Arte, die dieses Format einst erfunden haben. Dort spielt man statt­dessen etwa zwanzig Folgen mit dem Titel »Im Lauf der Jahres­zeiten« in denen es um, nun ja, die Jahres­zeiten geht. Spannend, oder?

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Zwei Sendungen muss man in den Media­theken über die Ostertage nachholen, und zwar zusammen, denn sie stehen in enger Beziehung: Zunächst Maisch­berger, über »70 Jahre« Kriegs­ende, eigent­lich aber als Appetizer auf den Mitt­woch­abend. Da gerieten nach Erin­ne­rungs­plausch im üblichen Rahmen zwei Gäste heftig anein­ander: Nico Hofmann und Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, der als Gene­ral­gou­ver­neur von Polen einer der Haupt­ver­ant­wort­li­chen für die Ermordung der Juden und den deutschen Vernich­tungs­krieg gegen die polnische Zivil­be­völ­ke­rung war.

Frank provo­zierte mit seiner Aussage, die Deutschen seien ein kaltes, empa­thie­loses Volk, das aus dem III. Reich eigent­lich zu wenig bis gar nichts gelernt habe: »Wir sind eine Schön­wet­ter­de­mo­kratie, denn wir haben nichts gelernt. Wenn es uns wirt­schaft­li­cher mal wieder schlechter geht, dann werden die alten Ressen­ti­ments wieder hoch­kommen«, sagt er und nennt das derzei­tige Gerede über Grie­chen­land als Beispiel. Nico Hofmann hielt dagegen, berich­tete von den Schwie­rig­keiten des Verar­bei­tens am Beispiel des eigenen Vaters. Man kann nicht recht sagen, wer von beiden Recht hatte, es waren nur zwei sehr verschie­dene Haltungen zur eigenen Familie und zum eigenen Deutsch­sein, die hier aufein­ander schlugen. Beiden gemeinsam war die Inten­sität, mit der sie die eigene Haltung einnahmen. Kurz stand ein Eklat in der Luft.

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Aber gerade als man am Ende der Sendung geneigt war, Hofmanns geschmei­diger Argu­men­ta­tion recht zu geben, gab es dann »Die Anstalt«. Sati­re­sen­dung, mit den üblichen, mal blöden, mal besseren Witzen zwischen Enga­ge­ment und Zynismus über die Troika und die soge­nannte Grie­chen­land-Krise, die doch eher eine der Banken und des unpro­duk­tiven Kapitals ist. Immerhin hielt es wach zu später Stunde. Mit Wahr­heiten wie »Wer BILD liest, um sich zu infor­mieren, trinkt auch Schnaps, wenn er Durst hat« und »Wir leben in einem Land, in dem Günther Jauch unge­straft die Bezeich­nung Jour­na­list tragen darf«.

Doch dann war es mit den Witzen plötzlich vorbei: Als es um die gefor­derten Repa­ra­ti­ons­zah­lungen Grie­chen­lands an Deutsch­land geht und die Folgen der deutschen Besetzung Grie­chen­lands, zeigen sie das Bild eines 1944 vier­jäh­rigen Jungen, der als Einziger das Wehr­machts-Massaker an der Zivil­be­völ­ke­rung im Dorf Distomo überlebt hatte.

Plötzlich betritt ein grau­haa­riger Herr die Studio­bühne. Er ist der Vier­jäh­rige von damals, Argyris Sfoun­touris. Bis heute hat er keine Entschä­di­gung von deutscher Seite erhalten.
Ein kaltes, empa­thie­loses Volk, das aus dem III. Reich nichts gelernt hat. Viel­leicht ist da ja doch etwas dran.

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Der Umgang mit dem German­wings-Absturz zeigte alle Mecha­nismen in Reinform: Den Voyeu­rismus der Medien und ihres Publikums, als ersten Schritt. Der zweite Schritt: Die angeb­liche Pietät. Und dann die vermeint­liche Selbst­kritik und Selbst­re­fle­xion. Schließ­lich das »wieder vernünftig werden« und »Maßstäbe zurech­trü­cken«. Also alles in mehreren Schritten. Erstmal Sonder­sen­dungen, Photos, Live­schalten, Ticker und Anima­tionen. Möglichst ran an die Absturz­stelle, die Betrof­fenen, Emotionen bitte und persön­liche Schick­sale. Wie in jeder öffent­lich-recht­li­chen Doku. Ratlose Fragen, Betrof­fen­heits­shows. Maisch­berger letzte Woche. Dann meckert man über die Meute, die anderen. Man selber ist natürlich anders, besser. Dann wird die Wahrheit offenbar, ganz kurz schreiben alle, dann schreibt plötzlich keiner mehr den längst bekannten Namen des mögli­cher­weise psychisch kranken Massen­mörder Andreas Lubitz. Dann dürfen wir ihn nicht mehr krank nennen, denn ohgot­toh­gott, es gibt ja viele psychisch Kranke, die sind eigent­lich ganz normal, fast jeden­falls, zumindest fliegen sie kein volles Flugzeug in die Erde.
Dann wieder geht’s so natürlich auch nicht weiter. Also zurück: Alles Bullshit. Medien bedienen Bedürf­nisse. Die Kritik am Kata­stro­phen­jour­na­lismus ist voll­kommen heuch­le­risch. Das Entsetzen und der Wille zur Wahrheit sind zutiefst mensch­lich.

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Einen guten Aufsatz dazu findet man im Netz: »Wer ein Flugzeug mit 150 Leuten an Bord mit voller Absicht an einem Berg zerschellen lässt, der quali­fi­ziert sich auto­ma­tisch zur Person der Zeit­ge­schichte. Medien haben jedes Recht und sogar die Pflicht seinen Namen zu nennen, sein Bild zu zeigen. Er ist der Kern der Geschichte. Wer das anders sieht, sollte überlegen, seinen Pres­se­aus­weis zurück­zu­geben«, schreibt Stephan Winter­bauer. Genau da ist unsere Aufgabe: Schreiben, beschreiben, Fakten nennen und inter­pre­tieren. Wir werden weiter­ma­chen.

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Ein ARD-Brenn­punkt zum Absturz miss­glückte total, erstickte in seiner Kaskade aus sinnlosen Live­schal­tungen. Gross­ar­tige Wahr­heits­mo­mente, dazwi­schen aber die Sätze der über­for­derten Mode­ra­torin, die nur für die Regie bestimmt waren, und das Gemachte der Spon­ta­nität offen­barten: »Nee, das frag ich nicht, das sag ich einfach.«

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Neulich in einer jener Berliner Bars, wo man tatsäch­lich, wenn man gute Ohren hat, Berliner Poli­ti­kern und Jour­na­listen beim lose Daher­reden zuhören kann: »...da saß der Hartmann mit der Zucker­tüte und zitternden Händen. Und später dann kam der Oppermann rein. Mit wem hat der wohl geredet? ... Die Petra Ernst­berger, der hat dann Oppermann gesagt: Den bringt du unter, oder du kannst dir selber einen neuen Job suchen ... die Version ist ja, dass Hartmann von Oppermann den Auftrag hatte, das abzu­wi­ckeln.«
»Die Sachen, die wir machen, sind doch Feigen­blätter – über Bauern, die Probleme haben mit Maul- und Klau­en­seuche.« Na, worum gings da? Wer’s weiß, dem verrate ich die Bar.

(to be continued)