29.01.2015
Cinema Moralia – Folge 100

Jeder macht so, was er macht

Elser
Ein Film, der überfällig ist: Elser
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Tobis Film GmbH)

Selbstverschuldete Unmündigkeit, deutsches Geld für deutsche Filme, französisieren wir uns – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 100. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Der einzige Weg mit einer unfreien Welt umzugehen, besteht darin, absolut frei zu sein.« hat Albert Camus gesagt. Étienne de la Boétie (fran­zö­si­scher Hoher Richter von 1530 – 1563) drückt es noch etwas besser aus, wenn er sagt:
»Der Unter­drü­cker hat weiter nichts als die Macht, die ihr ihm zugesteht, um Euch zu unter­drü­cken.
Woher hat er genügend Augen, Euch auszu­kund­schaften, wenn Ihr sie ihm nicht selbst liefert?
Woher soll er die vielen Arme haben, Euch zu schlagen, wenn er sie sich nicht von Euch ausborgt?
Wo bekommt er die Füße her, Eure Städte nieder­zu­tram­peln, wenn es nicht Eure eigenen sind?
Wie kann er Gewalt über Euch haben, wenn nicht durch Euch selbst?
Wie könnte er es wagen, Euch zu über­fallen, wenn nicht durch Eure eigene Mitwir­kung?«

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Erstens, damit das auch einmal gesagt ist: Dieser Text und diese Kolumne sind nicht isla­mo­phob. Zweitens: Jeder hat das Recht, isla­mo­phobe Texte zu schreiben, soviel er will.

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Ja, heute hätten wir eigent­lich die Nummer 100 dieser Kolumne mit einigen zeitlosen Einsichten feiern wollen. Aber das Wesen dieser Kolumne ist ja gerade seine Zeit­ge­bun­den­heit, und spätes­tens die Pariser Attentate hatten allen anderen Absichten den Schwung genommen.
Und dann noch der Hype um PEGIDA. PEGIDA – was heißt das eigent­lich nochmal? Provinz­deppen, Prozess­hansel, Egoisten, Eigen­brötler, Grantler, Islam­hasser, Idioten, Dumpf­ba­cken, Anti­se­miten, Auslän­der­feinde, Angst­hasen. Da wird man schnell zum Anti­deut­schen, ohne das wir das jetzt im Einzelnen ausführen wollen. Kann ja jeder mal den Begriff googlen.

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In unserer Aufrufs- und Erregungs- und Iden­ti­fi­zie­rungs­ge­sell­schaft (und über das Iden­ti­täts­be­kenntnis »Je suis Charlie Hebdo« lohnte sich das Nach­denken) war klar, dass es jetzt wieder etwas geben muss, wo jeder unter­schreiben darf. Auch das Selbst­ver­s­tänd­liche. Weil ich diesen Mani­fes­tismus zwar für Quatsch halte, in der Sache aber natürlich nicht dagegen bin, leite ich also den Aufruf hier pflicht­schul­digst weiter:
»Fanatiker haben in Paris zwölf Menschen, zumeist Jour­na­listen des Sati­re­ma­ga­zins ›Charlie Hebdo‹ ermordet. Wir fühlen mit den Angehö­rigen der Opfer. Diese blutige Tat wendet sich gegen Demo­kratie und Toleranz, sie zielt auf Meinungs- und Pres­se­frei­heit. Muslime auf der ganzen Welt verur­teilen die Morde. Doch gleich­zeitig versuchen die rechten Demagogen von Pegida die Tat zu instru­men­ta­li­sieren, um gegen Menschen isla­mi­schen Glaubens und Flücht­linge zu hetzen. Wer dies tut, befeuert die Spirale aus Hass – und spielt den Tätern in die Hände.
Kommenden Montag will Pegida in Dresden wieder demons­trieren und die Morde benutzen, um Hass und Frem­den­feind­lich­keit zu schüren. Die toten und verletzten Jour­na­listen können sich gegen diese Instru­men­ta­li­sie­rung nicht wehren. Daher müssen wir in Soli­da­rität mit den Opfern von Paris gegen die schreck­liche Gewalttat aufstehen. Und uns gleich­zeitig den rechten Demagogen von Pegida entge­gen­stellen. Wir Bürger/innen treten ein für ein fried­li­ches Zusam­men­leben aller Menschen und Reli­gionen.
Deshalb starten wir heute unseren Bürger-Appell ›Wir sind Charlie – wir sind nicht Pegida!‹.
Hier kann man unter­zeichnen

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Die inter­es­san­tere Frage aber ist für uns diese: Was hat PEGIDA eigent­lich mit dem deutschen Film zu tun? Oder anders: Ist es eigent­lich noch zeitgemäß, dass die Film­för­de­rung unaus­ge­spro­chen nach dem Blut&Boden-Prinzip funk­tio­niert, Motto: »Deutsches Geld für deutsche Filme«.
Eine neue Film­för­de­rung, die sowieso bald kommen wird, weil die alte gerade implo­diert, ist nur als europäi­sche denkbar. Da wird sich aber mancher hier umgucken.

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Im Zeichen der deutsch-fran­zö­si­schen Freund­schaft – erinnern wir uns: wie Merkel sich an Hollande lehnte. Das Bild wird bleiben, wie der Hand­schlag von Verdun – könnte man bei diesen beiden Ländern einen Anfang machen. Fran­zö­si­s­ieren wir uns!!

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Patrio­tismus, auch falsch­ver­stan­dener und deutscher Film sind jeden­falls ein dankbares Thema. Auch der Erfolg, den ein Film wie Monsieur Claude bei uns hat, wäre mal vor dem Hinter­grund der Dresdner Nazi-Demos zu betrachten. Da geht die selbst­ver­schul­dete Unmün­dig­keit auf die Straße und ist noch stolz drauf. Aber auch ein Film wie Monsieur Claude, obschon anders gemeint, bedient nur billigste und dümmste Ressen­ti­ments. Wie schon anderes vorher. Fuck you, Voltaire!

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Das sind die schönsten Preise: Die, wo den Film noch niemand gesehen hat. Die kann ja einfach niemand schlecht finden. Darum ist der Baye­ri­sche Filmpreis fast immer der schönste Filmpreis des Jahres. Denn fast immer gibt es mindes­tens einen Film, der viele Preise bekommt, obwohl ihn außer den Machern keiner gesehen hat. Zumindest dann, wenn man ihn überhaupt einen Filmpreis nennen will und nicht eine Spezi­al­ver­an­stal­tung jener typischen baye­ri­scher Machart, für die der Freistaat wirklich ein Allein­stel­lungs­merkmal hat, wenn die Rest­re­pu­blik sich auch noch so viel Mühe gibt.
Ach ja, die »Jury« gibt’s ja auch noch. Ganz unab­hängig von der Baye­ri­schen Staats­kanzlei ausge­sucht. Wer ist da drin? Kann man irgendwo nachlesen. Inter­es­siert aber niemand. Weiß auch keiner.

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Schade, dass das einem Film wie Elser gleich schon mal ein Geschmäckle gibt. Elser, also Georg Elser, das ist nämlich, liebe Film­freunde, nicht der Vater von Hannelore Elsner, sondern der Mann, der um ein Haar Hitler umge­bracht hätte, beim Attentat 1938 im Münchner Bürger­bräu­keller. Nur durch im Wortsinn unwahr­schein­li­ches Glück (durch »die Macht der Vorsehung« meinte er) entging Hitler dem Attentat. Wäre er getötet worden... – ob dann alles besser gewesen wäre mit Göring oder Himmler an der Spitze, das ist keines­wegs sicher und daher eher eine akade­mi­sche Frage, so wie die, ob Hitler, hätte ihn die Reichs­wehr 1934 oder 1935 wegge­putscht, wohl als ein großer deutscher Politiker in die Geschichte einge­gangen wäre.
Aber dass über den jetzt endlich ein Film gemacht wird – wenn das der Führer wüsste! – ist über­fällig, denn im Fall von Elser gilt wie bei den Scholls und Stauf­fen­bergs. Nicht der Erfolg ist das Entschei­dende, sondern der Versuch.
Wenn nur auch Kino so funk­tio­nieren könnte!

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Schließ­lich: eine Zufalls­be­geg­nung und ein kurzes Gespräch in der Berliner U-Bahn mit einer bekannten deutschen Film­funk­ti­onärin (jetzt darf jeder raten). Wir reden über die leidige DFFB-Situation, wo man unfähig ist, einen kompe­tenten Nach­folger zu finden, weil aus den Wunschlö­sungen nichts wird, und jetzt die Angst regiert. Im Augen­blick passiert gar nichts – eine unmög­liche Situation! Auch meine Gesprächs­part­nerin freut sich nicht auf die Berlinale, auch sie sehnt den Tag herbei, an dem Dieter Kosslick nicht mehr Festi­val­leiter ist. Wir reden über mögliche Nach­folger und speku­lieren, obwohl Alfred Holighaus bessere Chancen hat, oder Forums-Leiter Christoph Terhechte, der am ehrgei­zigsten ist und am deut­lichsten darauf hinar­beitet.
Da werden wir noch ein paar Jahre speku­lieren müssen.

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Sie verab­schiedet sich auf dem Weg zu einer der vielen Gremien, in denen sie sitzt, mit dem schönen Satz, der natürlich nicht nur für sie gilt: Jeder macht so, was er macht.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.