12.02.2015
65. Berlinale 2015

Alles was der Fall ist

Golden Kingdom
Golden Kingdom spielt in Burma, wurde vom Amerianer Brian Perkins gedreht, und von der deutschen Kamerafrau Bella Halben in herausragenden, dichten Bildern beeindruckend eingefangen.
(Foto: crew united)

Kino längst nicht nur für Kinder: Die »Generation« scheut keine Herausforderungen – ein Überblick über diese freieste aller Berlinale-Sektionen – Berlinale-Tagebuch, 10. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Vier junge Mönche in Burma, irgendwo im Dschungel. Nachts hört man die Geräusche der Tiere, aber die vier, die noch Kinder zwischen acht und 14 Jahren sind, haben keine Angst. Denn ein goldener Buddha bewacht sie und ihren Tempel, beschützt vor den Geistern der Welt. Ihr Erzieher ist ein weiser alter Mönch. Doch eines Tages muss der Alte weg, auf eine Reise in die ferne Stadt.

Nun sind sie auf sich gestellt. Die Angst nimmt zu, es gibt kleine soziale Riva­li­täten, der sehr mensch­liche Konflikt zwischen Frei­heits­drang und Disziplin, Glück und Glaube quält die Kinder. Und in die Geräusche der Vögel und des Waldes mischen sich andere: Granaten, Schüsse – die Spuren des Bürger­kriegs

Golden Kingdom spielt in Burma, wurde vom Amerianer Brian Perkins gedreht und von der deutschen Kame­ra­frau Bella Halben in heraus­ra­genden, dichten Bildern beein­dru­ckend einge­fangen.

Dieser Film ist einer Höhe­punkte unter den Jugend­filmen auf der dies­jäh­rigen Berlinale.

Kinder­film­fest – das war einmal. Heute sagt man »Gene­ra­tion« oder besser noch »Gene­ra­tion«. Auch die ehren­werten Beschrän­kungen durch pädago­gi­sche Absichten hat man längst abgelegt – und weil der eine Teil der Sektion sich »Gene­ra­tion 14 plus« nennt, ist auch dem letzten klar: Hier laufen nicht nur 33 Filme aus 19 Ländern, hier laufen Filme für Erwach­sene, für junge wie ältere. Weil die Reihe sich zugleich all den lästigen Zwängen verwei­gert, die Welt- oder mindes­tens Euro­pa­pre­mieren verlangen, weil sie keine Stars braucht und kein »Event« sein muss, keine schwul-lesbi­schen oder expe­ri­men­ta­lis­ti­schen Erwar­tungen erfüllen muss, hat sich die »Gene­ra­tion« in der letzten Dekade zu einer echten Alter­na­tive zu Wett­be­werb, Forum und Panorama gewandelt, zu einer vierten Haupt­sek­tion, in der einfach gute Filme laufen, junge frische Figuren und Themen, die es bei genauem Hinsehen in sich haben.

Golden Kingdom ist dafür ein Para­de­bei­spiel. Sogar ab zehn Jahren empfohlen ist dieser ernst­hafte, atem­be­rau­bende, so medi­ta­tive wie gegen­wär­tige Film.

14+, so wie die Sektion, heißt ein Film aus Russland, von Andrey Zaytsev. Auch er hervor­ra­gend, aber ganz anders – nicht weltfern innerlich, sondern erhitzt und poppig aus dem Hier und Jetzt. Er erzählt von der ersten Liebe zweier Teenager, vom Leben in den tristen Traban­ten­städten am Rande der Metropole. Das Regiment der Wohn­blocks haben unter­schied­liche Banden, also scheinen Vika und Alex nicht zusam­men­zu­kommen. Aber die Liebe über­windet vieles, und so ist 14+ ein tolles Melodram und eine spannende Innen­an­sicht der russi­schen Gesell­schaft jenseits von Putin und den Pussy Riots.

Auch Terro­rismus ist ein Thema. In diesem Fall der in Kanada in den Sechziger und Siebziger Jahren: Corbo heißt der fesselnde Film von Mathieu Denis, der erzählt, wieso der 16-jährige Jean Corbo zum Unter­grund­kämpfer wird: aus Liebe schließt er sich jener sezes­sio­nis­ti­schen Terr­or­gang an, die einst für die Abspal­tung der fran­zö­sisch-kana­di­schen Provinz Quebec einen blutigen Kampf führte.

In der Gene­ra­tion geht es um alles, was der Fall ist, in unserer Welt: junge Mädchen in Afgha­ni­stan, die lernen wollen. Vier Teenager in einem Bergdorf in Südafrika, die erwachsen werden müssen, um Verge­wal­ti­gung an der Schule und um ein Mädchen im San Francisco der 1970er, die endlich ihr »erstes Mal« erleben will. Die Gene­ra­tion entpuppt sich in diesem Jahr als die mit dem Panorama beste Berlinale-Sektion: Weil sie die freieste ist, nicht borniert, plump poli­ti­sie­rend, nie mora­li­sie­rend. Weil man hier einfach dem offenen Leben begegnet in all seinen Facetten.