22.05.2014
Cinema Moralia – Folge 89

»Kreative und Intel­lek­tu­elle sind das Korrektiv einer Gesell­schaft!«

Als wir träumten
Nicht gut genug für Cannes? Andreas Dresens Als wir träumten
(Foto: Pandora)

Kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affirmativ ist der deutsche Film aber noch nicht, und darum auch nicht in Cannes – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 89. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die Kunst­kritik ist eine Glau­bens­sache: Ich glaube, dass Michel­an­gelo besser ist als Dalí. Beweisen kann ich es aber nicht.« Ernst Gombrich

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Das Festival von Cannes ist immer wieder ein einziger, groß­ar­tiger Taumel. Trotz aller Vorbe­rei­tung sind es zu viele Filme, zu viele Menschen, zu viele Termine, zu wenig Zeit. Und doch ist gerade das auch ein Teil dieser groß­ar­tigen Erfahrung.

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Untrennbar zu Cannes gehört das, was die soge­nannte »deutsche Film­branche« den »deutschen Tag nennt. Mit dem DFB-Pokal­fi­nale in Berlin hat das nichts zu tun, obwohl es nicht für die Sensi­bi­lität oder Fußball­be­geis­te­rung der Freunde von German Films spricht, dass man den eigenen Empfang auf die Zeit des Finales gelegt hat. Denn nur böse Menschen lieben keinen Fußball.«

Aber »Deutscher Tag« – das heißt: Die Minis­terin kommt. Eine weitere Premiere also für Monika Grütters. Ein Wermuts­tropfen ist, dass erstmals seit Jahren gar kein deutscher Film in Cannes läuft, noch nicht mal ein Studen­ten­debüt als Kultur­för­de­rungs-Alibi in der Quinzaine oder Semaine. Einfach gar nichts. Oder doch, denn es gibt einen Doku­men­tar­film von Wim Wenders. Ansonsten aber Fehl­an­zeige, also auch keine Ausreden für die Förderer. Irgend­etwas funk­tio­niert einfach nicht in Deutsch­land. Die Filme sind nicht gut genug für Cannes, oder sie passen nicht zum Geschmack des Festivals – was nur eine nettere Formu­lie­rung für das Gleiche ist. Denn Cannes ist keine Geschmacks­frage, es ist eine Quali­täts­frage.

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Dieses Festival setzt die Maßstäbe. Das muss einem nicht passen, das kann man beklagen, so wie über kunst­rich­ter­liche Entschei­dungen immer wieder dieje­nigen klagen, die dabei nicht gut wegkommen. Inter­es­siert aber niemanden außer den Betrof­fenen.

Der maßst­ab­set­zende Charakter des Festivals von Cannes – gerade auch in der Subjek­ti­vität seiner Entschei­dungen, wird von allen anerkannt, auch von denen, die so tun, als stünden sie drüber, den Deutschen zum Beispiel. Wenn ein Film in Berlin genommen wird, oder in Locarno oder San Sebastian läuft, dann denkt man: Viel­leicht war er nicht gut genug für Cannes? Wenn er in Cannes genommen wird, vermutet aber niemand, er sei nicht gut genug gewesen für Berlin.

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Natürlich hat Cannes einen Geschmack, einen sehr guten sogar. Zudem eine Mischung aus recht konser­va­tiver Loyalität zu Freunden und Bekannten – jenen üblichen Verdäch­tigen, über die wir schon geschrieben haben – und dem Mut zu völlig Neuem, Riskanntem. Etwa die Entschei­dung den völlig unbe­kannten Argen­ti­nier Damián Sziffrón und seinen Film Relatos salvajes in den Wett­be­werb zu nehmen. Wir werden über den Film noch ausführ­li­cher, schreiben, aber hier mal soviel, dass es sich um das Gegenteil eines Konsens­stü­ckes handelt, und zugleich um das Gegenteil jenes sado­ma­so­chis­ti­schen Arthouse-Kinos, das kombi­niert wird mit cleanen Bild-Tableaus, und vor allem aufgrund seines Schock- oder Quälwerts auf einem Festival wie diesem läuft. Wir alle kennen die Beispiele: Die Filme von Reygadas etwa, auch von Ulrich Seidl. Dass Damián Sziffrón hier läuft, spricht bei allem, was man gegen den Film viel­leicht auch sagen muss, unglaub­lich für das Festival. Das ist ein ästhe­ti­sches, program­ma­ti­sches Statement. Das ist maßst­ab­set­zend.

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Nicht gut genug für Cannes waren offenbar auch die neuen Filme von Christian Petzold, Christoph Hoch­häusler, Andreas Dresen und der neue Spielfilm von Wim Wenders. Ich habe keinen von ihnen gesehen, aber in allen Fällen hat es mich gewundert, dass sie selbst in Un Certain Regardnicht genommen wurden. Nur im Fall von Fatih Akins ebenfalls fertigem Film liegen die Dinge um einiges kompli­zierter – aber da möchte ich ausnahms­weise mal das, was ich aus sicheren Quellen gehört habe, für mich behalten, um dieses verletz­liche Projekt nicht zu beschä­digen.

In den anderen genannten Fällen habe ich nichts gehört oder gesehen. Aber so sehr ich mich gewundert habe, so sehr vertraue ich auch der Entschei­dung und dem Geschmack von Cannes. Sie werden gute Gründe haben, die Filme nicht zu zeigen. Hier, wie das immer wieder getan wird, eine Abneigung gegen Deutsches zu unter­stellen, ist absurd.

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Allen­falls spricht es für die Souver­ä­nität des Festivals, nicht vor indus­tri­ellen Zwängen, poli­ti­schen Wünschen oder dem schieren Geld der derzei­tigen ökono­mi­schen Herrscher EU-Europas in die Knie zu gehen.
Ansonsten spiegelt die Abwe­sen­heit der Deutschen einfach die Lage einer Film­in­dus­trie, die neben viel Geld nur ästhe­ti­sche Provin­zia­lität zu bieten hat.

Die ihre eigenen Altmeister nicht pflegt und mitunter – Wenders, Schlön­dorff, Herzog – aus dem Land jagt, die ihre jungen Kunst­filmer nicht konstruk­tive Debatten zwingt, die die Filme dann besser machen – oder hätte sich die Berliner Schule seit 2005, als Christoph Hoch­häusler und Benjamin Heisen­berg mit ihren ersten bzw. zweiten Filmen in Un Certain Regard waren, irgendwie wesent­lich weiter­ent­wi­ckelt? Die sich und der unin­for­mierten mit Zahlen­spiel­chen und hohen Markt­an­teilen nichtiger Unter­schicht­un­ter­hal­tung Erfolge einredet?
Und die sich ansonsten mit Minder­heits­an­teilen an europäi­schem Co-Produk­tionen, mit Produk­ti­ons­hilfen für Holly­wood­filmen und neoko­lo­nialer ästhe­ti­scher Kanni­ba­li­sie­rung außer­eu­ropäi­scher Cine­ma­tog­ra­hien ein potem­kin­sches Dorf namens inter­na­tio­naler Film­in­dus­trie zurecht­phan­ta­siert?
So etwas will man in Cannes möglichst nicht haben, und wenn, dann macht man es selbst – und besser. Der Rest läuft in Berlin.

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Was für die neue Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters einnimmt, ist ihre Offenheit. Gestern sah man sie in der Premiere des öster­rei­chi­schen Films Amour Fou von Jessica Hausner. Klar, man könnte jetzt zynisch anmerken, wo sie auch sonst hin soll, wenn nichts Deutsches in Cannes gezeigt wird.

Aber sie beweist Neugierde; sie müsste nicht in diesen Film gehen. Und es hat den Vorteil, dass Grütters sich dann mal gleich Gedanken machen kann, wie es Öster­reich gelingt, jedes Jahr mit Filmen in Cannes und auf anderen künst­le­risch bedeu­tenden Festivals in der ersten Reihe Fest vertreten zu sein. Und eben nicht nur mit Haneke oder Seidl. Was gelingt Öster­reich? Was machen die Öster­rei­cher richtig, was wir falsch machen?

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Kaum zurück aus Cannes hat Grütters dann eine Pres­se­mit­tei­lung lanciert, in der erstmal ein sehr schöner Satz vorkommt, der zwar selbst­ver­s­tänd­lich sein sollte, es aber in Deutsch­land nicht ist. Er lautet: »Kreative und Intel­lek­tu­elle sind das Korrektiv einer Gesell­schaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangs­läufig gefallen müssen. Deshalb gibt es in Deutsch­land diese auskömm­liche Kultur­fi­nan­zie­rung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affir­mativ auftreten können.«

Weiter erklärte Grütters bei dem 54. Gespräch der Akademie der Künste zum Thema »Vertei­digt die Kultur! Das Frei­han­dels­ab­kommen« in der Akademie der Künste: »Wir treten neuen Libe­ra­li­sie­rungs­ver­pflich­tungen im Bereich der Kultur entgegen, weil wir Sorge haben, dass ande­ren­falls unsere einzig­ar­tige kultu­relle Vielfalt auf dem Spiel stünde. Deutsch­land ist nicht ohne Grund dem UNESCO-Über­ein­kommen zum Schutz der kultu­rellen Vielfalt 2007 beigetreten. Das war unser Bekenntnis zur beson­deren Schutz­be­dürf­tig­keit des Kultur- und Medi­en­be­reichs. In den Verhand­lungen zu diesem Frei­han­dels­ab­kommen muss das erneut zum Ausdruck kommen. Deshalb setzen wir uns für eine Gene­ral­klausel zum Schutz der Kultur innerhalb des Verhand­lungs­man­dates ein – genau so wie die USA sie für Belange ihrer natio­nalen Sicher­heit bereits durch­ge­setzt haben.«

Grütters weiter: »Es sind keine fiskal­po­li­ti­schen Klei­nig­keiten, die es zu vertei­digen gilt, es geht ums große Ganze, um die Identität der Kultur­na­tion Deutsch­land. Als solche wird Deutsch­land in der ganzen Welt wahr­ge­nommen. Die Vielfalt des Angebots und der Meinungen ist nur möglich, weil die öffent­liche Hand unsere Kultur schützt und auskömm­lich finan­ziert, sie unab­hängig macht vom Zeitgeist und von privaten Geld­ge­bern.«

Kreative und Intel­lek­tu­elle sind das Korrektiv einer Gesell­schaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangs­läufig gefallen müssen. Deshalb gibt es in Deutsch­land diese auskömm­liche Kultur­fi­nan­zie­rung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affir­mativ auftreten können.