17.04.2014
Cinema Moralia – Folge 86

Berlin Baby, Muschi München oder doch Düssel­dorf Darling?

Barbarella
Jane Fonda in Barbarella
(Foto: Paramount Pictures)

Wozu dieser Blog dient... und können auch Frauen schreiben und lesen? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 86. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ich denke, die Betäubung wird schon kommen.« –Arthur Schnitzler

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»Rüdiger betreibt wieder Förder­bas­hing« – das bekamen jüngst die Mitar­beiter des Medi­en­boards zu lesen. Dass man auch beim Medi­en­board offenbar Cinema Moralia liest, ist ohne Frage eine Ehre für uns. Förder­bas­hing wird an diesem Ort natürlich trotzdem nicht betrieben, und glück­li­cher­weise haben das auch die aller­meisten richtig verstanden. Trotzdem nochmal für alle: Es geht in diesem Blog allein darum, Fragen zu stellen, deutlich und unge­schönt, mitunter viel­leicht etwas von Gerüchten und Halb­wahr­heiten ange­feuert, so wie sie eben auch formu­liert werden, wenn mindes­tens zwei Angehö­rige »der Branche« zusam­men­stehen. Es geht darum, Themen, Eindrücke und Probleme anzu­spre­chen, die von anderen zumindest ignoriert und oft genug absicht­lich, aus Eigen­in­ter­esse oder schierer Angst, nicht ausge­spro­chen werden. Es geht darum, einen offenen Diskurs anzuregen, weil Offenheit das Einzige ist, das uns weiter­bringen kann.
In der Film­branche wird viel geredet. Unter Freunden und immer über die, die gerade nicht dabei sind. Genau daran will ich mich nicht halten – ich habe den Vorteil, ziemlich wenig Aktien im Spiel zu haben, und deswegen versuche ich einiges öffent­lich aufzu­schreiben, was mir durch den Kopf geht, und zwar genau so subjektiv, wie ich es denke und wahrnehme, und auf eine Weise, die im Wust des Netzes mit der Vielfalt seiner Stimmen wahr­ge­nommen wird, die Gespräche provo­ziert, die zu Reak­tionen und Antworten anregt.

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Die gepflegte Sprache der PR-Industrie, Förder­news und Pres­se­hefte, bedienen andere – hier geht es um Klartext, zur Not auch mal übers Ziel hinaus.
Weil genau das alles offenbar immer besser gelingt, häufen sich auch die Hinweise von Seiten der Filme­ma­cher, der Kriti­ker­kol­legen und die Kommen­tare, Mails, Anrufe und Hinweise auf Themen über die »man doch mal was schreiben könnte«. Vielen Dank dafür und bitte weiter so! Vertrau­lich­keit ist, wenn sie gewünscht wird, garan­tiert. Bericht­erstat­tung leider nicht. Genauso wenig wie bestelltes Schweigen. Eine gut befreun­dete film­schaf­fende Seele – um es mal anonym und geschlechts­neu­tral zu formu­lieren –, meinte neulich, ich solle doch bitte über dies und jenes »jetzt gerade mal« nichts schreiben, weil das am Ende an irgend­einer Stelle zu Rück­schlüssen führen könnte. Leider geht das so nicht.

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So wie der eine nach dem Cinema Moralia No. 85 von letzter Woche dachte, ich wolle mich beim Medi­en­board für irgend­etwas rächen, nachdem ich nach vielen positiven Dingen mal ein paar Sachen aufge­schrieben habe, die am Film­standort Berlin schon mal besser waren, dachte ein anderer, ich wolle mich bei Monika Grütters einschleimen, weil ich die neue Kultur­staats­mi­nis­terin gelobt habe. So kann man das natürlich sehen.
Aber das verrät doch mehr etwas über die Denke derje­nigen, die das sagen, als über diesen Blog.

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Ist der Berlin-Hype vorbei? fragt in wenigen Wochen auch die »Media Conven­tion«, die am 6./7.Mai in Berlin statt­finden soll. Da gehts um Stand­ort­po­litik und aus Inves­to­ren­sicht stand­ort­ge­fähr­dende Fragen wie die, ob Berlins Image als »coolste Stadt der Welt« nun bröckelt? Steigende Mieten und Touris­ten­massen sind aber nur die Ober­fläche, und auch der seit Jahren gras­sie­rende Ausver­kauf kreativer Möglich­keiten sind nur dein Teil des Problems. Die Haupt­sache ist die geistige Trägheit der Haupt­stadt.
Wie es darum bestellt ist, kann man der Tatsache entnehmen, dass die Veran­stal­tung den Titel »Berlin Baby!« hat. Dieses Vers­tändnis von Coolness und Lässig­keit ist das vorherr­schende. Da war Wowereits »arm aber sexy« noch geist­rei­cher. Da sollen jetzt Muschi München und Darling Düssel­dorf einpacken, oder wie?
Man kann sich auch das Titelbild der Website angucken. Da rast ein deutsches Auto – BMW! – durch die Luft aufs Bran­den­burger Tor zu, und wird es bald zerschmet­tern. Wahr­schein­lich denken manche, Haupt­sache es ist kein Toyota. Aber das das Auto als Inbegriff der deutschen Wirt­schaft zur Bedrohung für den Inbegriff der deutschen Kultur und für Berlin wird, so kann man das Bild auch verstehen, ohne viel herum­zu­in­ter­pre­tieren.

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Werner van Bebber hat neulich die Frage gestellt, »wie die Stadt nach dem Hype dastehen wird – wenn die normalen Zeiten kommen?« Sprich: Wenn die Hipster wegziehen und ihre Eltern dann ein Berlin-Weekend mit Nofretete und Schinkel verbringen. Die Antwort ist klar: Berlin wird dann dastehen, wie heute München. Während München dann schon weiter ist.

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Wenn im Unter­titel eines Textes von »starken Frauen« die Rede ist, geht unsereins ja schon mal vorsichts­halber in Deckung, weil wir denken, jetzt geht’s wieder mal um Iris Berben.
Und bei »Starke Stimmen« – so heißt eine Hörbuch­reihe – wissen wir erfah­renen Konsu­menten, auch gleich, dass es sich um Frauen handeln muss (»Starke Frauen lesen ausge­wählte Literatur«), in diesem Fall das tolle Gesamt­paket von Hannelore Hoger, Elke Heiden­reich, Senta Berger, Fritzi Haber­landt und – natürlich! – Iris Berben.

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Nicht anders, wenn es heißt »Frauen schreiben«. Dieser Unter­titel eines seit Herbst aktiven FAZ-Blogs enthält mindes­tens eine Frechheit und zwei Drohungen: Die Frechheit ist, dass Frauen offenbar immer noch ein Ghetto brauchen. Man muss sich nur mal vorstellen, ein Blog hieße »Männer schreiben«. Können Frauen auch 2014 nicht einfach Texte verfassen, zu Themen, müssen sie »als Frauen« schreiben, oder zumindest »jetzt mal als Frau«? Die Drohungen sind die, dass es jetzt nach der Über­schrift wahn­sinnig frau­en­be­wegt wird, was nach meiner subjek­tiven Kenntnis zumindest die Post-Alice-Schwarzer-Gene­ra­tionen genauso wenig inter­es­siert, wie Männer, und über Frau­en­themen (was immer das ist) gehen wird, dass hier also vor der ersten Zeile schon per Konzept eine PCness ange­deutet wird, was geht und was nicht.
Und dann natürlich: Männer haben hier nichts zu suchen. Geht es den werten Damen – würde ich jetzt »Mädels« sagen, wäre es herab­las­send – nicht in das gleich­be­rech­tigte Hirn, dass auch Männer Femi­nisten und Anhänger von Gleich­heit, Befreiung und Eman­zi­pa­tion sein können?
Aber wahr­schein­lich war der Frau­en­blog wieder so eine Männer­idee.

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Das Ergebnis ist trotzdem eine angenehme Über­ra­schung. Einen wirklich lustigen Beitrag hat dort gerade die Kölner Film­kri­ti­kerin Heike-Melba Fendel beigesteuert. Da schimpft sie nämlich nicht über Männer, sondern über Frauen, die nicht verstehen, was Femi­nismus und Eman­zi­pa­tion bedeuten. Bascha Mika zum Beispiel. Deren Buch »Mutprobe« über die armen Frauen, die älter werden, ist nämlich das Gegenteil seines Titels. Ja, stimmt, Frauen werden älter. Warum sollten sie auch jung sterben? Aber dass sie irgend­wann doch sterben, und davor halt älter werden – sind daran jetzt auch die bösen Männer schuld?
Man muss mal nachlesen, was hier ohne Namens­nen­nungen über die »wirkungs­ver­wöhnte« Gene­ra­tion »der sich als unsichtbar ausru­fenden Frauen um die 50« geschrieben wird, dieje­nigen, die nicht mehr wirklich um Befrei­ungen kämpfen mussten, die aber halt auch irgend­wann nicht mehr 30 sind, und jetzt dafür einen Schul­digen suchen.
Der schönste Satz: »Sie hungern nach der Aufmerk­sam­keit selbst solcher Männer, deren Pfiffe sie vormals peinlich berührten. Werber nennen das Gewähr­leis­tungs­prinzip: Man zahlt einen hohen (Auf-)Preis für die Möglich­keit, etwas theo­re­tisch tun zu können, was man praktisch nie nutzen wird, Gelän­de­wagen für Großs­tädter zum Beispiel.«

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Und was man in dem Text auch noch lernt: Die Zugfahrt von Köln nach Berlin dauert einfach zu lang.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.