09.01.2014
Cinema Moralia – Folge 78

Figg Disch Vörde­runck!

Fack ju Göhte
Fack ju Göhte
(Foto: Constantin Film Verleih GmbH)

Warum Edgar Reitz die Filmförderung abschaffen will, die Pervertierung der Kulturpolitik und unsere Liebe zur Kontrollgesellschaft – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 78. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Fack ju Göhte wurde bisher von knapp 5.5 Millionen Zuschauern gesehen. Gefördert wurde der Film von den verschie­denen Insti­tuten der deutschen Film­för­de­rung mit mindes­tens 2,6 Millionen Euro – also etwas mehr als 50 Cent pro zahlendem Zuschauer. Diese Förder­gelder setzen sich folgen­der­maßen zusammen: 900.000 Euro vom DFFF (Deutscher Film­för­der­fonds), 800.000 Euro vom FFF (Film Fernseh Fonds Bayern), 650.000 Euro vom Medi­en­board Berlin-Bran­den­burg, 300.000 Euro von der FFA (Film­för­der­an­stalt), sowie weiteren 200.000 Euro Verleih­för­de­rung von der FFA und weiteren 150.000 Euro FFF-Geldern, ebenfalls als Verleihf örderung.

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Man braucht nicht viel Einfüh­lungs­ver­mögen, um darauf zu tippen, dass sich die deutsche Film­för­de­rung die Tatsache, dass Bora Dagtekins Film bisher fast 5.5 Millionen Besucher bekam, als einen Erfolg ihres Wirkens zurechnen dürfte. Schließ­lich gilt Fack ju Göhte als »erfolg­reichster Film« des Jahres 2013, und bei dieser enormen Summe hat die Film­för­de­rung dieses Ergebnis in gewisser Weise überhaupt erst möglich gemacht.
Genau genommen aller­dings handelt es sich bei diesem Ergebnis eher um die endgül­tige Perver­tie­rung dieser Förderung – denn schließ­lich wurde das, was wir bislang noch »die deutsche Film­för­de­rung« nennen, obwohl sie diesen Namen von Tag zu Tag weniger verdient, vor rund 50 Jahren einmal gegründet, um dem Kommerz­kino ein kultu­relles Gegen­ge­wicht an die Seite zu stellen.

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Die Behaup­tung des »erfolg­reichsten Films« kann man schnell vom Tisch wischen. Fack ju Göhte ist keines­wegs der erfolg­reichste Film des Jahres. Wir müssen mal mit der Legende aufhören, dass ein Film, der nominell die meisten Zuschauer hat, auch auto­ma­tisch der erfolg­reichste Film sei. Das ist falsch, und wir meinen hier nur wirt­schaft­liche Kriterien – von Kunst und Kultur ist vorläufig nicht die Rede. Aber gerade streng ökono­misch betrachtet muss man danach fragen, wie hoch der Etat einer Produk­tion war, wie viel Zuschauer also pro einge­setztem Euro erwirt­schaftet wurden? Und wie hoch die Förder­summen waren? Wie hoch der Marke­ting­etat? Und natürlich von wem das Geld kam – ob also ein Produzent überhaupt ein bisschen eigenes Geld riskiert hat, oder er nur das anderer Geldgeber ausge­geben hat. Man könnte über statt­fin­dende oder fehlende Rück­zah­lungen von Förder­gel­dern reden – bei denen es sich ja theo­re­tisch nur um Darlehen handelt. Aber auch ganz offiziell werden keine zehn Prozent dieser Darlehen zurück­ge­zahlt, inof­fi­ziell liegen die Angaben bei unter vier Prozent. es handelt sich also in Wahrheit gar nicht um Darlehen, sondern um versteckte und kulturell ummän­telte Subven­tionen.

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Damit man das hier nicht falsch versteht: Nichts gegen Subven­tionen! Wenn mit offenen Karten gespielt wird, wenn die Bedin­gungen klar und die Verga­be­formen fair sind. Wenn Wirt­schafts- und Stand­ort­sub­ven­tionen auch so heißen und Kultur­för­de­rung auch der Kultur gilt. Womit wir fast bei der Kultur sind. Aber noch nicht ganz: Denn die wich­tigste Frage nach wirt­schaft­li­chem Erfolg lautet: Wie viele Zuschauer hat ein Film im Verhältnis zur Zahl seiner Film­ko­pien und zur Größe der Kinos, in denen er gezeigt wird. Wie ausge­lastet sind die Säle? Auch da würde Fack ju Göhte aber vermut­lich recht gut abschneiden.
Darum kommen wir jetzt endlich zur Kultur.

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Längst kapi­tu­liert die Film­för­de­rung vor dem Druck der Märkte. Ihrer Aufgabe, der Kunst und dem Kino, das es an der Kasse schwer hat, Möglich­keiten zu schaffen, wird sie kaum noch gerecht.
Ein Film, der nach eigener Defi­ni­tion niemals Kunst sein will, der nichts ist als Ware, darf auch keinen Zugriff auf Kunst­för­der­töpfe haben.
Ein Film, der nie auf einem Film­kunst­fes­tival wie der Berlinale laufen könnte, muss nicht 2,6 Millionen Förder­gelder bekommen – und damit natürlich das Geld anderen, besseren Filmen entziehen.
So perver­tiert Kultur­po­litik sich selber. Dringend müssten alle, die sich fürs Kino inter­es­sieren, alter­na­tive Förder­mo­delle entwi­ckeln. Das Beispiel anderer Länder lehrt viel. Zum Thema machen müssen wir aber endlich auch die Rolle des Publikums. Denn es ist ja nicht zu bestreiten, dass über 5 Millionen in Fack ju Göhte gehen. Aber nicht weil der Film gut ist, sondern weil die Leute keinen Geschmack haben. Weil dieser Geschmack syste­ma­tisch verbildet oder gar nicht erst gebildet wird.

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Das beste Beispiel für diese These ist das deutsche Feuil­leton, vor allem in den soge­nannten »Quali­täts­zei­tungen«: Dort wurde Fack ju Göhte zum Filmstart weit­ge­hend ignoriert. Dann kommt der Erfolg und plötzlich müssen sich alle klugen Köpfe volksnahe geben, und »das Phänomen erklären«, sprich den Leuten nicht etwa die Frage stellen, ob sie irgendein Kriterium für Qualität im Hirn haben, sondern ihnen beflissen nach dem Mund reden und zum Berlin-Mitte-Party­ge­spräch die Begrün­dung nach­lie­fern, warum man den Schwach­sinn gut finden darf. Wo solche Texte erscheinen, schafft sich »Quali­täts­jour­na­lismus« selbst ab – und wir werden ihn nicht vermissen.

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Der Münchner Regisseur Edgar Reitz, Schöpfer des HEIMAT-Epos und einer der Grün­der­väter des exis­tie­renden Film­för­der­mo­dells, hat aus den schlechten Erfah­rungen längst eine klare Konse­quenz gezogen: Im WDR-Gespräch plädierte er kurz vor Weih­nachten dafür, die Förderung in der jetzigen Form einfach ersatzlos abzu­schaffen: »Ich glaube, dass sich der deutsche Film eman­zi­pieren muss von den Geld­quellen des Fern­se­hens.
Ich glaube, dass eine Gene­ra­tion von Filme­ma­chern heran­wachsen muss, die den Mut und die Kraft hat, ohne das Geld des Fern­se­hens Filme zu machen. Man muss auch in der Film­po­litik lernen, die Weichen richtig zu stellen. Das gesamte Förder­system in Deutsch­land könnte einen guten deutschen Film auf die Beine stellen, wenn künst­le­ri­sche Entwick­lung das Ziel wäre – das ist überhaupt nicht der Fall. Es wäre ein neues Ober­hausen fällig, dass die Eman­zi­pa­tion des Kinos von den Abhän­gig­keiten des Fern­se­hens ebenso fordert wie von den Förder­sys­temen, sofern sie nicht die Filmkunst wollen. ... Jetzt sitze ich vor einem 25-jährigen Redakteur, und muss jede Einstel­lung begründen, als hätte ich in meinem Leben noch nie Filme gemacht.«

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Ein anderer Text hat eine ähnliche Tendenz: Produzent Martin Hagemann schrieb ihn bereits Anfang Dezember in der Frank­furter Rundschau: Unter dem Titel »Kommerz und Kunst – nur nichts dazwi­schen« macht auch Hagemann die Macht des Fern­se­hens und die Anfang der 60er begrün­dete Film­för­de­rung für die Misere verant­wort­lich. Hagemanns diffe­ren­zierter Text macht auf viele wichtige Aspekte aufmerksam und lohnt die Lektüre. Mehr dazu demnächst.

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Neues aus der Kontroll­ge­sell­schaft: Kurz nach Silvester plädierte Silke Giebel, eine Poli­ti­kerin der GRÜNEN für ein Recht auf böller­freies Silvester. Böllern solle nur noch auf klar umgrenzten Flächen statt­finden. Gewiss wäre das für Kinder und Haustiere eine sehr nützliche Sache, weil sie dann nicht zur Stunde Null ängstlich unter dem Sofa kauern müssen. Genauso nützlich wie Vege­ta­rismus und Alko­hol­ver­zicht, wie das Rauch­verbot und Radfahr­helme. Aller­dings hat der Helm dann Michael Schuh­ma­cher genauso wenig genutzt, wie Angela Merkel ihre Body­guards. Woraus die Gesund­heits­po­li­zisten der puri­ta­ni­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft bestimmt nur den Schluß ziehen, Skifahren und Langlauf überhaupt zu verbieten – ist ja auch besser für die Land­schaft. Man könnte umgekehrt auch sagen: »No risk, no fun«. Eigent­lich weiß jeder, dass Lebens­freude auch immer Gefahren birgt. Nur, wer auch mal was riskiert, statt alles immer nur ängstlich zu vermeiden, nimmt am Leben richtig teil. Der Fall Schuh­ma­cher beweist nur, dass es kein gelun­genes Leben ohne Risiko gibt, dass das unaus­ge­spro­chene Projekt der zeit­genös­si­sche Gesell­schaft, sich und ungefragt auch allen anderen mit allen erdenk­li­chen Mitteln jede Gefahr vom Leib zu halten, zum scheitern verur­teilt ist. Dass wir sterben müssen. Und dass es für die Gesell­schaft wie für den Einzelnen besser ist, zumindest in gewissen Maßen und immer mal wieder gefähr­lich und risi­ko­reich zu leben. Übrigens nicht nur für die Gesell­schaft und den Einzelnen, sondern auch für die Kunst.

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»Das was leicht ist, ist sehr häufig falsch und führt nicht in die Zukunft. Dieje­nigen, die mir den Weg leicht bereiten, sind nicht unbedingt meine Freunde. Sondern sie locken mich viel­leicht dahin, wo sie mich gerne hätten.«
Edgar Reitz

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»Vinegar Syndrome« – das klingt niedlich-neckisch. Ab und an tauchte diese Rede vom »Essig-Syndrom« zuletzt in Diskus­si­ons­runden auf, zum Beispiel im Frank­furter Kunst­verein, in denen es um den Zustand des Filmerbes ging.
Gar nicht niedlich sind aber die nackten Fakten: Alles Essig! könnte man sagen – die deutschen Behörden, auch das sonst zu Recht so gelobte BKM gehen mit dem Film-Erbe nicht gerade sehr gut um. Während Frank­reich für die Digi­ta­li­sie­rung und Umko­pierung seines Film-Erbes in einem Zeitraum von 6 Jahren 400 Millionen Euro bereit­stellt, sind es in Deutsch­land gerade mal 2 Millionen jährlich für ein paar bekannte Filmtitel. Wenn die Politik diesen gras­sie­renden Zerfall unseres Film-Erbes weiter ignoriert, müssen wir in den kommenden Jahren mit dem Verlust der meisten Filme rechnen. Um den abzu­wenden, gibt es eine Petition, auf die wir an dieser Stelle bereits aufmerksam gemacht haben. Sie fordert eine Zusam­men­ar­beit von Bund und Ländern und aller Archive.
Zusammen mit vielen Kollegen und Verbänden, darunter dem Verband der Film­kritik [www.vdfk.de] möchte ich hiermit alle Leser auffor­dern, zu unter­zeichnen.
Hier noch einmal die Links:
https://epeti­tionen.bundestag.de/content/peti­tionen/_2013/_11/_26/Petition_47385.html
http://filmerbe-in-gefahr.de/page.php?0,512,

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»Bildung schadet nicht«
Aby Warburg

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.