25.05.2014
67. Filmfestspiele Cannes

Warten auf Godard

 

Jean Luc Godards Cannes-Beitrag: Adieu au langage

Ein paar aktuelle Bemer­kungen zu Jean Luc Godard, und Cannes 2014, wo er war

Von Wilfried Reichart

Kommt er? Kommt er nicht? Es wäre gut, er würde kommen, denn die Film­kri­tiker brauchen ihn, wenn sein neuer Film auf die Leinwand kommt. Was hat er sich dabei gedacht? Welche ästhe­ti­sche Unge­heu­er­lich­keit hat er sich wieder einfallen lassen? Wie soll man das alles verstehen? Was genau will er sagen?

Pres­se­kon­fe­renzen mit Godard waren immer ein großes Ereignis. Ihn öffent­lich beim Verfer­tigen von Gedanken zu erleben hatte einen großen intel­lek­tu­ellen Mehrwert.
Und es durfte auch gelacht werden. Ich erinnere mich an eine frühmor­gend­liche Philo­so­phie­stunde mit JLG nach der Premiere von Nouvelle Vague (mein Gott, das ist über 20 Jahre her): »Ich habe gezögert, hier­her­zu­kommen«, begrüßte er die Jour­na­listen, »als Autor und Regisseur wäre ich nicht gekommen, als Co-Produzent muss ich meinen Co-Produ­zenten die Hand reichen und den Schau­spie­lern, die in diesem Film mitge­spielt haben. Und dann inter­es­sierte es mich einmal, dreißig Jahre später, nach Cannes zurück­zu­kommen mit dem Gefühl der Erin­ne­rung.«
Mich haben Godards spontane Äuße­rungen immer an Kleists Essay »Über die allmäh­liche Verfer­ti­gung der Gedanken beim Reden« denken lassen:
»Wenn du etwas wissen willst und es durch Medi­ta­tion nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinn­rei­cher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharf­den­kender Kopf zu sein... Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfah­rungs­satz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l’idée vient en parlant.«

Godard wäre nicht Godard, wenn er den nächsten Bekannten, die da im Pres­se­zen­trum des 43. Festival Inter­na­tional du Film de Cannes vor ihm saßen, nicht noch eine Unver­schämt­heit mit sanfter Stimme zugemutet hätte: »Sie reden einfach so daher... Sie müssen lange nach­denken, um die richtige Frage zu stellen, damit ich nicht gezwungen werde, Bana­li­täten zu faseln.«

Warum sind Godards Filme so anstren­gend für seine Kritiker? Er selber weiß sehr viel zu sagen über das, was er wie macht. Er ist der Meister seiner Bilder und Töne, aber sind sie deswegen kompli­ziert? Zwischen JLGs Filmen und dem Publikum sitzen die Kritiker und machen sie so unver­ständ­lich, dass sie nicht mehr zu ertragen sind. Das hat Godard mit der Zeit müde gemacht. Nichts geht mehr. Die Wirk­lich­keit lässt sich im Film nicht rekon­stru­ieren. Geschichten sind Erfin­dungen, Dialoge nur noch Zitate, die Darstel­lern in den Mund gelegt werden. Und die Bilder, sie stimmen nicht, man kann ihnen nicht glauben. Jean-Luc Godard hat eine tiefe Depres­sion bemäch­tigt. Der respekt­lose und inno­va­tive Prot­ago­nist der Nouvelle Vague, der aggres­sive und kritische Beob­achter poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Vorgänge, der neugie­rige Hand­werker eines Kinos der elek­tro­ni­schen Bilder, der Perfek­tio­nist im Herstellen von glas­klaren Bildern und virtuosen Tonspuren, der uner­müd­liche Erfor­scher der wahren Geschichte des Kinos, er hat den Glauben an sein Medium verloren. Am Ende von For ever Mozart kommt der von ihm verkör­perte müde, alte Regisseur die rote Treppe des leeren Foyers des Konzert­ge­bäudes hoch, läßt sich auf der letzten Trep­pen­stufe nieder und hört durch die geschlos­senen Türen die Töne eines Klavier­kon­zerts von Mozart. Sie schwingen zu ihm als das Echo einer harmo­ni­schen Welt, die endgültig verloren ist. Keine Hoffnung mehr, nur noch Erin­ne­rung. Sauve qui peut, Jean-Luc.

Wäre es nicht besser für die Kritiker gewesen, wenn Godard nach Cannes gekommen wäre? »Mais non« – und da ist diese leichte Melan­cholie im Blick und der etwas spöt­ti­sche Zug um den Mund – »es gibt keinen Grund nach Cannes zu fahren. Ich war bereits dort. Vor 30 oder 40 Jahren hätte es mir Freude gemacht, die Palme zu bekommen, aber es hätte mir nicht gut getan. Um meinem Wider­spruchs­geist treu zu bleiben: mir wäre es lieber, es gäbe keinen Preis und ich hoffe, dass sie sich nicht bemüßigt fühlen, einen kleinen Preis für das Lebens­werk zu vergeben. Man soll sich einfach den Film angucken und wenn sie ihn gut finden, sollen sie sagen, dass sie ihn gut finden«

top
top