11.12.2008
Cinema Moralia – Folge 16

Wem die Krise nutzt, Ganz/Hitler, Zahlenspiele, Babelsberg und der Europäische Filmpreis

Couscous mit Fisch
Es ist angerichtet beim Europäischen Filmpreis: der beste Film des Jahres, Couscous mit Fisch
(Foto: Arsenal Filmverleih)

Die Stunde des Autorenfilms

Von Rüdiger Suchsland

Krise. Juchu! Endlich wieder Krise! Nein, wir meinen jetzt nicht diese besondere deutsche Lust am Bad in der Kata­strophe, an Unter­gangs­stim­mung und Nibe­lun­gen­haf­tig­keit – zumal diese im Kino ja allem deutschen Krisen­lust­ge­rede zum Trotz seit Jahr­zehnten leider keine beson­deren Wirkungen zeigt. Wo ist eigent­lich der phan­tas­ti­sche Film, der mal in Deutsch­land erfunden wurde? Wo sind die Söhne und Enkel Nosfe­ratus, wo die »mad scien­tists« à la Doktor Caligari und Professor Mabuse? Wo die Science-Fiction-Szenarien à la Metro­polis? All das wurde schließ­lich mal in Deutsch­land erfunden. Wenigs­tens zu ein paar Nazi-Body­snat­chern hätte es doch das deutsche Kino in den letzten 60 Jahren bringen können. Was haben wir statt­dessen? Einen Makkaroni-mamp­fenden Hitler und Tinten­herz. Expres­sio­nismus, was ist nur aus Dir geworden!

+ + +

Zur geheimen Geschichte des deutschen Kinos. Was erzählt es uns eigent­lich wirklich, dass Bruno Ganz nach seinem Hitler-Auftritt dann in Eichin­gers RAF-Film Horst Herold gespielt hat. Sage jetzt keiner, der ist ja bloß Schau­spieler und spielt halt, was ihm angeboten wird. Das mag schon stimmen. Aber jeder Darsteller trägt seine Rollen mit sich und trägt frühere Auftritte in spätere mit hinein. Allein so funk­tio­niert ja Götz George, der in jeder Rolle immer ein bisschen Schi­manski ist, und zu seinem Verdruß immer auch ein bisschen Papa Heinrich. Im Fall von Ganz' Hitler-Auftritt war es so – das war ja meiner Ansicht nach das Skan­dalöse daran – dass Ganz seine ganzen lieben netten Onkel-Rollen, bei Wenders etwa, inklusive des mensch­ge­wor­denen Engels über West­berlin in diesen Hitler hinein­ge­tragen hat und Hitler so ein bisschen zum lieben Onkel machte. Umgekehrt infiziert da alles nun aber die zukünf­tigen Ganz-Auftritte. Horst Herold war im Der Baader Meinhof Komplex eben auch ein bisschen Hitler. Und da Ganz sicher irgend­wann am Theater auch den Lear spielen wird, warten wir schon darauf, was dieser Hitler-Effekt hier wohl anrichten wird.

+ + +

Je schlechter die Zeiten, um so besser für die Kunst. Das ist jetzt ein bisschen sehr allgemein, aber, um noch mal auf die Krise zurück­zu­kommen: Bei unserem klamm­heim­li­chen Vergnügen an der jetzigen Finanz­krise geht es nicht primär um das deutsche Kino, und auch nicht um all die Börsen­heinis, denen das jetzt bestimmt recht geschieht, und deren große Klappe zumindest für ein paar Monate ein bisschen klein­lauter geworden ist. Sondern es geht ums Kino überhaupt. Denn ökono­misch schlechte Zeiten haben dem Kino noch immer genutzt. Die Rechnung ist einfach: Wer nichts hat, dem kann man auch nichts nehmen. So trifft die Krise zunächst einmal die Groß­pro­jekte, die riskanter sind, weniger leicht Kredite bekommen, etc. Sie trifft die Multi­plexe, nicht die Programm­kinos. Sie trifft größere Studio­kom­plexe, wie Babels­berg und alles, was hohe Fixkosten hat. Grund­sätz­lich sollte mit der Wirt­schafts­krise für Kunst und Expe­ri­men­telles freie Bahn sein. Die Stunde des Autoren­films.

+ + +

Wer sich nochmal erinnern will, der muss nur ins Münchner Film­mu­seum gehen: Dort werden zur Zeit gerade auch seltenere Arbeiten des »Jungen Deutschen Films« gezeigt. Am Freitag zum Beispiel Täto­wie­rung von Johannes Schaaf. Und am Sonntag dann zwei tolle Filme von Klaus Lemke, der eh zu den großen Unter­schätzten in Deutsch­land gehört: Kleine Front, Lemkes 17-Minuten-Erstling von 1965 mit Werner Enke als deutschem »Belmondo« (Lemke), und Horst Söhnlein, der ein paar Jahre später dann zur RAF ging und in Frankfurt zwei Kauf­häuser anzündete. Der zweite Film ist 48 Stunden bis Acapulco von 1967: Kamera Niklaus Schilling, unter den Darstel­lern Chris­tiane Krüger, Alexander Kerst, Rudolf Thome – jeder einzelne Name ist Grund genug, die Filme anzu­gu­cken. Ein Spiel mit den Versatz­stü­cken des B-Pictures und eine Feier der Utopie vom reinen Film, der nur für sich selbst steht, weil Form und Inhalt identisch sind.

+ + +

Vergan­gene Woche hatten wir eine Diskus­si­ons­runde übers Deutsche Kino 2008 im Berliner Babylon angekün­digt. Die Diskus­sion war ein bisschen müde, der Abend insgesamt aber zumindest infor­mativ: »Zwei Drittel aller deutschen Filme haben weniger als 50.0000 Zuschauer« klagte Moderator Felix Neun­zer­ling, »nur sieben haben mehr, als eine Million.« Das klang ein bisschen, als wären Zuschau­er­zahlen ein Argument und als wolle Neun­zer­ling das verma­le­deite Quoten­denken des Fern­se­hens aufs Kino über­tragen. »Welt«-Redakteur Hanns-Georg Rodek und »Tip«-Redakteur Robert Weixlbaumer verwei­gerten eine kommer­ziell orien­tierte Diskus­sion, und wandten sich gegen eine solche Fixierung aufs Ökono­mi­sche und das Diktat der Zuschau­er­zahlen: »Im Segment der Filme mit 5000 Zuschauern findet das Inter­es­san­teste statt«, sagte Weixlbaumer zu Recht. Und Rodek machte klar, dass es auch nicht der Job eines Film­kri­ti­kers ist, die Leute ins Kino zu treiben, auch wenn Film­in­dus­trie es gern so verstehen, und ihre PR-Abtei­lungen die Kritiker fürs Marketing instru­men­ta­li­sieren wollen.

+ + +

Eine andere Frage Neun­zer­lings war inter­es­santer: Welche drei deutschen Filme des Jahres 2008 würde man auf eine einsame Insel mitnehmen? Grund­sätz­lich natürlich eine Horror­vor­stel­lung. Aber gut. Von den Filmen die ins Kino kamen haben uns Mein Freund aus Faro und Das Fremde in mir besonders gut gefallen. Und viel­leicht Bitomskys Staub, auch Lenin Kam Nur Bis Lüden­scheidt. Unter den Schau­spie­lern ist unser persön­li­cher Shooting-Star des Jahres Alice Dwyer, nicht nur als Haupt­dar­stel­lerin von Torpedo. Neulich sahen wir den Rohschnitt des Films Sommer Spiel, von dem man nächstes Jahr noch hören wird. Auch da war Dwyer wieder das betörende Zentrum des Films.

+ + +

Die Frage bleibt aller­dings, warum man über Kino überhaupt noch in natio­nalen Kate­go­rien reden muss? Ist das wenigs­tens inter­es­sant? Auch nicht wirklich. Eine Kino­dis­kus­sion in natio­nalen Kate­go­rien bleibt immer eine über (Kultur-)Politik und (Kultur-)Ökonomie. Das ist sehr notwendig, aber selten inspi­rie­rend.

+ + +

Ein großer Schritt weg von den natio­nalen Kate­go­rien ist der Europäi­sche Filmpreis, der am letzten Wochen­ende vergeben wurde.
Der beste und inter­es­santes unter den verge­benen Preisen war der der Inter­na­tio­nalen Film­kritik (Prix FIPRESCI): Abdel­latif Kechiches La graine et le mulet (Couscous mit Fisch) ist tatsäch­lich einer der aller­besten Filme des Jahres! Die Aner­ken­nung für einen wahren Autoren­filmer. Ein vibrie­rendes Drama, gefilmt unter Low-Budget-Bedin­gungen, die Begegnung von klas­si­schem fran­zö­si­schen Kino mit den Lebens­be­din­gungen der Gegenwart.
Auch der Preis für Gomorra als besten Film geht in Ordnung. Indem die Europäi­sche Film­aka­demie aber auch alle anderen wesent­li­chen Preise – Bester Regisseur, Bester Schau­spieler, Bestes Drehbuch, Beste Kame­rafüh­rung – an Gomorra vergab, bewies sie nur, was auch der deutsche Filmpreis jedes Jahr beweist: Akademien, mögen sie auch mit Fach­leuten besetzt sein, können genau­so­wenig diffe­ren­zieren, wie andere Massen­ab­stim­mungen. Sie können auch nichts entdecken, das übersehen blieb. Auf der Vorschlags­liste fanden sich so tolle Filme wie Waltz With Bashir, Un conte de Noël, Caótica Ana, Lornas Schweigen.
Zudem haftet dem Preis für Gomorra das Geschmäckle an, dass es sich eigent­lich um einen verkappten Menschen­rechts­preis handelt. Macht es den Film besser, dass der Autor der Vorlage wegen dieser um sein Leben fürchten muss?

+ + +

Den Publi­kums­preis erhielt übrigens Harry Potter und der Orden des Phönix.

+ + +

Schon vor ein paar Wochen erreichte uns folgende Pres­se­mit­tei­lung, die wir zugegeben zunächst für einen Scherz hielten: »Der 22. Europäi­sche Filmpreis geht nach Essen! Die European Film Academy und EFA Produc­tions freuen sich bekannt zu geben, dass der Europäi­sche Filmpreis 2009 in Essen verliehen wird.« Damit weicht die Vergabe des Europäi­schen Film­preises einmalig von ihrem üblichen Rhythmus ab, der die Veran­stal­tung alle zwei Jahre nach Berlin bringt, dem Sitz der European Film Academy. In den Jahren dazwi­schen wird der Europäi­sche Filmpreis immer in einer anderen europäi­schen Metropole ausge­richtet, so zuletzt in London, Paris, Rom, Barcelona, Warschau und in diesem Jahr in Kopen­hagen. Als Auftakt von RUHR 2010 findet der Europäi­sche Filmpreis als Beitrag Berlins zum Europäi­schen Kultur­haupt­stadt­jahr in Essen statt. Ob das dem Preis nutzt, der sowieso darunter leidet, dass ihm eine Veran­stal­tungs­kon­ti­nuität fehlt. Man darf gespannt sein, wie viele nationale und inter­na­tio­nale Medien sich nächstes Jahr nach Essen aufmachen.

+ + +

Apropos Babels­berg. In den letzten Wochen machten in Berlin immer mal wieder Gerüchte die Runde, dass Carl Woebcken, der durchaus erfolg­reiche, ursprüng­lich aus München gekommene Geschäfts­führer des Studio Babels­berg dieses bald verkaufen möchte. Manche erinnern sich an Woebckens Herkunft aus dem Stall des Unter­neh­mens­be­ra­ters Roland Berger. Wer nicht an Woebckens baldigen Absprung glaubt, verweist auf jene »state­gi­sche Allianz«, also den kürzlich bekannt­ge­ge­benen Deal den er mit Warner-Produzent Joel Silver abge­schlossen hat: 15 Filme von Silvers Label »Dark Castle« sollen in den nächsten 5 Jahren in Babels­berg produ­ziert werden. Ist das ein Gegen­ar­gu­ment? Oder das Gegenteil, weil damit der Verkaufs­wert des Studios erhöht wird? Über die Qualität der Filme ist mit alldem jeden­falls noch nichts gesagt. Silvers letzte Babels­berg-Produk­tion hieß Speed Racer.

(To be continued)

Rüdiger Suchsland

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.