La Gomera – Verpfiffen und veraten

La Gomera

Rumänien 2019 · 97 min. · FSK: ab 16
Regie: Corneliu Porumboiu
Drehbuch:
Kamera: Tudor Mircea
Darsteller: Vlad Ivanov, Catrinel Marlon, Rodica Lazar, Agustí Villaronga, Sabin Tambrea u.a.
Kunstvolle Spiegelfechtereien
(Foto: Alamode)

Eine gewisse Sehnsucht nach Glamour

Es ist durchaus eine charmante Idee, die Rumä­ni­sche Neue Welle mal auf Urlaub zu schicken, auf die Kanaren zum Beispiel. In Corneliu Porum­boius neuem Film sehen wir zu den Klängen von Iggy Pops »The Passenger« den aus einigen rumä­ni­schen Filmen der letzten Jahre bekannten Schau­spieler Vlad Ivanov, wie er von der Fähre aus auf das Meer und auf felsige Küsten schaut. Zur Vorfreude auf die Ferien passt sein miss­mu­tiges, verdros­senes Gesicht aller­dings nicht so recht. Naja, der Mief der Buka­rester Trep­pen­häuser und der düsteren Korridore, die drückende Atmo­s­phäre in den mit Möbeln voll­ge­stellten Wohnungen in der rumä­ni­schen Provinz, in denen die ganze Verwandt­schaft bei lang­ge­dehnten Fami­li­en­feiern aufein­an­der­hockt, das lässt sich nicht so schnell abschüt­teln, da braucht es schon ein paar Tage Entspan­nung, ehe sich die Gesichts­züge aufhei­tern.

Doch als er dann nach dem Landen der Fähre auf La Gomera, der »perla de las Canarias«, wie es aus den Will­kom­mens­laut­spre­chern an der Hafenmole heißt, abgeholt wird, soll er erst mal unter Verweis auf Lausch­an­griffe der Polizei sein Handy ausschalten, das ihm gleich auch noch abge­nommen wird. Man ahnt, dass es sich hier nicht um Urlaub handeln kann. Jeden­falls um keinen gewöhn­li­chen.

Und tatsäch­lich folgt Cristi Anghelache, unser rumä­ni­scher Passenger, einem ganz spezi­ellen Auftrag, wenn er da auf La Gomera landet. Er soll in die insel­ty­pi­sche Pfeif­sprache einge­lernt werden, damit man gesichert vorm Abhören durch die Polizei daheim in Bukarest einen raffi­nierten Plan im Zusam­men­hang mit einem Drogen­ge­schäft großen Ausmaßes durch­ziehen kann.

Ein Mann mit dem Nachnamen Anghelache kam schon mal in einem früheren Film von Porumboiu vor, in Police, Adjective (2009), er wurde darin ebenfalls von Vlad Ivanov gespielt. Er war ein Poli­zei­be­amter, ein sehr prin­zi­pi­en­treuer Sturkopf in einem stickigen Provinz­kom­mis­sa­riat, der starr­sinnig darauf bestand, einen jungen Mann wegen eines Baga­tell­de­likts mit Drogen ins Gefängnis zu bringen.

Cristi ist im neuen Film zum Inspektor in der Haupt­stadt aufge­stiegen und offen­sicht­lich auf Abwege geraten. Er steckt nun als Komplize im Drogen­ge­schäft mit drin, und sein Kontakt­mann Zsolt ist trotz einer Warnung Cristis den Kollegen in die Fänge geraten. Durch die Über­re­dungs- und Verfüh­rungs­künste von Zsolts Freundin Gilda soll Cristi dann für eine Befrei­ungs­ak­tion gewonnen werden. Sie ist es auch, die ihn nach La Gomera gelockt hat. Zunehmend erscheint Cristi als Mann zwischen den Fronten: zwischen der Poli­zei­behörde in Bukarest und dem Drogen­clan, dessen Boss auf La Gomera sitzt. Und man weiß nie, ob er das von ihm insze­nierte Doppel­spiel selber überhaupt noch im Griff hat. Und auch seine Vorge­setzte Magda spielt nicht mit offenen Karten.

Porumboiu lässt den Zuschauer dabei mit Bedacht im Unklaren. Mit kalku­liert dosierten Rück­blenden gibt er immer nur so viel von den immer kompli­zierter schei­nenden Verstri­ckungen preis, wie nötig ist, um den Zuschauer weiter auf der Lauer liegen zu lassen. Und mit jedem sich einfü­genden Puzzle­teil sieht man besser, was noch alles fehlt.

Dem Regisseur geht es mit dieser relativ großen inter­na­tio­nalen Produk­tion auch eher um anderes, als einen wasser­dichten Krimiplot zu liefern. Er macht sich sichtlich einen Spaß daraus, rumä­ni­sche Büro­kratie- und Vorstadt-Tristesse und welt­män­ni­sches Flair gegen­ein­ander auszu­spielen. Eine gewisse Sehnsucht nach Glamour zeichnet den Look des Films aus, ein Streben nach einer eleganten, attrak­tiven Glätte, die sich aber immer wieder mit Vlad Ivanovs Ausdrucks­lo­sig­keit und Verdros­sen­heit reibt. Seine Figur kriegt die Misere der Vorstädte und der Provinz nicht los, auch wenn sie sich noch so sehr dem verwir­renden Taumel der vielen Finten des Plots anheim­gibt.

Porum­boius diverse Verweise auf Film noir und Agenten- und Spio­na­ge­thriller wieder­holen die kunst­vollen Spie­gel­fech­te­reien auf der Ebene der Insze­nie­rung und Bild­ge­stal­tung. Er versucht damit nicht weniger, als die ethno­gra­phi­schen Sozio­gramme der rumä­ni­schen Neuen Welle mit der Post­mo­derne zu über­kreuzen, und begibt sich dafür nicht nur nach La Gomera, sondern auch noch nach Singapur. Dass dabei mancher Gag auch mal etwas flau bleibt und manche der Bezüge nach der x-ten Volte ins Leere weisen, kann man getrost in Kauf nehmen.

Der mit den Vögeln zwitschert...

Wie es ist, wenn zwei Filmstile zusam­men­stoßen – das kann man mit seltener Klarheit in La Gomera erleben, dem neuen Film des Rumänen Corneliu Porumboiu. Was hier zusam­men­s­tößt, ist das Genre des Gangs­ter­films mit dem der rumä­ni­schen Neuen Welle.

Vor gut 15 Jahren kam das rumä­ni­sche Kino wie aus dem Nichts. Vorher ein weißer Fleck auf der Landkarte der Film­ge­schichte, waren rumä­ni­sche Regis­seure, meist in den sechziger Jahren geboren, plötzlich der neueste Schrei bei inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals. 2007 gewann 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage von Cristian Mungiu in Cannes die Goldene Palme. Heute sind die Rumänen Stamm­gäste.

Eine Weile hatten rumä­ni­sche Filme einen leichten Hang zum Mise­ra­bi­lismus, aber es überwiegt anderes: Das rumä­ni­sche Kino ist ein Kino der Schräg­lagen: Der Klassen, des Geldes, der poli­ti­schen Verhält­nisse, aber auch der Familien und Liebes­be­zie­hungen. Alles gerät ins Rutschen – Frust und Aggres­sion nehmen zu. Das beob­achten die Filme. In langen Einstel­lungen zeigen sie nimmer­müde Menschen im Hams­terrad des Lebens, unbe­deu­tende Dinge, die plötzlich Bedeutung gewinnen, altmo­disch und eher prag­ma­tisch einge­rich­tete Wohnungen, die zwar relativ groß sind, aber zugleich mit allem Möglichen voll­ge­stopft.

Rumä­ni­sches Kino ist vor allem Zeitdruck-Kino, grund­sätz­lich hektisch und ange­spannt, dadurch aber auch sehr spannend. Und es ist ironisch. Es erzählt nämlich von Anteil­nahme, aber auch etwas belustigt von Losern; Losern der modernen Welt, von Menschen, vor allem Männern, die sich verhed­dern in den Verhält­nissen, ob diese nun moderner Kapi­ta­lismus sind oder die alten Seil­schaften der Ceausescu-Jahre.

Ein solcher Mann, der sich übernimmt, steht auch hier im Mittel­punkt: La Gomera, das ist schon im Titel ein Witz: Er heißt Cristi, ist ein Polizist, und alles andere als schnell. Ein stoischer Abwarter, der sich klüger vorkommt, als alle anderen, und der trotzdem vorsichtig ist, immer auf der Hut.
Er ist natürlich korrupt, und seine Kollegen über­wa­chen ihn rund um die Uhr, da sie glauben, Cristi stecke mit der Mafia im Bund. Auf die Kana­ren­insel La Gomera kommt der Mann aus Bukarest, um »El Silbo« zu erlernen, die berühmte Pfeif­sprache der kana­ri­schen Inseln, die Unein­ge­weihte an Vögel­ge­zwit­scher erinnert. Das Alphabet aus Pfeif­tönen soll es ihm und der Mafia ermö­g­li­chen, in Bukarest unbe­lauscht zu kommu­ni­zieren.

Mit dieser Prämisse beginnt dann ein Thriller, der verwir­rend startet und immer kompli­zierter wird, in der jeder jeden betrügt, und dessen Handlung in ihrer laby­rin­thi­schen Struktur einer­seits an große Filme von Hitchcock erinnert, an Film Noirs, es gibt eine Femme Fatale und einen Geld­batzen als MacGuffin. Die Bilder haben auf der anderen Seite mit diesen Vorbil­dern fast nie etwas zu tun, sie sind ganz dem rumä­ni­schen Beob­ach­tungs­stil verpflichtet, der dann zwar toll ist, wenn es gilt, die Doppel­bö­dig­keiten einer post­so­zia­lis­ti­schen Gesell­schaft und die Abgründe des Neuen Kapi­ta­lismus zu fassen, der aber im Genrekino matt und flach wirkt und zu gar nichts führt.

Das Problem des Films ist, dass er die Geschichte, die er erzählt, nicht ernst nimmt, und dass er sich wie sein Held Cristi klüger vorkommt, als er es tatsäch­lich ist.
Genre funk­tio­niert nämlich nicht, wenn man es nicht ernst nimmt, es ist selbst schon ironisch, und hyperreal – also muss man da nicht mehr mit Subtexten unter­füt­tern.

La Gomera, da kann man noch so wohl­wol­lend herum­re­zen­sieren und seine mäßige Begeis­te­rung verbergen, wie es zu tun die lieben Kollegen sich ja auch alle Mühe geben, La Gomera funk­tio­niert einfach nicht. Und trotz einer richtig schönen Schluss­ein­stel­lung in einem großar­tigen Finale in Singapur ist der ganze Film einfach zäh und öde.