Weathering with You – Das Mädchen, das die Sonne berührte

Tenki no ko

Japan 2019 · 113 min. · FSK: ab 6
Regie: Makoto Shinkai
Drehbuch:
Musik: Radwimps
Kamera: Ryôsuke Tsuda
Schnitt: Makoto Shinkai
Originell, nein einzigartig (Foto: Universum/Concorde/24 Bilder)

Liebessehnsucht und Wettermanipulation

Es regnet. Es regnet und regnet. Unauf­hör­lich. Japans Haupt­stadt Tokio droht bald komplett unter Wasser zu stehen...

Zunächst begleiten wir einen Ausreißer: Hodoka, einen an und für sich ganz wohl­erzo­genen Ober­schüler. Aber in der Provinz hat er sich ungemein gelang­weilt, und darum ist er einfach aus der Einöde losge­fahren und abge­taucht in den völlig über­wäl­ti­genden Moloch von Tokio. Dort ist das Leben aber nicht nur aufregend, sondern nicht zuletzt auch teuer. So sind seine ersten Wochen, die er wohnungslos auf den Straßen von Kabukicho District, dem Rotlicht­viertel des Tokioter Stadt­teils Shinjuku, verbringt, zunächst geprägt von Einsam­keit, und von Hunger.
Aber das Schicksal meint es gut mit ihm. Als er eines Tages besonders hungrig ist, schenkt ihm eine nette Bedienung bei McDonald’s einen Burger. Und im Zug schon hat ihn Suga getroffen, ein junger Mann, der Hodoka sofort durch­schaut. Denn er hat selbst einmal so ähnlich ange­fangen, als Außen­seiter in der Metropole, ohne Freunde. Also gibt Suga ihm seine Nummer und Adresse und als Hodoka schließ­lich vorbei­schaut, wird er schnell ange­stellt – als Redakteur bei einem frag­wür­digen Okkul­tismus-Magazin für Jugend­liche.

Bald begegnet er auch dem Mädchen aus dem Fast-Food-Imbiss wieder, kann sie fast schon helden­haft retten aus den Klauen eines bösen Mannes. Sie heißt Hina, ein quirliges, schlaues, willens­starkes, ziemlich »street­wises« Groß­stadt­girl. Sie ist etwas älter als er, und auch sie lebt ohne Eltern – und muss sich sogar noch um ihren jüngeren Bruder kümmern.
Und wer es jetzt noch nicht geahnt hat: Hodoka verliebt sich Hals über Kopf in Hina.

Weathe­ring with You – Das Mädchen, das die Sonne berührte ist also einer­seits eine klas­si­sche Coming of Age-Story, die immer junge, immer aufre­gende Geschichte von einer ersten Liebe. Das ist schön, aber nicht sehr originell.

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Originell, nein einzig­artig wird der Film von Makoto Shinkai durch das, was sein deutscher Unter­titel – »Das Mädchen, das die Sonne berührte« – andeutet. Denn neben der realis­ti­schen Kompo­nente des Erste-Liebe-Jugend­films gibt es hier noch zwei weitere, wenn man so will: »typisch japa­ni­sche«, jeden­falls spiri­tu­elle und hyper­rea­lis­ti­sche Hand­lungs­ebenen.
Einmal das Wetter, das nämlich viel schlechter ist und sich viel schneller verändert, als in Wirk­lich­keit, das so gewis­ser­maßen den Klima­wandel hoch­rechnet zu phan­tas­ti­schen Szenarien. Während das Bild Tokios von geradezu photo­gra­phi­schem Realismus ist – eine japa­ni­sche Zeit­schrift schreibt: Zukünf­tige Histo­riker könnten es als Blaupause dafür benutzen, wie Tokio im Sommer 2019 aussah. Sogar die Marken auf Werbe­ban­nern sind echt.
Und die Tatsache, dass Hina ein »Sunshine Girl« ist, also eines jener Mädchen, von denen man nicht weiß, ob es sie wirklich gibt: Mädchen, die die myste­riöse Kraft besitzen allein durch ihren Willen und Zwie­sprache mit den Göttern die ganze Welt, also auch das Wetter zu beein­flussen.
Hina schenkt den Menschen Glück, indem sie ihnen inmitten des Dauer­ge­wit­ters ein paar Stunden Sonne verschafft, für eine Hochzeit, einen Geburtstag oder einfach einen Vater, der mit seinen Kindern im Park spielen will.
Nehmen wir mal für die Dauer dieses Films an, es gibt sie wirklich. Dann wird Weathe­ring with You zu einem genuin roman­ti­schen Stoff, einem Märchen für Erwach­sene, dessen Bilder und dessen Geschichte Erin­ne­rungen aufkommen lassen, an die Erzäh­lungen von der Liebe eines jungen Mannes zu einer Meer­jung­frau oder zu einem Luftgeist, zur Nixe Undine, oder den Geschichten über freund­liche Kobolde...

Zuerst machen Hina und Hodoka aus Hinas Gabe ein Geschäft: »Wetter on demand«, das ist schon mal eine gute Idee.

Wie es so geht in Märchen und Fantasy, haben gute Gaben aber auch ihre Schat­ten­seiten – so auch hier. Denn mit der Zeit zehrt ihre Gabe an Hina. Sie wird schwächer und schwächer. Und das schlechte Wetter, gegen das sie sich mit großer Kraft gesträubt hatte, nimmt wieder überhand: Destruk­tive Stürme und Taifune bilden sich. Und dann kommt die Polizei auch noch den Ausreißern auf die Spur...

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Der 1973 geborene Makoto Shinkai ist nach Hayao Miyazaki der neue Star der japa­ni­schen Anime-Szene, also der Welt der gezeich­neten und gemalten Filme: Your Name hieß vor drei Jahren Shinkais bombas­ti­scher Lang­film­erfolg (sein eigent­li­ches Debüt war bereits 2004 der in Co-Regie gefer­tigte Kumo no mukô, yakusoku no basho/The Place Promised in Our Early Days), der nicht nur in seiner Heimat so einen über­ra­genden Zuspruch erhielt: Eine spiri­tu­elle Geschichte zweier Paral­lel­welten, bild­ge­waltig und emoti­ons­ge­laden.
2013 war das Jahr seines Durch­bruchs: »Dareka no Manazashi« (Someone’s Gaze) ist ein nur knapp sieben­minü­tiges Juwel, das man sich auf YouTube anschauen sollte. Ein Science-Fiction aus der Gegenwart, eine Geschichte über Verlust und Erin­ne­rung.
Noch stärker und ungleich komplexer ist Shinkais mittel­langer Film »Kotonoha no Niwa« (Garden of Words) aus dem gleichen Jahr.
Beide Filme beginnen in einem jener Standard-Vorort­züge, mit dem Japans Ange­stellte morgens und abends stun­den­lang zwischen Arbeit und Zuhause pendeln. Und mit Erin­ne­rungen an die Kindheit. Genaue Beob­ach­tungen von Alltä­g­li­chem – wie man den Halte­griff im Groß­raum­wagen halten kann – wechseln mit Tiefsinn: Der Melan­cholie über die Tristesse des modernen Lebens.
Jetzt kommt Shinkais neuer, zweiter Film ins Kino; im Original »Tenki no Ko« (wörtlich: »Kind des Wetters«); auch er beginnt in einem Zug, und handelt von der unent­rinn­baren Einsam­keit junger Menschen.

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Liebes­sehn­sucht und Wetter­ma­ni­pu­la­tion: Weathe­ring with You ist eine überaus roman­ti­sche, verzau­bernde Film-Fantasy zum Klima­wandel. Nahe an den surrealen Geschichten und am magischen Realismus eines Haruki Murakami ist dies auch eine éducation senti­men­tale, eine Erziehung des Herzens – in Form eines japa­ni­schen Anime.
Zugleich muss man kein Jugend­li­cher sein, um in diesem Film gele­gent­lich zu träumen: Wie wäre es, wenn es einfach ginge: Dass man – Potzblitz! – das Wetter verändert?