Swimming Pool

F/GB 2003 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: François Ozon
Drehbuch: ,
Kamera: Yorick Le Saux
Darsteller: Charlotte Rampling, Ludivine Sagnier, Charles Dance, Marc Fayolle u.a.
Julie (Ludivine Sagnier)

Das ist schon eine seltsame Wohn­ge­mein­schaft, die Frank­reichs cine­as­ti­scher Wunder­knabe Francois Ozon aufein­ander loslässt: Da ist die ebenso verschro­bene wie erfolg­reiche Krimi­schrift­stel­lerin Sarah Morten, eine schlapp­hü­tige britische Lady, die sich im provenca­li­schen Hause ihres Verlegers zwecks Auflösung einer Schreib­blo­ckade einge­bun­kert hat. In dieses aske­ti­sche Idyll mit einem Kühl­schrank voll Coce light und Mager­jo­ghurt platzt Julie, blutjunge, Erotik verströ­mende Tochter eben­dieses Verlegers, der pikan­ter­weise zugleich Sarahs Liebhaber ist. Julie räkelt sich tagsüber halbnackt am Pool, hinter­lässt eine Fährte dreckigen Geschirrs und schleppt jede Nacht neue Liebhaber ins Haus, mit denen sie lautstark kopuliert und die Hausbar leer­be­chert.

Unna­tür­lich blau funkelt das Wasser des Bassins, an dessen Rand die blonde Nymphe drapiert ist. Nur wer genauer hinschaut nimmt den Schatten wahr, der über den Schoß des Mädchens fällt und sich auf dem Boden des Schwimm­bas­sins abzeichnet: die undeut­liche Silhou­ette eines unsicht­baren Betrach­ters, von dem eine unter­schwel­lige Bedrohung ausgeht... Schon das derzeit allge­gen­wär­tige Film­plakat lässt ahnen, dass selbst im domes­ti­zierten Wasser dunkle Schatten lauern können. Wie einst in Jacques Derays 1968 gedrehtem Thriller Der Swim­ming­pool mit Alain Delon und Romy Schneider legt auch Ozon seinen Film als Open Air-Kammer­spiel an, wo unter der trüge­risch idyl­li­schen Ober­fläche heftige Emotionen gären. Eine filmische Verbeu­gung, die durch den Sixties Flair der Bilder noch unter­stri­chen wird.

Sarah ist über den Eindring­ling zunächst verärgert. Doch schon bald bröckelt ihre Abwehr. Heimlich nascht sie von der Gänse­le­ber­pas­tete ihrer Mitbe­woh­nern und schlürft vom Wein, den sie mit Wasser auffüllt – ein Riss in der spröden Fassade, durch den schon bald die Neugier sickert. Die Schrift­stel­lerin beschließt, sich den Stör­faktor Julie als Quelle der Inspi­ra­tion einzu­ver­leiben und beginnt das Mädchen zu bespit­zeln. Dabei fallen ihr allerlei Merk­wür­dig­keiten auf. Und dann ist einer der Liebhaber auf einmal verschwunden...

Die Frage bei diesem Verwirr­spiel ist nicht das klas­si­sche Who dunnit? sondern eher ein raffi­niertes Anything happened? Ozon hat in diesem Film seinen eigenen Schaf­fens­pro­zess zum Thema gemacht und in einen Myste­ry­thriller verpackt: »Ich glaube für jeden, der eine andere Wirk­lich­keit erfindet, geraten die Dinge leicht durch­ein­ander«, kommen­tiert Ozon seine Sicht kreativen Arbeitens. Die selbst­ge­wählte Schi­zo­phrenie der Geschich­ten­er­zäh­lerin Sarah kolli­diert mit der Wirk­lich­keit, die Ebenen von Realität und Fiktion verschwimmen. Doch leider verschenkt Ozon die Möglich­keiten des Vexier­spiels. Statt schlei­chende Verun­si­che­rung beim Zuschauer zu erzeugen, setzt er auf eine schale Pointe zum Finale. Doch diese Schwäche des Films wird von den viel­schich­tigen Frau­en­fi­guren mehr als wett­ge­macht. Zu sehen, wie die konträren Charak­tere aufein­an­der­prallen und durch wech­sel­sei­tige Beein­flus­sung die Laufbahn ändern, ist außer­or­dent­lich vergnüg­lich. Nur wer auf klas­si­schen Suspense gehofft hatte, wird enttäuscht.

Mörderischer Sommer

François Ozons Vexier­spiele am Swimming Pool

Ein Spiel mit inein­ander proji­zierten Ober­flächen ist dieser Film: der Wasser­spiegel auf dem Pool, die Abdeck­plane über dem Pool, die Blätter welken Laubes auf der Wasser­ober­fläche, der Bild­schirm des Laptops, die Tastatur des Laptops, die Blätter Papiers mit den hand­schrift­li­chen Notizen. Auf diesen Ober­flächen glitzert, flackert, flimmert und oszil­liert es permanent, ein Gewimmel von Licht­re­flexen, die sich nicht eindeutig fixieren lassen wollen wie das Rauschen und Flirren der Blätter der Bäume, auf die sich die Blicke durch das offene Fenster immer wieder richten, auf dieses semio­ti­sche Rieseln, das einen Reichtum der Bezüge andeutet, die sich nicht verfes­tigen wollen. Es sei denn, es man läßt das alles zur Gestalt eines Phan­tasmas gerinnen. Über die phan­tas­ma­ti­sche Aufladung und Besetz­bar­keit der Dinge und Menschen im Filmbild bekommt man hier eine Lektion erteilt.

Es läßt sich an wie simple Meta-Fiction, als in sich selbst verspie­gelte Erzählung vom Schreiben eines Romans, den die als Objekt gewählte Wirk­lich­keit durch fikti­ons­in­du­ziertes Handeln gewis­ser­maßen mitschreibt. Die englische Krimi­nal­au­torin Sarah Morton kommt bei ihrem neuen Werk nicht voran, der Verleger stellt ihr sein Haus in Südfrank­reich zur Verfügung, damit sie dort ihre Blockade über­winden kann. Bald sieht sich die sehr diszi­pli­niert, freudlos und verbissen wirkende Sarah in ihrer Konzen­tra­tion durch die Ankunft der Tochter des Verlegers gestört. Julie läßt es ziemlich krachen und reißt andauernd neue Männer auf. Sarah schaut dem Ganzen faszi­niert und abge­stoßen zugleich zu, bis sie sich Julie als Gegen­stand eines neuen, ganz anderen Romans erwählt. Julie durch­schaut das Interesse an ihr und wirkt kurzer­hand an dem zu schrei­benden Roman mit, indem sie durch ihr Handeln mörde­ri­sche Fakten schafft.

Natürlich baut Ozon das psycho­lo­gi­sche Spiel zwischen den beiden Frauen sehr sorg­fältig auf. Der zunächst so vorder­grün­dige Kontrast gibt nämlich zunehmend geheimen Korre­spon­denzen Raum. Die verdros­sene Sarah mit ihrer kühlen, intel­lek­tu­ellen Ausstrah­lung gerät immer mehr in den Bann der in der Sonne gleißenden Sinn­lich­keit Julies. Verdrängtes, Proji­ziertes, eine Mutter-Tochter-Beziehung, Phan­tasmen der Leiden­schaft, lite­ra­ri­sche Phantasie, alles scheint hier zusam­men­zu­schießen und mündet in einen Plot, der immer mehr die Form eines Krimis annimmt und als solcher dann unspek­ta­kulär im Sande verläuft. Es wird deutlich: der Plot selbst ist hier nicht das eigent­lich Inter­es­sie­rende. Der Plot ist ein Ober­flächen­phä­nomen, eine reine Ermög­li­chungs­struktur für Effekte der Tiefe. Dabei scheint es zunächst um die Frei­le­gung der psycho­lo­gi­schen Motive als Antriebs­kräfte der Handlung zu gehen. Je mehr aber das Spiel der verschie­denen Ober­flächen als Projek­ti­ons­flächen (einschließ­lich der Leinwand, auf deren Licht­re­flexe wir die ganze Zeit blicken) uns in den Bann schlägt, um so mehr tritt auch das Psycho­lo­gi­sche als Vorwand für etwas anderes zurück. Wofür? Das war die große Kunst in Ozons Sous le sable: durch das Anreißen psycho­lo­gi­scher Motive einen Raum jenseits des Fakti­schen zu öffnen, einen vagen Raum des Rätsel­haften, des Myste­riösen, der sich einer näheren Bestim­mung entzieht. In Swimming Pool versucht Ozon noch den Raum der künst­le­ri­schen Inspi­ra­tion, der Krea­ti­vität mitein­zu­be­ziehen in das unwägbare Spiel der viel­fäl­tigen Bezüge.

Mit der spek­ta­ku­lären Schluß­pointe (die nicht verraten werden kann) läuft Ozon jedoch Gefahr, einer psycho­lo­gi­schen Verein­deu­ti­gung Vorschub zu leisten, die die raffi­nierte Balance zerstört. Ande­rer­seits: Wenn diese Pointe fehlen würde, funk­tio­nierte die raffi­nierte Balance gar nicht wirklich. Ein echtes Dilemma oder »double bind«, das den vagen Verdacht aufkommen läßt, daß hier irgend etwas nicht ganz stimmt. Im Vergleich zu Sous le sable enttäuscht Swimming Pool jeden­falls.

Die Kunst, das Haus und das Mädchen

Ein frau­en­feind­li­cher Film. Das konnte man mit einigem Recht sagen über 8 Frauen, den merk­wür­di­ger­weise größten Erfolg von Francois Ozon, der von manchen in Frank­reich schon als neuer Fass­binder gefeiert wird. Auch in seinem neuen Film Swimming Pool präsen­tiert uns der Regisseur zwei auf den ersten Blick nicht gerade sympa­thi­sche Frau­en­fi­guren.

Sarah Morton ist eine erfolg­reiche Best­seller-Autorin aus London. Sie schreibt Krimis im Stil von Agatha Christie – »Dorwell wears the Kilt« heißt ihr neuestes Werk – und im Laufe des Films ähnelt sie immer mehr auch ein wenig Miss Marple. Doch Sarah ist zugleich eine Diva, eifer­süchtig, kalt und launisch. Um einer Schaf­fens­krise zu entkommen, fährt sie für einige Wochen in das Feri­en­haus ihres Verlegers in die fran­zö­si­sche Provence. Aus ihrer neuen Ruhe wird sie dort freilich bald durch Julie gerissen, die junge Tochter ihres Gast­ge­bers, die ebenfalls in dem Haus ein paar Tage verbringen will. Julie entpuppt sich als frivole Nerven­säge, viel­leicht sogar ein wenig verrückt, aber allemal ein verzo­genes Gör.

Subtil und geduldig entfaltet Ozon das immer span­nungs­rei­cher werdende Bezie­hungs­ge­flecht zwischen diesen beiden Figuren und deren komplexe Persön­lich­keiten: Sarah ist pedan­tisch und ordnungs­ver­sessen, gesteht sich ihre heim­li­chen Gelüste – nach Essen, Alkohol, Sex – kaum selber ein, und blickt verärgert, aber zugleich neidisch auf die vulgäre, aber scheinbar innerlich freie Julie. Doch schnell wird klar, dass auch diese ihre Geheim­nisse hat. Das macht sie ande­rer­seits für Sarah noch attrak­tiver, denn die Autorin sucht ja auch ein Thema für ihr neues Buch. Heimlich schleicht sie sich in Julies Zimmer, liest ihr Tagebuch, und beginnt, Julies – wahre? fiktive? – Geschichte zu schreiben...

Zwei Frauen, die sich in ein tödliches Psycho-Duell verstri­cken – in Swimming Pool geht es bald ans Einge­machte. Nach seiner kandierten Komödie 8 Frauen bringt Ozon, wohl der inter­es­san­teste Frau­en­re­gis­seur unter den jüngeren Franzosen, Ludovine Sagnier, die jüngste seines damaligen Ensembles gemeinsam mit Charlotte Rampling auf die Leinwand. Swimming Pool ist ein Kammer­spiel, das sich ganz auf diese beiden wunder­baren Darstel­le­rinnen konzen­triert und hier seine besten Momente hat, ein Erotikthriller um das Verhältnis von körper­li­cher und geistiger Ausbeu­tung, der auf mehreren Ebenen zwischen Phantasie und Realität changiert, Situa­tionen skizziert, in denen die verläss­li­chen Regeln des mensch­li­chen Zusam­men­le­bens für einen langen Augen­blick außer Kraft gesetzt schienen, und dabei auch seine Zuschauer bis zum Schluß im Unge­wissen hält.

Stilis­tisch ist Swimming Pool, der offen den Romy-Schneider-Klassiker La piscine vom jüngst verstor­benen Jacques Deray zitiert, ein klug gebauter, atmo­s­phä­risch dichter, konse­quent insze­nierter Film. Die Kamera wandert, streicht von der Seite über die Szenerie, beiläufig, die beiden Haupt­per­sonen fast belauernd.

Auf diesem Weg entfaltet Ozon seine Haupt-Themen: Den Gegensatz zwischen Natur und Zivi­li­sa­tion, in dem das einsame Haus auf dem Land als Zufluchtsort abseits der »Welt« wirt, und die Natur auch am Pool nicht so domes­ti­ziert ist, wie es zunächst scheinen mag.

Und eine kleine Kunst­theorie, nach der die Kunst die Wirk­lich­keit verwan­delt, nicht abbildet, sondern als Material nimmt und der Künstler ein Dieb ist und ein Menschen­fresser, der vampi­ris­tisch andere Leben und Schick­sale ausbeutet.

So effekt­ha­sche­risch diese sanfte Dekon­struk­tion bürger­li­cher Verhält­nisse mitunter auch wirkt, so sehr erinnert sie doch immer wieder an die Irri­ta­tionen eines Bunuel, an ein augen­blicks­haftes Wegdriften der Wirk­lich­keit, das den Blick auf Abgründe frei gibt, die in uns allen schlum­mern, und in den Verhält­nissen, in denen wir leben. Insofern hat Ozon mit diesem surrealen Psycho­spiel sogar eine dezente und tief­sin­nige Version von Matrix gedreht, in der der Zuschauer am Ende nicht genau weiß, ob er nun einen Roman gesehen oder die Realität mit den Augen einer Autorin gelesen hat – »Ich verstehe, ehrlich gesagt gar nicht, was Du uns erzählen willst.« sagt Sarahs Verleger. So mag es auch manchem Zuschauer gehen – doch der Bruch mit der Alltags­er­fah­rung, der in diesem filmi­schen Möbi­us­band überwiegt, stellt gegenüber all den schnell geschlos­senen Welter­klä­rungen anderer Filme schon für sich eine Tugend dar.