Die Stadt der Blinden

Blindness

Kanada/Brasilien/J 2008 · 121 min. · FSK: ab 12
Regie: Fernando Meirelles
Drehbuch:
Kamera: César Charlone
Darsteller: Julianne Moore, Mark Ruffalo, Alice Braga, Yusuke Iseya, Yoshino Kimur u.a.
Julianne Moore spielt blind

Nutzen der Katastrophe

Der Untergang des Augen­lichts – eine nur teilweise gelungene Saramago-Verfil­mung

Die Stadt der Blinden heißt jener Roman des portu­gie­si­schen Erzählers und Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­gers von 1998, José Saramágo, dessen ziemlich texttreue Verfil­mung hier mit Blindness nun vorliegt. Regie führt der Brasi­lia­ners Fernando Meirelles, der mit City of God berühmt wurde, dann den Le-Carré-Roman The Constant Gardener verfilmte – über die Verbre­chen der Phar­ma­kon­zerne. Über­ra­schend zeit­be­zogen wirkt auch die Handlung von .Blindness Sie fügt sich in die neue Konjunktur des Apoka­lyp­ti­schen, die seit dem 11.9.2001 im Kino – etwa Children of Men von Afonso Cuaron, Danny Boyles 28 Days Later, oder I Am Legend – und in der Literatur – Frank Schät­zings Der Schwarm, Die Straße von Cormac McCarthy – grassiert.

In einer nicht näher bezeich­neten kosmo­po­li­ti­schen Metropole in naher Zukunft wird plötz­liche Erblin­dung zu einer Masse­ne­pi­demie. Innerhalb kürzester Zeit breitet sich Blindheit seuchen­artig aus. Daraufhin schlägt die Gesell­schaft zurück, der Staat zeigt sein auto­ritäres Gesicht und inter­niert die Erkrankten in einem geschlos­senen Lager, wo sie dann unter unwür­digsten Umständen sich selbst über­lassen bleiben. Nur eine Frau in diesem Lager ist immun: Julianne Moore spielt diese einzige Sehende – sie bleibt wie alle Figuren in Film und Buch namenlos, ist nur durch beruf und Funktion markiert – in dieser Gesell­schaft der Blinden, sie hatte sich nur aus Soli­da­rität mit ihrem Mann, einem Arzt, blind gestellt.

Blindness ist vor allem eine soziale und kultu­relle Metapher, die zual­ler­erst für die Weigerung steht, »den anderen zu sehen«, zu kommu­ni­zieren, und die sozialen Probleme wahr­zu­nehmen. Es hat in diesem Fall aber auch etwas mit reli­giöser Ungläu­big­keit zu tun. In sehr grellen Farben malt der Film aus, wie unter den Inter­nierten die zivi­li­sa­to­ri­schen Schranken zusam­men­bre­chen: Ein unge­wöhn­li­cher Film, mitunter scho­ckie­rend, etwa in der sehr gewöh­nungs­be­dürf­tigen, aber drama­tur­gisch notwen­digen Szene einer Massen­ver­ge­wal­ti­gung, mit einer sehr schlichten alle­go­ri­schen Entge­gen­set­zung zwischen Diktatur und Demo­kratie – als zwei möglichen Lebens­formen der Menschen – der erst am Ende eine plötz­liche und wenig über­zeu­gende Kurve ins senti­men­tale Happy End nimmt, wo eine netter Hund und ein gütiger Erzähler auftreten – davor aber spielt er auf der Klaviatur verschie­denster Gefühle. Manchmal ist das beein­dru­ckend, dann wieder recht kitschig.

Am besten funk­tio­niert diese Parabel auf visueller Ebene: Meirelles und sein Kame­ra­mann César Charlone lassen die Bilder und die Farben verschwimmen. Das Auge des Betrach­ters im Kino selbst soll verun­si­chert werden. Die Welt im Film gerät aus den Fugen und wird nie wieder ganz intakt. Sie zeigen auch immer wieder die Innen­sicht der Blinden ihre Welt schimmert mattweiß, milchig, aber gleißend hell – wie ein erblin­dender Blick in die Sonne.

Schwie­riger ist die darstel­le­ri­sche Ebene: Mark Ruffalo, Alice Braga, Danny Glover und Yusuke Iseya, die Schau­spieler der wich­tigsten Blinden tun, was man schon seit je her im Schü­ler­theater getan hat, wenn man zum Beispiel den Ödipus zu geben hat: Sie schlurfen langsam, sie stolpern, sie fuchteln in der Luft, greifen ins Leere.

Noch frag­wür­diger ist aber in ihrer Klischee­haf­tig­keit vor allem die Julianne-Moore-Figur: Sie mutiert von einer frus­trierten Hausfrau in eine »starke Frau«, bleibt aber im Prinzip unter geän­derten Vorzei­chen doch immer was sie am Anfang ist – the constant housewife, einkau­fend, waschend, putzend. Im Hinter­grund klimpert im richtigen Moment immer Bachmusik. Und die Moral des Film ist schlicht und billig: auch die schlimmste Kata­strophe ist noch zu was gut, wenn nur die Menschen daraus lernen.