Der Sohn von Rambow

Son of Rambow

Großbritannien/F/D 2007 · 95 min. · FSK: ab 6
Regie: Garth Jennings
Drehbuch:
Kamera: Jess Hall
Darsteller: Bill Miner, Will Poulter, Jules Sitruk, Jessica Stevenson, Neil Dudgeon u.a.
Coole Kids machen cooles Kino

Fantasiemaschine

Der erste Film im Leben ist ein prägendes Erlebnis – insbe­son­dere dann, wenn es sich bei den bewegten Bildern nicht um kind­ge­rechte handelt, sondern um solche, die deutlich für eine andere Alters­gruppe bestimmt sind. Weil man nicht schlafen konnte, lässt sich viel­leicht hinter den Rücken der Eltern im Fern­seh­sessel ein Blick erhaschen auf verbotene Action, auf Blut, Sex oder Gewalt. Ob das Gesehene dann in Albträume oder Helden­fan­ta­sien umge­wan­delt wird, ist wohl indi­vi­duell unter­schied­lich. Bei Will in Garth Jennings' Der Sohn von Rambow jeden­falls sind es Helden­fan­ta­sien, und er hat Glück: Er darf sie gleich selbst filmisch in die Tat umsetzen.

Initia­tion des Jungen ist eine Raubkopie von Rambo. Erzogen nach den Richt­li­nien einer streng­gläu­bigen Sekte, die weltliche Zerstreu­ungen wie Film und Musik verbietet, glich der Elfjäh­rige seinen Bilder­mangel zuvor mit fanta­sie­vollen Zeich­nungen aus, seine detail­rei­chen, bunten Tableaus füllten Bücher, Schul­toi­let­ten­ka­binen und Daumen­kinos. Zufällig trifft Will auf den denkbar unter­schied­li­chen Lee Carter, dessen Mutter abwesend und dessen Bruder gleich­gültig ist: Der ausge­wie­sene Schul­re­bell kann tun und lassen, was er will. Darunter fallen auch die Raub­ko­pien, die er für seinen großen Bruder anfertigt. Mit dem intro­ver­tierten Will, der in der selbst geschaf­fenen Figur des »Sohns von Rambow« sein extro­ver­tiertes Alter Ego entdeckt, hat Lee Carter den Haupt­dar­steller für seinen Film gefunden. Er möchte damit an einem natio­nalen Wett­be­werb teil­nehmen. Im Lauf der Dreh­ar­beiten werden die beiden Freunde.

Wills Zeich­nungen rund um den Sohn von Rambow, der seinen Vater befreien will, werden zum Storybook, zum Drehbuch für den Film im Film. Die Zeich­nungen erwachen zum Leben ebenso wie die gruselige Vogel­scheuche. Auf einer lang­wei­ligen Autofahrt entlang engli­scher Felder blickt Will aus dem Fenster und sieht bunte Explo­sionen über den gelben Ähren; als Sohn von Rambow irrt er durch animierte Sequenzen seiner Bilder­ge­schichten. Garth Jennings' zauber­hafter Film ist eine Feier und Beschwö­rung der kind­li­chen Fantasie, die so ungleich reicher ist als die erwach­sene, oft ganz in nächt­liche Träume verbannte. Und er feiert das Kino: Als Fanta­sie­ma­schine, die verlorene Welten jederzeit wieder aufer­stehen lassen kann. Der Film der Kinder ist auch ein Kommentar zum Filme­ma­chen; die Widrig­keiten, mit denen beide zu kämpfen haben und ihre Impro­vi­sa­ti­ons­lust bei den Stunts und Spezi­al­ef­fekten spiegeln die Probleme und Freuden eines 'erwach­senen' Drehs.

Ein liebevoll und detail­genau ausge­stat­teter Kostüm­film ist Der Sohn von Rambow außerdem, er spielt Anfang der achtziger Jahre, eben als Rambo von 1982 im Kino lief. Der Regisseur und Dreh­buch­autor Jennings hat, wie er im Pres­se­heft erzählt, seine eigenen Kind­heits­er­in­ne­rungen verar­beitet. Er wollte dabei aber nicht auto­bio­gra­fisch vorgehen, sondern »das Leben, wie wir es als Kinder empfunden haben« einfangen. Jennings hat 2005 mit Per Anhalter durch die Galaxis seinen ersten Spielfilm vorgelegt. Seine Produk­ti­ons­firma »Hammer & Tongs« betreibt der Regisseur gemeinsam mit dem Produ­zenten Nick Goldsmith, sie sind für einige mitt­ler­weile kano­ni­sche Video­clips verant­wort­lich: Etwa »Imitation of Life« von REM. Die feder­leichte Mischung von Stilen und Formen in Der Sohn von Rambow erinnert viel­leicht auch deshalb an die Filme des Videoclip-Groß­meis­ters Michel Gondry – ganz abgesehen von den inhalt­li­chen Über­ein­stim­mungen mit seinem letzten Film Abgedreht, in dem zwei Video­theken-Mitar­beiter Action­klas­siker nach­drehen. Der Sohn von Rambow wirkt aller­dings im Vergleich um einiges natür­li­cher und überhaupt nicht bemüht, wohl schon deshalb, weil es sich um Kinder handelt, die hier kindisch sind.

Bluts­brü­der­schaften, fran­zö­si­sche Austausch­schüler, Depeche Mode und The Cure, Konflikte zwischen Freunden, Yentl, der Kinoheld als besseres Ich: Der Sohn von Rambow ist der perfekte Film für Menschen, die in den achtziger Jahren aufge­wachsen sind, insbe­son­dere, wenn sie jetzt selbst Kinder haben. Er ist eine Art Fight Club als Family Enter­tain­ment, kathar­tisch und anregend zugleich, dabei erfri­schend politisch unkorrekt und respektlos (immerhin zeigt schon eines der ersten Bilder den rauchenden Lee Carter, der im Kino ungeniert von der Leinwand abfilmt). Nach dem Kino­be­such, der unbedingt bis zum Ende der Schluss­titel dauern sollte, werden die Eltern ihre Kinder jeden­falls noch lang mit eigenen Erin­ne­rungen unter­halten – oder lang­weilen.