Soldaten

Deutschland 2021 · 111 min. · FSK: -
Regie: Willem Konrad, Christian von Brockhausen
Drehbuch: ,
Kamera: Christian von Brockhausen, Willem Konrad
Schnitt: Willem Konrad
Interessanter Blick in die Köpfe von Jungsoldaten
(Foto: 36. DOK.fest@home)

Alles archaisch, aber leider unumgänglich

Wer geht denn heute überhaupt noch freiwillig zur Bundeswehr? Das ist eine Kernfrage, die Christian von Brockhausens und Willem Konrads Soldaten stellt

Das ist schon eine seltsam herme­ti­sche Welt: die Bundes­wehr. Einer­seits Apparat gewordene Hier­ar­chie, ander­seits Gleich­schal­tung: Uniform an, Haare ab, »jeden morgen rasieren!« grummelt der Befehls­haber mit dem wildesten Bart. Alles archaisch, aber leider unum­gäng­lich. »Besser wäre es, wenn es gar keine Auslands­ein­sätze gäbe, aber irgend­einer muss es ja machen« sagt Jerell, einer der Prot­ago­nisten in Christian von Brock­hau­sens und Willem Konrads Film, einmal.

Die Doku­men­tar­filmer folgen den drei Soldaten Jerell, Meier und Alexis durch die Grund­aus­bil­dung, bis ersterer tatsäch­lich in den Flieger nach Afgha­ni­stan steigt. Das passiert gegen Ende des Films, Corona ist schon da, wir sind irgend­wann im Jahr 2020 und verbringen mit Jerell ein paar Augen­blicke in dem Hotel­zimmer, das er während einer zwei­wöchigen Quaran­täne vor dem Einsatz nicht verlassen darf. Sein ambi­va­lentes Verhältnis zu dem Einsatz, einer­seits das Wollen-um-jeden-Preis, ande­rer­seits die Angst vor trau­ma­ti­schen Bildern des Krieges, begleiten beinahe den gesamten Film. Die Mama ist bei den kurzen Aufent­halten in der Heimat alles andere als begeis­tert, nervös werden einige Ziga­retten auf dem Balkon in der Plat­ten­bau­woh­nung in Berlin-Reini­cken­dorf geraucht.

Wir begleiten die Aspi­ranten durch den Alltag in der Kaserne, von der Pike bis zum Ende der Ausbil­dung. Da ist der Lern­pro­zess: Still­stehen in Reihe und Glied, die mili­tä­ri­schen Rang­ord­nungen, Anspra­chen und Kommandos abspulen, Rucksäcke korrekt packen. Mit einem Bus geht’s in ein riesiges, Versand­haus-ähnliches Gebäude voller Bundes­wehr­aus­rüs­tung, in dem jeder mit Uniform, Schuhen und allem Nötigen ausge­stattet wird. Dann: Schießen, Schwimmen, getarnt durch Wälder rennen und dabei Kommandos brüllen.

Der Eindruck, dass die Bundes­wehr eine seltsame Welt ist, bestätigt sich, und doch: Der Blick der Regis­seure ist ein zarter und neutraler. Schnell hätte das ein Werbefilm für eine Insti­tu­tion werden können, die heute mit schnittig gemeinten Werbe­kam­pa­gnen um jeden Mann und jede Frau wirbt. Wer geht denn heute überhaupt noch frei­willig zur Bundes­wehr? Das ist eine Kernfrage, die Soldaten stellt. Haben wir, wie es eine Linken­po­li­ti­kerin zur Abschaf­fung der Wehr­pflicht im Jahr 2011 in einer der einge­floch­tenen histo­ri­schen Montagen formu­liert, schon ameri­ka­ni­sche Verhält­nisse mit einer Armee, die sich aus sozial schwächer gestellten zusam­men­setzt?

Ange­sichts der drei Prot­ago­nisten, allesamt nicht aus sozial prekären, aber doch schwächeren Schichten, neigt man dazu, die Frage mit einem »Ja« zu beant­worten: Jerell, ehema­liger Rowdy, der ohne Vater aufge­wachsen ist, Meier, psychisch und physisch labil, ohne jegliches Selbst­be­wusst­sein und immer noch am Tod der Mutter knabbernd. Über Alexis erfahren wir nicht viel, der Film verliert ihn schnell aus den Augen. Doch weder liefert der Film eindeu­tige Antworten, noch sucht er den größeren Kontext. Wirklich viel über die Bundes­wehr, über Struk­turen, ihren histo­ri­schen Wandel, Diver­sität oder sowas erfahren wir nicht.

Eine kriti­schere Haltung und mehr insze­na­to­ri­scher Eigensinn hätten dem Film, der für seinen Score beim DOK.fest ausge­zeichnet wurde (Deutscher Doku­men­tar­film-Musik­preis 2021 für Christoph Schauer), gut gestanden. Inter­es­sant ist der Blick in diese bisher wenig geöffnete Welt und in die Köpfe der Jung­s­ol­daten dennoch.