Sommer '04

Sommer '04 an der Schlei

Deutschland 2006 · 97 min. · FSK: ab 12
Regie: Stefan Krohmer
Drehbuch:
Kamera: Patrick Orth
Darsteller: Martina Gedeck, Robert Seeliger, Svea Lohde, Peter Davor, Lucas Kotaranin u.a.
Sirene auf dem Wasser

Nur die Sonne war schuld

Ein Sommer­film, leicht, flirrend, erhitzt. Aber immer wieder wirbeln ganz plötz­liche kurze Windböen die ruhige Stimmung durch­ein­ander, und ihre kühle Brise korre­spon­diert mit dem Blick der Kamera, der neugierig ist, aber objek­ti­vie­rend, distan­ziert. Ein Feri­en­film, in dem die Menschen ein bisschen desori­en­tiert scheinen, durch die freie Zeit, die sie da auf einmal haben, in der ihnen ihr Leben nicht von Außen durch Alltags­rhythmen und allerlei Verpflich­tungen wie von selbst geordnet wird, sondern sie es selber ordnen müssen – und im Nu eine Menge Chaos schaffen.

Man denkt an Rohmer, überhaupt an die Franzosen bei dieser Geschichte über Menschen, denen es ganz gut geht, und die trotzdem, wenn sie einmal sich selbst ausge­setzt sind, erschüt­tert werden von einer Krise, die keine Ursache hat, weil diese Krise nicht anderes ist, als einfach das Leben selber. Man kann auch an Goethes Wahl­ver­wand­schaften denken, auch das eine Feri­en­ge­schichte wenn man so will, eine Story vom unbe­schwerten Leben, einem Gleich­ge­wicht der Bezie­hungen, das dann, durch ganz kleine Verla­ge­rungen des Schwer­punkts, in einer Weise durch­ein­an­der­ge­bracht wird, dass die alte Harmonie für immer verloren ist – obwohl es nachher keiner gewesen sein will. Es sind, wie eben bei Rohmer und bei Goethe, ganz exis­ten­ti­elle Fragen, die hier in bewun­derns­wert leichter und lange Zeit heiterer Weise verhan­delt werden.

Ein Sommer im Norden. Miriam und André, ein Paar um die 40, macht Ferien in einem Reet­dach­haus. Sie werden besucht von Miriams 16-jährigem Sohn Nils und dessen Freundin Livia, noch nicht ganz 13 Jahre alt. »Ist sie nicht ein bisschen zu jung für ihn?« fragt André, doch sofort spürt man, dass diese Frage eigent­lich nur eine Maske ist, für ein eigenes, kaum sich selbst einge­stan­denes Interesse. Nils mag den Lebens­ge­fährten seiner Mutter sowieso nicht, und so ist von Anfang eine Grund­span­nung vorhanden. Livia wirkt auf den ersten Blick wie eine etwas altkluge verfüh­re­ri­sche Lolita, und bringt dement­spre­chend alle Männer in ihrer Umgebung durch­ein­ander. Auch den Ameri­kaner Bill aus der Nach­bar­schaft, den man beim Segeln kennen­lernt. Im Laufe des Zeit versteht man aber, dass Livia einfach reif und selbst­be­wusst ist für ihr Alter, und allen anderen immer mindes­tens drei Züge voraus – auch darin eine typische Rohmer-Figur. Sie ist das Zentrum der Geschichte.

Das Zentrum des Films aber, die eigent­liche Haupt­figur ist Miriam. Konzen­triert, trotzdem ganz beiläufig spielt Martina Gedeck diese Frau, die unsicher wird als Objekt des Begehrens verschie­dener Männer, als Mutter, als Schutz­be­foh­lene eines jungen Mädchens, dass alles zugleich ist: Komplizin und Konkur­rentin, in jeder Hinsicht außer Reich­weite und emotional die Nächste. Gedeck ist einfach glänzend. Sie zeigt in dieser Rolle unter der Maske des Prag­ma­tismus viel Verletz­lich­keit und weit mehr Inten­sität, als etwa in Das Leben der Anderen, wo sie, wie dieser Film beweist, weit unter Wert insze­niert wurde.

Regisseur Stefan Krohmer inter­es­sierte sich schon in seinen Fern­seh­filmen Ende der Saison und Fami­li­en­kreise für eine Konfron­ta­tion der Gene­ra­tionen, die auf vorschnelle Bewer­tungen verzichtet, die die Beob­ach­tung favo­ri­siert. Sommer ‘04, einer von zwei deutschen Filmen, die im Mai auf dem Festival von Cannes liefen, zeigt uns seine Figuren immer aus zwei Perspek­tiven zugleich: Wir sehen ihnen zu, und wir sehen anderen dabei zu, wie sie über sie reden, und wie sie sich zu ihnen verhalten. So bleibt Sommer ‘04 unpar­tei­isch und angenehm undra­ma­tisch. Eher beiläufig wachsen die Span­nungen.

Visuell ist dieses Aufladen der Verhält­nisse und ihr langsames Implo­dieren von Kame­ra­mann Patrick Orth in beiläu­fige, frag­men­ta­ri­sche, beste­chend subtile Bilder gefasst, die mal vorsichtig, zögernd, mal voyeu­ris­tisch drängend sich der Stimmung der Figuren anschmiegen. Sofort, von der ersten Minute an, sieht man ihnen nicht nur ihre Eigenheit an, spürt man im scheinbar Zufäl­ligen das Notwen­dige, Durch­dachte, die zweite Ebene.

Nur ganz am Ende gleitet dieser Gefühls­thriller etwas ins Melodram ab, bekommt er die Kurve zum Leben nicht mehr, wird das fran­zö­sisch Federnde schwerblütig und sehr deutsch. Zuvor aber verknüpft Sommer ‘04 virtuos seine Fragen nach Verant­wor­tung, nach Ignoranz und nach Schuld mit Bildern der Unschuld, dem Rhythmus der Segel­touren und dem Geräusch des Windes. Nur die Sonne war schuld.