A Serious Man

USA/GB/F 2009 · 106 min. · FSK: ab 12
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Drehbuch: ,
Kamera: Roger Deakins
Darsteller: Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick, Aaron Wolf u.a.
Wahrscheinlichkeitstheorie des Lebens

Gott würfelt doch

Zu den Credits am Beginn spielt Jefferson Airplane Somebody to Love, und die Frage des Refrains »Don’t you want somebody to love?« wird sich auch Larry Gopnik, die tragi­ko­mi­sche Haupt­figur dieses Films, irgend­wann stellen. Die ersten Bilder seiner Geschichte zeigen ihn beim Arzt, und allein schon der Augen­blick, indem der Arzt ihm in der Sprech­stunde zum Abschluss des allge­meinen Check-Up eine Zigarette anbietet (!) ist den Besuch des Films wert. Parallel dazu sieht man Danny, Larrys Sohn, beim Hebräisch-Unter­richt für seine Bar Mitzwa. Während vorne auf einer Israel-Karte vom Gelobten Land die Rede ist, hört er Musik, von Jefferson Airplane natürlich. Beide stellen sich im Verlauf dieses Films viele Fragen. Aber »Fragen sind wie Zahn­schmerzen.« erfahren wir irgend­wann: »Sie tun eine Woche weh, dann gehen sie weg.«

»No Jews were harmed in this movie« – noch im Abspann eine Lüge, ein Gag an der Grenze zum Geschmack­losen, und so sehr sich viele Zuschauer in diesem Film vergnügen dürften, so sehr wird der eine oder andere viel­leicht auch mal kurz inne­halten, und überlegen, über was genau er sich hier eigent­lich amüsiert. Der Humor der Coen-Brüder war immer so: Staub­tro­cken und hart, abgrund­tief böse und erschüt­ternd klug, selbst­iro­nisch und voller doppelter Böden. Anders gesagt: Genau so, wie man es dem »typisch jüdischen Witz« gern nachsagt.

A Serious Man ist der jüdischste Film der Coen-Brüder, dabei kaum weniger scho­nungslos als ihr Oscar-Triumpf No Country for Old Men, aller­dings etwas alberner. Und egal ob die Legende nun stimmt, dass sie hier auch zumindest entfernt von ihrer eigenen Kindheit in den Sech­zi­gern erzählen – die Coens bewegen sich diesmal weniger im Coen-Country der klas­si­schen Hollywood-Zitate und Genre-Pastiches, als im Terrain von Woody Allen: Im Kopf eines latent lebens­un­fähigen, von Schrullen und Obses­sionen gelenkten Intel­lek­tu­ellen.

Manchmal ahnt man gar nicht, wie nahe das Unheil einem schon auf die Pelle gerückt ist: Man sitzt in seinem Büro, denkt an nichts Böses, träumt allen­falls von seiner Verbe­am­tung, aber tatsäch­lich bekommt man gleich einen Anruf vom Hausarzt, der nichts Gutes verheißt. Oder man würde, blickte man nur aufmerksam durchs Büro­fenster den Tornado schon erkennen, der gerade von hinten, South by Southwest auf einen zubraust. So ungefähr geht es Larry Gopnik, dem »ernst­haften Mann« des Titels im neuen Film der Coen-Brüder, dessen Welt in diesem Film in ihren Grund­festen erschüt­tert wird. Das Wort »ungefähr« fasst es hier präziser, als man glaubt, denn Larry ist Physik-Professor an einer verschnarchten Univer­sität in Minnesota, im nörd­li­chen Middle-West der USA im Jahr 1967. Dort lehrt er Quan­ten­physik, und versucht seinen Studenten Heisen­bergs Unschär­fe­re­la­tion näher zu bringen.
Die bedeutet, salopp gesagt, dass sich nicht alles absolut berechnen lässt, und dass wir deshalb nie ganz genau wissen, was wir tun, wenn wir etwas tun. Die Welt ist alles, was der Fall ist, aber auch alles, was der Fall sein kann. In der Praxis zeigt sich die Unschär­fe­re­la­tion etwa in den Geheim­nissen des Fern­seh­emp­fangs, wo einmal Kanal 7 aus uner­klär­li­chen Gründen ausfällt, und einmal Kanal 4 nur verschwommen herein­kommt. In der physi­ka­li­schen Theorie handelt davon dann das bizarre »Katzen-Paradox« des Öster­rei­chers Erwin Schrö­dinger (Physik-Nobel­preis­träger 1933), das Larry gerade seinen Studenten beibringt, und das auf die irri­tie­rende, nur scheinbar banale Aussage hinaus­läuft: »Entweder ist die Katze tot oder sie ist nicht tot.« Oder, um Albert Einstein zu wider­spre­chen: Gott würfelt doch!

Es geht also bei den Coens wieder einmal darum, dass alles nicht so klar ist, wie es scheint. Das hat man schon im Prolog begreifen müssen, der ein kleiner kurzer lustiger Horror­film für sich ist, in einem ziemlich armen osteu­ropäi­schen Schtetl spielt, und von einem Ehepaar erzählt, das spätabends Besuch von einem alten Unbe­kannten bekommt: Ist er nur der Rabbi aus dem Nach­barort, oder ein »Dibbuk«, ein dämo­ni­scher Untoter? Die Frau des Hauses, die hier als Idealtyp der zänki­schen Gattin vorge­führt wird, geht jeden­falls auf Nummer sicher, und glaubt: »Gesegnet sei der Herr, dass wir das Böse los sind.« Wir Zuschauer wissen mehr. Und so erweist sich dieser ganze Film von Anfang an auch als ein Film über Täuschungen – denn nicht nur die Annahme, dass man das Böse los sei, erweist sich für die osteu­ropäi­schen Juden als Täuschung. Zuvor schon könnte sich alles doppelt und dreifach um eine Täuschung gehandelt haben.

Kurz nachdem Larry seinen Studenten dann von Schrö­din­gers Katze erzählt hat, beginnt auch für ihn der Zores. Zuerst sagt ihm seine Frau Judith, dass sie ihn verlassen will. Sie will Sy Ableman heiraten, einen besonders ange­be­ri­schen von Larrys Bekannten. Erst seit drei Jahren ist der Schleimer Sy Witwer. Dafür will Judith den Get, einen rituellen jüdischen Schei­dungs­brief – »Without a get, I am an Aguna« – eine Verlas­sene, was sie nicht hindert, zur Sicher­heit Larrys Konto leer­zu­räumen.

Zugleich hat Larry Ärger mit dem Redneck-Nachbarn in seiner Suburbia-Siedlung, dann noch mit einem südko­rea­ni­schen Gast­stu­denten, der nicht versteht, warum er sich nicht bestechen lassen will – »Vely tlou­bleing« –; mit der Verbe­am­tungs­kom­mis­sion der Uni, bei der er durch anonyme Brief­schreiber ange­schwärzt wird; und mit aufdring­li­chen Tele­fon­ver­käu­fern. Zuhause wohnt sein depres­siver Bruder Arthur auf der Wohn­zim­mer­couch oder blockiert stun­den­lang das Bad und die Kinder machen sowieso, was sie wollen... Sohn Danny inter­es­siert sich gerade nur für Kiffen, Jefferson Airplane und für den störungs­freien Empfang seiner Lieblings-Fern­seh­serie, obwohl er mit Jossele-Rosen­blatt-Platten Gesang für seine Bar Mizwa üben soll. Und das zickige Teenager-Girl Sarah denkt nur ans Haare­wa­schen und die Finan­zie­rung ihrer Nasen-OP und verschwindet allabend­lich in einer ominösen Diskothek namens »The Hole«.

Kurz: Larry ist ein Hiob der Neuzeit, und als er irgend­wann nicht mehr weiter weiß, bittet Larry auf der Suche nach neuem Gleich­ge­wicht drei verschie­dene Rabbis um Rat – was sich anhört, wie ein jüdischer Witz, ist auch einer, denn selbst­ver­s­tänd­lich bedeuten drei Rabbis mindes­tens zehn Antworten. Und ob die dann alle weiter­helfen, ist auch nicht gesagt.

Etwa, der erste, Rabbi Scott: »This is life. You can’t cut yourself off from the mystical or you'll be – you'll remain – comple­tely lost. You have to see these things as expres­sions of God’s will. You don’t have to like it, of course.« – »The boss isn’t always right, but he’s always the boss.« Oder der zweite: »How does God speak to us? It’s a good question. ... We can’t know ever­y­thing. ... The answer? Sure! We all want the answer! But Hashem doesn’t owe us the answer, Larry. Hashem doesn’t owe us anything. The obli­ga­tion runs the other way.« – »Why does he make us feel the questions if he’s not gonna give us any answers?« – »He hasn’t told me.«
Gott gibt, ähnlich wie Rechts­an­wälte, keine klaren Antworten. Insofern ist, das sagt dieser Film, unsere Beziehung zu Gott selbst eine Unschär­fe­re­la­tion,

A Serious Man ist eine Komödie. Aber eben eine von den Coens, darum eben auch ein trauriger Film. Und wenn es auch, wie gesagt, ihr jüdischster Film ist, dann ist er doch so univer­sell wie es eben die Geschichte von Hiob nun eben ist: Es wird im Film nicht gesagt, aber man muss nur rechnen, um zu begreifen, dass Lewis von seinem Alter her genau der Gene­ra­tion angehört, die als junge Erwach­sene den Holocaust erlebte. Und Vater wie Sohn werden auf ihre Art beide auch in diesem Film verfolgt.

»When the truth is found to be lies, and all the joy within you dies...«: »Mathe­matik sagt, wie es wirklich funk­tio­niert«, glaubt Larry noch am Anfang des Films, im weiteren Verlauf des Films wird diese Gewiss­heit erschüt­tert. Mathe­matik erscheint dann eher als die Kunst des Möglichen. Ande­rer­seits führt die prag­ma­ti­sche Kunst, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, auch nicht sicher zum gewünschten Ergebnis, sondern nur mit gewissen Wahr­schein­lich­keiten. Und viel­leicht greift Gott dann doch ein, nachdem einer Schuld auf sich geladen hat? Physik verspricht Klarheit und befindet sich doch nur knapp neben dem Wahnsinn, wie etwa Onkel Arthur beweist, der sich, wenn er nicht gerade seine Talgzyste ausdrückt, aus bestimmten Gründen mit der Wahr­schein­lich­keits­theorie beschäf­tigt, und dazu mit Hilfe des Talmud eine »proba­bi­lity-map« anfertigt...

Unmöglich, auf all die guten Gags hier einzu­gehen, zu denen auch manche überaus spre­chenden Namen gehören, oder die ganz anders geartete Vater-Sohn-Beziehung des Nachbarn oder die Geschichte, die Rabbi Nachtner erzählt: »Did you hear the story about the goi’s teeth?« – »The goi’s teeth?« – »Yes, the goi’s teeth!« – »No!« und die mit dem Dialog endet: »Well – what happened to the goi?« – »Who cares?« So ähnlich endet auch der Film. Denn es geht ein wenig auch um Erzähl­kunst, die manchmal aus der Kunst bestehen kann, nicht alles zu erzählen.

Auch ein Coen-Film ist ein Spiel mit Wahr­schein­lich­keiten. Es genügt, den Coens Vertrauen zu schenken. Ihre turbulent-intel­li­gente Komödie über einen ernst­haften Mann, der in Zeiten der Kultur­re­vo­lu­tion Klarheit sucht, und alles Mögliche findet, aber nicht das, was er sucht, ist auch wieder einmal eine Komödie der Zuschauer: Denn das haben Coen-Filme seit jeher mit der Quan­ten­physik gemeinsam: Der Beob­achter wird hier zum Schöpfer der Wirk­lich­keit; der Zuschauer wird Gott, jeder sieht seinen eigenen Film. Was denn sonst?