Schock

Deutschland 2023 · 100 min. · FSK: ab 16
Regie: Denis Moschitto, Daniel Rakete Siegel
Drehbuch: ,
Kamera: Paul Pieck
Darsteller: Denis Moschitto, Fahri Yardim, Aenne Schwarz, Anke Engelke, Sandro Di Stefano u.a.
Im Angesicht des Verbrechens
(Foto: Filmwelt)

Leere Konsequenz

Daniel Rakete Siegel und Denis Moschitto gelingt mit ihrem etwas anderen Arztfilm eine aufregende und souveräne Genre-Arbeit – ein Neo-Noir, der es in sich hat

Wer sich im letzten Jahr die Sektion Neues Deutsches Kino auf dem Filmfest München angesehen hat, dürfte nicht sonder­lich über­rascht gewesen sein, dass die Filme fast ohne Ausnahme ein Abbild unserer Gegenwart waren und einem Glas explo­siven Bubble-Teas glichen, das deutlich machte, dass soziale Blasen auf Dauer kaum koexis­tieren können, dass am Ende immer Handeln, Aushan­deln oder simple Kriegs­füh­rung nötig ist, um – nicht nur moralisch – hand­lungs­fähig zu bleiben. Und Heimat damit tatsäch­lich zum äußerst fragilen und vor allem äußerst kurz­le­bigen und mitunter lebens­ge­fähr­li­chen Zustand mutieren kann.

Einer der aufre­gendsten Arbeiten war dabei Daniel Rakete Siegels und Denis Moschittos Schock, der vor allem die Gefahr dieses Heimat­be­griffes thema­ti­siert und davon erzählt, was passiert, wenn eine der elemen­tarsten Regeln unserer Gegenwart nicht befolgt wird: Bleib in deiner Blase, sonst fällst du aus deinem Leben.

Daniel Rakete Siegel und Denis Moschitto (der auch den über­ra­gend gespielten »Helden« Bruno verkör­pert) insze­nieren ihren so so über­ra­schenden wie soghaften Thriller mit allen Spiel­arten des Neo-Noir, die zur Verfügung stehen, ohne dabei aller­dings zu stark zu stili­sieren. Statt­dessen dringt das Regie-Duo gleich zu Anfang in gesell­schaft­liche Blasen Deutsch­lands vor, die man so selten gesehen hat: Ein illegaler Arzt, der Illegale versorgt, der zwischen alten Freunden und der Mafia zerrieben wird, aber dennoch aufrichtig bleibt.

Die kargen Dialoge stimmen, der mit skal­pell­ar­tiger Kamera von Paul Pieck sezierte Alltag deutscher Schat­ten­rea­lität überzeugt und der Rhythmus, den das Genre vorgibt, ist virtuos inter­pre­tiert. Dabei lässt sich Schock immer wieder Zeit zu variieren. Mal wir eine grau­en­hafte OP am Zahn gezeigt, dann wieder eine der spek­ta­kulärsten Vers­tüm­me­lungs­szenen der letzten Jahre. Doch im gleichen Kontext wird genauso das Thema Migration thema­ti­siert und das Thema Heimat und die Sprache, die man sprechen muss, um seine Identität nicht zu verlieren. Hier ist es Italie­nisch, doch der Ratschlag­geber ist gerade nicht unbedingt jemand, den Bruno als Rollen­mo­dell akzep­tieren würde. Und immer wieder gibt es diese Bilder des nächt­li­chen Kölns, Blicke über, Blicke durch, Blicke in die Stadt. Immer wieder regnet es und immer wieder scheint es trotz einer falschen Entschei­dung, die Bruno gefällt hat, dann doch weiter­zu­gehen, spielen Siegel und Moschitto dann auch sehr souverän mit dem Ethos der freien Entschei­dung und Freiheit sowieso, Konzepte, die in diesem Film so konse­quent unter die Räder kommen, dass es Augen- und Seelen­schmaus zugleich ist, mehr noch als Moral hier irgend­wann nicht mehr als ein Räderwerk ist, das gnadenlos abläuft, ist es erst einmal in Gang gesetzt und sei die Konse­quenz des Handelns auch so leer wie eine Kölner Regen­nacht.

Sowohl stilis­tisch, aber auch inhalt­lich wagen Siegel und Moschitto viel und stehen dabei keines­falls im Schatten von Genre-Ausnah­me­for­maten wie Dominik Grafs Im Angesicht des Verbre­chens, David Nawraths groß­ar­tiges Debüt Atlas oder Nicolas Winding Refns »Pusher«-Trilogie, die eine der Inspi­ra­tionen für den Film waren.

Das liegt natürlich nicht nur an der Insze­nie­rung, sondern auch an dem tollen Ensemble (neben Denis Moschitto sind noch Aenne Schwarz, Fahri Yardim, Anke Engelke und Sandro Di Stefano mit an Bord) und einem völlig umwer­fenden Score des Elektro-Musik-Kompo­nisten Hainbach, der den Film bis zum Ablauf der Credits so subtil verstreuend wie wummernd treibend unterlegt und ihn auch auf dieser Ebene zu einem ganz beson­deren Erlebnis macht.

Da Genre in Deutsch­land fast nur in aufge­weichter Form im Fernsehen und Seri­en­format statt­findet, kann man nur hoffen, dass dieser fantas­ti­sche Versuchs­ballon ein wenig weiter­treibt und nicht wie so viele andere Genre-Arbeiten nach ihrem Start auch gleich wieder abstürzt – die acht Jahre Arbeit an diesem Film und das über­zeu­gende, über­ra­schende Ergebnis hätten es verdient.