Die Schule auf dem Zauberberg

Deutschland 2018 · 91 min. · FSK: ab 0
Regie: Radek Wegrzyn
Drehbuch:
Kamera: Ferhat Yunus Topraklar, Matthias Bolliger, Johannes Louis
Schnitt: Octavia Crummenerl Gloggengießer
Besonderes Kennzeichen der Millionäre: Breitbeinigkeit

Millionärssöhne landen weich

»Schule ist jenes Exil, in dem der Erwach­sene das Kind solange hält, bis es imstande ist, in der Erwach­se­nen­welt zu leben, ohne zu stören.«
(Maria Montes­sori)

Eine Doku­men­ta­tion über ein Schweizer Elite-Internat hat sicher nicht das Potential zum Block­buster. Eher wird das über­sicht­liche Publikum aus Berufs­päd­agogen und inter­es­sierten Laien bestehen, die sich einen unge­wöhn­li­chen Einblick in eine durch hohe Geld­schranken exklusiv geschützte Schulwelt erhoffen. Und tatsäch­lich gelang es dem Regisseur Radek Wegrzyn, das Vertrauen der Schul­lei­tung zu erhalten und sich recht frei in den Räum­lich­keiten bewegen zu können. Die Kameras schauen in Klas­sen­zimmer, in die Mensa, in die Privat­zimmer mancher Schüler und ein paar davon stellen sich – wie auch einige Lehrer – persön­li­chen Inter­views. Wer wollte, konnte sich in der gezeigten Fassung aller­dings auch unkennt­lich machen lassen.

Die Leysin American School in der Nähe des Genfer Sees hat natürlich, wie schon die Eingangs­se­quenz mit Anflug auf das Luxus­ho­tel­ge­bäude zeigt, einiges zu bieten. Ski und Rodel gut. Radek Wegrzyn ist aber eindeutig mehr an der Innenwelt der Jugend­li­chen inter­es­siert, als an der Luxus­aus­stat­tung oder an didak­ti­schen Visionen. In seinen 400 Stunden Film­ma­te­rial hat er über ein Jahr schwer­punkt­mäßig ein paar ausge­wählte Schüler begleitet und sie regel­mäßig inter­viewt. In den daraus einge­dampften knapp einein­halb Stunden konzen­triert er sich aber vor allem auf einen Schüler, dessen Entwick­lung ihn besonders gefesselt hat und welcher sich ihm gegenüber auch besonders offen gezeigt hat: Berk. Berk ist ein junger Mann aus Istanbul. Wir lernen seine Lebens­welt kennen, sehen ihn mit seinen besten Freunden abhängen, hören die strengen Maximen seines Vaters und begleiten ihn auf seinem mühsamen Weg zum Schul­ab­schluss.

Mit der Wahl seines Prot­ago­nisten, der gut drei Viertel der Filmlänge auf sich vereint, entfaltet die Doku­men­ta­tion ihren beson­deren Charme, verliert aber auch ein wenig den Gesamt­blick auf das Titel-Thema. An Berk werden Anspruch und Wirk­lich­keit der ameri­ka­nisch geprägten Leis­tungs­ideo­logie der Schule wunderbar vergleichbar. Denn Berk ist faul, unmo­ti­viert und krank vor Heimweh nach seiner vertrauten Umgebung, seinen Freunden. Er verfolgt auch gar keine ehrgei­zigen Ziele wie sein Vater, er will einfach nur eine kleine Kneipe aufmachen. An ihm arbeitet sich das profes­sio­nelle System ab. Wie kann man fehlende Moti­va­tion in einen Jugend­li­chen hinein­pressen? Wie können Eltern ihre Wünsche dem Kind über­s­tülpen? Alle wollen doch nur sein Bestes. Der Film gewährt einen kleinen exem­pla­ri­schen Einblick in die Gnaden­lo­sig­keit der Ansprüche, denen diese reichen Kinder ausge­setzt sind. Ihre Wünsche müssen sich dem Korsett der Eltern­vor­stel­lungen anpassen. Macht es sie glücklich, bei einer Charity-Auktion für ein afri­ka­ni­sches Projekt 900 Dollar für zwölf Muffins ausgeben zu können? Berk jeden­falls nicht. Er rebel­liert durch schu­li­sches Versagen. Die scha­blo­nen­haften Moti­va­ti­ons­ge­spräche und Ansagen der Lehrer prallen an ihm ab. Doch die Schule ist natürlich Dienst­leister und muss liefern.

Wie glaub­würdig da der letzte Teil des Films ist, in dem Berks Schul-Mentor ihn davon über­zeugen kann, bei einem Musical (»Urinetown«) mitzu­spielen, obwohl er im Casting seine mangelnde Eignung eindrucks­voll unter Beweis gestellt hat, muss offen bleiben. Und Vorsicht: Jetzt wird es übel ameri­ka­nisch-kitschig, denn Berk besiegt seinen inneren Schwei­ne­hund und glänzt in der Abschluss­vor­stel­lung, zu der auch sein Vater angereist ist. Fehlt nur noch die tränen­reiche Umarmung. Aber die bleibt aus gutem Grund aus, denn sein Vater beharrt auf seinen Karriere-Wünschen für seinen Sohn und bleibt auch körper­lich unnahbar. In einem bewe­genden Moment offenbart Berk, dass er sich nichts sehn­li­cher wünscht, als von seinen Eltern geliebt zu werden, ganz unab­hängig von jeder Leistung. Denn Letztere kann auch am Ende des Schul­jahres nicht ganz genügen. Berk verfehlt bei der letzten Prüfung die gefor­derte Abschluss­punkt­zahl knapp. Hier greift dann – Deus ex machina – der Schul­di­rektor ein und fordert als Kompen­sa­tion der fehlenden Punkte einen kleinen Aufsatz, der Berk den Weg, oder passender: Skihang, zum erwünschten Abschluss ebnet. So weich landen eben Millionärs­söhne. So gibt es dann für alle die obli­ga­to­ri­schen feier­li­chen Abschluss­bilder in Talar und Barett. Die Schule hat geliefert.

Das Bild, das man sich von der Elite-Schule machen kann, bleibt insgesamt recht blass, da es zu wenige Szenen gibt, die Unter­richt und andere Akti­vitäten zeigen (ein bisschen Projekt­ar­beit mit Präsen­ta­tion, Wandertag, kernige Moti­va­ti­ons­an­spra­chen), während man auf die Darstel­lung von Sicher­heits­übungen gut hätte verzichten können. Auch bekommt man von den infor­mellen Schü­ler­in­ter­ak­tionen fast gar nichts mit und bleibt so letztlich außen vor. Oder davon, wie es ange­pass­teren Schülern als Berk ergeht. Eine zweite Perspek­tive fehlt. Radek Wegrzyn und Jamin Benazzouz (Schnitt) haben es sich bei der Auswahl der Schwer­punkte aus dem umfang­rei­chen Material bestimmt nicht leicht gemacht. Heraus­ge­kommen ist dabei eher ein inter­es­santes Einzel­por­trait mit gesell­schafts- und gene­ra­ti­ons­kri­ti­schen Grund­fragen als ein weit­rei­chender Inter­nats­film, den der Titel verheißt.