The Sadness

Ku bei

Taiwan 2021 · 100 min. · FSK: ab 18
Regie: Rob Jabbaz
Drehbuch:
Kamera: Bai Jie-Li
Darsteller: Berant Zhu, Regina Lei, Wang Tzu-Chiang, Chen Ying-Ru, Emerson Tsai u.a.
Längst von der Realität überholt...
(Foto: Capelight Pictures/Central)

Der ganz normale Pandemie-Wahnsinn

In Rob Jabbaz' Seuchen-Horrorfilm ersäuft politisches Krisenmanagement in Blut und Gedärm. Die Bestie Mensch kennt keine Grenzen mehr.

Noch bevor die Apoka­lypse einsetzt, hat sich in Rob Jabbaz' Lang­film­debüt die titel­ge­bende Trau­rig­keit breit­ge­macht. Ein Paar erwacht am Morgen; von trauter Zwei­sam­keit keine Spur. Die Arbeit ruft, der gemein­same Urlaub steht auf der Kippe. Ein weiterer Tag im Hams­terrad. Während­dessen grassiert das soge­nannte Alvin-Virus in Taiwan, doch die Bevöl­ke­rung will von einer Pandemie nichts mehr wissen. Wissen­schaftler sind als Panik­ma­cher verschrien, mehr als Erkäl­tungs­sym­ptome verur­sacht Alvin zumindest noch nicht. Allzu vertraute Szenen sind das, die The Sadness ausbreitet, man will schon mit den Augen rollen. Natürlich wird gesell­schaft­liche Verdros­sen­heit auch in diesem Film bestraft – auf besonders extreme Weise. Es vergehen wenige Minuten, bis das Blut spritzt, Knochen bersten, Körper zerfetzt und zersto­chen werden. Das Virus lässt bei den Infi­zierten jegliche Hemmungen fallen. Sie verwan­deln sich in notgeile, brutale Sadisten. Lethargie und Frust weichen purer Aggres­sion.

Dieser erste große Akt ist fabelhaft gelungen, weil er schlicht als Angst­ma­cher wirkungs­voll funk­tio­niert. Weil er seinen Terror mit derselben Über­ra­schung und Unüber­sicht­lich­keit losbre­chen lässt, mit der er auch über die Prot­ago­nisten herfällt. Weil er Grausiges zu quälend schep­pernder Klang­ku­lisse mit einer Kalt­schnäu­zig­keit geschehen lässt, als hätte es schon lange seinen Platz in der Welt gehabt. Als hätten nur die Haupt­fi­guren in ihrem verträumten Mikro­kosmos bislang noch nichts davon bemerkt.

Tabu­brüche gehen immer

Hier ist kein Regisseur am Werk, der seine Tricks lange zurück­hält. Die erste halbe Stunde legt ein Maß an roher Gewalt an den Tag, das man, zugegeben, im regulären Kino­pro­gramm heute selten zu sehen bekommt. Für das Marketing war das gefun­denes Fressen. The Sadness galt inter­na­tional schon als Synonym für Gren­zü­ber­schrei­tung, da war gerade mal ein Trailer erschienen. In Deutsch­land musste der Verleih mit den Jugend­schüt­zern feilschen. Zu brutal für FSK 18! Für die Kino­aus­wer­tung gab es irgend­wann grünes Licht, einer DVD- und Blu-ray-Veröf­fent­li­chung hat man dennoch eine Freigabe verwei­gert. Bessere Werbung kann sich kein Horror­film dieser Welt wünschen, von dem ewigen Unsinn der Frei­ga­be­pro­zesse einmal abgesehen.

So oder so erscheint doch bemer­kens­wert, dass es diesem Werk gelungen ist, ein Gefühl von Sensation zu kreieren. Der Reiz des Verbo­tenen wirkt auch noch im Jahr 2022, viel­leicht sogar stärker denn je. Die Sehnsucht nach Körper­lich­keit und Trieb­haf­tig­keit im Kino scheint groß. Hollywood etwa bietet dafür kaum Befrie­di­gung, schließ­lich gilt dort Familien- und damit Indus­trie­taug­lich­keit längst auch als künst­le­ri­sches Kriterium. Eine Markt­lücke ist dem taiwa­ne­si­schen Horror­film also gewiss. Nicht zu vergessen sind jedoch zwei Tatsachen: Zum einen verdient Exzess allein noch kein Güte­siegel. Zum anderen besteht ein Unter­schied zwischen einem blut­rüns­tigen Film und einem wirklich harten, erschüt­ternden.

Man hat es hier mit einem Werk zu tun, das in der Tat alles anstellt, was sich mit Prothesen, Make-Up, Schläu­chen und Kunstblut so anstellen lässt. Ein Splat­ter­film in Reinform ist das. Seine ganze Ästhetik beruht auf der stati­ons­ar­tigen Anordnung von Torturen und Eskapaden, als würde er Körper­teile nach­ein­ander als Perlen­kette auffädeln. Da mag bei jedem Betrachter eine andere Schmerz­grenze vorhanden sein, aber wenn man ehrlich ist: Ein wirklich verstö­render, ein wirklich aufwüh­lender Film ist das nicht geworden. Das ist kein harter Film, wie Gaspar Noés Irrever­sibel ein solcher war oder Michael Hanekes Funny Games, Lars von Triers Anti­christ, Martyrs von Pascal Laugier. The Sadness fehlt es dazu an einem erzäh­le­ri­schen Unterbau, an Gravitas und Selbst­re­fle­xion, die all die genannten Beispiele vorweisen können. Rob Jabbaz zeigt zwar Verstüm­me­lungen, Mord, Verge­wal­ti­gung am laufenden Band, doch wirklich trans­gressiv erscheint das blutige Gesch­mande und Geschlotze selten, weil die grund­le­gende Wahr­neh­mung dessen unan­ge­tastet bleibt. Weil sich die Meta­phorik selbst erklärt, bevor man überhaupt ins Denken kommt. Das Publikum bleibt teil­nahmslos. Es darf durchweg aus einer Komfort­zone heraus obser­vieren und bekommt Schocks als Fast Food serviert.

Reine Effekte

Wie ein Versuchs­labor mutet das an, eine Werkstatt, die ihren Schmutz und Morast säuber­lich drapiert, bis der perfekte Shot sitzt. Ein Showreel für tech­ni­sche Fertig­keiten. In einer U-Bahn-Sequenz fühlt man sich an Peter Jacksons fulmi­nante Rasen­mäher-Metzelei aus Braindead erinnert. Doch wo Jackson einen wirklich entfes­selten, disrup­tiven Film gedreht hat, ist The Sadness noch nicht chaotisch genug, weil er gefühlt um jede Aktion am liebsten noch einen präch­tigen Rahmen bauen würde. Der Abstieg in das vollends Enthemmte will ihm nicht so recht gelingen. Zu früh ist das meiste Pulver verschossen. Zu offensiv und selbst­ver­liebt sind all die Abscheu­lich­keiten in ihrer Produk­tion und ihrem Handwerk ausge­stellt. Sie erscheinen irgend­wann nur mehr als ausge­leuch­tete Effekte, denen die Pointe verlo­ren­geht. Bösar­tig­keit verkommt zum Prahlen.

Das erscheint umso bigotter, wenn man bedenkt, dass The Sadness zwar mahnend auf unter­schwellig brodelnde Gelüste verweisen will, aber in seiner Insze­nie­rung keinen Weg findet, sich von reiße­ri­schem Ausschlachten und letztlich recht simpel gestricktem Unter­hal­tungs­wert zu lösen. Selbst kleine humo­ris­ti­sche Auflo­cke­rungen kann er sich nicht verkneifen, so zynisch sie auch sein mögen. Sein poli­ti­scher Aktua­li­täts­bezug ist dabei ambi­tio­niert, aber wandelt über­wie­gend auf vertrauten, prä-pande­mi­schen Wegen. Überhaupt, was soll denn diese Virus-Metapher?

Quer­den­kende Zombies?

Die Realität hat The Sadness überholt. Was Rob Jabbaz zu Beginn der Pandemie für die taiwa­ne­si­sche Gesell­schaft als Zerrbild entwarf, scheint vieler­orts inzwi­schen Alltag zu sein: Der Ausnah­me­zu­stand legt bei einem Teil der Bevöl­ke­rung plötzlich Schalter um. Bürger radi­ka­li­sieren sich. Nicht nur im anonymen Umfeld, auch innerhalb der Familie und in Part­ner­schaften. Etwas, das schon lange schlum­merte, findet sein Ventil. Wer vorher viel­leicht nur geklagt hat, tickt nun aus, auch in The Sadness. Da schimpft einer in der Bahn über die heutige Zeit, kurz darauf gibt er sich der Raserei hin. Man kommt mitt­ler­weile kaum umhin, in den randa­lie­renden »Zombies« auch ein Stück weit eine pole­mi­sche Analogie zu Wutbür­gern oder Verschwö­rungs­theo­re­ti­kern zu sehen. The Sadness über­stei­gert gesell­schaft­liche Gräben zum Schlacht­fest. Die Umstände erscheinen als größeres Übel als das eigent­liche Virus. Aber ist es im 21. Jahr­hun­dert mit diesem zigfach herauf­be­schwo­renen, totalen Vernich­tungs­trieb wirklich noch getan, um produktiv auf die Gegenwart zu reagieren? Viele Gedanken über deren Analyse hat sich The Sadness nicht gemacht. Ob mit oder ohne Pandemie: Eine Angst vor gesell­schaft­li­cher Pola­ri­sie­rung, davor, dass plötzlich ein Teil der Mensch­heit ausrastet und jegliche Ordnung aushebeln könnte, mag allzu gegen­wärtig sein. Sie allein mit krea­tür­li­chen Ur-Trieben gleich­zu­setzen, kann man jedoch als denkfaul bezeichnen. Als reinen Vorwand für einen Wettlauf um Leben und Tod, dem man wie einer Sport­ver­an­stal­tung beiwohnt. Bei The Sadness bleibt nach einer guten Idee reines Spektakel im Strom der Gleich­för­mig­keit. Er poten­ziert lediglich Chaos mit noch mehr Chaos.

Ein weiterer Corona-Schnell­schuss

Auch dieser Pande­mie­film kommt schlichtweg zu früh. Ihm fehlt es als Moment­auf­nahme an Klarsicht, um sein Genre subversiv zu nutzen. Ähnliches war schon 2020 bei dem Desktop-Grusel­streifen Host zu beob­achten, der ebenfalls voreilig auf die pande­mi­sche Lage reagieren wollte, aber seiner neuen Lebens­wirk­lich­keit nur mit vagen, altba­ckenen Klischees und Remi­nis­zenzen begegnen konnte. The Sadness tappt in dieselbe Falle. Ein Liebes­paar in der Apoka­lypse, ein leeres Kran­ken­haus, ein irrer Wissen­schaftler, Menschen­horden in kollek­tiver Hirn- und Hemmungs­lo­sig­keit, im Hinter­grund brennen die Häuser – The Sadness will kein klas­si­scher Zombie­film sein und ist es doch zwei­fellos. Das sind Zutaten und Tropen, von denen die Film­ge­schichte seit Jahr­zehnten durch­zogen ist. The Sadness spinnt aus ihnen routi­nierten, groben, aber einfalls­losen filmi­schen Terror, als hätte sich die Welt nie weiter­ge­dreht.

Zumindest in seiner verwei­gerten Erlösung ist er konse­quent! Wo der Film anfangs noch die Sehnsucht nach einer alter­na­tiven Lebens­wirk­lich­keit und System­ver­än­de­rung formu­liert, bleibt zum Schluss die konse­quent grausige Ernüch­te­rung. Die »Pandemie als Chance«, nach der viel­leicht lang­jährig gewach­sene Schräg­lagen behoben und überdacht werden könnten, entpuppt sich leider als Hirn­ge­spinst. The Sadness hat das erkannt, gibt sich gar nicht erst die Mühe, dem etwas entge­gen­zu­setzen. Diese schau­der­hafte Desil­lu­sio­nie­rung fängt er am tref­fendsten ein. Wenn­gleich die ein oder andere Figur den Ernst der Lage erkannt hat, viel­leicht sogar mit dem Leben davon­kommt: Die Aggres­sion, die derweil ausge­bro­chen ist, lässt sich so schnell nicht mehr aus der Welt schaffen. Ihre Folgen dauern an. The Sadness grinst einem diese trostlose Vorher­sage mit blutiger Fratze entgegen.