Das Sandmännchen – Abenteuer im Traumland

Deutschland 2010 · 83 min. · FSK: ab 0
Regie: Sinem Sakaoglu, Jesper Møller, Helmut Fischer
Drehbuch: ,
Kamera: Angela Poschet
Darsteller: Bruno Renne, Valeria Eisenbart, Ilja Richter, Julia Richter u.a.
Stimme: Volker Lechtenbrink
Käpt'n Miko auf großer Fahrt durchs Traumland

Ja, so war das damals, in der DDR: Dem Volk von klein auf Sand in die Augen gestreut. Die geheimsten Träume ausspio­niert, feinst­säu­ber­lich proto­kol­liert und auf ewig archi­viert. Und den Kindern das Ganze dann auch noch als freund­schaft­li­chen Dienst am Jungvolk verkauft! Und wer partout nicht glauben will, dass das Ost-Sand­männ­chen beim Geheim­dienst war: Ja, der schau sich doch nur dessen Gefährt an! Woher hat der Traum­hüter denn so ein hoch­mo­dernes, auf Knopf­druck wand­lungs­fähiges Fliewatüt wie »Rosinante«? Das kennt man doch sonst nur von James Bond!

Und nicht, dass jemand glaubt, zwei Jahr­zehnte nach der Wende würde das Sand­männ­chen sein Mäntel­chen nach dem Wind hängen – nein, das ist immer noch so rot wie eh und je. So rot wie die Mütze, wie die Rosinante, und das Ampel­männ­chen, das jetzt einmal auf ihrer Schnauze auf einem Fähnchen flattert.

Aber im Ernst: Ideo­lo­gi­sche Indok­tri­na­tion ist von Das Sand­männ­chen – Abenteuer im Traumland nicht zu befürchten. Der Film wird höchstens von Nostal-, aber nicht von Ostalgie durchweht. Sein Herz hängt nur ein wenig an den Zeiten, als der Himmel in Puppentrick­filmen noch voller veri­ta­bler Watte­wolken hing. Ansonsten ist es völlig mittel­eu­ropäi­sches, spät­ka­pi­ta­lis­ti­sches Kinder­kino – mit klarer Partei­nahme für westliche Anima­ti­ons­tra­di­tionen. Die deut­lichsten Vorbilder in visuell-stilis­ti­scher Hinsicht sind Henry Selick/Tim Burton und Nick Parks Aardman Studios; ein paar Neben­fi­guren sind direkte Zitate aus Nightmare Before Christmas und den Wallace & Gromit -Filmen. Und die kurzen Real­film­se­quenzen atmen mehr als einen Hauch von Jeunet-Bewun­de­rung. Da kann man durchaus sagen: Immerhin, nicht die schlech­testen Leit­ge­stalten. Und man muss allein schon die Schlaf­mütze ziehen, weil der Film von Jesper Møller und Sinem Sakaoglu sich ange­sichts solch hoch­flie­gender Träume nicht blamiert.

Optisch kann sich das allemal sehen lassen, hat ein paar richtig starke surreale Bilder (ein Schwarm wie Vögel flie­gender Schirme etwa) und clevere Ideen. Wo es auch ab und zu mit seinen Idolen halbwegs mithalten kann, ist bei der Charak­ter­komik einzelner Rand­fi­guren – etwa bei einem Traum­ana­ly­tiker in Schne­cken­ge­stalt und mit Wiener Akzent. Das Freud einen doch! (Und, ja, mit Kalauern kann der Film auch reichlich aufwarten. Und damit hat er mich ja schnell auf seiner Seite...)

Wo’s hingegen ein wenig hapert, ist bei dem grund­sätz­li­chen Handwerk des Drehbuchs. Und zwar, weil’s etwas zu glatt und funk­tional nach Kinder­film-Drama­tur­gie­vor­schrift gestrickt ist. Die zentrale Figur ist nicht das Sand­männ­chen selbst, sondern ein Bub aus der Wachwelt, der allein den gestoh­lenen Traumsand von dem Bösling Habumar zurü­cker­langen kann. Was nur geht, wenn er seine eigenen Ängste über­windet. Je nun, die Rosinante in ihrem Lauf halten weder Albtraum noch Habumar auf, und es endet freilich alles gut mit der wieder­er­langten Total­kon­trolle des Sand­männ­chens über alle Kinder­träume. Aber wie und warum der Plot da hin kommt, wo er hin muss, das folgt weniger innerer Notwen­dig­keit und Über­zeu­gung, als dem Zwang der Markt- und Lehr­buch­re­geln. Das ist da halt, wie’s in Kinder­filmen immer so ist. Was dafür sorgt, dass es auch letztlich »nur« ein Kinder­film bleibt, wo seine Vorbilder schlicht Filme (und großar­tige Filme!) sind.

Und eine Sache verzeihen wir Sand­männ­chen – Abenteuer Im Traumland auch nicht: Wie kann ein Film (und noch dazu einer, der sonst keinen Kalauer auslässt) nur Ilja Richter als Leucht­turm­wärter besetzen – und ihn dann kein einziges Mal »Licht aus – Spot an!« sagen lassen. Was für eine vertane Groß­chance...

Auf dem Filmfest München 2010 wird Das Sand­männ­chen zu folgenden Terminen gezeigt: Sa. 26.6. 14:30 Gasteig, Carl-Orff-Saal und Mo. 28.6. 9:00 Gasteig, Vortrags­saal