Deutschland 2025 · 85 min. · FSK: ab 16 Regie: Nikias Chryssos, Viktor Jakovleski Drehbuch: Nikias Chryssos, Viktor Jakovleski Kamera: Jonas Schneider Darsteller: Aaron Altaras, Clemens Schick, Isaak Dentler, June Ellys Mach, Ruby Commey u.a. |
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Die Alltagswahrnehmung entfesseln... | ||
(Foto: Weltkino) |
Zahlreiche Vergleiche und große Namen wurden seit der Premiere beim Filmfest München bemüht, um Rave On in Worte zu fassen. Kafka, Kubrick, vor allem der Skandalregisseur Gaspar Noé und dessen Climax und Enter the Void wurden wiederholt genannt. Sieht man nun das neue Werk von Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski, versteht man instinktiv, woher diese Vergleiche rühren. Und Rave On ist ein fabelhafter Film, ein unglaublich mitreißendes, intensives Filmerlebnis. Weil es sich hier um Kino handelt, das auf aggressive, kompromisslose Weise die Sinne des Publikums attackiert, aber dabei nicht nur das Niederschmetternde, sondern auch die ungebremste Euphorie auf der Leinwand und im Kinosaal sucht. Umso wichtiger ist es also, die Vergleiche aufzuschlüsseln und einige Differenzierungen vorzunehmen. Denn Rave On ist mitnichten nur ein Abklatsch. Er hat es verdient, aus dem Schatten derlei großer Namen herauszutreten und für seine eigene Vision abseits der offensichtlichen Parallelen und Referenzen ernstgenommen zu werden.
Von Kafka sind hier das Verlieren und die Selbstentfremdung in unübersichtlichen Strukturen, aber auch das Motiv der verwehrten Teilhabe geblieben. Wenngleich das Labyrinthische und Unwirkliche hier vor dem Hintergrund einer Drogenerfahrung und einer Biographie viel eindeutiger lesbar werden. Rave On erzählt von der Suche nach Einlass und Anerkennung. Der DJ und Produzent Kosmo will noch einmal hoch hinaus. Er hat eine Demo-Platte im Gepäck, die er seinem Idol Troy Porter überreichen will, der heute Nacht in einem Berliner Technoclub auflegt. Doch schon der Türsteher weist ihn ab. Erst mit Verzögerung darf Kosmo eintreten und drinnen stößt er schnell an die nächste Tür. Der Star bleibt auratisch abgeschirmt. Wenig später sieht man ihn in meditierender Pose, gleich einer Götzengestalt, ehe der Blick auf ihn wieder versperrt wird. Also muss Kosmo andere Wege finden, um an sein Vorbild heranzukommen und sein Comeback zu meistern. Damit beginnt in Rave On ein treibender Prozess, bei dem sich Zeitgefühl und Orientierung völlig auflösen.
Die Räume des Clubs verwandeln sich in vertrackte, schaurige Katakomben, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint, sofern nicht ein Türsteher als Führer durch die Unterwelt auftritt, um einen aus dieser Gemeinschaft der Feiernden, Suchenden und Verlorenen auszustoßen und wieder in das grelle Licht des Tages zu entlassen. Kosmo trifft bis dahin auf so manche kuriose Gestalt, mal als gespenstische Wiedergänger aus der eigenen gescheiterten Biographie, mal als Verführer, die den Horrortrip nur beschleunigen. Die Drogen tun ihr Übriges. Natürlich erinnert das thematisch und stilistisch an Noé und Climax. Dieses beklemmende Gefühl, sich in den düsteren Gängen und Zwischenwelten zu verirren, während die Musik dröhnt und der Rausch etwas Zwanghaftes, Unbehagliches erhält. Ein Bad Trip setzt ein. Doch gerade bei diesem Vergleich lohnt es sich, genauer hinzusehen. Denn nur die Drogen, die Grenzerfahrungen und die eskalierende Party – das ist nicht alles! Beide Filme sind inhaltlich verschieden und das beginnt schon beim Schauplatz.
Climax spielte in einem Übungszentrum mitten in einem abstrakten, verschneiten Nichts und Nirgendwo, war also kein dezidierter Club-Film, wie Rave On einer ist. Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski gehen unmittelbar hinein in das Berliner Milieu. Die Kamera quetscht sich eingeengt in eine der schmuddeligen Toiletten, wo Drogen geschnupft und durch eine Klappe in Richtung Publikum gepustet werden. Sie durchstreift und atmet diese schummrigen Räume vom Einlass über die Tanzfläche bis zum Darkroom. Noés Film abstrahierte seine Eskalation zum zivilisationsmüden Bild einer Gesellschaft im Zerfall. Sie braucht, so die zynische Pointe, nur einen kleinen Stoß, um alles Benehmen, alles kultivierte Miteinander, alle (künstlerischen) Ideale der Gewalt und dem Zerstörungstrieb zu opfern. In Rave On wird das verzweifelte Irren durch das Partysetting derweil zur Auseinandersetzung mit den überfordernden Veränderungen einer Subkultur. Auch bezüglich der Medialität, der Materialität und der ganzen Ausrichtung der Musik.
Das ist keineswegs nur ein langer Anti-Drogen-Spot, wie man das zunächst vielleicht annehmen könnte. Und dieser anderthalbstündige Trip erzählt von der Kunst als Arbeit und Verheißung, vom immer nervöser werdenden Kampf und Krampf, diese vermeintlich eine letzte Chance nutzen zu können, den Aufstieg auf der Karriereleiter zu schaffen. Hier sind ganz existenzielle Ängste und Zwänge in ein filmisches Spiel übersetzt worden. Und hat man es plötzlich geschafft; da verschwindet der Künstler im Beat der Musik und im Taumel der anonymen Masse. Die Lust am Experiment, das Gefühl der Anerkennung kann derweil auch von der erneuten Grenzziehung zu denen, die es geschafft haben, kaum geschmälert werden. Der Film vollzieht eine Bewegung vom individuellen Kult zum kollektiven Ritual – irgendwo zwischen allen Sphären.
Rave On geleitet sein Publikum selbst rituell hinein in die Trance: In das gedehnte, anfängliche Schwarzbild schleichen sich Blitze, ehe sich die Musik in die Höhe schraubt und die Bilder zu flackern und flimmern beginnen. Diese Vorliebe für die grellen Farben und das Stroboskop, das die Sinne mit Reizen überflutet, eint Rave On in der Tat mit den Filmen Gaspar Noés. Was Rave On ebenso mit Climax und Enter the Void verbindet, ist das Spiel mit der schwankenden Objektivität und Subjektivität der Kamera. Die Sinnestrübungen des Protagonisten schwappen immer wieder auf den Apparat des Films über, der weniger eine Welt einfängt und dokumentiert, als vielmehr von ihr in Besitz genommen wird. Die Beobachtung von außen steht immer schon kurz davor, von der benebelten Wahrnehmung des Subjekts verschlungen zu werden. Das Wechseln zwischen den Perspektiven und Zuständen macht Rave On formal so aufregend und unberechenbar.
Dabei schaffen es Filme selten so eindringlich, die Logik eines Albtraums in Bilder zu fassen. Mit grauenerregender Schwere fließen mitunter die Aufnahmen wie zähflüssiger Schleim ineinander. Plötzlich werden Größenverhältnisse verzerrt. Man kriecht mit dem Protagonisten über den Boden, kommt kaum voran, während Menschen im Umfeld zu Riesen wachsen. Die Nähe, die die Kamera dauernd anstrebt, wird unbequem. Der Fluchtinstinkt kickt, aber wo ist der Ausweg? Allein das stundenlange Warten auf den großen Auftritt gebietet das Ausharren in dieser empfundenen Vorhölle. Man sucht Hilfe, kann sich aber kaum noch adäquat äußern, also schleppt man sich weiter durch diese Welt, in der man scheinbar nicht mehr dazugehört. Alles Wahrgenommene gleicht nurmehr grauenerregenden Spukgestalten. Umso erstaunlicher, dass der Film dennoch bei positiven Gefühlen ankommt, dass all der Horror doch noch in etwas Schönes verwandelt werden kann. Etwas, das die Alltagswahrnehmung entfesselt. Wenige Augenblicke des Glücks werden da spürbar, während aus schwitzenden, tanzenden Körpern Schemen und Fragmente werden, verschleiert vom Blitzen der Lichter.